Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_354/2023
Urteil vom 14. Februar 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Bundesrichter Hartmann,
Bundesrichterin Ryter,
Gerichtsschreiber Müller.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch BUCOFRAS, Juristische Beratung für Ausländer,
gegen
Departement des Innern des Kantons Solothurn, Migrationsamt,
Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.
Gegenstand
Familiennachzug, unentgeltliche Rechtspflege, Kostenvorschuss,
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 7. Juni 2023 (VWBES.2023.170).
Sachverhalt:
A.
A.________ ersuchte im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens betreffend Familiennachzug das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Mit Verfügung vom 7. Juni 2023 wies der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts das Gesuch ab und setzte A.________ eine Nachfrist bis am 28. Juni 2023 an, um einen Kostenvorschuss von Fr. 1'500.-- zu bezahlen, mit der Androhung, dass das Verwaltungsgericht andernfalls auf die Beschwerde nicht eintritt. Die Verfügung ist mit einer so bezeichneten "Kurzbegründung" versehen, in der Folgendes festgehalten wird:
"Um widersprüchliche Entscheide zu vermeiden, ist es sinnvoll, das Verfahren zu sistieren. Die Beschwerde erscheint als aussichtslos."
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 22. Juni 2023 beantragt A.________ dem Bundesgericht, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben, der Beschwerdeführer sei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von der Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses zu befreien und ihm sei für das verwaltungsgerichtliche Verfahren das Recht zur unentgeltlichen Rechtspflege zu erteilen. Eventualiter sei festzustellen, dass die vom Beschwerdeführer geltend gemachten verfassungsmässigen Rechte, namentlich Art. 29 Abs. 3 BV, verletzt worden sind.
Mit Verfügung vom 27. Juni 2023 wird dem Beschwerdeführer bis am 12. Juli 2023 Frist zur Behebung von Mängeln angesetzt (Art. 42 Abs. 5 BGG), weil die Beschwerdeschrift und die Vollmacht an den Rechtsvertreter zwei unterschiedliche Geburtsdaten des Beschwerdeführers aufweisen. Mit Eingabe vom 29. Juni 2023 beantwortet der Beschwerdeführer die Aufforderung zur Mängelbehebung und nennt als zutreffendes Geburtsdatum den 23. Dezember 1985.
Das Verwaltungsgericht und das Migrationsamt beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei, und verweisen zur Begründung auf die Akten und Verfügungen im kantonalen Verfahren.
Erwägungen:
1.
1.1. Die angefochtene Verfügung, mit der dem Beschwerdeführer für das verwaltungsgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wurde, ist als Zwischenentscheid zu qualifizieren (vgl. Urteile 2C_1005/2022 vom 26. Oktober 2023 E. 1.1; 2C_124/2023 vom 28. August 2023 E. 1.1). Die Anfechtung von Zwischenentscheiden ist unter anderem dann möglich, wenn der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Für Zwischenentscheide, mit denen die unentgeltliche Rechtspflege verweigert wird, bejaht das Bundesgericht diese Voraussetzung in der Regel (Urteil 2C_1005/2022 vom 26. Oktober 2023 E. 1.1; vgl. BGE 129 I 129 E. 1.1). Das trifft auch auf den vorliegenden Fall zu, in dem die Vorinstanz vom Beschwerdeführer einen Kostenvorschuss einverlangt hat, mit der Androhung, andernfalls auf die Beschwerde nicht einzutreten.
2. Nach dem Grundsatz der Einheit des Verfahrens sind Zwischenentscheide mit dem in der Hauptsache zulässigen Rechtsmittel anzufechten (BGE 147 III 451 E. 1.3; 137 III 380 E. 1.1; Urteil 2C_156/2021 vom 1. September 2021 E. 1.2). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide ausgeschlossen, welche Bewilligungen betreffen, auf die weder das Bundesrecht noch das Völkerrecht einen Anspruch einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG). Für das Eintreten hat die betroffene Person in vertretbarer Weise darzutun, dass ein Bewilligungsanspruch potenziell besteht; ob die jeweiligen Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung (BGE 147 I 89 E. 1.1.1; 139 I 330 E. 1.1).
Der Beschwerdeführer macht im Hinblick auf die Hauptsache in vertretbarer Weise gestützt auf Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Familiennachzug zu seiner in der Schweiz niederlassungsberechtigten Tochter geltend. Ob und wie weit die geltend gemachte Beziehung zur Tochter tatsächlich besteht und die nach Massgabe von Art. 8 Ziff. 1 EMRK erforderlichen Voraussetzungen eines Bewilligungsanspruchs tatsächlich erfüllt sind, wäre in der Hauptsache als Frage der materiellen Begründetheit der Beschwerde zu prüfen. Für das Eintreten auf die vorliegende Beschwerde gegen den Zwischenentscheid ist der potenzielle Bewilligungsanspruch genügend dargetan.
2.1. Die übrigen Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt: Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2 BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG). Der Beschwerdeführer ist als Adressat der angefochtenen Verfügung zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 Abs. 1 BGG) und die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingereicht (Art. 42 und Art. 100 Abs. 1 BGG ). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit, unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägung, einzutreten.
Auf die gleichzeitig eingereichte subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist dementsprechend nicht einzutreten (vgl. Art. 113 BGG).
2.2. Soweit der Beschwerdeführer eventualiter beantragt, es sei festzustellen, dass die von ihm geltend gemachten verfassungsmässigen Rechte, namentlich Art. 29 Abs. 3 BV, verletzt worden sind, handelt es sich um ein Feststellungsbegehren. Solche sind im bundesgerichtlichen Verfahren zulässig, sofern an der Feststellung ein schutzwürdiges Interesse besteht und dieses nicht ebenso gut mit einem Leistungs- oder Gestaltungsbegehren gewahrt werden kann (Urteile 2C_985/2020 vom 5. November 2021 E. 1.2 und 2C_933/2018 vom 25. März 2019 E. 1.3; vgl. BGE 129 III 503 E. 3.6).
Der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag, er sei von der Pflicht zur Leistung eines Kostenvorschusses zu befreien und ihm sei das Recht zur unentgeltlichen Rechtspflege zu erteilen, würde im Falle einer Gutheissung zum Schluss führen, dass sein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 29 Abs. 3 BV verletzt worden ist. Ein darüber hinausgehendes Feststellungsinteresse legt der Beschwerdeführer nicht dar. Auf das Feststellungsbegehren ist deshalb nicht einzutreten.
2.3. Das Verfahren vor dem Bundesgericht wird gemäss Art. 54 Abs. 1 BGG in einer der Amtssprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch, Rumantsch Grischun) geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen Entscheids. Der beschwerdeführenden Person steht es frei, ihre Eingabe in der Amtssprache ihrer Wahl zu verfassen (Art. 42 Abs. 1 BGG), die nicht notwendigerweise mit der Verfahrenssprache des vorinstanzlichen Verfahrens übereinstimmen muss (Urteile 4A_487/2023 vom 15. November 2023 E. 1; 2C_1004/2022 vom 18. Oktober 2023 E. 1.5; 5A_581/2022 vom 19. August 2022 E. 1.3; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer hat seine Beschwerde in französischer Sprache verfasst, was zulässig ist. Die Verfahrenssprache bleibt jedoch Deutsch; das Urteil ergeht folglich in dieser Sprache.
3.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen oder eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (Urteil 4A_514/2023 vom 3. Januar 2024 E. 1.2). Seinem Urteil legt das Bundesgericht den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG).
4.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf unentgeltliche Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV) mit der Begründung, die Vorinstanz habe seine Verwaltungsgerichtsbeschwerde betreffend Familiennachzug zu Unrecht als aussichtslos erachtet.
5.
5.1. Entscheide, die der Beschwerde an das Bundesgericht unterliegen, sind den Parteien schriftlich zu eröffnen und müssen u.a. die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art, insbesondere die Angabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen enthalten (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Diese Begründungspflicht gilt auch für Zwischenentscheide über die unentgeltliche Rechtspflege (vgl. Hansjörg Seiler, in: Seiler/von Werdt/Güngerich/Oberholzer [Hrsg.], Bundesgerichtsgesetz (BGG), 2. Aufl. 2015, N. 3 zu Art. 112 BGG). Aus dem Entscheid muss klar hervorgehen, von welchem festgestellten Sachverhalt die Vorinstanz ausgegangen ist und welche rechtlichen Überlegungen sie angestellt hat (BGE 146 IV 231 E. 2.6.1 S. 237; 141 IV 244 E. 1.2.1; 135 II 145 E. 8.2). Ohne die Angabe des rechtserheblichen Sachverhalts ist das Bundesgericht, das seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde legt (Art. 105 Abs. 1 BGG), nicht in der Lage, den angefochtenen Entscheid rechtlich zu überprüfen (vgl. BGE 135 II 145 E. 8.2; Urteil 1B_470/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 4.4).
5.2. Genügt ein Entscheid den Anforderungen von Art. 112 Abs. 1 BGG nicht, kann das Bundesgericht ihn an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben (Art. 112 Abs. 3 BGG). Hingegen steht es ihm nicht zu, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; Urteil 7B_291/2023 vom 12. Oktober 2023 E. 2). Fehlt im angefochtenen Entscheid die Angabe der massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG), besteht für eine Rückweisung zur Verbesserung kein Raum, da ein wesentlicher Teil des Entscheids fehlt. In einem solchen Fall ist der Entscheid aufzuheben und die Sache zur Fällung eines neuen Entscheids, der den Anforderungen von Art. 112 BGG genügt, an die Vorinstanz zurückzuweisen (Urteil 5A_580/2017 vom 28. August 2017 E. 3).
5.3. Die angefochtene Verfügung enthält neben der erwähnten Kurzbegründung, wonach das Verfahren zur Vermeidung widersprüchlicher Entscheide zu sistieren sei und die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als aussichtslos erscheine, keine Begründung. Sie enthält keinerlei Angaben zum Sachverhalt und nennt auch die rechtlichen Bestimmungen nicht, auf welche sich die Vorinstanz stützt. Damit genügt die angefochtene Verfügung den Begründungsanforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG nicht. Sie ist daher aufzuheben und die Sache ist zum Erlass einer neuen, den Anforderungen von Art. 112 BGG genügenden Verfügung an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 112 Abs. 3 BGG; vorne E. 4.2).
5.4. Damit erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob die Vorinstanz Art. 29 Abs. 3 BV verletzt hat, zumal das Bundesgericht diese Frage mangels Kenntnis des massgebenden Sachverhalts (Art. 105 Abs. 1 BGG) ohnehin nicht prüfen kann.
6.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich als begründet und ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde ist nicht einzutreten.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Solothurn hat dem durch einen Nichtanwalt vertretenen Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine dem notwendigen Aufwand angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 und Abs. 3 BGG; Art. 6 und Art. 9 des Reglements vom 31. März 2006 über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 600.-- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 14. Februar 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Der Gerichtsschreiber: M. Müller