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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_937/2010 
 
Urteil vom 14. März 2011 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch 
Rechtsanwalt Johannes Michael Helbling, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Drohung; rechtliches Gehör, Grundsatz in dubio pro reo, Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts 
des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, 
vom 31. August 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, seiner Ehefrau anlässlich eines Streites im Juli 2008 gedroht zu haben, sie zu erschiessen. Dabei habe er ihr die Finger wie eine Pistole an den Kopf gehalten. 
 
B. 
Der Gerichtspräsident I des Bezirksgerichts Bremgarten sprach X.________ mit Urteil vom 23. Oktober 2009 der Drohung schuldig. Er bestrafte ihn mit einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 100.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren. Zudem auferlegte er ihm eine Busse von Fr. 400.--. Die von X.________ dagegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 31. August 2010 ab. 
 
C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben, und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
D. 
Das Obergericht des Kantons Aargau und die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV), eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) sowie die Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) vor. 
 
1.2 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 134 IV 36 E. 1.4.1 S. 39). 
Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür prüft das Bundesgericht, inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt hat. Diese aus der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) abgeleitete Maxime wurde wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f. mit Hinweisen). 
 
Wird die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) gerügt, gelten qualifizierte Anforderungen an die Begründung. Dies prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur, wenn eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Das bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; 135 III 232 E. 1.2 S. 234; je mit Hinweisen). 
 
1.3 Die Vorinstanz stützt den Tatvorwurf auf die Aussagen der Geschädigten. Diese habe den fraglichen Streit und die Drohung anlässlich der kantonspolizeilichen Einvernahme vom 5. Januar 2009 und der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 23. Oktober 2009 nahezu identisch dargelegt. Danach habe der Beschwerdeführer sie nach einer Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der Erziehung ihres Sohnes zuerst geschlagen und ihr in der Folge - nachdem sie gesagt habe, sie werde aus dem ehelichen Haus ausziehen - mit dem Tode gedroht. Ihre Schilderungen seien klar, detailliert und frei von Widersprüchen. Letzteres treffe auch auf den Tatzeitpunkt zu, da die Geschädigte die Auseinandersetzung stets mit dem letzten Tag der Abschlussprüfungen ihres Sohnes in Zusammenhang gebracht habe. Es sei nicht anzunehmen, dass sie das Vorgefallene im Hinblick auf ein Eheschutzverfahren aus taktischen Gründen erfunden habe. Zudem seien die Ausführungen der Geschädigten teilweise durch deren Tochter bestätigt worden. Der Beschwerdeführer habe sich (in Bezug auf den früheren Vorwurf der Tätlichkeiten) hingegen darauf beschränkt, den Vorhalt zu bestreiten. Der von ihm beantragte Beizug von Verfahrensakten (einer Strafuntersuchung gegen ihn wegen Nötigung und Urkundenfälschung respektive gegen die Geschädigte wegen falscher Anschuldigung) erübrige sich (angefochtener Entscheid S. 7 ff.). 
 
1.4 Der Beschwerdeführer hält fest, die Geschädigte habe ihn unmittelbar nach der Verurteilung durch das Bezirksgericht Bremgarten wegen Nötigung und Urkundenfälschung angezeigt. Ein Gutachten habe aber ans Licht gebracht, dass Verfasserin der fraglichen Textpassage die Geschädigte gewesen sei. Somit stehe fest, dass sie ihn zu Unrecht angezeigt habe. In der Folge sei gegen seine Ehefrau eine Strafuntersuchung wegen falscher Anschuldigung eröffnet worden. Am 5. Juli 2010 habe er im kantonalen Berufungsverfahren ohne Erfolg um Aktenbeizug der gegen die Geschädigte geführten Strafuntersuchung ersucht. 
 
Die Frage, ob seine Ehefrau ihn ohne Grund angeschuldigt habe, sei für die Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen von Relevanz. Es bestünden diesbezüglich klare Anhaltspunkte. Stelle sich heraus, dass sie ihn zu Unrecht belastet habe, so müssten ihre Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderungen neu beurteilt werden. Indem die Vorinstanz die angebotenen Beweismittel nicht abgenommen und sich mit der Frage der falschen Anschuldigung nicht auseinandergesetzt habe, habe sie sein rechtliches Gehör und die Unschuldsvermutung verletzt sowie den Sachverhalt willkürlich festgestellt. Es ergebe sich bereits aus den am 5. Juli 2010 eingereichten Unterlagen, dass seine Ehefrau ihn ohne Grund angeschuldigt habe (Beschwerde S. 5 ff.). 
1.5 
1.5.1 Die Geschädigte reichte am 12. November 2009 durch ihre Vertreterin bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau eine Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer unter anderem wegen Urkundenfälschung ein. Sie schilderte darin, dass sie vom Beschwerdeführer am 15. April 2009 gestützt auf einen Eheschutzentscheid diverse Gegenstände, abgepackt in Plastiksäcken, ausgehändigt erhalten habe. Anlässlich der Übergabe habe ihr der Beschwerdeführer ein Übergabeprotokoll zur Unterschrift vorgehalten. Dieses habe sie mit folgendem Text ergänzt: "in Tüten abgefüllt und konnte nicht kontrolliert werden". Der Beschwerdeführer habe rund zwei Wochen später das besagte Schreiben, abgeändert in "in Tüten abgefüllt und ok", als Beilage einer Beschwerdeantwort dem Bezirksgericht Bremgarten eingereicht (act. 2/6). 
 
Die Kantonspolizei Aargau untersuchte das Dokument und hielt in ihrem Bericht insbesondere Folgendes fest: Die handschriftlichen Eintragungen seien original (und nicht fotokopiert), es hätten keine Manipulationsspuren festgestellt werden können, und es seien keine Eintragungen wegradiert worden. Die Unterschrift sei echt, und der handgeschriebene Text stamme von der Ehefrau des Beschwerdeführers. In der Folge wurde der Kriminaltechnische Dienst der Kantonspolizei Bern mit einer Analyse beauftragt. Er gelangte in seinem Bericht vom 27. Mai 2010 zum Ergebnis, dass die auf dem Schreiben angebrachte Unterschrift im Original vorliege und von der Geschädigten stamme (act. 2/7-8). 
 
Der Beschwerdeführer beantragte vor Vorinstanz mit Schreiben vom 5. Juli 2010, die Akten des Verfahrens gegen seine Ehefrau betreffend falsche Anschuldigung beizuziehen. Seinem Schreiben legte er unter anderem die gegen ihn gerichtete Strafanzeige seiner Ehefrau vom 12. November 2009 sowie die genannten Berichte der Kantonspolizei Aargau und des Kriminaltechnischen Dienstes der Kantonspolizei Bern bei. Die Vorinstanz wies seinen Antrag ab. 
 
Mit Verfügung vom 24. August 2010 stellte die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau das Strafverfahren gegen die Ehefrau des Beschwerdeführers wegen falscher Anschuldigung ein. Das Obergericht des Kantons Aargau hob indessen am 19. Oktober 2010 die Einstellung auf und wies die Untersuchungsbehörde an, Anklage zu erheben. 
1.5.2 Die Vorinstanz stützt den Tatvorwurf zur Hauptsache auf die Aussagen der Geschädigten und verweist zudem auf die Einvernahmen des Beschwerdeführers und der Tochter. Die Schilderungen der Geschädigten befindet die Vorinstanz als klar, detailliert, frei von Widersprüchen und deshalb als glaubhaft. Mit dem möglichen Motiv einer falschen Anschuldigung setzt sie sich nicht vertieft auseinander. Sie hält lediglich fest, der Hinweis des Beschwerdeführers, wonach die Geschädigte das Strafverfahren im Hinblick auf ein Eheschutzverfahren aus prozesstaktischen Gründen angestrengt habe, sei unbehelflich. Damit verfällt die Vorinstanz in Willkür. Die Parteien führten eine eheliche Auseinandersetzung. Am 10. Oktober 2008 gelangte die Geschädigte an den Eheschutzrichter. Sie beantragte die Anordnung verschiedener Eheschutzmassnahmen und ersuchte zudem (wie auch am 25. November 2008) um Anordnung von superprovisorischen Massnahmen. Die Parteien befanden sich deshalb in einer Ausnahmesituation. Die Anzeigeerstattung durch die Geschädigte (betreffend die hier interessierenden Delikte) erfolgte am 5. Januar 2009 während des laufenden Eheschutzverfahrens, dessen Hauptverhandlung rund zwei Wochen später stattfand und das mit Urteil des Gerichtspräsidiums Bremgarten vom 5. Februar 2009 erledigt wurde. Der Beschwerdeführer wies auf den Umstand hin, dass die Geschädigte ihn (mit Strafanzeige vom 12. November 2009 und somit unmittelbar nach der erstinstanzlichen Strafverhandlung vor dem Bezirksgericht Bremgarten) u.a. der Urkundenfälschung im Rahmen des Zivilprozesses bezichtigt hatte. Insbesondere mit Blick auf zwei Expertisen lägen, so der Beschwerdeführer, Indizien vor, welche auf eine falsche Anschuldigung hinweisen würden. Diese Gutachten liess der Beschwerdeführer der Vorinstanz zukommen. Auf diesen berechtigten und wesentlichen Einwand, der nicht die Frage der allgemeinen Glaubwürdigkeit der Geschädigten im Sinne einer dauerhaften persönlichen Eigenschaft tangiert, hätte die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid näher eingehen müssen. Indem sie dies unterlässt, verletzt sie das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers (Art. 29 Abs. 2 BV; BGE 136 I 229 E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen). 
 
Ebenso hätte die Vorinstanz dem beantragten Beizug der Akten im Verfahren gegen die Geschädigte betreffend falsche Anschuldigung nachkommen müssen (vgl. zum Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden, sowie zur antizipierten Beweiswürdigung BGE 136 I 265 E. 3.2 S. 272, 229 E. 5.3 S. 236 f.; je mit Hinweisen). Nach den zutreffenden Ausführungen des Beschwerdeführers ist der Umstand, dass er von seiner Ehefrau möglicherweise der Urkundenfälschung falsch beschuldigt wurde, für das vorliegende gegen ihn geführte Strafverfahren von Relevanz. Eine falsche Anschuldigung hätte einen massgeblichen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit der Geschädigten und würde, nachdem die Vorinstanz hauptsächlich auf ihre Aussagen abstellt, sich wesentlich auf die Beweiswürdigung auswirken. 
 
Falls sich erwiesen hätte respektive erweisen würde, dass die Geschädigte den Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Übergabe von persönlichen Gegenständen tatsachenwidrig der Urkundenfälschung bezichtigt hätte, wäre ein Motiv für eine falsche Belastung (auch) im vorliegenden Verfahren denkbar. Es liegen deshalb Indizien vor, die gegen die Überzeugungskraft der belastenden Darstellung durch die Ehefrau sprechen. Die Vorinstanz setzt sich damit nicht auseinander, weshalb ihre Beweiswürdigung im Ergebnis willkürlich ist und die Unschuldsvermutung verletzt. 
 
2. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG), und der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 31. August 2010 aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3. 
Der Kanton Aargau hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 14. März 2011 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Favre Faga