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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.206/2002 /sta 
 
Urteil vom 15. Mai 2002 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesrichter Nay, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Catenazzi, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin lic.iur. Susanne Ackermann Fioroni, Spittelerhof, Kasernenstrasse 22a, Postfach 569, 4410 Liestal, 
 
gegen 
 
Besonderes Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft, Rheinstrasse 12, Postfach, 4410 Liestal, 
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, Gerichtsgebäude, 4410 Liestal. 
 
Art. 9, 10, 29 und 31 BV sowie Art. 5 EMRK (Haftentlassung) 
 
(Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügungen des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, vom 3. und 9. April 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 15. März 2002 wegen Betäubungsmitteldelikten zu 4 Jahren Zuchthaus. Dieser appellierte gegen seine Verurteilung beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. 
 
Nachdem das Strafgerichts-Präsidium die Haft gegen X.________ vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung bis zum 30. März 2002 verlängert hatte, verfügte die Präsidentin des Kantonsgerichts am 3. April 2002, die Haft gegen X.________ werde ohne gegenteilige begründete Einwendungen bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung verlängert (Dispositiv-Ziff. 1); gleichzeitig setzte sie X.________ Frist an zur Einreichung der Appellationsbegründung (Dispositiv-Ziff. 2). 
 
Mit Eingabe vom 10. April [recte wohl: 5. April] 2002 beantragte X.________ unter Bezug auf die Präsidialverfügung vom 3. April 2002, es sei festzustellen, dass er sich seit dem 30. März 2002 ohne gesetzliche Grundlage in Haft befinde, weswegen er sofort zu entlassen sei. Zudem verlangte er für die Zeit vom 30. März 2002 bis zu seiner Entlassung eine angemessene Haftentschädigung. 
 
Am 9. April 2002 wies die Kantonsgerichts-Präsidentin das Haftentlassungsgesuch von X.________ ab, trat auf das Entschädigungsgesuch nicht ein und setzte ihm Frist bis zum 17. April 2002 an, um ihr mitzuteilen, ob er mit einer Haftverlängerung bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung einverstanden sei. Sie erwog, das Strafgerichts-Präsidium habe die Haft vor der Hauptverhandlung bis zum 30. März 2002 verlängert. Am 2. April 2002 sei der Fall beim Kantonsgericht eingegangen, und tags darauf habe sie die Haft bis zur Hauptverhandlung des Kantonsgerichts verlängert. X.________ verlange eine Haftentlassung aus formellen Gründen. Bei der Prüfung eines Haftentlassungsgesuches habe sie jedoch in erster Linie die materiellen Haftvoraussetzungen zu prüfen. Diese seien gegeben, weshalb das Gesuch abzuweisen sei. Für die Prüfung einer Haftentschädigung sei nach § 33 Abs. 4 der Strafprozessordnung vom 3. Juni 1999 (StPO) diejenige Behörde zuständig, welche das Verfahren abschliesse; auf das Entschädigungsgesuch sei daher zur Zeit nicht einzutreten. 
B. 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 16. April 2002 wegen Verletzung von Art. 9, Art. 10 Abs. 2, Art. 29 Abs. 2 und Art. 31 BV sowie Art. 5 EMRK beantragt X.________: 
"1. Ziff. 1 der Verfügung des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 3. April 2002 und Ziff. 1 und 2 der Verfügung des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 9. April 2002 seien aufzuheben. 
2. Es sei festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer seit 30. März 2002 ohne gesetzliche Grundlage in Haft befindet. 
3. Der Beschwerdeführer sei sofort aus der Haft zu entlassen. 
4. Die Gerichts- und Anwaltskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens seien dem Beschwerdegegner aufzuerlegen. 
5. Eventualiter sei dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege für die Gerichts- und Anwaltskosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu bewilligen." 
C. 
Die Kantonsgerichts-Präsidentin beantragt mit eingehender Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Das Besondere Untersuchungsrichteramt verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
In der Replik hält X.________ an der Beschwerde vollumfänglich fest. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die Beschwerde richtet sich sowohl gegen die Verfügung der Kantonsgerichts-Präsidentin vom 3. April als auch gegen jene vom 9. April 2002, mit welchen diese die Haft gegen den Beschwerdeführer verlängerte bzw. eine Haftentlassung verweigerte. Die beiden Verfügungen sind kantonal letztinstanzliche Endentscheide, gegen die die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer wirft der Kantonsgerichts-Präsidentin die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten vor, wozu er befugt ist (Art. 88 OG). Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b) einzutreten. 
2. 
2.1 Am 3. April 2002 bestand gegen den Beschwerdeführer, was auch die Kantonsgerichts-Präsidentin einräumt, kein gültiger Haftbefehl, da die vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom Strafgerichts-Präsidium angeordnete Haftverlängerung am 30. März 2002 abgelaufen war, ohne dass sie rechtzeitig verlängert worden wäre. Da ein abgelaufener und damit nicht mehr bestehender Haftbefehl, wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt, nicht verlängert werden kann, sondern gegebenenfalls neu angeordnet werden muss (Entscheid des Bundesgerichts 1P.230/2000 vom 8. Mai 2000, in: Pra 2000 145 849), ist zu prüfen, ob eine der angefochtenen Verfügungen für sich allein oder beide zusammen als rechtsgültige Haftanordnung gelten können. 
2.2 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 3 EMRK und von Art. 31 Abs. 3 BV
Die Garantien von Art. 5 Ziff. 3 EMRK gelten indessen für den Freiheitsentzug nach Ziff. 1 lit. c der gleichen Bestimmung, nicht aber für jenen nach Ziff. 1 lit. a und damit nicht für die Anordnung von Sicherheitshaft nach einer strafrechtlichen Verurteilung; dies selbst wenn diese, wie hier, (noch) nicht rechtskräftig ist (Frowein/Peukert, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 2.A., Kehl/ Strassburg/Arlington 1996 N. 51 zu Art. 5). Art. 31 Abs. 3 BV garantiert jeder Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, das Recht auf eine unverzügliche Anhörung durch den Haftrichter. Auch diese Verfassungsbestimmung bezieht sich indessen nach Wortlaut und Botschaft (BBl 1997 I 185) ausschliesslich auf die Anordnung von Untersuchungshaft, ist somit auf den Fall des Beschwerdeführers nicht anwendbar. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer zwar keinen verfassungs- und konventionsrechtlichen Anspruch darauf hat, vor einer Haftanordnung mündlich angehört zu werden, sondern nach Art. 29 Abs. 2 BV nur (aber immerhin) darauf, dass sie in einem kontradiktorischen Verfahren ergeht. Dies ergibt sich zudem unmittelbar auch aus § 144 Abs. 2 i.V.m. § 185 Abs. 1 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft vom 3. Juni 1999 (StPO), wonach das Kantonsgerichts-Präsidium in Haftfällen unverzüglich zu prüfen hat, ob die Haft den gesetzlichen Bestimmungen entspricht und verhältnismässig ist und in einem schriftlichen oder mündlichen kontradiktorischen Verfahren über die Aufrechterhaltung der Haft zu entscheiden hat. 
2.3 Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung vom 3. April 2002 lautet: "Ohne gegenteilige begründete Einwendungen der Appellanten bis 17. April 2002 wird die Haft bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung verlängert (peremtorische Frist)." Der Beschwerdeführer macht geltend, damit werde eine Haftverlängerung nur für den Fall angeordnet, dass er keine begründeten Einwendungen erhebe. 
 
Dies trifft zu. Abgesehen davon, dass es nicht um eine Haftverlängerung, sondern eine Haftanordnung geht, ist auch die Formulierung des Dispositivs in der Tat zumindest missverständlich. Indessen haben alle Beteiligten - insbesondere auch die Haftvollzugsbehörden, die den Beschwerdeführer nicht entliessen, - die Verfügung so verstanden, wie sie von der Kantonsgerichts-Präsidentin offensichtlich gemeint war, nämlich dass der Beschwerdeführer in Haft zu bleiben habe, bis sie nach dem allfälligen Eingang von begründeten Einwänden bis zum 17. April 2002 neu darüber befinden werde. Sie kann jedoch nicht als rechtsgültige Haftanordnung gelten, da sie nicht im vorgeschriebenen kontradiktorischen Verfahren (E. 2.2 oben) erging und damit die formellen Voraussetzungen einer solchen nicht erfüllt. 
2.4 Am 9. April 2002 wies die Kantonsgerichts-Präsidentin das auf den 10. April datierte, am 5. April bei ihr eingegangene Haftentlassungs- und Entschädigungsgesuch des Beschwerdeführers ab, soweit sie darauf eintrat. Diese Verfügung ist somit in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen, in dem sich der Beschwerdeführer zur Fortsetzung der Haft äussern konnte und dies in seinem Haftentlassungs- und Entschädigungsgesuch auch getan hat. Dass die Kantonsgerichts-Präsidentin dem Beschwerdeführer in Dispositiv-Ziffer 4 dieser Verfügung erneut Frist bis zum 17. April 2002 ansetzte, ihr mitzuteilen, ob er mit der Fortsetzung der Haft bis zur zweitinstanzlichen Hauptverhandlung einverstanden sei, ist zwar kaum nachvollziehbar, nachdem sie im gleichen Entscheid das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers abwies. Das ändert indessen nichts daran, dass die Kantonsgerichts-Präsidentin am 9. April in einem kontradiktorischen Verfahren, das den verfassungs- und konventionsrechtlichen Minimalanforderungen genügt, die Fortsetzung der Haft verfügte. Der Beschwerdeführer befindet sich somit seit diesem Datum auf Grund eines formell gültigen Haftbefehls in Sicherheitshaft. Dass diese materiell verfassungswidrig sei, macht er nicht geltend, sondern räumt im Gegenteil ein, dass die materiellen Haftgründe "gegeben sein dürften". 
 
Die Beschwerde ist daher unbegründet. Der Beschwerdeführer befand sich allerdings seit dem Ablauf der vorherigen Haftfrist am 30. März 2002, d.h. vom 31. März 2002 bis am 9. April 2002 ohne rechtsgültige Haftanordnung (E. 2.3 oben) in Haft, was aber nichts daran zu verändern vermag, dass er seither rechtmässig in Sicherheitshaft gehalten wird. 
2.5 Die Kantonsgerichts-Präsidentin ist auf das Gesuch um Haftentschädigung mangels Zuständigkeit nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer beantragt zwar auch die Aufhebung der Verfügung vom 9. April 2002 in diesem Punkt, begründet indessen in der staatsrechtlichen Beschwerde mit keinem Wort, inwiefern sie dadurch seine verfassungs- und konventionsmässigen Rechte verletzt haben könnte. Das ist auch nicht ersichtlich. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). 
3. 
Die von der Kantonsgerichts-Präsidentin am 9. April 2002 verfügte Fortsetzung der Sicherheitshaft erweist sich somit nicht als verfassungs- oder konventionswidrig, weshalb die Beschwerde im Sinne der Erwägungen abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
Damit wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Er hat jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt. Dieses ist gutzuheissen, da die Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 152 OG). Dementsprechend sind keine Kosten zu erheben, und Advokatin Susanne Ackermann Fioroni, Liestal, ist als unentgeltliche Verteidigerin einzusetzen und aus der Gerichtskasse angemessen zu entschädigen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
2.2 Advokatin Susanne Ackermann Fioroni, Liestal, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als unentgeltliche Verteidigerin eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der Gerichtskasse entschädigt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Besonderen Untersuchungsrichteramt des Kantons Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Zivil- und Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 15. Mai 2002 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: