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1P.517/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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14. September 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Nay, präsidierendes Mitglied
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Catenazzi, Bundesrichter Favre und Gerichtsschreiber Störi.
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In Sachen
G.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Wipfli, Kreuzwiesen 23, Zürich,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
betreffend
Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV sowie
A.- Das Bezirksgericht Zürich verurteilte G.________ am 19. Juli 2000 wegen Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB zu drei Jahren Zuchthaus. Mit Präsidialverfügung vom gleichen Tag hielt der Vorsitzende die von der Bezirksanwaltschaft Zürich am 14. Juni 1999 verhängte Pass- und Schriftensperre aufrecht.
Am 27. Juli 2000 verfügte die Bezirksanwaltschaft Zürich die vorläufige Festnahme von G.________.
Am 28. Juli 2000 erhob die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil des Bezirksgerichts Zürich. Gleichentags beantragte sie dem Obergericht, die vorläufig angeordnete Haft zu bestätigen. Dieses setzte G.________ bzw. seinem Anwalt mit Präsidialverfügung vom 31. Juli 2000 eine Vernehmlassungsfrist von drei Arbeitstagen an. Mit Vernehmlassung vom 4. August 2000 liess G.________ beantragen, ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
Am 8. August 2000 verfügte die stellvertretende Präsidentin der II. Strafkammer des Obergerichts, G.________ habe in Sicherheitshaft zu bleiben. Sie erwog, der dringende Tatverdacht sei mit der erstinstanzlichen Verurteilung ohne weiteres anzunehmen. Es bestehe zudem Fluchtgefahr, weil G.________ seit der erstinstanzlichen Verurteilung konkret mit dem Vollzug einer mehrjährigen Freiheitsstrafe konfrontiert sei und er entgegen der Auffassung der Verteidigung enge Beziehungen zu seinem Heimatland Türkei habe.
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 8 Abs. 1, Art. 9 und Art. 10 Abs. 2 BV sowie Art. 5 Ziff. 2 und 3 EMRK beantragt G.________, den Präsidialentscheid vom 8. August 2000 aufzuheben und ihn aus der Sicherheitshaft zu entlassen, eventuell die Sache zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu neuem Entscheid ans Obergericht zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht verzichten auf Vernehmlassung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Der Beschwerdeführer wirft der Strafkammerpräsidentin die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten vor, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht indessen keine Fortsetzung des kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 126 I 81 E. 1; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c). Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Anforderungen nicht. Das trifft z.B. für die Rüge zu, die Strafkammerpräsidentin habe das Rechtsgleichheitsgebot verletzt: zwar beruft sich der Beschwerdeführer auf Art. 8 Abs. 1 BV, legt aber nicht substanziiert dar, inwiefern es verletzt sein soll.
b) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Anordnung von Sicherheitshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig.
c) Bei staatsrechtlichen Beschwerden, die gestützt auf das verfassungsmässige Recht der persönlichen Freiheit gegen die Haftanordnung erhoben werden, prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts grundsätzlich frei (BGE 117 Ia 72 E. 1; 114 Ia 281 E. 3).
2.- Der Beschwerdeführer wirft der Strafkammerpräsidentin Willkür und eine Verletzung der in Art. 5 Ziff. 3 EMRK garantierten Verfahrensrechte vor, insbesondere weil sie das Haftprüfungsverfahren nicht schnell genug geführt habe und er nicht unverzüglich nach seiner Festnahme einem Richter vorgeführt worden sei.
a) Die Garantien von Art. 5 Ziff. 3 EMRK gelten für den Freiheitsentzug nach Ziff. 1 lit. c der gleichen Bestimmung, nicht aber für jenen nach Ziff. 1 lit. a und damit nicht für die Anordnung von Sicherheitshaft nach einer strafrechtlichen Verurteilung; dies selbst wenn diese, wie hier, (noch) nicht rechtskräftig ist (Frowein/Peukert, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 2.A., Kehl/Strassburg/ Arlington 1996 N. 51 zu Art. 5). Art. 9 Abs. 3 UNO-Pakt II bezieht sich nach seinem Wortlaut ("Personen, die eine gerichtliche Aburteilung erwarten") offenkundig ebenfalls auf die Inhaftierung vor einer strafrechtlichen Verurteilung. Es ist aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte (vgl. Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, 1989, N. 10 ff. zu Art. 9) auch nicht ersichtlich, dass diese Bestimmung einen über Art. 5 Ziff. 3 EMRK hinaus gehenden Schutz gewähren wollte. Art. 31 Abs. 3 BV garantiert jeder Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, das Recht auf eine unverzügliche Anhörung durch den Haftrichter. Auch diese Verfassungsbestimmung bezieht sich indessen nach Wortlaut und Botschaft (BBl 1997 I 185) ausschliesslich auf die Anordnung von Untersuchungshaft, ist somit auf den Fall des Beschwerdeführers nicht anwendbar.
Die Rüge ist unbegründet.
b) In diesem Zusammenhang wirft der Beschwerdeführer der Strafkammerpräsidentin auch eine willkürliche Anwendung des kantonalen Prozessrechts vor. Er macht geltend, die Strafkammerpräsidentin hätte ihn in analoger Anwendung der §§ 61 und 62 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO), mündlich anhören und den Entscheid binnen zweier Tage nach der Antragstellung der Staatsanwaltschaft am 2. August 2000 fällen müssen und sich nicht bis zum 8. August 2000 Zeit lassen dürfen.
§ 61 und § 62 Abs. 2 StPO beziehen sich indessen auf die Anordnung von Untersuchungs-, nicht Sicherheitshaft nach § 67 StPO. Nach dem Kommentar Donatsch/Schmid (Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Zürich 1999) hat der für die Anordnung von Sicherheitshaft zuständige Richter den Verhafteten in analoger Anwendung von § 61 StPO angemessen anzuhören, wenn sich dieser zuvor auf freiem Fuss befand. Dabei wird auf N. 31 zu § 67 verwiesen, wo für die zürcherische Sicherheitshaft zwischen Anklageerhebung und Urteilsfällung die Beachtung der Garantien gemäss Art. 5 Ziff. 3 EMRK und Art. 9 Abs. 3 UNO-Pakt II gefordert wird (a.a.O. N. 2 und 5 zu § 417). Nach dem Gesagten (oben E. 2a) beziehen sich die in diesen beiden Bestimmungen verankerten Garantien jedoch auf Haftanordnungen vor einer strafrechtlichen Verurteilung. Aus ihnen lässt sich daher nicht ableiten, die Strafkammerpräsidentin hätte den erstinstanzlich verurteilten Beschwerdeführer unmittelbar gestützt auf die beiden Vorschriften der EMRK und des UNO-Paktes II, ohne entsprechende Vorschrift im anwendbaren Verfahrensrecht, mündlich anhören und binnen zweier Tage nach Antragstellung der Staatsanwaltschaft entscheiden müssen. Der einschlägige § 417 Abs. 3 StPO enthält keinen Verweis auf die Vorschriften für die Anordnung von Untersuchungshaft oder Sicherheitshaft zwischen Anklageerhebung und Urteilsfällung. Es ist daher nicht ersichtlich, inwiefern die Strafkammerpräsidentin diese zwingend hätte befolgen müssen und in Willkür verfallen ist, indem sie ein schriftliches Vernehmlassungsverfahren durchführte und den Entscheid nicht binnen zweier Tage fällte. Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Beschleunigungsgebots lässt sich ebenfalls nicht beanstanden, dass die Strafkammerpräsidentin ihren Entscheid am 8. August 2000, d.h. am 4. Tag nach dem Eingang der Vernehmlassung des Beschwerdeführers, fällte.
3.- a) Sicherheitshaft kann im Kanton Zürich (u.a.) angeordnet werden, wenn der Angeklagte (bzw. erstinstanzlich Verurteilte) eines Vergehens oder Verbrechens dringend verdächtig ist und Fluchtgefahr besteht (§ 67 Abs. 2 i.V.m. § 58 StPO). Liegt ausser dem allgemeinen Haftgrund des dringenden Tatverdachts einer der besonderen Haftgründe vor, steht einer Inhaftierung auch unter dem Gesichtswinkel der persönlichen Freiheit grundsätzlich nichts entgegen.
Unbestritten ist, dass der allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachtes gegeben ist. Der Beschwerdeführer bestreitet indessen, dass Fluchtgefahr bestehe.
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe für sich allein nicht für die Annahme von Fluchtgefahr. Eine solche darf nicht schon angenommen werden, wenn die Möglichkeit der Flucht in abstrakter Weise besteht. Vielmehr müssen konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 2a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3; 107 Ia 3 E. 6).
c) Die Strafkammerpräsidentin hat im angefochtenen Entscheid Fluchtgefahr bejaht, weil der Beschwerdeführer mit der erstinstanzlichen Verurteilung nunmehr konkret mit dem Vollzug einer mehrjährigen Freiheitsstrafe konfrontiert sei und er nach wie vor enge Beziehungen zu seiner türkischen Heimat habe, wo er eine grosse Verwandtschaft - u.a. sechs Kinder aus erster Ehe, seine Mutter und acht Geschwister - hat und zwei Eigentumswohnungen sowie ein Haus besitzt.
Der Beschwerdeführer hält dem entgegen, Fluchtgefahr bestehe nicht, weil er in der Schweiz gut verankert sei, seine Ehefrau sei Schweizerin und er verfüge über die Niederlassung C; bei Anhebung des Strafverfahrens sei ein Einbürgerungsverfahren pendent gewesen. Beziehungen zur Türkei habe er kaum mehr, die Eigentumswohnungen seien auf seine Söhne überschrieben, und beim "Haus" handle es sich um einen baufälligen Stall auf einem brachliegenden Grundstück.
Eine Flucht komme für den Beschwerdeführer auch deshalb nicht in Frage, weil die Türkei Mitglied des europäischen Auslieferungsübereinkommens sei, was nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz bedeute, dass die Türkei eine eventuell pendente Strafverfolgung gegen den Beschwerdeführer übernehmen müsste, falls sie ihren Staatsbürger nicht ausliefern wolle. Mit dem türkischen Gefängnisbetrieb habe er als Kurde einschlägige Erfahrung; er würde eine allfällige Strafe lieber in der Schweiz als in der Türkei absitzen.
d) Was der Beschwerdeführer vorbringt, vermag die Annahme von Fluchtgefahr nicht als verfassungswidrig erscheinen zu lassen. So hat er für den Fall einer Bestätigung des Schuldspruches mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, die wegen der Berufung der Staatsanwaltschaft auch über dem erstinstanzlichen Strafmass von drei Jahren liegen kann. Je nach Höhe der Strafe riskiert er, seine fremdenpolizeiliche Niederlassungsbewilligung C auch dann zu verlieren, wenn keine strafrechtliche Landesverweisung ausgesprochen wird. Seine Bindung an die Schweiz erscheint gerade durch die ihm zur Last gelegten Vorfälle, die seinen langjährigen Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlassten, erheblich gelockert. Auf der anderen Seite verfügt er in der Türkei über eine zahlreiche Verwandtschaft, was ihm ein Untertauchen dort wohl erleichtern könnte. Dass die Strafkammerpräsidentin unter diesen Umständen die Gefahr als hoch einstufte, der Beschwerdeführer könnte sich dem drohenden Strafvollzug durch eine Flucht in die Türkei entziehen, ist nicht zu beanstanden. Beizupflichten ist ihr ebenfalls insoweit, als sie die bereits bestehende Pass- und Schriftensperre für ungenügend hält, um den Beschwerdeführer wirksam an einer Flucht zu hindern. An dieser Beurteilung ändert nichts, dass die Türkei verpflichtet wäre, eine allfällige pendente Strafverfolgung zu übernehmen oder den Beschwerdeführer auszuliefern. Es ist dem Staat, welchem die Strafhoheit zusteht, nicht zuzumuten, auf die Sicherung der Person des Angeschuldigten zu verzichten und bei dessen Flucht den langwierigen Weg des Auslieferungsbegehrens oder eines Ersuchens um Übernahme der Strafverfolgung zu beschreiten (BGE 123 I 31 E. 3d). Die Rüge ist unbegründet.
4.- Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen, da die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG). Dementsprechend sind keine Kosten zu erheben, und Rechtsanwalt Hans Wipfli ist als unentgeltlicher Verteidiger einzusetzen und aus der Gerichtskasse angemessen zu entschädigen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:
a) Es werden keine Kosten erhoben.
b) Rechtsanwalt Hans Wipfli wird als unentgeltlicher Rechtsvertreter eingesetzt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. September 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Das präsidierende Mitglied:
Der Gerichtsschreiber: