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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_854/2022  
 
 
Urteil vom 14. Februar 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Marti. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Gian Andrea Danuser, 
 
gegen 
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 25. August 2022 (VB.2022.00272). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1991) stammt aus Tunesien. Er lebte von 1994 bis Ende 2014 in Italien. Am 4. Dezember 2014 reiste er in die Schweiz ein. Hier heiratete er am 16. Januar 2015 die italienische Staatsangehörige B.________ (geb. 1974), die im Besitz einer Niederlassungsbewilligung EU/EFTA ist. 
Am 27. Februar 2015 erteilte das Migrationsamt des Kantons Zürich A.________ eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA zum Verbleib bei seiner Ehefrau. Ende September 2017 zog A.________ aus der ehelichen Wohnung aus. Am 28. November 2019 ersuchte er um Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA bzw. um vorzeitige Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 12. Oktober 2021 wies das Migrationsamt des Kantons Zürich das Gesuch ab und wies A.________ aus der Schweiz weg. Der hiergegen erhobene Rekurs wies die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 5. April 2022 ab. Auch die in der Folge beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich eingereichte Beschwerde blieb erfolglos (Urteil vom 25. August 2022). 
 
C.  
Mit Eingabe vom 13. Oktober 2022 beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25. August 2022 sei aufzuheben und seine Aufenthaltsbewilligung sei zu verlängern. 
Das Bundesgericht hat bei der Vorinstanz die Akten eingeholt; auf eine Vernehmlassung wurde verzichtet. 
Die Abteilungspräsidentin legte der Beschwerde am 24. Oktober 2022 antragsgemäss aufschiebende Wirkung bei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ausgeschlossen gegen Entscheide, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumen (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer lebt seit Ende 2017 getrennt von seiner hier niedergelassenen italienischen Gattin; zu einer Annäherung der beiden ist es nicht mehr gekommen. Ein Bewilligungsanspruch des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 3 Anhang I des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) steht damit nicht (mehr) infrage. Zwar verlangt der in dieser Bestimmung geregelte Familiennachzug kein Zusammenleben der Eheleute (Urteil des EuGH vom 13. Februar 1985 Rs. 267/83, Diatta, Slg. 1985 567 ff., N. 18 ff.), die Rechtsprechung schützt die Berufung auf eine inhaltsleer gewordene Ehe indessen nicht (BGE 139 II 393 E. 2.2; 130 II 113 E. 9; Urteil 2C_1002/2021 vom 9. Februar 2022 E. 3).  
 
1.3. Der Beschwerdeführer macht jedoch in vertretbarer Weise geltend, gestützt auf die (nicht mehr gelebte) Ehe in Anwendung von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG über einen (potenziellen) Bewilligungsanspruch zu verfügen. Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG ist vorliegend in Verbindung mit der Günstigkeitsklausel von Art. 2 FZA anwendbar, weil die landesrechtlichen Ansprüche von Art. 50 AIG aus dem früheren Ehe- und Familienleben abgeleitet werden und insofern noch einen Bezug zum freizügigkeitsrechtlichen Familiennachzug haben, aufgrund dessen der Aufenthalt ursprünglich bewilligt wurde (vgl. BGE 144 II 1 E. 4.7). Soweit ersichtlich hält sich die Gattin des Beschwerdeführers weiterhin in der Schweiz auf, weshalb sich der Beschwerdeführer grundsätzlich auf die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in Anwendung von Art. 50 AIG (i.V.m. Art. 2 FZA) berufen kann (vgl. Urteil 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 1.2.2). Die sich daran knüpfenden materiell-rechtlichen Fragen sind in einem Sachurteil und nicht als Eintretensvoraussetzungen zu behandeln (vgl. BGE 137 I 305 E. 2.5; 136 II 177 E. 1.1).  
 
1.4. Da auch alle übrigen Prozessvoraussetzungen gegeben sind (Art. 42, Art. 82 lit. a i.V.m. Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90 und Art. 100 Abs. 1 BGG), ist auf die nicht näher bezeichnete Eingabe als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht zwar von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG); es prüft - unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) - jedoch nur die vorgebrachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5; 133 II 249 E. 1.4.1).  
 
2.2. Das Bundesgericht ist an den Sachverhalt gebunden, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser erweise sich in einem entscheidwesentlichen Punkt als offensichtlich falsch bzw. unvollständig oder sei in einer Rechtsverletzung nach Art. 95 BGG erstellt worden (Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.6; 133 II 249 E. 1.4.3). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (Art. 9 BV; BGE 141 IV 317 E. 5.4). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 50 E. 4.2).  
 
3.  
 
3.1. Nach Art. 50 AIG besteht der Anspruch des Ehegatten auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung fort, wenn die Ehegemeinschaft mindestens drei Jahre bestanden hat und die Integrationskriterien nach Art. 58a AIG erfüllt sind (Abs. 1 lit. a) oder wenn wichtige persönliche Gründe einen weiteren Aufenthalt in der Schweiz erforderlich machen (Abs. 1 lit. b AIG; sog. nachehelicher Härtefall). Letzteres kann der Fall sein, wenn die soziale Wiedereingliederung im Herkunftsland stark gefährdet erscheint (Art. 50 Abs. 2 AIG). Wurden keine engen Beziehungen zur Schweiz geknüpft und war der Aufenthalt im Land nur von kurzer Dauer, besteht allerdings praxisgemäss kein Anspruch auf einen weiteren Verbleib in der Schweiz, wenn die erneute Integration im Herkunftsland keine besonderen Probleme stellt (BGE 138 II 229 E. 3.1; Urteil 2C_335/2020 vom 18. August 2020 E. 3.2).  
 
3.2. Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG und macht geltend, seine soziale Wiedereingliederung in seinem Herkunftsland sei stark gefährdet. So habe er Tunesien im Alter von drei Jahren verlassen, es bestünden dort keine familiären Strukturen mehr und er verstehe die Landessprache nur rudimentär. Im Gegensatz zu anderen tunesischen Bürgern würde er weder über eine unterstützende Familienstruktur verfügen, noch bestehe die Möglichkeit, Sozialhilfe zu beziehen. Insbesondere sei seine in der Schweiz lebende Mutter nicht in der Lage, ihn zu unterstützen, und es sei zu befürchten, dass sie ihrerseits sozialhilfeabhängig werde.  
 
3.3. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers verletzt die Vorinstanz mit ihren Ausführungen zu Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG kein Bundesrecht:  
 
3.3.1. Der Beschwerdeführer lebte mit seiner Gattin zwei Jahren und neun Monaten, also während einer eher kurzen Zeit, zusammen. Eine aussergewöhnliche Integration in der Schweiz, die ein Indiz für einen nachehelichen Härtefall darstellen kann (vgl. Art. 58a Abs. 1 AIG), hat die Vorinstanz nicht festgestellt und der Beschwerdeführer macht eine solche auch nicht geltend. Dass er seine in der Schweiz lebende Mutter unterstützt, wie er sinngemäss vorbringt, vermag daran nichts Wesentliches zu ändern.  
 
3.3.2. Der Beschwerdeführer hat gemäss den vorinstanzlichen Feststellungen von 1994 bis 2014 rechtmässig in Italien gelebt. Er bringt in diesem Zusammenhang vor, der hierauf basierende vorinstanzliche Schluss, wonach nicht ersichtlich sei, weshalb der Beschwerdeführer in Italien nicht wieder eine Aufenthaltsbewilligung erhalten werde (angefochtenes Urteil E. 2.4 S. 4) sei willkürlich. Vielmehr würde er mit einer Übersiedlung nach Tunesien in eine existenzielle Notlage versetzt.  
Es trifft zwar zu, dass die Vorinstanz zu einer Rückkehr nach Italien keine weiteren Abklärungen getroffen hat; die Abklärung war jedoch vorliegend nicht entscheidwesentlich (vgl. hiervor E. 2.2) : Zunächst ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer in einem erwerbsfähigen Alter ist, und es ihm obliegt, eine starke Gefährdung seiner Wiedereingliederung in seinem Heimatland Tunesien schlüssig vorzutragen. Seine allgemeinen Vorbringen, wonach in seinem Heimatstaat kein Sozialhilfesystem bestehe und beim ihm im Vergleich zu anderen Landsleuten nicht dieselbe familiäre Struktur bestehe, auf die er zurückgreifen könne, genügen nicht, um besondere Probleme bei einer erneuten Integration darzutun. Eine starke Gefährdung seiner Wiedereingliederung in seinem Heimatland muss praxisgemäss objektiv nachvollziehbar konkretisiert und beweismässig unterlegt werden; die befürchtete Beeinträchtigung muss im Einzelfall aufgrund der konkreten Umstände glaubhaft erscheinen. Allgemein gehaltene Hinweise genügen nicht (vgl. BGE 142 I 152 E. 6.2; 138 II 229 E. 3.2.3; Urteile 2C_1043/2021 vom 3. August 2022 E. 4.2; 2C_668/2019 vom 19. November 2019 E. 2.3 in fine). 
 
3.3.3. Nach den Feststellungen der Vorinstanz verfügt der Beschwerdeführer - trotz langer Landesabwesenheit - zudem über Beziehungen in seinem Heimatstaat Tunesien. Dass diese Feststellung offensichtlich unrichtig wäre, wie der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht ersichtlich. So wird etwa die Gattin mit der Aussage zitiert, wonach der Beschwerdeführer vor vielleicht ca. 2 Jahren zuletzt in Tunesien gewesen sei; auch sein Onkel, mit dem der Beschwerdeführer befreundet ist und über den er seine Gattin kennengelernt hatte, sei zurück nach Tunesien gereist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Es ist insgesamt davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der die dortige Sprache spricht (Art. 105 Abs. 2 BGG), über hinreichende Bezugspunkte zum Heimatland verfügt, um sich ein neues Auskommen und soziales Netz aufzubauen; umgekehrt sind keine Umstände vorgebracht, die besondere Probleme bei der Integration aufzeigen könnten (vgl. BGE 138 II 229 E. 3.1). Der blosse Umstand, dass die Lebensbedingungen und die Wirtschaftslage hier allenfalls besser sind, genügt nicht, um das Vorliegen eines nachehelichen Härtefalls im Sinne von Art. 50 Abs. 1 lit. b AIG zu begründen (Urteile 2C_682/2021 vom 3. November 2021 E. 4.2.4; 2C_1043/2021 vom 3. August 2022 E. 4.3).  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
4.2. Dem Verfahrensausgang entsprechend wird der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es sind keine Parteientschädigungen geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Februar 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: C. Marti