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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.153/2002 /kra 
6S.466/2002 
 
Urteil vom 14. März 2003 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Kolly, Karlen, 
Gerichtsschreiberin Krauskopf. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Hans Scherrer, Kleinwangenstrasse 7, 6280 Hochdorf, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Bielstrasse 9, 4509 Solothurn, 
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, Amthaus 1, 4502 Solothurn. 
 
Gegenstand 
Art. 9,29 BV (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung, rechtliches Gehör), Art. 90 Ziff. 2 SVG (grobe Verkehrsregelverletzung) 
 
Staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Solothurn, Strafkammer, vom 11. September 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 11. September 2001 um 17.13 Uhr missachtete X.________ am Steuer seines Personenwagens an der A.________kreuzung in Solothurn das Rotlicht. 
B. 
Der Amtsgerichtspräsident von Solothurn-Lebern verurteilte X.________ am 1. Februar 2002 wegen grober Verletzung einer Verkehrsregel zu einer Busse von Fr. 400.--, löschbar nach Ablauf einer Probezeit von einem Jahr. 
C. 
Auf Appellation von X.________ bestätigte die Strafkammer des Obergerichts des Kantons Solothurn dieses Urteil am 11. September 2002. 
D. 
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
I. Staatsrechtliche Beschwerde (6P.153/2002) 
1. 
Für das ausserordentliche Rechtsmittel der staatsrechtlichen Beschwerde sieht Art. 90 Abs. 1 lit. b OG besondere Begründungsanforderungen vor. Die Beschwerdeschrift muss die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze mit dem angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht untersucht nicht von Amtes wegen, ob ein kantonaler Hoheitsakt verfassungswidrig ist (BGE 127 III 279 E. 1c S. 282; 125 I 492 E. 1b S. 495, 117 Ia 393 E. 1c S. 395). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt Willkür in der Beweiswürdigung und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Entgegen der Auffassung des Obergerichts ergebe sich aus den Fotoaufnahmen nicht, dass sich das auf der Gegenfahrbahn befindende Fahrzeug schon in Bewegung gesetzt habe, als der Beschwerdeführer losfuhr und ein Unfall nur dank des Abbremsmanövers des anderen Lenkers vermieden worden sei. 
2.1 Der Beschwerdeführer beruft sich auf die Unschuldsvermutung als Beweiswürdigungsregel. Insofern hat seine Rüge keine selbständige Tragweite gegenüber der Willkürrüge, die er ebenfalls geltend macht (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a S. 41, 120 Ia 31 E. 2c S. 37). Der Begriff der Willkür ist kürzlich in BGE 128 I 177 E. 2.1 S. 182 erneut dargelegt worden; es kann auf diesen Entscheid verwiesen werden. 
2.2 Die als willkürlich beanstandeten Feststellungen waren für das Obergericht nicht entscheiderheblich. Dieses hält fest, dass die Kreuzung unübersichtlich und stark frequentiert war [Urteil S. 3], was der Beschwerdeführer nicht bestreitet. In dem vom Obergericht zitierten BGE 118 IV 285 wird ausführlich dargelegt, dass die Missachtung des Rotlichts bei einer übersichtlichen Kreuzung bereits eine erhöhte abstrakte Gefährdung darstellt. Eine solche Gefährdung besteht umso mehr bei einer unübersichtlichen Kreuzung mit regem Verkehr, wie sie vorliegend zu beurteilen ist. Die Annahme des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe eine erhöhte abstrakte Gefährdung geschaffen, lässt sich daher auf Sachverhaltsfeststellungen stützen, die nicht willkürlich sind. 
3. 
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, seine Aussagen vor dem Amtsgericht und vor dem Obergericht seien unrichtig protokolliert worden. Sie seien ihm zudem weder vorgelesen worden noch habe er sie unterschrieben. Die Verwendung dieser Aussagen stelle daher einen Verstoss gegen Art. 9 BV (Art. 4 aBV) und gegen Art. 29 BV dar. 
3.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist, von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide zulässig (Art. 86 Abs. 1 OG). Daraus ergibt sich das Erfordernis der Ausschöpfung der kantonalen Rechtsmittel. Prozessuale Anträge sind im kantonalen Verfahren daher rechtzeitig zu stellen. Insbesondere sind Mängel der vom kantonalen Prozessrecht geregelten Protokollierung an der Hauptverhandlung selber zu rügen (Urteil 1P.584/1993 vom 20. April 1994, E. 5). Wurde die Ausübung von Parteirechten versäumt, so können diese nach Treu und Glauben nicht mehr nachträglich im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren geltend gemacht werden (BGE 119 Ia 221 E. 5 S. 227 mit Hinweisen). 
3.2 Es ist aus den Akten nicht ersichtlich und der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, vor Amts- und vor Obergericht verlangt zu haben, dass er das Protokoll lesen könne, es ihm vorgelesen werde oder er es korrigieren könne. Auf seine Rüge kann somit mangels Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht eingetreten werden. 
4. 
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerde unbegründet ist, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). 
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde (6S.466/2002) 
5. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze (Art. 269 Abs. 1 BStP). Der Kassationshof ist im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde an den von den kantonalen Behörden festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Ausführungen, die der Beschwerdeführer gegen die tatsächlichen Feststellungen vorbringt, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP; BGE 126 IV 65 E. 1 S. 66 f.). 
6. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe Art. 90 Ziff. 2 SVG verletzt, indem sie annahm, sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand seien erfüllt. 
6.1 Wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt, wird gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer liegt bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung vor. Der Kassationshof hat das Vorliegen einer erhöhten abstrakten Gefährdung bei der Missachtung eines Rotlichts an einer übersichtlichen Kreuzung angenommen (BGE 118 IV 285 E. 3b S. 288). In casu war die Kreuzung unübersichtlich, und es herrschte reger Verkehr. Die Annahme des Obergerichts, der Beschwerdeführer habe eine erhöhte abstrakte Gefährdung geschaffen und der objektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG sei somit erfüllt, verletzt daher kein Bundesrecht. 
6.2 Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass dem Täter aufgrund eines rücksichtslosen oder sonst wie schwerwiegend regelwidrigen Verhaltens zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Grobe Fahrlässigkeit liegt unter anderem vor, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen bedarf die Annahme grober Fahrlässigkeit jedoch einer sorgfältigen Prüfung. Sie wird nur zu bejahen sein, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ebenfalls auf Rücksichtslosigkeit beruht und daher besonders vorwerfbar ist. Es ist auf Grund der gesamten Umstände zu ermitteln, ob das Übersehen eines Signals oder einer Gefahrensituation auf Rücksichtslosigkeit beruht oder nicht. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird die Rücksichtslosigkeit zu bejahen sein, sofern nicht besondere Gegenindizien vorliegen (Urteil 6S.11/2002 vom 20. März 2002, E. 3a, BGE 126 IV 192 E. 3 S. 196, 118 IV 285 E.4 S. 290). 
 
Gemäss den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) verwechselte der Beschwerdeführer die Ampeln. Er fuhr los, als die Ampel für die Linksabbieger auf grün schaltete und übersah, dass die für ihn massgebende Ampel rechts davon weiterhin auf rot stand. Im jeweiligen Lichtsignal sowie auf den weissen Tafeln unterhalb der Ampeln befanden sich je Richtungspfeiler. In dem in BGE 118 IV 285 beurteilten Fall, wo der Angeklagte ebenfalls infolge Unaufmerksamkeit das auf Rot gestellte Lichtsignal übersah, verneinte der Kassationshof eine grobe Fahrlässigkeit, weil diese Pflichtwidrigkeit in Anbetracht der Übersichtlichkeit der spitzwinkligen Einmündung einer einzigen Fahrbahn von links und der ausgesprochen ruhigen Verkehrslage nicht besonders schwer wog. Gerade in dieser Hinsicht unterscheidet sich der vorliegende Fall jedoch vom genannten Bundesgerichtsentscheid. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz herrschte auf der relativ unübersichtlichen Kreuzung reger Verkehr. Von vier Seiten mündeten je doppelspurige bzw. dreispurige Strassen auf die Kreuzung. Unmittelbar vor ihrer Einmündung waren zudem Zebrastreifen angebracht, auf denen die Fussgänger bei Grünlicht die Strasse überqueren konnten. Der Beschwerdeführer war daher in einer Verkehrslage unaufmerksam, die besondere Aufmerksamkeit verlangte. Ihn trifft deshalb ein schwerer Vorwurf. Sein Verhalten erweist sich als grobfahrlässig. Die Vorinstanz verletzte demzufolge kein Bundesrecht, als sie ihn der groben Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG schuldig sprach. 
7. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit abzuweisen. Der Beschwerdeführer ist dementsprechend kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 4'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn und dem Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. März 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: