Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_603/2023
Urteil vom 14. März 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Stadelmann,
Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Dormann.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Luca Keusen,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 22. August 2023 (200 23 261 IV).
Sachverhalt:
A.
A.a. Die 1966 geborene A.________ meldete sich im April 2012 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern gewährte ihr im Rahmen der Frühintervention eine vom 11. März 2013 bis zum 15. März 2014 dauernde Beschäftigungsmassnahme. Mit Verfügung vom 6. Januar 2015 verneinte sie einen weiteren Leistungsanspruch. Das bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 12. August 2016 resp. das Bundesgericht mit Urteil 9C_585/2016 vom 29. November 2016. Auf eine im April 2018 erfolgte Neuanmeldung trat die IV-Stelle Bern mit Verfügung vom 22. Oktober 2018 nicht ein.
A.b. Im März 2021 ersuchte A.________ erneut um Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Abklärungen - insbesondere Einholung des interdisziplinären Gutachtens der medexperts ag (nachfolgend: medexperts) vom 28. November 2022 - und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle mit Verfügung vom 8. März 2023 einen Leistungsanspruch mangels eines invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsschadens.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 22. August 2023 ab.
C.
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragen, unter Aufhebung des Urteils vom 22. August 2023 und der Verfügung vom 8. März 2023 sei ihr eine Invalidenrente ab September 2021 zuzusprechen; eventualiter sei die Angelegenheit zu weiteren Abklärungen und neuem Entscheid an das kantonale Gericht oder an die Verwaltung zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ).
2.
2.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Zur Diskussion steht ein Rentenanspruch ab September 2021. Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegende Verfügung erging am 8. März 2023. Dieser Zeitpunkt begrenzt den gerichtlichen Prüfungszeitraum (vgl. BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 132 V 215 E. 3.1.1). Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (statt vieler: BGE 144 V 210 E. 4.3.1; 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind hier primär die Bestimmungen des IVG, der IVV (SR 831.201) und des ATSG (SR 830.1) in der bis zum 31. Dezember 2021 geltenden Fassung anwendbar. Sie werden - soweit nicht anders vermerkt - im Folgenden jeweils in dieser Version wiedergegeben, zitiert und angewendet.
2.2. Der Rentenanspruch ist abgestuft: Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % resp. 50 %, 60 % oder 70 % besteht Anspruch auf eine Viertelsrente resp. halbe Rente, Dreiviertelsrente oder ganze Rente (Art. 28 Abs. 2 IVG).
2.3.
2.3.1. Bei einer Neuanmeldung zum Leistungsbezug finden die Grundsätze zur Rentenrevision (vgl. Art. 17 Abs. 1 ATSG) analog Anwendung ( Art. 87 Abs. 2 und 3 IVV ; BGE 130 V 71 E. 3.2.3). Daher ist zunächst eine anspruchsrelevante Veränderung des Sachverhalts erforderlich; erst in einem zweiten Schritt ist der (Renten-) Anspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend zu prüfen (BGE 141 V 9; Urteile 9C_520/2022 vom 4. Dezember 2023 E. 2.3; 8C_308/2021 vom 4. Oktober 2021 E. 3.2.1).
2.3.2. Für die Annahme einer anspruchserheblichen Veränderung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG genügt unter medizinischen Aspekten weder eine im Vergleich zu früheren ärztlichen Einschätzungen ungleich attestierte Arbeitsunfähigkeit noch eine unterschiedliche diagnostische Einordnung des geltend gemachten Leidens; massgeblich ist vielmehr eine (erheblich) veränderte Befundlage (BGE 141 V 9 E. 2.3; Urteile 9C_280/2021 vom 13. August 2021 E. 2.1.1; 9C_135/2021 vom 27. April 2021 E. 2.1 mit weiteren Hinweisen). Eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit (etwa infolge eines verschlechterten Gesundheitszustandes) ist zu berücksichtigen, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate gedauert hat (Art. 88a Abs. 2 IVV).
3.
Die Vorinstanz hat zutreffend erkannt, dass der für eine erhebliche Sachverhaltsveränderung massgebliche Referenzzeitpunkt hier der Erlass der ersten anspruchsverneinenden Verfügung, mithin der 6. Januar 2015, ist (vgl. BGE 133 V 108 E. 5.4; 129 V 1 E. 1.2).
Sodann hat das kantonale Gericht - nach Würdigung des polydisziplinären Gutachtens des Ärztlichen Begutachtungsinstitutes (ABI) vom 1. September 2014, des medexperts-Gutachtens vom 28. November 2022 und weiterer medizinischer Unterlagen - festgestellt, eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes sei weder in somatischer noch in psychischer Hinsicht ausgewiesen. Mangels veränderter Verhältnisse bestehe weiterhin kein Leistungsanspruch. Im Sinne einer Eventualbegründung hat das kantonale Gericht erwogen, auch bei Bejahung einer erheblichen Veränderung bestehe kein Anspruch: Bei der Versicherten liege kein invalidenversicherungsrechtlich relevanter (lege artis diagnostizierter) psychischer Gesundheitsschaden vor.
4.
4.1. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, das medexperts-Gutachten sei nicht beweistauglich und die Vorinstanz verletze den Untersuchungsgrundsatz, indem sie keine weiteren Abklärungen getroffen habe. Ihr psychischer Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Das ergebe sich insbesondere daraus, dass eine akute psychotische Störung im Sinne einer paranoiden Schizophrenie diagnostiziert und sie ab Anfang 2019 bis März 2020 wiederholt stationär und teilstationär behandelt worden sei. Das Ausmass der Verschlechterung lasse sich anhand des medexperts-Gutachtens nicht rechtsgenüglich bestimmen.
4.2.
4.2.1. Die Vorinstanz hat in Bezug auf die Entwicklung des Gesundheitszustandes in psychischer Hinsicht festgestellt, die Versicherte habe anlässlich der medexperts-Begutachtung die bereits 2014 geklagten Beschwerden (subjektiv und chronisch wahrgenommene Schmerzen, begleitet von vielen anderen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Energielosigkeit und Ängsten) unverändert geäussert. Anlass zu den (teil-) stationären Behandlungen hätten in erster Linie nicht psychotische Entgleisungen, sondern von der Versicherten als nicht mehr erträglich empfundene Schmerzen und das Gefühl von Bedrohung im Rahmen nachbarschaftlicher Konflikte und Streitereien gegeben. Soweit behandelnde Ärzte diesbezügliche Schilderungen als wahnhaft bezeichneten, bestehe keine Verschlechterung: Bereits im Bericht des damals behandelnden Psychiaters vom 14. April 2013 sei festgehalten worden, dass die Versicherte bei sozialen Interaktionen (verbal) aggressiv und "schnell verletzlich" gewesen sei, sodass sie andauernd mit Personen in einem mentalen Streit gestanden und dies als verletzend empfunden habe.
Dass diese Feststellungen offensichtlich unrichtig (unhaltbar, willkürlich: BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 144 V 50 E. 4.2; 135 II 145 E. 8.1) sein sollen, ist nicht ersichtlich und macht die Beschwerdeführerin auch nicht substanziiert (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG) geltend.
4.2.2. Die psychiatrische medexperts-Gutachterin bejahte eine Veränderung des Gesundheitszustandes insofern, als sich die Versicherte mehrmals (7. Januar bis 4. März 2019, 31. Juli bis 25. Oktober 2019, 2. Februar bis 10. März 2020, im Mai 2022) aufgrund einer wahnhaften/psychotischen Symptomatik in (teil-) stationärer psychiatrischer Behandlung befunden hatte. Für diese Zeiten erkannte die Expertin eine vollständige Arbeitsunfähigkeit. Weiter hielt sie die von den behandelnden Ärzten "anhand der von der Versicherten dargelegten Symptome" vorgenommene diagnostische Einschätzung zwar für nachvollziehbar, konnte sie aber unter Verweis auf die Ergebnisse ihrer eigenen Untersuchungen (und damit nachvollziehbar begründet) nicht bestätigen.
Abgesehen davon, dass die diagnostische Einordnung nicht entscheidend ist (vgl. vorangehende E. 2.3.2), genügt das psychiatrische medexperts-Teilgutachten den Anforderungen an die Beweiskraft (vgl. BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) zumindest insoweit, als sich daraus keine (längere Zeit anhaltende) anspruchserhebliche Veränderung der Befundlage im Vergleich zum Zustand im Januar 2015 entnehmen lässt. Auch aus dem psychiatrischen Erstbeurteilungsbericht des Dr. med. B.________ vom 18. Februar 2023 ergibt sich keine solche Veränderung. Bei diesen Gegebenheiten stellt der vorinstanzliche Verzicht auf weitere Abklärungen im hier interessierenden Punkt keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes dar (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3).
4.2.3. Nach dem Gesagten bleibt die vorinstanzliche Feststellung eines im Wesentlichen unveränderten psychischen Gesundheitszustandes für das Bundesgericht verbindlich (vorangehende E. 1).
4.3. Eine anspruchserhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes unter somatischen Aspekten oder der erwerblichen Gegebenheiten ist nicht ersichtlich und wird auch nicht ansatzweise geltend gemacht. Demnach hat die Vorinstanz zu Recht mangels eines Revisionsgrundes (analog Art. 17 Abs. 1 ATSG) den Anspruch auf eine Invalidenrente ab September 2021 (vgl. Art. 29 Abs. 1 IVG) verneint.
Für die Zeit ab dem 1. Januar 2022 ergibt sich aus den seither geltenden Vorgaben von Art. 17 ATSG und Art. 28b IVG (Art. 87 IVV blieb unverändert) nichts anderes. Es erübrigt sich, auf die Vorbringen betreffend die vorinstanzliche Eventualbegründung einzugehen. Die Beschwerde ist unbegründet.
5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 14. März 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Dormann