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[AZA] 
H 385/99 Vr 
 
II. Kammer  
 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Ferrari und neben- 
amtlicher Richter Maeschi; Gerichtsschreiber Hadorn 
 
Urteil vom 14. April 2000  
 
in Sachen 
 
P.________, 1915, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts- 
anwalt Dr. F.________, 
gegen 
 
Ausgleichskasse der Textil- und Bekleidungsindustrie, 
Dufourstrasse 1, Zürich, Beschwerdegegnerin, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
    A.- P.________ (geb. 1915) war Gesellschafter und 
Geschäftsführer der I.________ GmbH, welche im Dezember 
1994 durch Umwandlung aus der L.________ AG gegründet 
worden war und die Fabrikation von sowie den Handel mit 
Strumpf- und Strickwaren bezweckte. Am 28. November 1996 
wurde über die Firma der Konkurs eröffnet, in welchem die 
Ausgleichskasse der Textil- und Bekleidungsindustrie (nach- 
folgend Ausgleichskasse Textil) eine Forderung von 
Fr. 36'677.45 für unbezahlt gebliebene AHV/IV/EO/ALV-Bei- 
träge, einschliesslich Verwaltungskostenbeiträge, Verzugs- 
zinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten, einreichte. Auf 
Anfrage vom 3. September 1997 teilte das Konkursamt des 
Kantons St. Gallen der Ausgleichskasse am folgenden Tag 
mit, dass der Kollokationsplan vom 9. Mai bis 2. Juni 1997 
aufgelegen habe und mit einem vollständigen Verlust der 
Forderung gerechnet werden müsse. Mit Verfügung vom 
22. September 1997 verpflichtete die Kasse P.________ zur 
Leistung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 36'677.45 
unter solidarischer Haftbarkeit mit den Gesellschaftern 
S.________ und A.________. P.________ liess dagegen Ein- 
sprache erheben. 
 
    B.- Die Ausgleichskasse Textil erhob hierauf Klage auf 
Bezahlung des genannten Betrages. Mit Entscheid vom 1. Juli 
1999 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen 
die Klage im Umfang von Fr. 29'087.85 teilweise gut. 
 
    C.- P.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde 
führen, sinngemäss mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des 
angefochtenen Entscheids sei die Klage abzuweisen; 
eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorin- 
stanz zurückzuweisen; ferner sei ihm die unentgeltliche 
Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. 
    Die Ausgleichskasse verzichtet auf eine Vernehmlas- 
sung. Das Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine 
Stellungnahme ein. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht 
um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleis- 
tungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht 
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht 
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Miss- 
brauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachver- 
halt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter 
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt 
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und 
b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
    2.- Im vorinstanzlichen Entscheid werden die für die 
Schadenersatzpflicht nach Art. 52 AHVG geltenden Regeln 
zutreffend dargelegt, weshalb darauf verwiesen werden kann. 
Zu ergänzen ist, dass die nach der Rechtsprechung für die 
subsidiäre Haftung der verantwortlichen Organe von Aktien- 
gesellschaften massgebenden Grundsätze analog auf die ver- 
antwortlichen Organe anderer juristischer Personen, ins- 
besondere die Geschäftsführer von Gesellschaften mit be- 
schränkter Haftung gemäss Art. 772 ff. OR (nicht veröffent- 
lichtes Urteil B. vom 14. Dezember 1994, H 167/94), anwend- 
bar sind. 
 
    3.- Auf Grund der Akten ist davon auszugehen, dass die 
I.________ GmbH, welche im Dezember 1994 auf dem Wege der 
Umwandlung aus der L.________ AG hervorgegangen war, von 
Anfang an in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Für die 
im Verfahren nach Art. 34 Abs. 3 AHVV erhobenen Beiträge ab 
Januar 1995 musste die Firma praktisch ausnahmslos gemahnt 
und betrieben werden. Nachdem schon seitens der Aktien- 
gesellschaft per Ende 1994 ein Saldo zu Gunsten der Aus- 
gleichskasse von Fr. 19'884.- bestanden hatte, kam die 
Firma der Beitragszahlungspflicht auch in der Folge nur 
teilweise nach, sodass sich die Beitragsschuld Ende 1995 
auf Fr. 34'364.- belief, um sich anschliessend weiter zu 
erhöhen. 
    Der Beschwerdeführer muss sich unter diesen Umständen 
entgegenhalten lassen, der Beitragszahlungspflicht während 
längerer Zeit nicht ordnungsgemäss nachgekommen zu sein, 
obschon er angesichts der anhaltenden finanziellen Schwie- 
rigkeiten der Firma und des ungünstigen Geschäftsverlaufs 
(wie er auch in der wiederholten Herabsetzung der beitrags- 
pflichtigen Lohnsumme zum Ausdruck kommt) ernsthaft damit 
rechnen musste, dass der Betrieb in Konkurs fallen könnte. 
Wie die Vorinstanz zu Recht feststellt, kommt der Bezahlung 
der Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich die gleiche 
Priorität zu wie den Lohnzahlungen. Dementsprechend darf 
ein illiquider Arbeitgeber nur soviel Lohn auszahlen, dass 
die daraus unmittelbar entstehenden Beitragsforderungen 
noch gedeckt sind (SVR 1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5). Wenn 
der Beschwerdeführer im Wissen um den drohenden Konkurs 
weiterhin Lohnzahlungen geleistet hat, ohne die darauf ge- 
schuldeten Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, hat 
er den der Ausgleichskasse entstandenen Schaden schuldhaft 
verursacht. Indem die Vorinstanz dieses Verhalten als grob- 
fahrlässig qualifiziert hat, verstiess sie nicht gegen Bun- 
desrecht. 
 
    4.- Entgegen den Ausführungen in der Verwaltungsge- 
richtsbeschwerde liegen keine Rechtfertigungs- und Exkul- 
pationsgründe im Sinne der Rechtsprechung vor. Zwar ist 
glaubhaft, dass der Beschwerdeführer alles ihm Mögliche und 
Zumutbare getan hat, um einen Weiterbestand des Betriebes 
sicher zu stellen. Angesichts der Geschäftsentwicklung und 
des wirtschaftlichen Umfeldes sowie unter Berücksichtigung 
von Höhe und Dauer des Beitragsausstandes durfte er jedoch 
nicht ernsthaft davon ausgehen, dass es sich nur um einen 
vorübergehenden Liquiditätsengpass handle und er innert 
nützlicher Frist in der Lage sein werde, den Beitragsaus- 
stand wettzumachen. Auch mit dem angestrebten Verkauf des 
Betriebes vermag sich der Beschwerdeführer nicht zu exkul- 
pieren, musste er auf Grund der ungünstigen Wirtschaftslage 
insbesondere im Textilbereich doch damit rechnen, mit die- 
sen Bestrebungen erfolglos zu bleiben. Dass er auch persön- 
liche Mittel in die angestrebte Rettung des Betriebes ein- 
gesetzt hat und seinen Angaben zufolge nunmehr völlig mit- 
tellos ist, vermag ihn von der Schadenersatzpflicht eben- 
falls nicht zu befreien. Anders als in dem in BGE 108 V 183 
ff. beurteilten Sachverhalt kann das Verhalten des Be- 
schwerdeführers unter den hier gegebenen Umständen nicht 
als entschuldbar qualifiziert werden. 
 
    5.- Unbestritten geblieben sind der Kausalzusammenhang 
zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten des Beschwerdefüh- 
rers und dem der Ausgleichskasse entstandenen Schaden sowie 
die Schadenersatzforderung in der von der Vorinstanz ge- 
schützten Höhe von Fr. 29'087.85. Ferner steht fest, dass 
die Ausgleichskasse den Schadenersatz rechtzeitig innert 
der Fristen gemäss Art. 82 und Art. 81 Abs. 3 AHVV geltend 
gemacht hat. 
 
    6.- Dem Begehren um Gewährung der unentgeltlichen 
Rechtspflege und Verbeiständung kann entsprochen werden, da 
die Bedürftigkeit auf Grund der eingereichten Unterlagen zu 
bejahen ist, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht als 
aussichtslos bezeichnet werden kann und die Verbeiständung 
durch einen Rechtsanwalt, wenn auch nicht unerlässlich, so 
doch geboten war. Der Beschwerdeführer wird jedoch auf 
Art. 152 Abs. 3 OG hingewiesen, wonach er für die Prozess- 
kosten Ersatz zu leisten haben wird, falls er später hiezu 
im Stande sein sollte. 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung 
    wird Rechtsanwalt Dr. F.________ für das Verfahren vor 
    dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der 
    Gerichtskasse eine Entschädigung (einschliesslich 
    Mehrwertsteuer) von Fr. 2500.- ausgerichtet. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs- 
    gericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für 
    Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 14. April 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: 
 
i.V.