Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_375/2024
Urteil vom 15. November 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichterin Moser-Szeless, Bundesrichter Beusch,
Gerichtsschreiber Nabold.
Verfahrensbeteiligte
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
Universität Zürich, Finanzabteilung, Künstlergasse 17, 8001 Zürich, vertreten durch T+R AG, Daniel Leuenberger, Susanne Gantenbein, Rechtsanwältin,
Beschwerdegegnerin,
A.________ AG,
Gegenstand
Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2012-2017,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2024 (A-3038/2022).
Sachverhalt:
A.
Die Universität Zürich ist seit dem 1. Januar 1995 bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen. Aufgrund einer ab September 2018 durchgeführten Mehrwertsteuerkontrolle kam die ESTV zum Schluss, dass diverse steuerbare Umsätze aus dem Universitätsbetrieb nicht korrekt abgerechnet worden seien. Dies führte zu einer Steuerkorrektur zu Gunsten der ESTV von Fr. 799'0871.- für das Jahr 2012 und von Fr 4'353'510.- für die Jahre 2013 bis 2017. Die Steuerpflichtige bestritt diese Korrekturen soweit sie die Punkte "Verkehrsmedizinische Gutachten", "Forschungsleistungen i.S. B.________ AG und C.________" und "Umsätze aus privaten Tätigkeiten D.________" betrafen, ausmachend einen Betrag von Fr. 445'234.15 für das Jahr 2012 und Fr. 2'474'456.80 für die Jahre 2013 bis 2017. Die ESTV hielt daraufhin mit Verfügungen vom 18. Februar 2021 und Einspracheentscheid vom 7. Juni 2022 an den Korrekturen fest.
B.
Die von der Universität Zürich hiergegen erhobene Beschwerde hiess das Bundesverwaltungsgericht nach Beiladung der A.________ AG als ehemalige Vertreterin der Universität mit Urteil vom 22. Mai 2024 teilweise - im Umfang von Fr. 2'583'353.80 - im Sinne der Erwägungen gut. Es stellte namentlich fest, dass die Nachforderungen für die Jahre 2012 und 2013 zwischenzeitlich wegen Ablaufs der absoluten Frist verjährt seien. Weiter habe sich die Universität Zürich bezüglich des Punkts "Verkehrsmedizinische Gutachten" auf eine unrichtige Auskunft der ESTV verlassen dürfen, weshalb sie diesbezüglich keine Nachzahlungen schulde. Betreffend der Punkte "Forschungsleistungen i.S. B.________ AG und C.________" und "Umsätze aus privaten Tätigkeiten D.________" für die Jahre 2014 bis 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die ESTV, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei insofern aufzuheben, als es die Beschwerde für die Jahre 2014 bis 2017 guthiess.
Die Universität Zürich und die A.________ AG beantragen die Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 83 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG ). Die ESTV ist nach Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 141 MWSTV (SR 641.201) zur Beschwerde legitimiert und hat ihre Beschwerde frist- und formgerecht (Art. 100 Abs. 1 und Art. 42 BGG ) eingereicht. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG ).
3.
Verfahrensgegenstand bildete ursprünglich eine Steuernachforderung für die Jahre 2012 bis 2017. Dabei steht fest und ist unbestritten, dass die Nachforderung für die Jahre 2012 und 2013 zwischenzeitlich verjährt ist. Im Weiteren ist die mehrwertsteuerrechtliche Behandlung der Punkte "Forschungsleistungen i.S. B.________ AG und C.________" und "Umsätze aus privaten Tätigkeiten D.________" letztinstanzlich nicht mehr streitig. Streitig und zu prüfen ist einzig noch, ob das Bundesverwaltungsgericht Recht im Sinne von Art. 95 BGG verletzte, als es eine Steuernachforderung gegenüber der Beschwerdegegnerin für die "Verkehrsmedizinischen Gutachten" in den Jahren 2014 bis 2017 verneinte.
4.
4.1. Der Mehrwertsteuer (Inlandsteuer) unterliegen nach Art. 18 Abs. 1 MWSTG (SR 641.20) die im Inland durch steuerpflichtige Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen; sie sind steuerbar, soweit das Gesetz keine Ausnahme vorsieht. Von der Steuer ausgenommen sind nach Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG unter anderem die von Ärzten und Ärztinnen, Zahnärzten und Zahnärztinnen, Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, Chiropraktoren und Chiropraktorinnen, Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Naturärzten und Naturärztinnen, Entbindungspflegern und Hebammen, Pflegefachmännern und Pflegefachfrauen oder Angehörigen ähnlicher Heil- und Pflegeberufe erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, soweit die Leistungserbringer und Leistungserbringerinnen über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen; der Bundesrat bestimmt die Einzelheiten.
4.2. Als Heilbehandlungen im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Ziff. 3 MWSTG gelten gemäss Art. 34 Abs. 1 MWSTV die Feststellung und Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und anderen Störungen der körperlichen und seelischen Gesundheit des Menschen sowie Tätigkeiten, die der Vorbeugung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen des Menschen dienen. Nicht als Heilbehandlungen gelten nach Art. 34 Abs. 3 lit. b MWSTV unter anderem die zur Erstellung eines Gutachtens vorgenommenen Untersuchungen, die nicht mit einer konkreten Behandlung der untersuchten Person im Zusammenhang stehen, ausser in Fällen nach Art. 34 Abs. 2 lit. c MWSTV. Dieser Buchtstaben bestimmt, dass den Heilbehandlungen gleichgestellt sind die Lieferungen und Dienstleistungen eines Arztes, einer Ärztin, eines Zahnarztes oder einer Zahnärztin für die Erstellung eines medizinischen Berichts oder Gutachtens zur Abklärung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche.
5.
Nach dem in Art. 9 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben kann eine unrichtige Auskunft, welche eine Behörde dem Bürger erteilt, unter gewissen Umständen Rechtswirkungen entfalten. Voraussetzung (vgl. dazu BGE 150 I 1 mit Hinweisen) dafür ist, dass:
a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt;
b) die Auskunft sich auf eine konkrete, den Bürger berührende Angelegenheit bezieht;
c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, hiefür zuständig war oder der Bürger sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte;
d) der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können;
e) der Bürger im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat;
f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung;
6.
6.1. Die beschwerdeführende Steuerverwaltung stellt sich auf den Standpunkt, die von der Beschwerdegegnerin erstellten Fahreignungsgutachten würden der Inlandsteuer unterliegen, da sie nicht in Zusammenhang mit einer konkreten Behandlung der untersuchten Person stünden und nicht der Abklärung sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche dienten. Sie räumt im Weiteren ein, der Beigeladenen als damaligen Vertreterin der Beschwerdegegnerin in ihrer Mail vom 9. Juni 2010 diesbezüglich eine falsche Auskunft erteilt zu haben, weshalb sich die Beschwerdegegnerin grundsätzlich erfolgreich auf den Vertrauensschutz berufen könne. Sie habe allerdings ihre Falschauskunft mit Schreiben vom 11. Mai 2012 - wiederum gerichtet an die Beigeladene - widerrufen, weshalb dem Vertrauensschutz ab 2012 die Grundlage entzogen sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu erwogen, das Schreiben der ESTV an die Beigeladene vom 11. Mai 2012 sei nicht in einem zwischen der Beschwerdegegnerin und der ESTV hängigen Verfahren ergangen, weshalb die Beigeladene nicht als Vertreterin der Beschwerdegegnerin zu betrachten sei und damit Letzterer das Wissen um den Inhalt dieses Schreiben nicht zugerechnet werden könne. Somit habe dieses Schreiben das Vertrauen der Beschwerdegegnerin in die urspüngliche - falsche - Auskunft nicht zerstören können, womit diese sich auch über das Jahr 2012 hinaus erfolgreich auf den Vertrauensschutz habe berufen können.
6.2. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe gegen Bundesrecht verstossen, als es den Empfang ihres Schreiben vom 11. Mai 2012 durch die Beigeladene nicht als der Beschwerdegegnerin zurechenbar erkannte. Die Frage, ob die Beigeladene zu diesem Zeitpunkt noch als Vertreterin der Beschwerdegegnerin zu betrachten war, braucht vorliegend indessen nicht näher geprüft zu werden, da - wie nachstehende Erwägungen zeigen - selbst dann, wenn man davon ausgehen wollte, die Beschwerdegegnerin habe bereits im Jahre 2012 zurechenbare Kenntnis dieses Schreibens gehabt, dies nicht zur Folge hätte, dass sie sich nicht länger erfolgreich auf den Vertrauensschutz berufen könnte.
6.3. Im streitbetroffenen Schreiben vom 11. Mai 2012 führte die ESTV zwar aus, ihre vorgängig der Beigeladenen erteilten Auskünfte - wobei ausdrücklich auch jene vom 9. Juni 2010 erwähnt wird - seien "zu konkretisieren bzw. richtig zu stellen". Allerdings enthält dieses Schreiben keine konkrete Aussage darüber, ob die von der Beschwerdegegnerin erstellten Gutachten von der Steuer ausgenommen sind oder nicht. Die ESTV legte in ihrem Schreiben zudem auch nicht die Rechtsposition dar, welche sie im vorliegenden Steuernachforderungsverfahren bezogen hat (mithin, dass einzig Berichte und Gutachten im Zusammenhang mit einer konkreten Behandlung der untersuchten Person oder zur Abklärung von Sozialversicherungsansprüchen steuerausgenommen sind). Vielmehr führte sie aus, die Frage der Steuerbarkeit hänge wesentlich von der Frage ab, ob die rechtsmedizinischen Gutachten von Seiten staatlicher Instanzen in Auftrag gegeben und bezahlt würden. Sei dies der Fall, so seien sie von der Steuer ausgenommen. Dabei sei für die mehrwertsteuerrechtliche Qualifikation unbeachtlich, ob die auftraggebenden staatlichen Stellen sich die ihnen von den Gutachtern in Rechnung gestellten Leistungen letztlich von den untersuchten Personen ersetzen liessen.
6.4. Die verkehrsmedizinischen Gutachten (Fahreignungsbegutachtungen), deren mehrwertsteuerrechtliche Qualifikation Grundlage des vorliegenden Rechtsstreites bildet, werden auf besondere Anordnung einer Behörde (in der Regel eines Strassenverkehrsamtes) erstellt. Dabei verfügt diese Behörde, dass die betroffene Person nur dann weiter ein Fahrzeug lenken darf, wenn ein entsprechendes Gutachten die Fahreignung bestätigt. Die Auswahl der Gutachterstelle und die Formulierung der von den Experten zu beantwortenden Fragen obliegt dabei den Behörden. Die Rechnung für die Leistung der Gutachterstelle wird dabei direkt von der untersuchten Person beglichen. Bei dieser Ausgangslage erscheint es nicht unmittelbar als klar, ob nun die Behörde oder die untersuchte Person Auftraggeber des Gutachters im Sinne des Schreibens vom 11. Mai 2012 sein soll. Dies gilt umso mehr, als es gemäss den Ausführungen der ESTV in diesem Schreiben gerade unbeachtlich sein soll, wer letztlich die Kosten der Begutachtung trägt. Selbst wenn man somit - wie von der Beschwerdeführerin verlangt - die Kenntnis der Beigeladenen von diesem Schreiben auch der Beschwerdegegnerin zurechnet, so hätte Letztere diesem Schreiben nicht mit hinreichender Klarheit entnehmen können, dass die von ihr erstellten Gutachten der Steuer unterliegen. Damit war dieses Schreiben nicht geeignet, das Vertrauen der Beschwerdegegnerin in die Richtigkeit der Auskunft der ESTV vom 9. Juni 2010 zu erschüttern.
6.5. Vermochte somit das Schreiben der ESTV vom 11. Mai 2012 das Vertrauen der Beschwerdegegnerin in die Richtigkeit der Auskunft vom 9. Juni 2010 nicht zu erschüttern, so hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls im Ergebnis kein Bundesrecht verletzt, als es gestützt auf den Vertrauensschutz eine Steuernachforderung für die verkehrsmedizinischen Gutachten verneinte. Damit braucht nicht näher geprüft zu werden, ob die Erstellung dieser Gutachten materiellrechtlich von der Steuer ausgenommen ist oder nicht. So oder anders ist die Beschwerde abzuweisen.
7.
Da die Eidgenossenschaft in dieser Angelegenheit in ihrer Vermögenssituation betroffen ist, sind der unterliegenden ESTV die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Die ESTV hat die Beschwerdegegnerin und die zur Einreichung einer Vernehmlassung eingeladene Beigeladene für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Mangels detaillierter Kostennote sind die Entschädigungen ermessensweise festzusetzen, wobei lediglich der notwendige Aufwand zu entschädigen ist. Vorliegend rechtfertigt es sich, der Beschwerdegegnerin eine Entschädigung von Fr. 8'000.- und der Beigeladenen eine solche von Fr. 4'000.- zuzusprechen. Da die Beigeladene innert Rechtsmittelfrist keine Beschwerde gegen die vorinstanzliche Kostenverlegung erhoben hat, besteht bei vorliegendem Verfahrensausgang entgegen ihren Ausführungen keine Grundlage zur Neuverlegung der Kostenfolgen des vorinstanzlichen Urteils.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 7'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat für das bundesgerichtliche Verfahren die Beschwerdegegnerin mit Fr. 8'000.- und die Beigeladene mit Fr. 4'000.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der A.________ AG und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. November 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Nabold