Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_1290/2020
Urteil vom 13. August 2021
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
Bundesrichterin Koch,
Bundesrichter Hurni,
Gerichtsschreiber Traub.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Zillig,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Widerruf; Strafzumessung; Landesverweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 23. September 2020 (SB2000195-O/U/jv).
Sachverhalt:
A.
A.________ wird vorgeworfen, er habe am 19. März 2019 von "B.________" (Personalien unbekannt) den Auftrag angenommen, Betäubungsmittel zu verkaufen. In der Folge habe er einem polizeilichen Scheinkäufer eine Portion Heroin (52,5 Gramm netto, Reinheitsgehalt von 25 %) zu einem vereinbarten Preis von Fr. 1'400.-- übergeben.
Das Bezirksgericht Zürich sprach A.________ der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 1 lit. c in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG) schuldig. Sodann widerrief es den in einem Urteil des Obergerichts vom 19. November 2018 gewährten bedingten Vollzug einer Freiheitsstrafe (16 von 28 Monaten) sowie einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen. Das Bezirksgericht belegte A.________ mit einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 28 Monaten. Ausserdem verwies es ihn für sieben Jahre des Landes (Art. 66a StGB) und ordnete an, die Landesverweisung im Schengener Informationssystem auszuschreiben (Urteil vom 7. Februar 2020).
B.
Am 23. September 2020 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Urteil.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, auf die beiden Widerrufe sei zu verzichten; stattdessen sei jeweils die Probezeit zu verlängern. Er sei mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten zu belegen, bei einer Probezeit von fünf Jahren. Von der Anordnung einer Landesverweisung und deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem sei abzusehen.
Erwägungen:
1.
1.1. Unter anderem im Hinblick auf die Strafzumessung (unten E. 2) wehrt sich der Beschwerdeführer gegen den Schluss der Vorinstanz, es erscheine unglaubhaft, dass er von Dritten zum Betäubungsmittelhandel gezwungen worden sei. Insbesondere könne die Vorinstanz gar nicht beurteilen, ob das geltend gemachte Abarbeiten einer Geldschuld von Fr. 7'000.-- (u.a. wegen des Verlusts von Kokain im Rahmen eines früheren Strafverfahrens) in Form von wenigen Drogenlieferungen "nicht aufgehe" (dazu im Einzelnen das angefochtene Urteil, S. 8 f. E. 2.2.6). Er habe seine Notlage glaubhaft und nachvollziehbar belegt.
Entgegen der Vorinstanz sei sodann der Umstand, dass er nach seiner Verhaftung B.________ bereitwillig als Hintermann bezeichnet habe, durchaus vereinbar mit dessen Drohung ihm und seiner Familie gegenüber. Er habe gehofft, nun werde auch B.________ strafrechtlich verfolgt und dieser sei alsdann nicht mehr in der Lage, ihm und seiner Familie zu drohen. Nicht nachvollziehbar sei es sodann, dass ihm die Vorinstanz entgegenhalte, er habe nach eigener Aussage B.________ freiwillig von einer Beschlagnahme von bei ihm befindlichen Betäubungsmitteln berichtet, wodurch er sich unnötig einer Gefahr ausgesetzt hätte. Auch dies spreche nicht gegen eine Gefährdung. Zu einer solchen Erklärung zum Fehlen sowohl der Drogen wie auch eines Erlöses habe es keine Alternative gegeben. B.________ habe ihn ja gerade aufgesucht, um den Ertrag aus einem Verkauf der Betäubungsmittel einzukassieren.
Insgesamt schliesse die Vorinstanz willkürlich, bei seiner Angabe, er sei nur wegen der Drohungen aus Angst erneut straffällig geworden, handle es sich um eine Schutzbehauptung.
1.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz bindet das Bundesgericht grundsätzlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Sie kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (im Wesentlichen einer Verletzung von Bundesrecht) beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder in einem klaren Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht. Erscheint eine andere Lösung oder Würdigung ebenso vertretbar oder gar zutreffender, so begründet dies noch keine Willkür (BGE 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; 141 IV 305 E. 1.2).
Soweit sich der Beschwerdeführer zur Beweiswürdigung der Vorinstanz äussert, gibt er seinem eigenen Verhalten und demjenigen des (identitätsmässig im Dunkeln bleibenden) Bedrohers im Wesentlichen eine andere Bedeutung, indem er die jeweiligen Motivlagen unterschiedlich interpretiert (oben E. 1.1). Seine Ausführungen entkräften den vorinstanzlichen Schluss, das Verhalten des Beschwerdeführers sei kaum mit der geltend gemachten Bedrohung vereinbar - bei der Bedrohung handle es sich im Wesentlichen um eine Schutzbehauptung - nicht. Dieses Ergebnis der Beweiswürdigung erscheint neben der alternativen Darstellung des Beschwerdeführers nicht als offensichtlich haltlos, sondern immer noch als Sachverhalt, der zumindest nicht weniger realistisch ist als die Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers. Dies gilt erst recht mit Blick auf die eingehenden Erwägungen des Bezirksgerichts (Urteil vom 7. Februar 2020 S. 6 ff. E. 1.2.4-1.2.6) zu den Ungereimtheiten in den Aussagen des Beschwerdeführers, auf die die Vorinstanz ergänzend verweist (Art. 82 Abs. 4 StPO; vgl. BGE 141 IV 244 E. 1.2.3).
Der vorinstanzlich festgestellte Sachverhalt bleibt somit massgebend.
2.
2.1. Im Anschluss an die Rüge, das angefochtene Urteil beruhe auf einem falsch festgestellten Sachverhalt, bringt der Beschwerdeführer vor, die Vorinstanz habe bei der Strafzumessung die Tatsache der Bedrohung durch B.________ ausser Acht gelassen. Angesichts der Bedrohungslage rechtfertige sich eine Freiheitsstrafe nur im Umfang von 24 Monaten. Aus dem gleichen Grund sei die Vorinstanz im Hinblick auf die Frage des (bedingten) Vollzugs der Freiheits- und der Geldstrafe zu Unrecht von einer Schlechtprognose ausgegangen. Die ihm vorgeworfene hochgradige Gleichgültigkeit gegenüber der Rechtsordnung und Uneinsichtigkeit in Bezug auf das verübte Unrecht liege gerade nicht vor. Die Freiheitsstrafe von 24 Monaten sei deshalb bedingt auszusprechen und die Probezeit auf die maximal möglichen fünf Jahre festzusetzen. Was schliesslich den Widerruf der im Urteil vom 19. November 2018 je bedingt ausgesprochenen Geld- und Freiheitsstrafe betreffe, so macht der Beschwerdeführer geltend, entgegen der Vorinstanz müsse keine weitere Delinquenz mehr befürchtet werden, weil die Bedrohung nicht mehr bestehe. Deshalb sei vom Widerruf der Geld- und der Freiheitsstrafe abzusehen und dafür wiederum die Probezeit zu verlängern.
2.2. Mithin begründet der Beschwerdeführer die Begehren betreffend den (bedingten) Vollzug und den Widerruf der bedingten Vorstrafen einzig damit, die Vorinstanz sei bloss deshalb zu einer Schlechtprognose hinsichtlich künftiger einschlägiger Straftaten gekommen, weil sie in willkürlicher Weise verkannt habe, dass er bei der in diesem Verfahren beurteilten Widerhandlung gegen das BetmG unter Zwang gehandelt habe. Diese Begründung ist nach dem in E. 1 Gesagten gegenstandslos. Da auch hinsichtlich der Strafzumessung keine weiteren Rügen vorgebracht werden und keine diesbezüglichen Rechtsmängel augenfällig sind, besteht wiederum kein Grund zur Beanstandung des angefochtenen Urteils.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt die vorinstanzlich angeordnete Landesverweisung von sieben Jahren. Zu Unrecht habe die Vorinstanz in seinem Fall einen schweren persönlichen Härtefall (Art. 66a Abs. 2 StGB) verneint. Zur Begründung bezieht er sich auf seine Flucht aus dem Kosovo im Jahr 2008, seine Integration in der Schweiz und die familiären Verhältnisse. Mit diesen und weiteren Vorbringen, mit denen der Beschwerdeführer sein privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz begründet, hat sich das Bundesgericht bereits im Urteil 6B_34/2019 vom 5. September 2019 (E. 2.4) umfassend auseinandergesetzt. Damals bestätigte es die im früheren Urteil der Vorinstanz vom 19. November 2018 ausgesprochene Landesverweisung von fünf Jahren. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, dass sich die rechtserheblichen Verhältnisse seitdem massgeblich verändert haben. Damit ist das im Urteil vom 5. September 2019 Erwogene ohne Weiteres nach wie vor gültig, wie die Vorinstanz zu Recht festhält. Soweit sich der Beschwerdeführer zusätzlich darauf beruft, er habe nur wegen einer Zwangslage (erneut) delinquiert, es fehle also die kriminelle Energie, so ist dieses Vorbringen nach dem in E. 1 Gesagten ebenfalls gegenstandslos.
3.2. Ausserdem wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass zur bestehenden fünfjährigen nun eine weitere Landesverweisung von sieben Jahren ausgesprochen werde. Den öffentlichen Interessen genüge, zumal mit Blick auf sein sehr leichtes Verschulden, bereits die schon früher verhängte Landesverweisung. Die neue Massnahme sei unverhältnismässig, weil das Delikt vom 19. März 2019 als Wiederholungstat eng mit der früheren Delinquenz zusammenhänge.
Hinsichtlich der im vorliegenden Verfahren ausgesprochenen Landesverweisung wendet die Vorinstanz Art. 66b StGB (Dauer einer neuen Landesverweisung im Wiederholungsfall von 20 Jahren) nicht an, da im Zeitpunkt der Tat (19. März 2019) das obergerichtliche Urteil vom 19. November 2018 noch nicht rechtskräftig gewesen ist; ein Wiederholungsfall im Sinn von Art. 66b StGB liegt nur ab der Rechtskraft des Urteils bis zum Ablauf der Dauer der Landesverweisung sowie nach dem Ablauf der Dauer einer ersten Landesverweisung vor (BGE 146 IV 311 E. 3.5.1). Stattdessen setzt die Vorinstanz der ersten Instanz folgend die neue Dauer der Massnahme auf sieben Jahren fest. Dies begründet sie mit einem "doch hohen Fernhaltungsinteresse, da der Beschuldigte noch innerhalb der Probezeit einer bedingten Freiheitsstrafe wieder zu delinquieren begann und damit seine geringe Wertschätzung für die schweizerische Rechtsordnung bekundete" (angefochtenes Urteil, S. 19 E. 8).
Die strafrechtliche Landesverweisung ist in erster Linie eine sichernde Massnahme. Sind mehrere angeordnet, wird mit der Vollstreckung der längeren resp. der einen von zwei gleich langen Landesverweisungen jeweils auch der Zweck der andern - nämlich der Schutz der Bevölkerung für die im Urteil festgelegte Zeit - erreicht. Das bedeutet, dass zwei verschiedene Landesverweisungen nicht zusammenzuzählen, sondern gleichzeitig zu vollziehen sind (sog. Absorptionsprinzip; BGE 146 IV 311 E. 3.6 und 3.7). Somit kommt vorliegend
insgesamteine Landesverweisung von sieben Jahren zum Tragen. Soweit der Beschwerdeführer, der die Unverhältnismässigkeit einer "erneuten" resp. "zusätzlichen" Massnahme geltend macht, von einer Kumulation der beiden Landesverweisungen ausgehen sollte, sind seine Einwände unbegründet. Schliesslich ist die Vorinstanz nicht bundesrechtswidrig vorgegangen, indem sie der (innerhalb der Probezeit einer bedingten Freiheitsstrafe begangenen) Wiederholungstat mit einer Verlängerung der Landesverweisung auf insgesamt sieben Jahre Rechnung trägt.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. August 2021
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Traub