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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_315/2023, 7B_316/2023  
 
 
Urteil vom 15. August 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Angela Agostino-Passerini, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Rechtsanwalt Christoph Vettiger, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung Besondere Delikte, Rheinstrasse 27, Postfach, 4410 Liestal. 
 
Gegenstand 
Wechsel der amtlichen Verteidigung, 
 
Beschwerden gegen die Verfügungen des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 14. Juni 2023 und 20. März 2023. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Strafgericht Basel-Landschaft sprach A.________ mit Urteil vom 22. Juni 2022 der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (BetmG; SR 812.121) schuldig, verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und verwies ihn für die Dauer von acht Jahren des Landes. Am 25. Januar 2023 erklärte A.________, vertreten durch seinen amtlichen Verteidiger, Rechtsanwalt Christoph Vettiger, Berufung gegen dieses Urteil beim Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, und ersuchte um Bewilligung der amtlichen Verteidigung für das Berufungsverfahren. 
 
B.  
 
B.a. Mit Eingabe vom 31. Januar 2023 teilte Advokatin Angela Agostino-Passerini dem Kantonsgericht mit, sie sei von A.________ mit der Wahrung seiner Interessen betraut worden. Dieser habe das Vertrauen in seinen bisherigen amtlichen Verteidiger, Rechtsanwalt Vettiger, verloren und ersuche deshalb um Wechsel der amtlichen Verteidigung und ihre Einsetzung als seine amtliche Verteidigerin für das Berufungsverfahren. Das Kantonsgericht wies das Gesuch um Wechsel der amtlichen Verteidigung mit Verfügung vom 20. März 2023 ab.  
 
B.b. Mit Eingabe vom 13. Juni 2023 ersuchte A.________ das Kantonsgericht erneut um Wechsel der amtlichen Verteidigung, eventualiter Sistierung des amtlichen Mandats. Das Kantonsgericht wies den Antrag, es sei Rechtsanwalt Vettiger aus dem amtlichen Mandat zu entlassen und Advokatin Agostino-Passerini als amtliche Verteidigerin einzusetzen, mit Verfügung vom 14. Juni 2023 erneut ab. Den Eventualantrag, es sei das amtliche Mandat von Rechtsanwalt Vettiger per sofort zu sistieren, wies es ebenfalls ab.  
 
C.  
A.________ erhob sowohl gegen die Verfügung vom 20. März 2023 (Verfahren 7B_316/2023) als auch gegen die Verfügung vom 13. Juni 2023 (Verfahren 7B_315/2023) Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Im Verfahren 7B_316/2023 beantragt er, es sei die Verfügung vom 20. März 2023 aufzuheben und Advokatin Agostino-Passerini als seine amtliche Verteidigerin im Berufungsverfahren per 31. Januar 2023 einzusetzen. Im Verfahren 7B_315/2023 beantragt er, es sei die Verfügung vom 14. Juni 2023 aufzuheben, der amtliche Verteidiger, Rechtsanwalt Vettiger, aus seinem Mandat zu entlassen und Advokatin Agostino-Passerini als amtliche Verteidigerin für das Berufungsverfahren einzusetzen, "allerspätestens per 12. Juni 2023". Eventualiter sei das amtliche Mandat von Rechtsanwalt Vettiger zu sistieren. Subeventualiter sei festzustellen, dass Advokatin Agostino-Passerini seine Hauptverteidigerin im Berufungsverfahren sei, und es sei der amtliche Verteidiger anzuweisen, künftige Eingaben ohne sein ausdrückliches Einverständnis respektive das Einverständnis der Hauptverteidigerin zu unterlassen. "Sub-sub-eventualiter" sei die Angelegenheit zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt A.________, die Verfahren seien zu vereinigen und es sei per sofort die Sistierung des amtlichen Mandats anzuordnen. Eventualiter sei der amtliche Verteidiger anzuweisen, "keine weiteren, nicht abgesprochenen Eingaben im Berufungsverfahren einzureichen". 
Die Vorinstanz beantragt, beide Beschwerden abzuweisen. Sie hat dem Bundesgericht im Verfahren 7B_315/2023 zudem zwei Verfügungen betreffend das Berufungsverfahren zur Kenntnisnahme zukommen lassen. Rechtsanwalt Vettiger beantragt, auf die Beschwerden sei nicht einzutreten, eventualiter seien sie abzuweisen. A.________ hat in beiden Verfahren repliziert. Rechtsanwalt Vettiger hat im Verfahren 7B_316/2023 dupliziert. 
Das Gesuch von A.________ um Erlass vorsorglicher Massnahmen im Verfahren 7B_315/2023 wurde mit Verfügung des Präsidenten der II. strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts vom 24. August 2023 abgewiesen. 
 
D.  
Mit Eingabe vom 13. November 2023 teilte Rechtsanwalt Vettiger dem Bundesgericht mit, A.________ habe an der Berufungsverhandlung erklärt, er wolle durch Advokatin Agostino-Passerini als Privatverteidigerin verteidigt werden. Daraufhin sei sein Mandat als amtlicher Verteidiger per sofort aufgehoben worden. Das Rechtsschutzinteresse von A.________ in den vorliegenden Beschwerdeverfahren sei damit entfallen. 
Das Bundesgericht lud die Verfahrensbeteiligten zur Stellungnahme ein. A.________ hielt an seinen beiden Beschwerden fest. Nachdem die Vorinstanz dem Bundesgericht mitgeteilt hatte, dass sie mit Urteil vom 17. November 2023 über die Berufung entschieden habe und das Urteil zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsen sei, lud das Bundesgericht die Verfahrensbeteiligten erneut zur Vernehmlassung ein. Rechtsanwalt Vettiger nahm hierauf mit Eingabe vom 17. Juni 2024 Stellung. Die Staatsanwaltschaft hat auf Stellungnahme verzichtet. Die übrigen Verfahrensbeteiligten haben sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht vereinigt mehrere Verfahren, wenn sie in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen, namentlich, wenn sie auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen und wenn sie gleiche Parteien sowie ähnliche oder gleiche Rechtsfragen betreffen (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 lit. b BZP [SR 273]; BGE 133 IV 215 E. 1; 126 V 283 E. 1). Vorliegend richten sich die beiden Beschwerden gegen Entscheide, mit denen Gesuche um Wechsel der amtlichen Verteidigung in einem Berufungsverfahren abgewiesen wurden. Sie betreffen dieselbe amtliche Verteidigung und werfen die gleichen rechtlichen Fragen auf. Die Verfahren 7B_315/2023 und 7B_316/2023 sind deshalb antragsgemäss zu vereinigen. 
 
2.  
Die Beschwerde in Strafsachen setzt ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids voraus (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Dieses muss aktuell und praktisch sein. Mit diesem Erfordernis soll sichergestellt werden, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet (BGE 144 IV 81 E. 2.3.1; 140 IV 74 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Fällt das schutzwürdige Interesse im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache grundsätzlich als erledigt erklärt (Urteil 7B_317/2023 vom 21. September 2023 E. 2 mit Hinweis). Das Bundesgericht berücksichtigt Tatsachen, welche zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens führen, unabhängig vom Zeitpunkt ihres Eintretens und von Amtes wegen (Urteil 7B_717/2023 vom 1. März 2024 E. 1.2 mit Hinweisen). 
 
3.  
Das Kantonsgericht hat am 17. November 2023 das Berufungsurteil gefällt. Da dieses unangefochten geblieben ist und das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer somit rechtskräftig abgeschlossen wurde, verfügt dieser über kein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der Behandlung seiner beiden verfahrensgegenständlichen Beschwerden betreffend Wechsel der amtlichen Verteidigung mehr. Das gilt auch hinsichtlich der finanziellen Folgen eines Verteidigerwechsels, nachdem das Kantonsgericht abschliessend entschieden hat, Rechtsanwalt Vettiger als amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers mit Fr. 6'500.-- zu entschädigen, Advokatin Agostino-Passerini als Wahlverteidigerin eine reduzierte Entschädigung von Fr. 215.40 auszurichten und deren Dolmetscherkosten von Fr. 665.-- zu ersetzen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers besteht kein Grund, vom Erfordernis der Aktualität des Interesses abzusehen. Demzufolge ist das bundesgerichtliche Verfahren als gegenstandslos abzuschreiben (Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72 BZP). Dies geschieht im ordentlichen Verfahren in der Besetzung nach Art. 20 Abs. 1 BGG, zumal Art. 32 Abs. 2 BGG lediglich eine Befugnis des Instruktionsrichters oder der Instruktionsrichterin statuiert, als Einzelrichter bzw. Einzelrichterin über die Abschreibung von Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit zu entscheiden (siehe FLORENCE AUBRY GIRARDIN, in: Commentaire de la LTF, 3. Aufl. 2022, N. 13 zu Art. 32 BGG mit Hinweisen).  
 
4.  
 
4.1. Bei Gegenstandslosigkeit des Verfahrens entscheidet das Bundesgericht mit summarischer Begründung über die Prozesskosten aufgrund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes (Art. 71 BGG in Verbindung mit Art. 72 BZP). In erster Linie ist somit auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen. Dabei geht es nicht darum, die Prozessaussichten im Einzelfall zu prüfen und dadurch weitere Umtriebe zu verursachen. Auf dem Weg über den Kostenentscheid soll nicht ein materielles Urteil gefällt und unter Umständen der Entscheid in einer heiklen Rechtsfrage präjudiziert werden (BGE 142 V 551 E. 8.2; Urteil 7B_317/2023 vom 21. September 2023 E. 4 mit Hinweis). Lässt sich der mutmassliche Ausgang eines Verfahrens im konkreten Fall nicht ohne Weiteres feststellen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts auf allgemeine zivilprozessrechtliche Kriterien zurückzugreifen. Danach wird in erster Linie jene Partei kosten- und entschädigungspflichtig, die das gegenstandslos gewordene Verfahren veranlasst hat oder bei der die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens geführt haben (Urteil 7B_317/2023 vom 21. September 2023 E. 4; Verfügung 1B_290/2022 vom 23. November 2022 E. 3; je mit Hinweisen).  
 
4.2. Vorliegend lässt sich der mutmassliche Ausgang des Verfahrens nicht mit Sicherheit abschätzen. Aus dem Berufungsurteil vom 17. November 2023 geht aber hervor, dass die Vorinstanz Rechtsanwalt Vettiger zu Beginn der Berufungsverhandlung aus seinem amtlichen Mandat entlassen hat, nachdem Wahlverteidigerin Angela Agostino-Passerini zu Protokoll gegeben hatte, dass sie die notwendige Verteidigung bis am Schluss der Berufungsverhandlung wahrnehmen werde. Damit hat der Beschwerdeführer insoweit erreicht, was er mit seinen Anträgen erreichen wollte, und die Vorinstanz hat die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens verursacht.  
Für das bundesgerichtliche Verfahren sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Beschwerdeführer aber die durch die beiden Beschwerdeverfahren verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da der Beschwerdeführer um unentgeltliche Rechtspflege ersucht, ist die Entschädigung praxisgemäss seiner Rechtsvertreterin zuzusprechen. Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird damit gegenstandslos. Rechtsanwalt Vettiger ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 BGG; BGE 133 III 439 E. 4). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Verfahren 7B_315/2023 und 7B_316/2023 werden vereinigt. 
 
2.  
Die Verfahren 7B_315/2023 und 7B_316/2023 werden als gegenstandslos abgeschrieben. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Der Kanton Basel-Landschaft hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers, Advokatin Angela Agostino-Passerini, für die beiden Verfahren vor Bundesgericht mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
5.  
Diese Verfügung wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. August 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern