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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
K 64/04 
 
Urteil vom 14. April 2005 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Kopp Käch 
 
Parteien 
Helsana Versicherungen AG, Schadenrecht, Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
1. E.________, 1941, 
2. N.________, 1974, 
Beschwerdegegner, 
 
betreffend S.________, geboren am 15. August 1936, gestorben am 24. Juni 2003 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
(Entscheid vom 31. März 2004) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1936 geborene und 2003 verstorbene S.________ sel. war bei der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend Helsana) obligatorisch krankenversichert. Er war vom 8. bis 10. August 2002 im Spital X.________, Departementale Einheit Schädel-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, hospitalisiert. Gemäss Austrittsbericht vom 14. August 2002 wurden eine Parodontitis apikalis acuta 36, 37 mit Trismus sowie eine Hyperkaliämie diagnostiziert und die Zähne 36 und 37 unter Anästhesie stand-by extrahiert. Die Kosten dieser Behandlung beliefen sich laut Rechnung vom 22. Mai 2003 auf Fr. 7247.85. Die Helsana verneinte mit Verfügung vom 30. Juli 2003 eine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Mit Einspracheentscheid vom 23. September 2003 hielt sie an ihrem Standpunkt fest. 
B. 
Die durch die Ehefrau und den Sohn von Hans S.________ sel. dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 31. März 2004 gut und wies die Helsana an, die Behandlungskosten von Fr. 7247.85 zu übernehmen. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Helsana die Aufhebung des Entscheids des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 31. März 2004 und die Bestätigung des Einspracheentscheids vom 23. September 2003. 
 
E.________ und N.________ schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das kantonale Gericht hat die massgebenden gesetzlichen Grundlagen über den Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen (Art. 31 Abs. 1 KVG, Art. 33 Abs. 2 und 5 KVG in Verbindung mit Art. 33 lit. d KVV sowie Art. 17 bis 19a KLV) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin die Kosten der vom 8. bis 10. August 2002 im Spital X.________ durchgeführten Behandlung in der Höhe von Fr. 7247.85 aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmen hat. 
2.1 Die Krankenkasse verneinte in ihrer Verfügung vom 30. Juli 2003 von vornherein jegliche Leistungspflicht für die streitige zahnärztliche Behandlung gestützt auf das KVG, da weder die diagnostizierte Parodontitis apikalis acuta noch die Nebendiagnosen Trismus und Hyperkaliämie in der abschliessenden Aufzählung der Erkrankungen in Art. 17 bis 19a KLV aufgeführt seien. 
2.2 Einspracheweise wiesen die Ehefrau und der Sohn des verstorbenen Versicherten darauf hin, dieser sei stark herzkrank gewesen, was zusammen mit dem schlechten Allgemeinzustand die Hospitalisation und stand-by-Anästhesie notwendig gemacht habe. Laut Angaben des behandelnden Hausarztes habe überdies die akute Gefahr von Endokarditis bestanden. 
2.3 Im Einspracheentscheid vom 23. September 2003 legte die Krankenkasse dar, die behauptete Grundkrankheit Endokarditis habe nicht zu Zahnschäden geführt und die Zahnbehandlung sei nicht eine Behandlung der Grundkrankheit oder nicht für die Behandlung der Grundkrankheit notwendig gewesen. Zudem reiche der Verdacht einer Endokarditis für eine allfällige Leistungspflicht nach Art. 19 KLV nicht aus. 
2.4 Die Vorinstanz hat gestützt auf die medizinischen Akten festgestellt, dass durch die Extraktion der beiden Zähne einer konkret drohenden Gesundheitsstörung im Sinne einer Endokarditis vorgebeugt werden sollte. Sie hielt im Wesentlichen fest, eine Krankheitsbehandlung liege bereits dann vor, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung noch nicht bestehe oder noch nicht in ein akutes Stadium getreten sei, aber ohne medizinische Behandlung konkret einzutreten oder akut zu werden drohe. In diesem Sinne sei die vorliegend streitige zahnärztliche Behandlung zwecks Unterstützung und Sicherstellung der Behandlung einer konkret drohenden Endokarditis durchgeführt worden und von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gestützt auf Art. 19 lit. d KLV zu übernehmen. 
2.5 In der dagegen erhobenen Verwaltungsgerichtsbeschwerde stellt sich die Krankenkasse im Wesentlichen auf den Standpunkt, der verstorbene Versicherte habe an einer Mitralklappeninsuffizienz gelitten, welche gemäss diverser wissenschaftlicher Berichte nicht als erhöhtes Risiko einer Endokarditis gelte. Es habe daher keine Notwendigkeit für eine Endokarditis-Prophilaxe bestanden. Die durchgeführte Behandlung habe eindeutig eine zahnärztliche Zielsetzung gehabt, nämlich eine Wurzelbehandlung, und nicht die Behandlung einer Herzerkrankung oder die Vorbereitung einer solchen Behandlung. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 19 lit. d KLV müsste eine Endokarditis für eine allgemeine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vorliegen, nicht nur drohen. 
3. 
3.1 Bezüglich der Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung für zahnärztliche Behandlungen ist darauf hinzuweisen, dass bei der Schaffung des per 1. Januar 1996 in Kraft getretenen neuen Rechts am Grundsatz, wonach die Kosten für zahnärztliche Behandlungen nicht der Krankenversicherung zu überbinden sind, nichts geändert wurde (BGE 125 V 282 Erw. 6 mit Hinweisen; ZBJV 138/2002 S. 421). In BGE 124 V 185 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, dass die in Art. 17 bis 19a KLV aufgelisteten Erkrankungen, welche von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu übernehmende zahnärztliche Behandlungen bedingen, abschliessend aufgezählt sind. Daran hat es in ständiger Rechtsprechung festgehalten (BGE 130 V 467 Erw. 2.3). 
3.2 Art. 17 und 18 KLV regeln gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. a und b KVG die Übernahme der Kosten für die zahnärztliche Behandlung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für den Fall, dass diese entweder durch eine schwere, nicht vermeidbare Erkrankung des Kausystems oder durch eine schwere Allgemeinerkrankung oder ihre Folgen bedingt ist. Art. 19 KLV sodann umfasst gestützt auf Art. 31 Abs. 1 lit. c KVG die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung, die zur Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung oder ihrer Folgen notwendig ist. Für die Frage der anwendbaren Rechtsgrundlage kommt es somit darauf an, ob, wie bei Art. 17 und 18 KLV die schwere Erkrankung des Kausystems oder die schwere Allgemeinerkrankung oder deren Behandlung Ursache des Zahnleidens ist, oder aber ob, wie bei Art. 19 KLV, die zahnärztliche Versorgung notwendiger Bestandteil der Behandlung einer schweren Allgemeinerkrankung darstellt. 
3.3 Vorliegend wird eine Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung mit einer konkret drohenden Endokarditis des verstorbenen Versicherten begründet. Eine solche könnte nur auf Art. 19 KLV abgestützt werden, weshalb diese Bestimmung einer näheren Prüfung zu unterziehen ist. 
4. 
4.1 Art. 19 KLV umfasst die Übernahme der Kosten der zahnärztlichen Behandlungen, die zur Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen Behandlung notwendig sind: 
"a. bei Herzklappenersatz, Gefässprothesenimplantation, kraniellen Shuntoperationen; 
 
b. bei Eingriffen mit nachfolgender langdauernder Immunsuppres- sion; 
 
c. bei Strahlentherapie oder Chemotherapie maligner Leiden; 
 
d. bei Endokarditis." 
4.2 Sinn dieser Bestimmung ist, wie aus dem Wortlaut deutlich hervorgeht, die Unterstützung und Sicherstellung der ärztlichen Behandlungen der aufgelisteten schweren Allgemeinerkrankungen. Die medizinische Behandlung dieser Leiden zählt unbestrittenermassen zu den Pflichtleistungen der sozialen Krankenversicherung. Diese Behandlung verträgt - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - in der Regel keinen Aufschub, sondern muss unverzüglich erfolgen können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung kann eine zahnärztliche Versorgung sein. Erschiene deren Finanzierung durch die soziale Krankenversicherung nicht als gesichert, könnte die sofortige medizinische Behandlung der Krankheit in Frage gestellt und damit die Gesundheit, wenn nicht gar das Leben, gefährdet sein. Daraus ergibt sich, dass für die ausnahmsweise vorgesehene Übernahme der Kosten einer zahnärztlichen Behandlung eine zu behandelnde Endokarditis vorliegen, nicht erst drohen oder vermutet werden muss. 
4.3 Ziel der streitigen Behandlung war klarerweise die Behandlung der Zähne und nicht die Behandlung einer Herzkrankheit. Wie in der Einsprache vom 25. August 2003 ausgeführt wurde, suchte der verstorbene Versicherte anfangs August 2002 die zahnmedizinische Klinik Y.________ auf. Die behandelnde Ärztin Frau Dr. G.________ habe das Risiko für den zahnmedizinischen Eingriff wegen des allgemein schlechten Gesundheitszustandes des Versicherten nicht übernehmen wollen, weshalb sie ihn ans Spital X.________ verwiesen habe. Dort wurden eine Parodontitis apikalis acuta Zahn 36, 37 mit ausgeprägtem Trismus und als Nebendiagnosen Stadium nach Beinvenenthrombose, Vorhofflimmern, koronare Herzerkrankung, arterielle Hypertonie und Hyperkaliämie festgestellt. Im Austrittsbericht vom 14. August 2002 figurierte lediglich die Diagnose Parodontitis apikalis acuta 36, 37 mit Trismus, Hyperkaliämie, wobei festgehalten wurde, der Patient habe seit 3. August 2002 zunehmende Zahnschmerzen im Unterkiefer gehabt und sei auf Grund der internistischen Vorerkrankung (Status nach Vorhofflimmern, KHK, arterielle Hypertonie, fragliche Niereninsuffizienz und der bestehenden Marcumarisierung) hospitalisiert worden. Im Beschwerdeverfahren vor der Vorinstanz wurde die Sachverhaltsdarstellung dahingehend geändert, der verstorbene Versicherte sei durch seinen Hausarzt Dr. med. B.________ ins Spital X.________ eingewiesen worden. Aus dessen Schreiben vom 2. September 2003 gehe hervor, dass die Hospitalisation aus internistischen Gründen notwendig gewesen sei und eine akute Gefahr von Endokarditis bestanden habe. Dass Dr. med. B.________ den Versicherten eingewiesen habe, wie er selber in seinem Schreiben vom 2. September 2003 ausführt, widerspricht der übrigen Aktenlage. Danach haben die Beschwerdegegner selber, wie erwähnt, im Einspracheverfahren Dr. G.________ als einweisende Ärztin und als Grund der Einweisung angegeben, das Risiko für die Vornahme des zahnmedizinischen Eingriffs sei zu gross gewesen. Die Behauptung steht sodann auch in Widerspruch zur Rechnung der zahnmedizinischen Klinik Y.________ vom 24. Oktober 2003, wonach der Arzt Dr. G.________ war. Aus dem Schreiben des Spitals X.________ an Dr. B.________ vom 14. August 2002 geht nichts Gegenteiliges hervor. Danach litt der Versicherte - wie erwähnt - seit ca. 3. August 2002 zunehmend unter Zahnschmerzen. Grund für die stationäre Behandlung war der allgemein schlechte Gesundheitszustand des Verstorbenen. Nichts deutet in diesem Schreiben darauf hin, dass der zahnmedizinische Eingriff in Behandlung dieses allgemein schlechten Zustandes, insbesondere der Herzkrankheit, erfolgt sei. War das Ziel der Behandlung ein zahnmedizinisches, fällt die Anwendung von Art. 19 lit. d KLV ausser Betracht. Es geht nicht an, nachträglich zu argumentieren, die zahnmedizinische Massnahme sei für die Herzbehandlung, insbesondere zur Vermeidung einer Endokarditis, notwendig gewesen, dies umso weniger, als nach den von der Beschwerdeführerin ins Recht gelegten medizinischen Abhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zu Zahnärztlichen Eingriffen und Endokarditis-Prophylaxe, der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie-, Herz- und Kreislaufforschung, Revidierte Empfehlungen zur Prophylaxe bakterieller Endokarditiden, der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie über Endokarditis-Prophylaxe sowie nach den Neuen Schweizerischen Richtlinien für die Endokarditis-Prophylaxe die Behandlung der Herzkrankheit, an welcher der Versicherte litt, keine Zahnbehandlung, wie sie ihm zuteil wurde, voraussetzt. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher gutzuheissen und der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 31. März 2004 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugestellt. 
Luzern, 14. April 2005 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: