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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.254/2005 /rom 
 
Sitzung vom 14. Dezember 2005 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Parteien 
A.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Diego Quinter, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, Sennhofstrasse 17, 7001 Chur. 
 
Gegenstand 
Strafzumessung (Widerhandlung gegen das BetmG), 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden, Strafkammer, vom 11. Januar 2005 (SF 04 44). 
 
Sachverhalt: 
A. 
Vom Juli 2001 bis zum 23. Mai 2002 hatte A.________ mit dem Verkauf von 43 kg Hanfblüten in seinem Hanfladen einen Umsatz von rund Fr. 267'000.-- erzielt. Das Kantonsgericht von Graubünden verurteilte ihn am 10. Juni 2003 wegen Widerhandlungen gegen Art. 19 Ziff. 2 lit. c und Art. 19a Ziff. 1 BetmG zu 15 Monaten Gefängnis mit bedingtem Vollzug und einer fünfjährigen Probezeit. 
B. 
Vom 23. Mai 2002 bis zum 28. April 2004 verkaufte er erneut 22,8 kg Hanfblüten und 4 kg Haschisch und erzielte damit einen Umsatz von Fr. 220'000.--. Er konsumierte Marihuana und Haschisch. 
 
Das Kantonsgericht von Graubünden fand ihn am 11. Januar 2005 der Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 2 lit. c BetmG sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 19a Ziff. 1 BetmG schuldig. Es verurteilte ihn - teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil vom 10. Juni 2003 - mit 24 Monaten Gefängnis (abzüglich 15 Tage Untersuchungshaft) und widerrief den im Urteil vom 10. Juni 2003 gewährten bedingten Strafvollzug. 
C. 
A.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Kantonsgerichts vom 11. Januar 2005 im Straf- und Widerrufspunkt (Ziff. 2 und 3 des Dispositivs) aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen sowie der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. 
 
Das Kantonsgericht von Graubünden verzichtet auf Gegenbemerkungen und beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft Graubünden verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer macht eine bundesrechtswidrige Strafzumessung geltend. Sein krimineller Wille dürfe nicht als besonders gross qualifiziert werden. Er habe nur mit weichen Drogen gehandelt. In jener Zeit seien Hanfläden zunächst toleriert worden. Die Betäubungsmittelmenge sei im Wesentlichen im ersten Urteil bereits berücksichtigt worden und könne sich daher im neuen Urteil nur unwesentlich auswirken. Dass er die Vorinstanz durch sein Weiterdelinquieren - trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen an der kantonsgerichtlichen Verhandlung vom 10. Juni 2003 - schwer getäuscht habe, dürfe nicht zu einer völlig unverhältnismässigen Strafe führen. Auch im Vergleich mit anderen Urteilen lasse sich das Strafmass nicht rechtfertigen. Das Strafmass verletze das Schuldprinzip. 
2. 
Hat der Richter eine mit Freiheitsstrafe bedrohte Tat zu beurteilen, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, so bestimmt der Richter die Strafe so, dass der Täter nicht schwerer bestraft wird, als wenn die mehreren strafbaren Handlungen gleichzeitig beurteilt worden wären (Art. 68 Ziff. 2 StGB). Bei der Beurteilung von Straftaten, die teils vor und teils nach einer früheren Verurteilung begangen worden sind, ist im Falle, dass die nach der Verurteilung verübte Tat die schwerere ist, von der für diese Tat verwirkten Strafe auszugehen und deren Dauer wegen der vor der ersten Verurteilung begangenen Tat angemessen zu erhöhen, und zwar unter Berücksichtigung des Umstandes, dass für die frühere Tat eine Zusatzstrafe auszufällen ist (BGE 69 IV 54 E.4; 115 IV 17 E. 5b/bb; vgl. BGE 116 IV 14 und 129 IV 113 E. 1.1 mit Hinweisen; Jürg-Beat Ackermann, Strafgesetzbuch I, Basler Kommentar, Basel 2003, Art. 68 N. 67). 
 
Im angefochtenen Urteil sind Straftaten zu beurteilen, die vor und nach der ersten Urteilsfällung vom 10. Juni 2003 begangen worden sind. Dabei nimmt die Vorinstanz an, es sei die Schwere der Strafe für die vor und nach diesem massgeblichen Urteil begangenen Taten zu bestimmen, damit entschieden werden könne, welche der beiden Strafen als Einsatzstrafe und welche als Zusatzstrafe zu gelten habe (angefochtenes Urteil S. 22). Sie beurteilt die späteren Taten als schwerer und setzt für diese eine Einsatzstrafe von 15 Monaten Gefängnis fest. Diese "erhöht" sie mit 9 Monaten Gefängnis für die früheren Taten als Zusatzstrafe zum Urteil vom 10. Juni 2003 (angefochtenes Urteil S. 25 und 26). Die Vorinstanz zählt somit die Strafe für die früheren und die Strafe für die späteren Taten zusammen und kommt so auf eine Gesamtstrafe von 24 Monaten Gefängnis. 
 
Diese Rechtsanwendung verletzt Art. 68 StGB. Weil die späteren Straftaten nach den Feststellungen der Vorinstanz die schwereren sind, ist für diese eine selbständige Strafe festzusetzen (vgl. BGE 69 IV 54 E. 4 S. 61), die nach Massgabe der Zusatzstrafe für die früheren Straftaten angemessen zu erhöhen ist. Diese Erhöhung um die Zusatzstrafe erfolgt somit nach der Strafzumessungsregel von Art. 68 Ziff. 1 StGB. Es kann daher die Zusatzstrafe nicht einfach zur selbständigen Strafe (für die späteren Straftaten) hinzugezählt werden (Kumulation), sondern die letztere muss angemessen nach Massgabe der Zusatzstrafe erhöht und so die Gesamtstrafe gebildet werden (Asperationsprinzip). Der Richter verurteilt "zu der Strafe der schwersten Tat und erhöht deren Dauer angemessen" (Art. 68 Ziff. 1 StGB). Praktisch bedeutet dies, dass die Zusatzstrafe nicht für sich festgesetzt werden darf, sondern dass sie die angemessene Erhöhung der selbständigen Strafe nach Massgabe des im ursprünglichen Urteil nicht abgegoltenen Sühnerestes darstellt (vgl. BGE 69 IV 54 E. 4 S. 61). 
 
Die Beschwerde ist somit wegen bundesrechtswidriger Anwendung von Art. 68 StGB gutzuheissen. Auf die gerügte Verletzung von Art. 63 StGB sowie auf den nicht begründeten Antrag, den Widerruf des bedingten Strafvollzugs aufzuheben, ist daher nicht mehr einzugehen. 
3. 
Dem Beschwerdeführer sind keine Kosten aufzuerlegen. Seinem Rechtsvertreter ist eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 278 Abs. 3 BStP). 
 
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und aufschiebende Wirkung sind gegenstandslos geworden. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts von Graubünden (Strafkammer) vom 11. Januar 2005 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Diego Quinter, wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 14. Dezember 2005 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: