Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_728/2023
Urteil vom 15. Mai 2024
IV. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
A.________ AG,
vertreten durch Rechtsanwalt Roger Vago,
Beschwerdeführerin,
gegen
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Direktion, Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung, TCJD, Holzikofenweg 36, 3003 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung; Rückforderung),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. September 2023 (B-2334/2022).
Sachverhalt:
A.
Die A.________ AG bezweckt gemäss Eintrag im Handelsregister Telefonmarketing, Akquisition, Inserateverwaltung sowie den Betrieb eines Verlags für Zeitschriften, Magazine und sonstige Medien. Sie bezog für ihre Mitarbeitenden während der Covid-19-Pandemie, in der Zeit von März 2020 bis September 2021, Kurzarbeitsentschädigung im Gesamtbetrag von Fr. 681'813.75 (Fr. 715'061.65 abzüglich der für September 2021 noch nicht ausbezahlten Entschädigung von Fr. 33'247.90). Nach einer Arbeitgeberkontrolle vom 20. Oktober 2021 forderte das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unrechtmässig bezogene Versicherungsleistungen von total Fr. 681'813.75 zurück (Revisionsverfügung vom 21. Dezember 2021). Daran hielt es auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 1. April 2022).
B.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Urteil vom 27. September 2023).
C.
Die A.________ AG lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Urteils seien die beantragten Leistungen ab September 2021 ordentlich auszurichten und die Sache sei zum "Neuentscheid" an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Nach Beizug der Akten verzichtet das Bundesgericht auf einen Schriftenwechsel.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ; zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die vom Beschwerdegegner am 21. Dezember 2021 verfügte und mit Einspracheentscheid vom 1. April 2022 bestätigte Rückforderung zu Unrecht an die Beschwerdeführerin ausbezahlter Kurzarbeitsentschädigung im Betrag von insgesamt Fr. 681'813.75 schützte.
3.
3.1.
3.1.1. Nach Art. 31 Abs. 1 lit. d AVIG haben Arbeitnehmer, deren normale Arbeitszeit verkürzt oder deren Arbeit ganz eingestellt ist, Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung, wenn der Arbeitsausfall voraussichtlich vorübergehend ist und erwartet werden darf, dass ihre Arbeitsplätze durch Kurzarbeit erhalten werden können. Keinen Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung haben unter anderem Arbeitnehmer, deren Arbeitsausfall nicht bestimmbar oder deren Arbeitszeit nicht ausreichend kontrollierbar ist (Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG). Art. 46b AVIV präzisiert, dass die genügende Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls eine betriebliche Arbeitszeitkontrolle voraussetzt (Abs. 1) und der Arbeitgeber die Unterlagen über die Arbeitszeitkontrolle während fünf Jahren aufzubewahren hat (Abs. 2). Damit soll sichergestellt werden, dass der Arbeitsausfall für die Durchführungsorgane der Arbeitslosenversicherung überprüfbar ist (ARV 2010 S. 303). Die Beweislast hierfür obliegt dem Arbeitgeber (Art. 47 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit Art. 42 Abs. 3 und Art. 31 Abs. 3 lit. a AVIG sowie Art. 46b AVIV; Urteil 8C_276/2019 vom 23. August 2019 E. 3.1 mit Hinweis).
3.1.2. Die Verordnung des Bundesrates über Massnahmen im Bereich der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) vom 20. März 2020 (Covid-19-Verordnung Arbeitslosenversicherung; SR 837.033; einschliesslich ihrer bisherigen Änderungen [AS 2020 877, 1075, 1201]) legt Erleichterungen in Bezug auf die Kurzarbeit fest, enthält aber für die hier zu beurteilende Problematik keine Abweichungen vom dargelegten Recht.
3.2. Unrechtmässig ausgerichtete Leistungen der Arbeitslosenversicherung können zurückgefordert werden (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 und 2 ATSG ), sofern die Voraussetzungen für ein wiedererwägungs- oder revisionsweises Zurückkommen auf die formell rechtskräftig verfügte oder formlos erfolgte Leistungszusprechung gegeben sind (Art. 53 ATSG; BGE 130 V 318 E. 5.2; 129 V 110 mit Hinweisen).
4.
Das Bundesverwaltungsgericht kam nach Sichtung der Unterlagen und Würdigung der Vorbringen zum Schluss, es gelinge der Beschwerdeführerin nicht, mit den nun angebotenen Zeugenaussagen und den Formularen "Rapport über die wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden", welche die Arbeitnehmenden seit Juli 2021 (monatlich) unterzeichnet hätten, den Nachweis des geltend gemachten Arbeitsausfalls zu erbringen. Denn zu diesem Zweck hätten die geleisteten Arbeitszeiten hinreichend detailliert und zeitgleich erfasst werden müssen. Schon aus diesem Grund könne die Arbeitszeiterfassung für den Zeitraum ab März 2020 mit den erst seit Juli 2021 erstellten Rapporten über die wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden nicht belegt werden. Im Übrigen würde aus diesen Unterlagen einzig hervorgehen, an welchem Tag pro Arbeitnehmendem in der Regel vier und vereinzelt zwei Stunden ausgefallen seien. Zudem seien darin keine Abwesenheiten wie Ferien, Feiertage oder krankheits-/unfallbedingte Absenzen aufgeführt. Damit sei die "effektiv gearbeitete Arbeitszeit" gerade nicht erfasst worden. Die Beschwerdeführerin habe keine Zusicherung der Arbeitslosenkasse belegen können, wonach die betriebliche Arbeitszeitkontrolle umfassend geprüft und als genügend beurteilt worden wäre. Folglich könne sie sich auch nicht mit Erfolg auf den Vertrauensschutz nach Art. 9 BV berufen. Die Leistungszusprache erweise sich als unrichtig, weshalb die Rückforderung der unrechtmässig bezogenen Leistungen nicht zu beanstanden sei.
5.
5.1. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, sie sei in regem Austausch mit der Fachstelle der Arbeitslosenkasse gestanden und diese habe ihr mündlich zugesichert, dass die eingereichten Arbeitszeitkontrollen den Anforderungen genügen würden. Die gegenteiligen Feststellungen der Vorinstanz seien aktenwidrig und offensichtlich unrichtig. Auch der "Beispielsrapport" vom Februar 2022 sei in ausdrücklicher Absprache mit der Fachperson des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau in dieser Art und Weise erstellt worden und die übrigen Rapporte habe die Beschwerdeführerin, ebenfalls nach Rücksprache, von den Mitarbeitenden unterschreiben lassen. Die zuständige Fachperson sei benannt und deren Befragung als Beweisofferte angeboten worden. Der Vertrauensschutz beruhe demzufolge entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf der vorbehaltlosen Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigungen, sondern auf konkreten Angaben der kantonalen Arbeitslosenkasse, wonach die betriebliche Arbeitszeitkontrolle den Anforderungen nach AVIG genügen würden. Damit sei das bei der Beschwerdeführerin erweckte Vertrauen zu schützen, dass sie eine korrekte, ausreichende Arbeitszeitkontrolle führe und somit Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung habe.
5.2. Mit diesen Rügen gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, das vorinstanzliche Ergebnis in Frage zu stellen. Sie lässt bei ihren Einwendungen ausser Acht, dass es nicht Sache der Arbeitslosenkasse ist, die Leistungsberechtigung vor der Auszahlung umfassend zu prüfen (vgl. Urteil 8C_469/2011 vom 29. Dezember 2011 E. 6.2.1.2). Eine solche Prüfung hat hier erst anlässlich der Arbeitgeberkontrolle vom 20. Oktober 2021 stattgefunden. Die geltend gemachten, allesamt unbewiesen gebliebenen mündlichen Ab- und Rücksprachen mit der "zuständigen Fachperson" betrafen lediglich die Bereitstellung der notwendigen Unterlagen, damit die Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt werden konnte. Wie bereits im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt, vermag der Umstand, dass die Arbeitslosenkasse nach dieser summarischen Prüfung vorbehaltlos Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt hat, keinen Vertrauensschutz auszulösen (Urteil 8C_681/2021 vom 23. Februar 2022 E. 3.6). Auf die verlangte Befragung von Verwaltungsmitarbeitenden konnte das Bundesverwaltungsgericht ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs verzichten (antizipierende Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; 136 I 229 E. 5.3). Die Beschwerdeführerin lässt nämlich bei ihrer Argumentation ausser Acht, dass sich die Rechtmässigkeit der bezogenen Leistungen regelmässig einzig anhand von detaillierten betrieblichen Unterlagen, namentlich auf Grund eines hinreichenden Zeiterfassungssystems im Sinne des Erfordernisses der täglich fortlaufenden Aufzeichnung feststellen lässt. Deshalb werden die Arbeitgeberkontrollen gemäss Art. 83a Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art. 110 Abs. 4 AVIV vor Ort bei den Arbeitgebern durchgeführt, was die Möglichkeit eröffnet, die vorgelegte Arbeitszeiterfassung anhand von anderen bei der Kontrolle aufgefundenen betrieblichen Unterlagen abzugleichen und auf ihre Korrektheit zu prüfen (Urteil 8C_306/2023 vom 7. März 2024 E. 5.1.2, zur Publikation vorgesehen). Die im vorliegenden Fall fehlende täglich fortlaufende Aufzeichnung der Arbeitszeit kann weder durch den Hinweis der Beschwerdeführerin auf im Betrieb geltende fixe Blockzeiten, die vorliegend eingehalten, bzw. infolge der fixen Arbeitszeiten immer im gleichen Ausmass linear reduziert worden seien, noch durch die nachträglichen Unterschriften der Mitarbeitenden auf den monatlichen Rapporten über die wirtschaftlich bedingten Ausfallstunden ersetzt werden.
6.
Indem die Vorinstanz zusammenfassend erkannte, dass es wegen ungenügender Kontrollierbarkeit des Arbeitsausfalls an einer materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzung für den Bezug der umstrittenen Kurzarbeitsentschädigung fehle, stellte sie weder den Sachverhalt willkürlich fest, noch verletzte sie sonstwie Bundesrecht. Die Leistungszusprache war insoweit unrichtig und die Rückforderungsvoraussetzungen (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG) sind erfüllt.
7.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. Mai 2024
Im Namen der IV. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz