Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
9C_540/2019  
 
 
Urteil vom 14. Januar 2020  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Glanzmann, Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin N. Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Atupri Gesundheitsversicherung, Zieglerstrasse 29, 3007 Bern, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung (Pflichtleistungen; Reisekosten), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 8. Mai 2019 (VV.2018.175/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, die bei der Atupri Gesundheitsversicherung (fortan: Atupri) obligatorisch krankenpflegeversichert ist, ersuchte letztere am 27. Dezember 2017 um Übernahme verschiedener Transportkosten des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) im Jahr 2016 und 2017. Sie verwies auf die ärztlichen Zeugnisse vom 3. August 2016 und 1. November 2017, wonach die Transporte medizinisch notwendig gewesen seien. Die Atupri lehnte einen Beitrag an diese Kosten mit der Begründung ab, sie bezahle nur Kosten eines kantonal zugelassenen Transportunternehmens, worüber das Schweizerische Rote Kreuz nicht verfüge (Verfügung vom 4. Juni 2018, Einspracheentscheid vom 2. Juli 2018). 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau gut. Es hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und verpflichtete die Atupri, der Versicherten die Kosten für die durch das Schweizerische Rote Kreuz ausgeführten Transporte mit Fr. 245.- (für 2016) sowie Fr. 462.- (für 2017), total Fr. 707.- zu ersetzen (Entscheid vom 8. Mai 2019). 
 
C.   
Die Atupri führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und das Leistungsbegehren der Versicherten sei abzuweisen. 
A.________ und das Bundesamt für Gesundheit lassen sich nicht vernehmen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
 
2.1. Die Vorinstanz erwog, wenn die Inanspruchnahme von Transporten - wie bei der Versicherten - medizinisch indiziert sei, sich dafür jedoch ein Rettungs-/Sanitätsfahrzeug als nicht notwendig und damit im Sinne des KVG auch als nicht zulässig erweise, müsse die Möglichkeit bestehen, einen Transport mit einem anderen adäquaten Mittel als Pflichtleistung im Sinne des KVG durchführen zu lassen. Daran ändere nichts, dass Art. 56 KVV (SR 832.102) von einer entsprechenden kantonalen Zulassung spreche und nach dem Amtsbericht des kantonalen Gesundheitsamts eine Bewilligung nur für Personentransporte gewährte werde, die unter Einsatz von geschultem (Begleit-) Personal und von Fahrzeugen mit technischer und/oder medizinischer Ausrüstung erfolgten. Eine gesetzeskonforme Auslegung verbiete es, nur Transportunternehmen mit Rettungsfahrzeugen als Leistungserbringer anzuerkennen.  
 
2.2. Die Atupri bringt dagegen vor, das Schweizerische Rote Kreuz verfüge über keine kantonale Zulassung und es handle sich dabei auch nicht um ein professionelles (Krankentransport-) Unternehmen. Die Anspruchsvoraussetzungen seien nicht erfüllt; indem die Vorinstanz das SRK dennoch als einen Leistungserbringer qualifiziert und einen Anspruch auf einen Beitrag an diese Transportkosten nach Art. 26 KLV (SR 832.112.31) bejaht habe, habe sie Bundesrecht verletzt.  
 
3.   
 
3.1. Nach Art. 24 KVG übernimmt die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen gemäss den Art. 25-31 KVG nach Massgabe der in Art. 32-34 KVG festgelegten Voraussetzungen. Art. 32 Abs. 2 KVG fordert, dass eine Leistung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich zu sein hat (sogenannte WZW-Kriterien).  
 
3.2. Die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung umfassen insbesondere einen Beitrag an die medizinisch notwendigen Transportkosten sowie an die Rettungskosten (Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG). Die nähere Bezeichnung der Leistungen wurde an den Verordnungsgeber delegiert (Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG). Der gestützt darauf erlassene Art. 26 KLV bestimmt, dass die Versicherung 50 % der Kosten von medizinisch indizierten Krankentransporten zu einem zugelassenen, für die Behandlung geeigneten und im Wahlrecht des Versicherten stehenden Leistungserbringer übernimmt, wenn der Gesundheitszustand des Patienten oder der Patientin den Transport in einem anderen öffentlichen oder privaten Transportmittel nicht zulässt. Maximal wird pro Kalenderjahr ein Betrag von Fr. 500.- übernommen (Abs. 1). Der Transport hat in einem den medizinischen Anforderungen des Falles entsprechenden Transportmittel zu erfolgen (Abs. 2).  
 
3.3. Laut Art. 35 Abs. 1 KVG sind zur Tätigkeit zu Lasten der OKP die Leistungserbringer zugelassen, welche die Voraussetzungen nach den Art. 36-40 KVG erfüllen. Darunter fallen auch Transport- und Rettungsunternehmen (Art. 35 Abs. 2 lit. m KVG).  
Der Bundesrat hat mit Art. 38 KVG die Kompetenz erhalten, die Zulassung der Leistungserbringer nach Art. 35 Abs. 2 lit. c-g, i und m KVG zu regeln. Dazu hat dieser Art. 56 KVV erlassen, der Folgendes bestimmt: Wer nach kantonalem Recht zugelassen ist und mit einem Krankenversicherer einen Vertrag über die Durchführung von Transporten und Rettungen abschliesst, darf zu Lasten dieses Versicherers tätig sein. 
 
4.  
 
4.1. In Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG i.V.m. Art. 26 KLV wird ein bundesrechtlicher Anspruch auf einen medizinisch notwendigen Transportkostenbeitrag statuiert. Anspruch darauf hat, wer zum Zweck der Durchführung diagnostischer oder therapeutischer Massnahmen im Zusammenhang mit einer Krankheit und ihrer Folgen zu einem Leistungserbringer gebracht werden muss, ohne sich in einer Notlage oder Rettungssituation zu befinden (BGE 130 V 424 E. 3.2 S. 429). Die medizinische Notwendigkeit hat ein Arzt zu bescheinigen (BGE 124 V 338 E. 2c/bb S. 344). Das Konzept des Anspruchs bezieht sich nicht auf eine bestimmte Art des Transportmittels. Massgebend ist dessen Angemessenheit (BGE 124 V 338 E. 2c/bb S. 344 f.), mithin auch ob dieses den in Art. 32 Abs. 2 KVG festgehaltenen Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit entspricht. Daher kann rechtsprechungsgemäss im Einzelfall der Transport mit einem Taxiunternehmen eine adäquate Lösung darstellen (BGE 124 V 338 E. 2c/bb S. 345), wogegen in einem solchen Fall ein Spezialtransport aufgrund der spezifischen medizinischen Anforderungen nicht notwendig ist; dieser ist regelmässig weder zweckmässig noch wirtschaftlich, weshalb der obligatorische Krankenpflegeversicherer dafür nicht leistungspflichtig ist (vgl. Urteil 9C_408/2018 vom 10. September 2018 E. 3.2 und 4.2 f.).  
 
 
4.2. Gemäss Art. 35 Abs. 2 lit. m KVG hat der Transport oder die Rettung durch ein Unternehmen somit durch jemanden zu erfolgen, der sich professionell mit Personentransporten/-rettungen befasst. Hingegen sind Fahrdienste durch Eltern oder Verwandte der versicherten Person, nicht als professionelle Transporte bzw. Leistungserbringer im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. m KVG zu qualifizieren, ausser eine solche Person führt ein Transportunternehmen (Urteil 9C_759/2011 vom 4. Mai 2012 E. 3.5 mit Hinweis auf BBl 1999 838).  
Art. 56 KVV bestimmt ferner, dass wer nach kantonalem Recht zugelassen ist und mit einem Krankenversicherer einen Vertrag über die Durchführung von Transport und Rettungskosten abschliesst, zu Lasten des Versicherers tätig sein darf. Der obligatorische Krankenpflegeversicherer kann jedoch einen Leistungsanspruch bei (gänzlichem) Fehlen einer Vereinbarung zwischen Krankenpflegeversicherer und Leistungserbringer für eine bestimmte Pflichtleistung nicht verweigern. Das Vorliegen eines Tarifvertrags ist diesfalls nicht Voraussetzung für den Leistungsanspruch (BGE 124 V 338 E. 2b/aa S. 341 f.). Gleiches muss für das Vorliegen einer kantonalen Zulassung gelten, denn Art. 38 KVG räumt dem Verordnungsgeber zwar einen weiten Ermessensspielraum bei der Zulassung der Leistungserbringer ein (BGE 133 V 218 E. 6.3.1 S. 221 mit Hinweis), der Leistungsanspruch an sich - wie etwa der Anspruch auf einen Transportkostenbeitrag gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. g KVG i.V.m. Art. 26 KLV - wird dadurch aber nicht berührt. Deshalb darf die Vergütung einer Pflichtleistung nicht einzig mit dem Argument abgelehnt werden, es fehle ein tarifarischer und/oder kantonal zugelassener Leistungserbringer (vgl. BGE 124 V 338 E. 2b/cc S. 343). Diesfalls hat sich der obligatorische Krankenpflegeversicherer an den durch die Pflichtleistung angefallenen Kosten zu beteiligen, sofern die anderen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. BGE 124 V 338 E. 2d S. 345). 
 
5.   
Strittig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Atupri als obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) verpflichtete, sich an den Transportkosten durch das SRK zu beteiligen. 
 
5.1. Nach den vorinstanzlichen nicht weiter bestrittenen Feststellungen war die Versicherte in den Jahren 2016 und 2017 aus medizinischen Gründen auf einen Transport zu den Dialyse-Behandlungen und ärztlichen Konsultationen im Spital B.________ im Zusammenhang mit einer Nierentransplantation angewiesen (vgl. Arztzeugnisse vom 3. August 2016 und 1. November 2017).  
 
5.2. Die Versicherte beanspruchte für den Transport den Fahrdienst des Schweizerischen Roten Kreuzes, wodurch 2016 Kosten von Fr. 490.- und 2017 von Fr. 924.- angefallen sind.  
 
5.2.1. Das Schweizerische Rote Kreuz Kanton Thurgau betreibt einen Fahrdienst für Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können oder auf Begleitung angewiesen sind. Die Einsatzleitung des SRK koordiniert die Einsätze und bereitet die Fahrer auf die zu erfüllende Aufgabe vor. Die Fahrer absolvieren einen Fahrer-Grundkurs sowie regelmässige Weiterbildungen. Das SRK gewährleistet für die Einsätze den Versicherungsschutz für das Fahrzeug und die Insassen. Die Fahrer bekommen für ihr Engagement keinen Lohn. Zur Deckung der Unkosten erhalten sie eine Kilometerentschädigung von 70 Rappen (<https://www.srk-thurgau.ch/freiwillige/rotkreuz-fahrdienst-ihr-freiwilligen-einsatz>, besucht am 27. November 2019). Die Abrechnungsformulare des SRK zeigen, dass neben der Kilometerentschädigung weitere Kosten für Zonenpauschalen, Parkgebühren, Spesen (Essen) und die Wartezeit (Fr. 20.- pro Stunde) abgerechnet werden.  
 
5.2.2. Der Fahrdienst des SRK steht somit der Allgemeinheit der Bevölkerung nicht zur Verfügung, sondern nur Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen können oder auf Begleitung angewiesen sind.  
Das SRK koordiniert die Transporteinsätze, gewährleistet den Versicherungsschutz für das Fahrzeug sowie die Insassen und schult die Fahrer auch in einem gewissen Ausmass. Der Fahrer und die zu transportierende Person kennen sich regelmässig nicht, sondern es besteht eine geschäftliche/vertragliche Beziehung. Die vertraglichen Konditionen werden nicht vom Fahrer und Fahrgast ausgehandelt, sondern vom SRK vorgegeben; Das SRK hat dafür eigene vorgedruckte Abrechnungsblätter. Der Fahrdienst des SRK beruht auf dem Konzept der Freiwilligenarbeit, ein Lohn wird den Fahrern nicht bezahlt. Die Tarifstruktur basiert betreffend die Kilometerentschädigung auf dem Selbstkostenprinzip, dennoch fallen - wie einige von der Beschwerdegegnerin eingereichte Abrechnungen zeigen - regelmässig zusätzliche Kosten an, insbesondere für die Wartezeit und Zonenpauschalen. Es zeigt sich somit, dass das SRK ein Unternehmen ist, dass Personentransporte in einem professionellen Rahmen anbietet. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, das SRK vermittle lediglich Fahrten von Privatpersonen für Privatpersonen greift zu kurz. Vielmehr ist der Fahrdienst des SRK professionell organisiert, weshalb dieser die Voraussetzungen von Art. 35 Abs. 2 lit. m KVG erfüllt. 
 
5.3. Der Transport durch das SRK war für die medizinischen Bedürfnisse der Versicherten zudem angemessen. Soweit die Beschwerdeführerin der Leistung eines Kostenbeitrags entgegenhält, das SRK verfüge über keine kantonale Zulassung, verfängt dieser Einwand nicht. Gemäss den Abklärungen und Feststellungen der Vorinstanz werden im Kanton Thurgau Zulassungen lediglich an Unternehmen erteilt, die Personentransporte unter Einsatz von geschultem (Begleit-) Personal und von Fahrzeugen mit technischer und/oder medizinischer Ausrüstung durchführen (§ 24 Abs. 1 Ziff. 9 des Gesetzes über das Gesundheitswesen des Kantons Thurgau vom 3. Dezember 2014 [RB 810.1] und § 45 der Verordnung des Regierungsrates des Kantons Thurgau über Berufe und Einrichtungen des Gesundheitswesens vom 25. August 2015 [RB 811.121]; vgl. auch Bericht des Amts für Gesundheit des Kantons Thurgau vom 21. Januar 2019). Auf einen solchen Spezialtransport war die Versicherte jedoch nicht angewiesen, weshalb - wie im Urteil 9C_408/2018 vom 10. September 2018 E. 4.2 - dieser nicht notwendig, zweckmässig und wirtschaftlich gewesen wäre. Daraus folgt, dass der Versicherten kein zugelassenes Transportunternehmen zur Verfügung stand. Wie dargelegt (E. 4.2), darf die Beschwerdeführerin als obligatorische Krankenpflegeversicherung in einer solchen Konstellation dem grundsätzlich auf die Pflichtleistung bestehenden Anspruch das Fehlen der Zulassung nicht entgegengehalten. Die Vorinstanz hat daher zu Recht erkannt, dass die Beschwerdeführerin einen Kostenbeitrag zu bezahlen hat.  
 
6.   
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend trägt die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Januar 2020 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli