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Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 488/00 
 
Urteil vom 15. September 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Bucher 
 
Parteien 
R.________, 1974, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Rechtsdienst für Behinderte, Schützenweg 10, 3014 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, Bern 
 
(Entscheid vom 20. Juni 2000) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1974 geborene R.________ ist infolge eines Geburtsgebrechens hochgradig sehbehindert. Nach der Matura sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 6. Februar 1996 für die Zeit vom 3. Januar 1996 bis Oktober 2000 berufliche Massnahmen in Form einer erstmaligen beruflichen Ausbildung zur Physiotherapeutin, bestehend aus einem zum Aufnahmeverfahren gehörenden Vorpraktikum (Januar bis Juni 1996) und einer 4jährigen Ausbildung an der Schule für Physiotherapie am Spital X.________ (ab Oktober 1996), zu. Da sie nach dem Praktikum von dieser Schule nicht aufgenommen wurde, wurde die Verfügung vom 6. Februar 1996 in Bezug auf die vierjährige Schulausbildung aufgehoben (Verfügung vom 15. Oktober 1997). Eine geplante 4jährige Ausbildung an der Homöopathieschule Y.________ mit Beginn im August 1997 kam wegen der Sehbehinderung nicht zustande. Im August 1997 trat die Versicherte im Hinblick auf ein Heilpädagogik-Studium an der Universität A.________ ein Vorpraktikum für schulische Heilpädagogik im Schulheim Z.________ an, welches sie im Dezember 1997 abbrach, um im März 1998 eine dreijährige Ausbildung in Homöopathie an der Akademie für Naturheilkunde B.________ zu beginnen, die sie ebenfalls abbrach. Am 29. Juni 1998 nahm die Versicherte an der Schule für Gesundheitsförderung C.________ eine zweijährige Vollzeitausbildung zur medizinischen Masseurin auf. Die IV-Stelle Bern sprach ihr für diese erstmalige berufliche Ausbildung für die Zeit vom 29. Juni 1998 bis zum 28. Juni 2000 berufliche Massnahmen zu (Verfügung vom 7. Mai 1999). Diese einen Anspruch auf Leistungen für die erstmalige berufliche Ausbildung im Grundsatz bejahende Verfügung ergänzte die Verwaltung nebst verschiedenen Taggeldverfügungen durch eine Verfügung vom 10. Mai 1999, mit welcher sie für die erwähnte Ausbildung die Kosten für drei Stunden Stützunterricht pro Woche übernahm. Mit Verfügung vom 6. Oktober 1999 lehnte sie es indessen ab, für das Schulgeld sowie die Unterkunfts-, Verpflegungs- und Transportkosten aufzukommen. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 20. Juni 2000 ab. 
C. 
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid und die Verwaltungsverfügung vom 6. Oktober 1999 seien aufzuheben und die IV-Stelle sei zur Vergütung der Kosten für die Ausbildung zur medizinischen Masseurin an der Schule C.________ zu verpflichten. 
 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
D. 
Das Eidgenössische Versicherungsgericht holte am 8. Mai 2003 bei der Schule für Physiotherapie am Spital X.________ eine schriftliche Auskunft zu den Gründen der Nichtaufnahme von R.________ durch diese Lehranstalt ein. Zur Antwort der Schule vom 16. Mai 2003 nahm die Rechtsvertreterin der Versicherten am 5. September 2003 Stellung, während sich die IV-Stelle dazu nicht vernehmen liess. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen über die erstmalige berufliche Ausbildung (Art. 16 Abs. 1 IVG, Art. 5 IVV) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Invalidenversicherung der Beschwerdeführerin über den Stützunterricht hinaus weitere Kosten, soweit Gegenstand der angefochtenen Verfügung (Schulgeld, Unterkunfts-, Verpflegungs- und Transportkosten), der Ausbildung zur medizinischen Masseurin an der Schule C.________ zu ersetzen hat. 
3. 
3.1 Die Vorinstanz, die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung vertreten die Auffassung, die Frage der behinderungsbedingten Mehrkosten der erstmaligen beruflichen Ausbildung sei aufgrund eines Vergleichs der der Versicherten für die Ausbildung an der Schule C.________ zur medizinischen Masseurin entstehenden Kosten mit dem einer nichtbehinderten Person für die gleiche Ausbildung bzw. für die Erreichung des gleichen beruflichen Ziels erwachsenden Aufwand zu beantworten. 
Demgegenüber lässt die Beschwerdeführerin vorbringen, als Vergleichsbasis müsse die Ausbildung zur Physiotherapeutin an der Schule für Physiotherapie am Spital X.________ betrachtet werden. Zur Begründung wird angeführt, ohne die Sehbehinderung wäre sie dank des guten Vorpraktikums vermutlich in diese Schule aufgenommen worden. Zwar habe Letztere am 9. März 1999 gegenüber der IV-Stelle erklärt, die Versicherte sei nicht aufgenommen worden, weil sie das zum Aufnahmeverfahren gehörende Praktikum nicht bestanden habe. Im Praktikumsbericht vom 5. August 1996 fänden sich indessen ausschliesslich gute bis vorzügliche Qualifikationen. Nachdem die Beschwerdeführerin ausserdem bereits vor dem Praktikum die Aufnahmeprüfung bestanden habe, sei der negative Aufnahmeentscheid doch sehr unerklärlich, weshalb sich die Vermutung aufdränge, dieser habe mit der Sehbehinderung im Zusammenhang gestanden. Jedenfalls hätte sich die Versicherte ohne Beeinträchtigung des Sehvermögens mit guten Erfolgsaussichten bei anderen Physiotherapieschulen um eine Aufnahme bewerben können. Ohne Gesundheitsschaden wäre sie bei der erstmaligen beruflichen Ausbildung keinesfalls gezwungen gewesen, eine private Schule mit entsprechenden Kostenfolgen zu besuchen. Sie habe aus invaliditätsbedingten Gründen ihre erstmalige berufliche Ausbildung an der Schule C.________ absolviert; es habe ihr invaliditätsbedingt gar keine kostengünstigere erstmalige berufliche Ausbildung offen gestanden. 
3.2 Die zusätzlichen Kosten werden grundsätzlich ermittelt, indem die Kosten der Ausbildung der invaliden Person den mutmasslichen Aufwendungen gegenübergestellt werden, die bei der Ausbildung einer gesunden Person zur Erreichung des gleichen beruflichen Zieles notwendig wären (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 IVV). Nur wenn die versicherte Person vor Eintritt der Invalidität schon eine Ausbildung begonnen hatte oder wenn sie ohne Invalidität offensichtlich eine weniger kostspielige Ausbildung erhalten hätte, bilden die Kosten dieser (begonnenen oder hypothetischen) Ausbildung die Vergleichsgrundlage für die Berechnung der invaliditätsbedingten zusätzlichen Aufwendungen (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 IVV). Die Versicherte ist seit Geburt stark sehbehindert, sodass die Ausnahme der vor Eintritt der Invalidität begonnenen Ausbildung von vornherein ausser Betracht fällt. Es fragt sich indessen, ob die Beschwerdeführerin ohne Invalidität offensichtlich eine weniger kostspielige Ausbildung erhalten hätte. Die Erfüllung dieses zweiten Ausnahmetatbestandes setzt voraus, dass die gewählte Ausbildung invaliditätsbedingt ist (BGE 106 V 168; EVGE 1968 S. 204 Erw. 2, 1967 S. 38 Erw. 2; ZAK 1966 S. 573 Erw. 2). Dabei muss wegen des Erfordernisses der Offensichtlichkeit stringent bewiesen sein, dass die Versicherte ohne Invalidität eine weniger kostspielige Ausbildung genossen hätte (Ulrich Meyer-Blaser, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 176). 
3.3 Die Ausbildung zur Physiotherapeutin an der Schule für Physiotherapie am Spital X.________ kann nach dem Gesagten nur dann als Vergleichsbasis herangezogen werden, wenn offensichtlich ist, dass die Versicherte ohne Invalidität diesen oder einen gleichartigen Lehrgang an einer öffentlichen Schule absolviert hätte, dass mit anderen Worten die Ausbildung zur Physiotherapeutin wegen der Behinderung nicht zustande kam. 
3.3.1 In Anbetracht der beruflichen Interessen der Beschwerdeführerin ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese auch als Gesunde hätte Physiotherapeutin werden wollen. In einer schriftlichen Auskunft vom 9. März 1999 erklärte die Schule für Physiotherapie am Spital X.________, die Versicherte sei nicht zur Ausbildung zugelassen worden, weil sie das Praktikum nicht bestanden habe. Demgegenüber führt die Beschwerdeführerin, die auf die positiv lautende Praktikumsbeurteilung hinweist, aus, sie sei wegen einer Änderung der Aufnahmebedingungen während des Praktikums trotz des positiven Praktikumsbesuchs überraschend nicht zugelassen worden. Dabei stelle sich die Frage, ob der negative Entscheid der Schule mit der invaliditätsbedingten Beeinträchtigung in Zusammenhang stehe, bzw. es dränge sich die Vermutung auf, der Entscheid der Lehranstalt hänge mit der Sehbehinderung zusammen. Auf Rückfrage des Eidgenössischen Versicherungsgerichts hin erklärte die Leiterin der Schule für Physiotherapie am 16. Mai 2003, sie könne die Frage nach den Gründen für die Nichtaufnahme nicht beantworten, weil die Schule nicht mehr im Besitz von Unterlagen über die Versicherte sei. Aufgrund der Weisungen des kantonalen Datenschutzbeauftragten würden alle persönlichen Dokumente bei Nichtaufnahme den Bewerberinnen und Bewerbern zurückgesandt. Wenn Akten im Hinblick auf eine allfällige Nachfrage zurückbehalten würden, müssten diese spätestens nach einem Jahr vernichtet werden. 
3.3.2 Bei dieser Beweislage müssen die Gründe für die Nichtaufnahme der Beschwerdeführerin durch die ein spezielles Förderprogramm für Sehbehinderte anbietende Schule für Physiotherapie am Spital X.________ als unbekannt bezeichnet werden. Blosse Vermutungen erlauben nicht den Schluss, die Ausbildung zur Physiotherapeutin sei wegen der Behinderung nicht zustande gekommen. Da die Gründe für die Nichtzulassung zur gewünschten Ausbildung nicht bekannt sind, kann auch nicht davon ausgegangen werden, die Versicherte hätte sich als Gesunde offensichtlich an einer anderen Schule zur Physiotherapeutin ausbilden lassen können. Auch wenn im von der Versicherten gewünschten medizinischen Bereich einzig noch eine Ausbildung zur medizinischen Masseurin in Frage kam, steht unter diesen Umständen nicht mit dem erforderlichen Beweisgrad (Erw. 3.2 hievor) fest, dass die Wahl dieses Lehrgangs an der privaten Schule C.________ (allein [ZAK 1966 S. 574 oben; vgl. auch BGE 106 V 168]) invaliditätsbedingt ist und die Versicherte ohne die Sehbehinderung offensichtlich eine weniger kostspielige Ausbildung (an einer öffentlichen Schule) genossen hätte. Mangels Erfüllung eines Ausnahmetatbestandes haben Verwaltung und Vorinstanz demnach zu Recht die Regel angewandt, nach der die Vergleichsbasis in den Aufwendungen besteht, die bei der Ausbildung einer gesunden Person zur Erreichung des schliesslich gewählten beruflichen Zieles der medizinischen Masseurin notwendig wären. 
4. 
Laut Prospekt der Schule C.________ hat diese 1997 als erste Massageschule der Schweiz in Zusammenarbeit mit dem SRK mit der Curriculums-Entwicklung für die Ausbildung in medizinischer Massage nach den am 1. März 1997 in Kraft gesetzten Ausbildungsbestimmungen des SRK für den neuen Beruf des medizinischen Masseurs/der medizinischen Masseurin begonnen. In einem Bericht des IV-Berufsberaters vom 22. Dezember 1998 wird bemerkt, die Schule C.________ habe in den letzten Tagen als erste Ausbildungsstätte in der Schweiz die definitive Anerkennung des SRK für die Ausbildung medizinischer Masseure erhalten. In einem Verlaufsbericht der IV-Stelle Bern vom 6. Januar 1999 wird festgehalten, die von der Versicherten gewählte Ausbildung sei auch für Gesunde nur an dieser Schule möglich. Die Beschwerdeführerin selbst führt aus, nachdem die Schule C.________ die SRK-Anerkennung erhalten habe, habe sie sich nach Absprache mit dem IV-Berufsberater entschlossen, an dieser Schule die Ausbildung als medizinische Masseurin aufzunehmen. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass im damaligen Zeitpunkt wegen des fortgeschrittenen SRK-Anerkennungsverfahrens auch eine gesunde Person mit dem Berufsziel der medizinischen Massage die private Schule C.________ gewählt hätte. Nichtbehinderte Absolventinnen und Absolventen haben dort das gleiche Schulgeld (Fr. 24'100.- einschliesslich Prüfungsgebühren) zu bezahlen wie die Versicherte, und es erwachsen ihnen ebenso wie dieser Unterhalts-, Verpflegungs- und Transportkosten. Die Feststellung von Vorinstanz und Verwaltung, ein Vergleich mit dem einer gesunden Person im Hinblick auf das gleiche Ausbildungsziel entstehenden Aufwand ergebe bezüglich der von der streitigen Verwaltungsverfügung betroffenen Belange keine invaliditätsbedingten Mehrkosten, ist somit nicht zu beanstanden. 
5. 
Auch die übrigen beschwerdeführerischen Einwendungen vermögen am vorinstanzlichen Ergebnis nichts zu ändern. Daraus, dass die Organe der Invalidenversicherung bereit gewesen wären, die wesentlich teurere Ausbildung an der Schule für Physiotherapie am Spital X.________ (während 6 Semestern zusätzliche Schulungskosten für Sehbehinderte von Fr. 7'800.- pro Semester) zu finanzieren, lässt sich nichts zugunsten der Beschwerdeführerin ableiten. Massgebend sind nämlich die behinderungsbedingten Mehrkosten der konkret absolvierten Ausbildung, und eine Berufung auf die Austauschbefugnis scheitert jedenfalls daran, dass es nach dem unfreiwilligen Nichtzustandekommen der Ausbildung zur Physiotherapeutin diesbezüglich an einem substitutionsfähigen Anspruch (vgl. BGE 127 V 123 Erw. 2a) fehlt. Auch das Argument, die Invalidenversicherung hätte aufgrund der Beeinträchtigung in jedem Fall eine von der Akademie für Naturheilkunde B.________ angebotene viel teurere Ausbildung zur medizinischen Masseurin an einer speziellen Ausbildungsstätte für stark Sehbehinderte finanzieren müssen, ist unbehelflich. Denn auch bei einer Ausbildung an dieser Einrichtung wären nicht die gesamten Kosten, sondern nur die behinderungsbedingten Mehrkosten im Vergleich zum gesunden Auszubildenden entstehenden Aufwand übernommen worden. Auch diesfalls hätte die Versicherte für die auch gesunden Auszubildenden erwachsenden Kosten selbst aufkommen müssen, und es wären zwar der Invalidenversicherung Mehr-, der Beschwerdeführerin aber keine Minderkosten entstanden. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 15. September 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: 
i.V.