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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_464/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 14. September 2015  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin, 
Bundesrichter Ursprung, Frésard, 
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
IV-Stelle Uri, Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Hilflosenentschädigung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Uri vom 29. Mai 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1965, erlitt am 22. April 2012 einen Mediaterritorialinfarkt rechts. Im Juli 2012 ersuchte sie um Leistungen der Invalidenversicherung (Rente, berufliche Massnahmen). Am 11. März 2013 beantragte sie eine Hilflosenentschädigung. Die IV-Stelle Uri lehnte die Gewährung einer Hilflosenentschädigung mit Verfügung vom 24. Januar 2014 ab. Gleichentags stellte sie die Ausrichtung einer Dreiviertelsrente ab 1. April 2013 in Aussicht. 
 
B.   
Das Obergericht des Kantons Uri hiess die gegen die Verfügung betreffend Hilflosenentschädigung erhobene Beschwerde nach Einholung der Berichte des Dr. med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 19. Februar 2014 (recte: 2015) sowie von C.________, dipl. Pflegefachfrau HF mit Schwerpunkt Psychiatrie, vom 13. Dezember 2014 mit Entscheid vom 29. Mai 2015 gut, hob die Verfügung vom 24. Januar 2014 auf und stellte fest, A.________ habe ab 1. April 2013 Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei mittelschwerer Hilflosigkeit. 
 
C.   
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es seien Ziff. 1 und 2 des vorinstanzlichen Entscheids aufzuheben und die Sache an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie über den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung neu entscheide. Zudem sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Festsetzung der Gerichtskosten zurückzuweisen. 
Ein Schriftenwechsel wird nicht durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist somit weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Gemäss Art. 42 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten (Art. 108 Abs. 1 lit. b BGG). Das Bundesgericht prüft grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen; es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu prüfen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen wurden. Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Nach Art. 105 BGG legt das Bundesgericht seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Abs. 1). Es kann diese Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Abs. 2). Die Voraussetzungen für eine Sachverhaltsrüge nach Art. 97 Abs. 1 BGG und für eine Berichtigung des Sachverhalts von Amtes wegen nach Art. 105 Abs. 2 BGG stimmen im Wesentlichen überein. Soweit es um die Frage geht, ob der Sachverhalt willkürlich oder unter verfassungswidriger Verletzung einer kantonalen Verfahrensregel ermittelt worden ist, sind strenge Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt. Entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten Rügen. Demzufolge genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten. Vielmehr ist in der Beschwerdeschrift nach den erwähnten gesetzlichen Erfordernissen darzulegen, inwiefern diese Feststellungen willkürlich bzw. unter Verletzung einer verfahrensrechtlichen Verfassungsvorschrift zustande gekommen sind. Andernfalls können Vorbringen mit Bezug auf einen Sachverhalt, der von den Feststellungen im angefochtenen Entscheid abweicht, nicht berücksichtigt werden. Vorbehalten bleiben offensichtliche Sachverhaltsmängel im Sinne von Art. 105 Abs. 2 BGG, die dem Richter geradezu in die Augen springen (BGE 133 IV 286 E. 6.2 S. 288; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 255).  
 
2.   
Zu prüfen ist der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung. Dabei ist strittig, auf welche Grundlagen zu dessen Ermittlung abzustellen ist. 
 
3.   
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung (Art. 42 Abs. 1 IVG; Art. 35 Abs. 1 IVV; Art. 37 IVV; BGE 130 V 61) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) sowie den Beweiswert von ärztlichen Berichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3 S. 352). Darauf wird verwiesen. 
 
4.   
Bei der Erarbeitung der Grundlagen für die Bemessung der Hilflosigkeit ist eine enge, sich ergänzende Zusammenarbeit zwischen Arzt und Verwaltung erforderlich. Ersterer hat anzugeben, inwiefern die versicherte Person in ihren körperlichen bzw. geistigen Funktionen durch das Leiden eingeschränkt ist. Der Versicherungsträger kann an Ort und Stelle weitere Abklärungen vornehmen. Bei Unklarheiten über physische oder psychische bzw. geistige Störungen oder deren Auswirkungen auf alltägliche Lebensverrichtungen sind Rückfragen an die medizinischen Fachpersonen nicht nur zulässig, sondern notwendig. Weiter sind die Angaben der Hilfe leistenden Personen zu berücksichtigen, wobei divergierende Meinungen der Beteiligten im Bericht aufzuzeigen sind. Der Berichtstext schliesslich muss plausibel, begründet und detailliert bezüglich der einzelnen alltäglichen Lebensverrichtungen sowie der tatbestandsmässigen Erfordernisse der dauernden persönlichen Überwachung und der Pflege sein. Schliesslich hat er in Übereinstimmung mit den an Ort und Stelle erhobenen Angaben zu stehen. Das Gericht greift, sofern der Bericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage im eben umschriebenen Sinne darstellt, in das Ermessen der die Abklärung tätigenden Person nur ein, wenn klar feststellbare Fehleinschätzungen vorliegen. Das gebietet insbesondere der Umstand, dass die fachlich kompetente Abklärungsperson näher am konkreten Sachverhalt ist als das im Beschwerdefall zuständige Gericht (BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468 mit Hinweisen). 
Im Falle einer Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit stellt der Abklärungsbericht im Haushalt ein geeignetes Beweismittel für die Bemessung der Invalidität der betroffenen Personen dar. Stimmen jedoch die Ergebnisse der Haushaltabklärung nicht mit den ärztlichen Feststellungen der Behinderungen im gewohnten Tätigkeitsbereich überein, so haben Letztere in der Regel mehr Gewicht als die im Haushalt durchgeführte Abklärung (BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468 mit Hinweisen). 
Diese Rechtsprechung gilt auch für die Abklärung der Hilflosigkeit unter dem Gesichtspunkt der lebenspraktischen Begleitung (BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468). 
 
5.  
 
5.1. Während die IV-Stelle gestützt auf den Abklärungsbericht Hilflosigkeit vom 16. Mai 2013 sowie den Bericht des Dr. med. D.________, Facharzt für Allgemeine Medizin, vom 26. Juni 2013 den Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung ablehnte, weil die Versicherte in nur einer Lebensverrichtung (Körperpflege) auf Hilfe angewiesen sei, liess die Versicherte vor Vorinstanz geltend machen, sie bedürfe nebst der Hilfe bei der Körperpflege auch der Hilfe bei der Fortbewegung/Kontaktaufnahme sowie der dauernden persönlichen Überwachung und der lebenspraktischen Begleitung.  
Die Vorinstanz hat ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. med. B.________ sowie einen Abklärungsbericht bei C.________ eingeholt. Dr. med. B.________ bejaht in seinem Gutachten vom 19. Februar 2014 (recte: 2015) den Bedarf an Hilfe in den Lebensverrichtungen An-/Auskleiden, Essen, Körperpflege, Verrichtung der Notdurft, Fortbewegung ausser Haus/Kontaktaufnahme sowie die Notwendigkeit einer regelmässigen Überwachung (Intervall von zwei Stunden) und schliesst auf eine Hilflosigkeit mittelschweren Grades. C.________ hält in ihrem Bericht vom 13. Dezember 2014 fest, die Versicherte zeige eine ausgeprägte depressive Symptomatik, wodurch Verrichtungen wie Führung des Haushaltes, Pflege sozialer Kontakte, selbstständige Planung und Durchführung von Aktivitäten nicht möglich seien; durch die Antriebsschwierigkeiten, Ängste, soziale Isolation und Einschränkungen in der Durchführung von alltäglichen Arbeiten im Haushalt sei die Anwesenheit einer Drittperson unumgänglich. Zudem legte sie einen Bericht des Dr. med. E.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 19. Februar 2015 sowie der Ergotherapeutin F.________ vom 27. Juni 2014 bei. Die Vorinstanz erachtete die beiden gerichtlichen Gutachten als umfassend und nachvollziehbar und sprach gestützt darauf eine Hilflosenentschädigung bei mittelschwerer Hilflosigkeit zu. 
 
5.2. Mit der Vorinstanz sind die Berichte des Dr. med. B.________ und von C.________ als umfassend und in ihrer Begründung nachvollziehbar zu qualifizieren. Aus den übrigen Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, wonach die Einschätzungen in diesen gerichtlichen Gutachten als nicht schlüssig zu bezeichnen wären. Entgegen der Ansicht der IV-Stelle ändert auch der Abklärungsbericht Hilflosigkeit vom 16. Mai 2013 nichts an der Massgeblichkeit der gerichtlich eingeholten Beurteilung. Denn selbst wenn die Einschätzungen von C.________ nicht wesentlich von den Ergebnissen gemäss Abklärungsbericht vom 16. Mai 2013 abweichen sollten, ergibt sich bereits aus dem Gutachten des Dr. med. B.________, welchem nach der Rechtsprechung (BGE 133 V 450 E. 11.1.1 S. 468) entscheidendes Gewicht zukommt, dass die Versicherte in mehreren Lebensvorrichtungen derart eingeschränkt ist, dass sie in erheblichem Ausmass auf Hilfe angewiesen ist und einer lebenspraktischen Begleitung bedarf. Auch wenn Dr. med. B.________ - worauf die IV-Stelle zu Recht verweist - Diskrepanzen zwischen der Fremd- und Selbsteinschätzung konstatiert, bestätigt er die Hilflosigkeit in den einzelnen Bereichen ohne Vorbehalte. Dies ist entgegen der Ansicht der IV-Stelle nicht willkürlich, sondern steht in Einklang mit der dokumentierten fehlenden Krankheitseinsicht der Versicherten und ihrer Überschätzung der eigenen Fähigkeiten (vgl. auch die Berichte des Dr. med. E.________ vom 19. Februar 2015 sowie der Ergotherapeutin vom 27. Juni 2014). So hält Dr. med. B.________ denn auch ein Dissimulieren fest. Nach dem Gesagten ist somit gestützt auf die gerichtlichen Gutachten eine Hilflosigkeit in den Bereichen "Ankleiden/Auskleiden", "Körperpflege" und "Fortbewegung" sowie die Notwendigkeit einer lebenspraktischen Begleitung zu bejahen. Dies erfüllt die Voraussetzungen nach Art. 37 Abs. 2 IVV. Die Vorinstanz hat damit zu Recht eine Hilflosenentschädigung bei mittelschwerer Hilflosigkeit zugesprochen.  
 
6.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende IV-Stelle hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Mangels Durchführung eines Schriftenwechsels ist der Versicherten keine Parteientschädigung auszurichten. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. September 2015 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Leuzinger 
 
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold