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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.272/2006 /ggs 
 
Urteil vom 13. Juli 2006 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Thönen. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Ragaz, 
 
gegen 
 
Y.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Fürsprecherin Beatrice Müller-Wirth, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502 Solothurn, 
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Amthaus I, Postfach 157, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, 
vom 2. März 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Y.________ (geb. 1949) parkierte ihren Personenwagen am Samstag, 31. August 2002 vor dem Bahnhofsgebäude von Schönenwerd auf der rechten Strassenseite auf dem vorderen Längsparkfeld. Dahinter war ein weiterer Personenwagen abgestellt. Als sie gegen 17.15 Uhr nach links wegfahren wollte, kollidierte sie seitlich mit X.________ (geb. 1986), die sich auf einem Kleinmotorrad (Roller) von hinten näherte, gegen die linke vordere Seite des Wagens von Y.________ stiess, stürzte und sich dabei am Kopf schwer verletzte. Sie war ohne Sturzhelm und mit forschem Tempo schräg hinter den beiden parkierten Wagen über das Trottoir auf die Strasse gefahren. 
B. 
Der Untersuchungsrichter verurteilte Y.________ wegen Missachtens des Vortrittsrechts bei Wegfahrt ab Parkplatz und Mangels an Aufmerksamkeit mit Strafverfügung vom 10. Dezember 2002 zu einer Busse von Fr. 250.--. 
 
Auf Einsprache verurteilte die Amtsgerichtspräsidentin von Olten-Gösgen Y.________ mit Urteil vom 24. März 2004 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer Busse von Fr. 500.-- mit bedingter Löschung des Eintrags im Strafregister nach einer Probezeit von zwei Jahren, erklärte sie gegenüber dem Opfer schadenersatzpflichtig mit einer Haftungsquote von 80% und verpflichtete sie zur Zahlung einer reduzierten Schadenersatzforderung von Fr. 2'380.65 für vorprozessuale Anwaltskosten, wobei weitergehende Zivilforderungen auf den Zivilweg verwiesen wurden. Die Amtsgerichtspräsidentin hatte den Antrag auf Einholung eines verkehrstechnischen Gutachtens abgelehnt. 
C. 
Mit Urteil vom 2. März 2006 sprach das Obergericht des Kantons Solothurn Y.________ im Appellationsverfahren frei, nachdem es ein verkehrstechnisches Gutachten eingeholt hatte, und trat auf die Zivilforderung der Verletzten nicht ein. 
D. 
Dagegen führt X.________ staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Verurteilung der Beschuldigten an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Y.________ und das Obergericht schliessen auf Abweisung der Beschwerde; die Staatsanwaltschaft hat auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die Beschwerdeführerin ist als Opfer im Sinne des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) zur Beschwerde berechtigt (Art. 8 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 OHG; BGE 120 Ia 157 E. 2c). 
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer anderen Bundesbehörde - namentlich mit der Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht - gerügt werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG; Art. 269 Abs. 1 BStP). 
 
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung, begründet diese aber mit angeblichen Verletzungen von Bundesrecht: Ob die Beschwerdegegnerin beim Wegfahren ihres Wagens fahrlässig gehandelt, das Vortrittsrecht der Beschwerdeführerin missachtet hat oder einen weiteren Kontrollblick nach hinten hätte werfen sollen, sind Fragen des eidgenössischen Straf- und Strassenverkehrsrechts. Solche Rechtsverletzungen sind mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen, und die subsidiäre staatsrechtliche Beschwerde steht dafür nicht zur Verfügung. 
 
Es ist ausgeschlossen, die mit "staatsrechtliche Beschwerde" überschriebene Beschwerdeschrift als Nichtigkeitsbeschwerde entgegenzunehmen. Zwar täuscht sich die Beschwerdeführerin, wenn sie ausführt, die Nichtigkeitsbeschwerde stehe ihr nicht zur Verfügung (Beschwerdeschrift, Ziff. 2): Für Opfer gemäss OHG ist die Nichtigkeitsbeschwerde ausdrücklich im Gesetz vorgesehen (Art. 270 lit. e BStP). Ihre Eingabe genügt aber den formellen Anforderungen an eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht. Die Beschwerdefrist beträgt für beide Beschwerden 30 Tage (Art. 272 Abs. 1 BStP; Art. 89 Abs. 1 OG), bei der Nichtigkeitsbeschwerde steht die Frist jedoch - anders als bei der staatsrechtlichen Beschwerde - während der Gerichtsferien nicht still (Art. 34 Abs. 2 OG). Sie lief bereits am 21. April 2006 ab, während jene für die staatsrechtliche Beschwerde wegen der Osterferien (Art. 34 Abs. 1 lit. a OG) am 8. Mai 2006 endete, an welchem Tag die Beschwerde bei der Post aufgegeben wurde. 
Eine Entgegennahme der staatsrechtlichen Beschwerde als Nichtigkeitsbeschwerde fällt wegen der verstrichenen Beschwerdefrist ausser Betracht. 
2. 
Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche Beweiswürdigung. 
2.1 Die Feststellung des Sachverhaltes auf dessen Richtigkeit hin überprüft das Bundesgericht als reine Tatfrage auf Willkür (Art. 9 BV; vgl. BGE 132 I 21 E. 3.2.3 S. 24; 129 I 173 E. 3.1 S. 178). Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen und wenn der angefochtene Entscheid auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen). Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. 
2.2 Gestützt auf die Aussagen der Beschwerdeführerin, der Beschwerdegegnerin, zwei Zeugen und ein verkehrstechnisches Gutachten stellte das Obergericht Folgendes fest: Der objektive Tatbestand einer schweren Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB) ist erfüllt, da die Beschwerdeführerin beim Verkehrsunfall schwere Kopfverletzungen erlitt und gemäss ärztlicher Bescheinigung am Unfallort aufgrund der tiefen Bewusstlosigkeit in Lebensgefahr schwebte. Die Beschwerdegegnerin trifft nach Ansicht des Obergerichts aber kein Vorwurf fahrlässigen Verhaltens, da sie als Wagenlenkerin die zumutbare Sorgfalt und Aufmerksamkeit hat walten lassen (Blick in die Spiegel und nach hinten), den Roller dabei nicht gesehen hat und nicht damit rechnen musste, dass wenige Meter weiter hinten, hinter einem anderen parkierten Wagen, ein Roller schräg über das Trottoir auf die Strasse fahren würde. 
 
Die Beschwerdeführerin leidet heute gemäss eigenen Angaben zeitweise unter Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Aggressionen, konnte noch keine regelmässige und dauerhafte Erwerbstätigkeit aufnehmen, befindet sich in Berufsabklärung im Zentrum für berufliche Abklärung für Menschen mit Hirnschädigung in Luzern und bezieht ein Taggeld der Invalidenversicherung. 
2.3 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Beschwerdegegnerin hätte den herannahenden Roller hören müssen; die Strasse an der Unfallstelle sei breit genug, so dass in der ersten Phase der Wegfahrt keine mögliche Gefahr von vorne zu beachten gewesen sei; entgegen den Ausführungen des Obergerichts sei die in Fahrtrichtung der Beschwerdegegnerin zu überblickende Strasse sehr übersichtlich. 
 
Soweit die Beschwerdeführerin damit ausdrücken will, die Beschwerdegegnerin hätte ihre Aufmerksamkeit stärker nach hinten richten müssen, habe eine strafrechtlich relevante Sorgfaltspflichtverletzung begangen und damit fahrlässig im Sinne von Art. 18 Abs. 3 StGB gehandelt, liegt für die staatsrechtliche Beschwerde kein zulässiger Beschwerdegrund vor. 
 
Soweit sie das angefochtene Urteil hinsichtlich der Übersichtlichkeit und Breite der Strasse, der Gefährdung durch den Gegenverkehr oder der für die Beschwerdegegnerin wahrnehmbaren Geräusche kritisiert, stellt sie ihre eigene Ansicht derjenigen des Obergerichts in appellatorischer Weise entgegen. Das heisst, sie zeigt nicht auf, inwiefern die Darlegungen des Obergerichts mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Ferner benennt sie auch keine Beweismittel, die das Obergericht willkürlich gewürdigt hätte oder aus denen sich die Richtigkeit ihrer eigenen Auffassung ergäbe. 
 
Auf die Vorbringen ist mangels genügender Begründung (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3 f.; 125 I 492 E. 1b S. 495) nicht einzutreten. 
3. 
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. 
 
Die Beschwerdeführerin stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Da ihre Beschwerde aussichtslos ist, kann das Gesuch nicht bewilligt werden (Art. 152 Abs. 1 OG). Der Regel nach trüge die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Es rechtfertigt sich aufgrund der beschriebenen Umstände eine Ausnahme, so dass keine Gerichtsgebühr erhoben wird. Hingegen hat die Beschwerdeführerin der obsiegenden Beschwerdegegnerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 2 OG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
im Verfahren nach Art. 36a OG
 
1. 
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
3. 
Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben. 
4. 
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 13. Juli 2006 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: