Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.394/2005 /blb
Urteil vom 16. Januar 2006
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.
Parteien
X.________ (Ehefrau),
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs,
gegen
Y.________ (Ehemann),
Beschwerdegegner,
vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,
Präsident der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Art. 9 BV (Prozesskostenverlegung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid
des Präsidenten der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen vom 22. September 2005.
Sachverhalt:
A.
X.________, Jahrgang 1950, und Y.________, Jahrgang 1957, heirateten 1982, leben aber seit 2001 voneinander getrennt. Im Rahmen von Eheschutzmassnahmen mussten die Unterhaltsbeiträge des Ehemannes an seine Ehefrau sowie die Nutzung der ehelichen Liegenschaft geregelt werden. Mit Klage vom 13. Oktober 2003 forderte der Ehemann von seiner Ehefrau die Zahlung von Fr. 19'500.-- nebst Zins. Das Kreisgericht Alttoggenburg-Wil wies die Klage mit Urteil vom 26. März 2004 ab.
Am 8. und 21. Juni 2004 unterzeichneten die Ehefrau und der Ehemann ein gemeinsames Scheidungsbegehren. Gestützt darauf klagte der Ehemann am 23. Juni 2004 auf Scheidung und gerichtliche Regelung der Scheidungsfolgen.
Am 25. Juni 2004 eröffnete das Kreisgericht dem Ehemann seinen Entscheid betreffend Abweisung der eingeklagten Forderung.
B.
Der Ehemann legte gegen den Entscheid des Kreisgerichts am 25. August 2004 Berufung ein und erneuerte sein Klagebegehren. Das Kantonsgericht St. Gallen, Präsident der III. Zivilkammer, nahm an, beim eingeklagten Betrag handle es sich um eine familienrechtliche Forderung, die im inzwischen anhängigen Scheidungsverfahren geltend zu machen sei, weshalb die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichts im Forderungsprozess nachträglich weggefallen sei. Das Kantonsgericht hob den Entscheid des Kreisgerichts auf und trat auf die Klage nicht ein (Dispositiv-Ziff. 1). Es auferlegte die Gerichtskosten beider Instanzen zu zwei Dritteln dem Ehemann und zu einem Drittel der Ehefrau (Dispositiv-Ziff. 2 und 3) und verpflichtete den Ehemann, seiner Ehefrau eine im gleichen Verhältnis herabgesetzte Parteikostenentschädigung für beide Verfahren zu bezahlen (Dispositiv-Ziff. 4 des Entscheids vom 22. September 2005).
C.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde beantragt die Ehefrau, die Dispositiv-Ziff. 3 und 4 des kantonsgerichtlichen Entscheids aufzuheben. Sie ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Es sind die Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der kantonsgerichtliche Entscheid regelt in den angefochtenen Dispositiv-Ziffern die Tragung der Prozesskosten nach kantonalem Recht (Art. 264 ff. ZPO/SG), dessen Anwendung auf Bundesebene einzig mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochten werden kann (Art. 84 Abs. 2 OG; vgl. BGE 123 III 414 E. 3c S. 420; 129 II 297 E. 3.2 S. 303). Er ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG), zumal der für die Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht erforderliche Streitwert nicht erreicht wird (Art. 238 lit. a ZPO/SG). Der Nichteintretensentscheid mit seiner Prozesskostenverlegung schliesst das kantonale Verfahren endgültig ab (Art. 87 OG; BGE 123 I 325 E. 3b S. 327) und beschwert die Beschwerdeführerin insoweit, als sie einen Drittel der Kosten zu tragen hat und eine nur herabgesetzte statt einer vollen Parteientschädigung erhalten hat (Art. 88 OG; BGE 117 Ia 251 E. 1b S. 255; 129 II 297 E. 2.2 S. 300). Auf die staatsrechtliche Beschwerde kann grundsätzlich eingetreten werden. Die formellen Anforderungen an die Beschwerdeschrift (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG) werden im Zusammenhang mit den einzelnen Rügen zu erörtern sein.
2.
Als Grundsatz hat das Kantonsgericht festgehalten, die Parteien hätten die Prozesskosten im Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu tragen und als unterliegend sei auch diejenige Partei anzusehen, auf deren Begehren nicht eingetreten werden könne (unter Hinweis auf Art. 264 ZPO/SG). Es sei vorliegend aber auch in Betracht zu ziehen, dass das nachträgliche Wegfallen der Prozessvoraussetzungen insofern von beiden Parteien verursacht worden sei, als diese gemeinsam die Scheidung beantragt hätten. Unter diesen Umständen rechtfertige es sich, dem Kläger (heute: Beschwerdegegner) zwei Drittel und der Beklagten (heute: Beschwerdeführerin) einen Drittel der Gerichtskosten aufzuerlegen und den Kläger entsprechend dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen zu verpflichten, die Beklagte für einen Drittel ihrer Prozesskosten zu entschädigen (unter Hinweis auf Art. 266 ZPO/SG; E. III S. 6 f. des angefochtenen Entscheids).
2.1 Gemäss Art. 264 Abs. 1 ZPO/SG trägt die Prozesskosten, wer mit seinem Begehren unterliegt, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt. Eine Abweichung von diesem Erfolgsprinzip (BGE 119 Ia 1 E. 6b S. 2) sieht das Gesetz in Art. 265 ZPO/SG vor, wonach unnötige und auf grobes Verschulden zurückzuführende Prozesskosten zu tragen hat, wer sie verursacht. Ferner kann das Gericht die Prozesskosten gemäss Art. 266 Abs. 1 ZPO/SG nach Ermessen auferlegen, wenn es besondere Umstände rechtfertigen (Abs. 1), namentlich wenn ein Prozess gegenstandslos wird (Abs. 2 lit. b).
2.2 Das Kantonsgericht hat einen Ermessensentscheid gestützt auf Art. 266 ZPO/SG gefällt, wiewohl es den Beschwerdegegner formell als unterliegend im Sinne von Art. 264 Abs. 1 ZPO/SG angesehen hat. Lehre und Praxis beantworten die Frage unterschiedlich, ob Gegenstandslosigkeit nur dann vorliegt, wenn der Streitgegenstand nachträglich untergeht oder das Rechtsschutzinteresse nachträglich wegfällt (so Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozessrechts, 8.A. Bern 2006, 7 N. 100b-100c S. 209 f.), oder ob Gegenstandslosigkeit auch den Fall umfasst, wo eine Sachurteilsvoraussetzung - wie hier die sachliche Zuständigkeit - nachträglich dahinfällt und eine im Zeitpunkt ihrer Erhebung zulässige Klage dadurch unzulässig wird (so Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2.A. Basel 1990, N. 435 S. 244; für weitere Hinweise: Addor, Die Gegenstandslosigkeit des Rechtsstreits, Diss. Bern 1997, S. 92 ff.). Unter diesen Umständen erscheint es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht als willkürlich, dass das Kantonsgericht seine Prozesskostenverlegung nicht bloss nach dem formellen Unterliegen zufolge Nichteintretens auf die Klage (Art. 264 Abs. 1 ZPO/SG), sondern auch nach Ermessen vorgenommen hat, wie es im Fall der Gegenstandslosigkeit des Prozesses vorgesehen ist (Art. 266 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ZPO/SG; vgl. zur Willkür in der Anwendung kantonalen Rechts: BGE 131 I 57 E. 2 S. 61 und 217 E. 2.1 S. 219).
2.3 Bei der Kostenverteilung nach Ermessen ist je nach Lage des Einzelfalls zu berücksichtigen, welche Partei Anlass zur Klage gegeben hat, welches der mutmassliche Prozessausgang gewesen wäre, in welcher Partei die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit geführt haben, und welche Partei unnötigerweise Kosten verursacht hat. Das Gericht darf sich bei der Ermessensausübung nicht auf ein einzelnes Kriterium versteifen, sondern hat alle Kriterien zu berücksichtigen (GVP/SG 1984 Nr. 48 S. 111 f.; 2004 Nr. 63 S. 200). Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Beschwerdegegner habe die Kosten zu tragen, weil ihm fehlerhafte Prozesshandlungen vorzuwerfen seien. Er habe einerseits die Forderungsklage beim ordentlichen Gericht angehoben, obwohl sich bereits ein Scheidungsverfahren abgezeichnet habe. Die Berufung habe er andererseits eingereicht, nachdem er das gemeinsame Scheidungsbegehren dem Gericht übermittelt und damit die Unzuständigkeit des Kantonsgerichts in der Forderungsstreitsache bewirkt gehabt habe.
Die Parteien trennten sich im Jahre 2001, so dass die Scheidung - offenbar mangels schwerwiegender Gründe im Sinne von Art. 115 ZGB - erst vier Jahre später hätte verlangt werden können (Art. 114 ZGB in der Fassung der ZGB-Revision von 1998/2000). Unbestritten ist, dass der Beschwerdegegner erst auf Zahlung seiner Forderung klagte, als die Beschwerdeführerin ihren Geschäftsbetrieb Ende Mai 2002 eingestellt hatte (vgl. E. 2b S. 4 des kreisgerichtlichen Entscheids, Beschwerdebeilage Nr. 3). Nach Einleitung des Forderungsprozesses im Juli/Oktober 2003 wurde die ZGB-Revision vom 19. Dezember 2003 verabschiedet, die die Scheidung auf Klage nach einem Getrenntleben von neu zwei Jahren vorsah (Art. 114 ZGB) und am 1. Juni 2004 in Kraft trat (AS 2004 2161 f.). Im Hinblick auf die Möglichkeit, im Sommer 2004 auf Scheidung zu klagen, ersuchte der Beschwerdegegner um Sistierung des Forderungsprozesses (act. 16). Die Beschwerdeführerin erklärte sich mit der Sistierung grundsätzlich einverstanden, wies aber darauf hin, dass es an einem Grund für die Sistierung fehle, weil eine einfachere Prozesserledigung im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung nicht zu erwarten sei (act. 17 der kreisgerichtlichen Akten). Das Kreisgericht teilte diese Auffassung, verweigerte die Sistierung des Forderungsprozesses (E. 1 S. 2) und wies die Klage mit Entscheid vom 26. März 2004 ab.
Der geschilderte Verfahrensablauf lässt das Verhalten des Beschwerdegegners nicht als derart fehlerhaft erscheinen, wie es die Beschwerdeführerin darstellt. Unter Willkürgesichtspunkten durfte einerseits davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdegegner nach Einstellung des von der Beschwerdeführerin betriebenen Geschäfts seine Forderung als gefährdet hat ansehen können und Anlass zur Klageeinleitung gehabt hat. Mit seinem Sistierungsgesuch hat er versucht, ein neu sofort mögliches Scheidungsverfahren mit dem hängigen Forderungsprozess zu verbinden. Sein Gesuch ist erfolglos geblieben. Nach Abweisung seiner Klage hat der Beschwerdegegner in die Berufung gehen müssen, um den Eintritt der Rechtskraft und damit den Totalverlust seiner Forderung zu vermeiden. Die Kosten des Forderungsprozesses sind zwar von ihm verursacht worden und zu tragen, weil er erfolglos geklagt hat. Mit seinem Sistierungsgesuch hat er jedoch ein doppelt geführtes Verfahren und damit Mehrkosten vermeiden wollen. Unter Willkürgesichtspunkten durfte andererseits berücksichtigt werden, dass die Beschwerdeführerin dem Sistierungsgesuch nur formell zugestimmt, inhaltlich aber klar widersprochen hat, und dass sie ein gemeinsames Scheidungsbegehren auch erst unterzeichnet hat, als der Beschwerdegegner bereits ohne ihre Zustimmung gestützt auf Art. 114 ZGB hätte auf Scheidung klagen können. Mit Blick auf das Prozessverhalten beider Parteien erscheint die auf Ermessen beruhende Kostenverlegung von zwei Dritteln zu Lasten des Beschwerdegegners als Hauptverursacher und zu einem Drittel zu Lasten der Beschwerdeführerin als Mitverursacherin nicht als willkürlich (vgl. zur Willkür in der Ermessensausübung: BGE 109 Ia 107 E. 2c S. 109; 126 III 8 E. 3c S. 10).
2.4 Die Beschwerdeführerin wendet ein, ihre Scheidungsfreiheit als Teil der verfassungsrechtlich geschützten Ehefreiheit werde verletzt, wenn das Kantonsgericht aus ihrer Zustimmung zum Scheidungsbegehren sozusagen ein Mitverschulden am Prozessausgang konstruiere. Die geltende Verfassung gewährleistet ein Recht auf Ehe (Art. 14 BV). Wo eine Scheidungsfreiheit verfassungsrechtlich garantiert würde, ist nicht ersichtlich und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht dargetan (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 128 III 76 E. 1d S. 81/82; 128 I 273 E. 2.1 S. 275/276).
2.5 Aus den dargelegten Gründen muss die staatsrechtliche Beschwerde abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die unterliegende Beschwerdeführerin wird kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Die vorstehenden Erwägungen verdeutlichen, dass ihr Beschwerdeantrag von Beginn an keinen Erfolg haben konnte. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege muss abgewiesen werden (Art. 152 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Präsidenten der III. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Januar 2006
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: