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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
8C_653/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. Januar 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Denise Galbier, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, 
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 15. August 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________, geboren 1957, meldete sich erstmals am 29. September 1992 unter Hinweis auf einen Sehnenriss am rechten Daumen bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügung vom 15. April 1994 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons St. Gallen für die Zeit vom 1. November 1992 bis zum 31. Oktober 1993 eine halbe Invalidenrente zu. Ein weiteres Leistungsbegehren vom 3. Juli 1995 lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom 7. Juni 1996 ab. Am 23. Juni 2003 meldete sich A.________ erneut an und beantragte Berufsberatung, Umschulung und medizinische Eingliederungsmassnahmen. Die IV-Stelle lehnte berufliche Massnahmen am 5. Januar 2004 ab mit der Begründung, dass keine Arbeitsunfähigkeit bestehe. Nach einer Früherfassung erfolgte eine weitere Anmeldung am 13. Februar 2009. Die IV-Stellte lehnte den Anspruch auf berufliche Massnahmen mit Verfügungen vom 14. Dezember 2009 und 18. Mai 2011 ab. Sie holte ein Gutachten der Frau Dr. med. B.________, Innere Medizin FMH, speziell Rheumaerkrankungen, sowie des Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Klinik D.________, vom 20. August 2012 und vom 17. September 2012 mit interdisziplinärer Beurteilung ein. Gestützt darauf lehnte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente mit Verfügung vom 30. August 2013 ab. 
 
B.   
A.________ erhob dagegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen holte ein Gutachten des Dr. med. E.________, Leitender Arzt psychiatrisches Zentrum F.________, vom 25. Mai 2016 ein. Mit Entscheid vom 15. August 2016 wies es die Beschwerde ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei ihm eine Invalidenrente zuzusprechen. Des Weiteren ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt und auf einen Schriftenwechsel verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.   
Das kantonale Gericht hat die für den Rentenanspruch massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen. 
 
3.   
Streitig sind allein die erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Vorinstanz bei der Bemessung des Invaliditätsgrades auf Seiten des Valideneinkommens zu Unrecht die geleisteten Überstunden ausser Acht gelassen habe. Des Weiteren sei beim Invalideneinkommen ein höherer leidensbedinger Abzug vom Tabellenlohn zu gewähren. 
 
4.  
 
4.1. Bei der Ermittlung des Einkommens ohne Gesundheitsschaden ist entscheidend, was der Versicherte im massgebenden Zeitpunkt nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunder tatsächlich verdienen würde. Die Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen; daher ist in der Regel vom letzten Lohn, den der Versicherte vor Eintritt der Gesundheitsschädigung erzielt hat, auszugehen (BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30; 135 V 58 E. 3.1 S. 59; 134 V 322 E. 4.1 S. 325; Urteil 8C_537/2015 vom 7. Dezember 2015 E. 2.2). Damit hat sich das Valideneinkommen grundsätzlich am zuletzt verdienten Monatslohn zu orientieren. Es können für die Bemessung des Einkommens ohne Invalidität auch Zusatzeinkommen wie die hier streitigen Überstundenentschädigungen berücksichtigt werden, wenn es sich um Entgelt mit Lohncharakter und nicht um Spesenentschädigungen handelt (RKUV 1989 Nr. U 69 S. 176 E. 2c S. 179 ff.; RKUV 2000 Nr. U 400 S. 381 E. 2; SVR 2002 IV Nr. 21 S. 63, I 357/01 E. 3b). Da aber die Invaliditätsschätzung der dauernd oder für längere Zeit bestehenden Erwerbsunfähigkeit entsprechen muss, bildet Voraussetzung für die Berücksichtigung eines derartigen Zusatzeinkommens, dass der Versicherte aller Voraussicht nach damit hätte rechnen können. Massgebend ist nach dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 129 V 177 E. 3.1 S. 181), ob der Versicherte aufgrund seiner konkreten erwerblichen Situation und seines tatsächlichen Arbeitseinsatzes vor dem Unfall wahrscheinlich weiterhin ein Zusatzeinkommen zufolge Überstundenarbeit hätte erzielen können; die blosse Möglichkeit dazu genügt nicht (RKUV 1989 Nr. U 69 S. 176 E. 2c S. 179 ff.; Urteil 8C_647/2009 vom 4. Januar 2010 E. 4.3 mit Hinweisen).  
 
4.2. Das kantonale Gericht hat anhand der Einträge im Individuellen Konto der AHV (IK) und der Angaben des Arbeitgebers festgestellt, dass insbesondere im Jahr 2007 gegenüber den Vorjahren ein markanter Anstieg des Einkommens wegen aussergewöhnlich vieler Überstunden (im Betrag von 11'695 Franken) erfolgt sei. Es sei jedoch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ohne Eintritt des Gesundheitsschadens weiterhin und regelmässig Überstunden in diesem Ausmass geleistet worden wären. Die Vorinstanz hat deshalb beim Valideneinkommen auf den durchschnittlichen Verdienst der Jahre 1998 bis 2007 (angepasst an die Nominallohnentwicklung bis zum Jahr 2011) abgestellt.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er mehrere Jahre beim gleichen Betrieb gleichartige Tätigkeiten verrichtet habe. Er sei als langjähriger und guter Mitarbeiter vom Arbeitgeber sehr geschätzt gewesen. Ein markanter Anstieg in der Entwicklung des Lohnes und dass dieser durch unregelmässig geleistete Arbeitsstunden bedingt gewesen sei, sei nicht erwiesen. Vielmehr sei in den Jahren vor der immer stärker gewordenen Gesundheitsschädigung eine stetige und überaus übliche Zunahme seines Lohnes zu verzeichnen gewesen. Es liege in der Natur von länger andauernden Arbeitsverhältnissen beziehungsweise längerer Betriebszugehörigkeit, dass mit zunehmender Dauer auch der Lohn eine Steigerung erfahre. Ausserdem hätte er auch weiterhin Überstunden geleistet. Es sei deshalb an den im Jahr 2007 erzielten Lohn von 72'860 Franken anzuknüpfen.  
 
4.4. Das kantonale Gericht hat die Lohnentwicklung des Beschwerdeführers nach den IK-Einträgen in den Jahren von 1998 (52'110 Franken) bis 2007 (72'860 Franken) eingehend dargestellt. Es erfolgten zumeist Steigerungen von jährlich rund 1'000 bis 1'500 Franken. Für das Jahr 2006 wurden jedoch rund 5'500 Franken mehr abgerechnet als noch für das Jahr 2005, und im Jahr 2007 erfolgte eine weitere Steigerung um rund 5'500 Franken. Im Jahr 2007 wurden dem Beschwerdeführer Überstunden im Betrag von 11'695 Franken und im Jahr 2006 solche in der Höhe von 6'963 Franken vergütet. Für das kantonale Gericht stand nach Lage der Akten fest, dass der markante Lohnanstieg insbesondere im Jahr 2007, in welchem der Beschwerdeführer einen um etwa 20 Prozent höheren Lohn erzielte, allein auf die geleisteten Überstunden und nicht auf die üblichen Lohnerhöhungen (wie sie in den Vorjahren gewährt worden waren) zurückzuführen sei. Es sei jedoch aufgrund der bis dahin ausgewiesenen Einkommen nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer auch in der Zukunft einen entsprechenden Zusatzverdienst für regelmässig geleistete Überstunden in diesem Ausmass hätte erzielen können.  
Die beschwerdeweisen Vorbringen vermögen eine offensichtliche Unrichtigkeit dieser Feststellungen nicht zu begründen. Eine andere Beurteilung des Valideneinkommens ist nicht gerechtfertigt. Mit dem kantonalen Gericht ist deshalb auf ein Valideneinkommen von 65'975 Franken abzustellen. 
 
5.   
Die Vorinstanz erachtete auf der Seite des Invalideneinkommens einen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn in der Höhe von höchstens 10 Prozent als angezeigt (BGE 129 V 472 E. 4.2.3 S. 481; 126 V 75 E. 5 S. 78 ff.). 
 
5.1. Mit einer solchen Reduktion soll nach BGE 126 V 75 der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können und die versicherte Person die verbliebene Arbeitsfähigkeit deswegen je nach Ausprägung auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 135 V 297 E. 5.2 S. 301). Der Abzug ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Er darf 25 Prozent nicht übersteigen (BGE 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80). Die Frage nach der Höhe des Abzuges ist eine typische Ermessensfrage, deren Beantwortung letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich ist, wo das Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung vorliegt (BGE 137 V 71 E. 5.1 S. 72 f. mit Hinweis auf BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; SVR 2015 IV Nr. 22 S. 65, 8C_693/2014 E. 2.2).  
 
5.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass insbesondere sein Alter von 56 Jahren bei Verfügungserlass, seine 14-jährige Betriebszugehörigkeit beim selben Arbeitgeber, seine schlechten Sprachkenntnisse und magelhafte Akkulturierung an die hiesige Leistungsgesellschaft, seine lange Abwesenheit vom Arbeitsmarkt und das multiple Beschwerdebild mit entsprechenden Anforderungen an den Arbeitsplatz nicht hinreichend berücksichtigt worden seien.  
Nach der unbestritten gebliebenen Einschätzung der rheumatologischen Gutachterin Frau Dr. med. B.________ besteht keine Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit. Der psychiatrische Gerichtsgutachter erachtet wegen der Dekonditionierung durch die lange Arbeitsuntätigkeit und der limitierten Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit nur noch bestimmte Tätigkeiten als zumutbar, so namentlich eine Montage-, Kartonage- oder Kontrolltätigkeit. Inwieweit der Beschwerdeführer dabei über die ärztlich bescheinigte und vom kantonalen Gericht berücksichtigte 25-prozentige zeitliche Einschränkung hinaus beeinträchtigt wäre, ist aufgrund der gutachtlichen Ausführungen nicht ersichtlich. Fehlende Dienstjahre an einer neuen (leidensangepassten) Arbeitsstelle führen nicht zu einem Abzug, weil diesem Kriterium bei einfachen und repetitiven Tätigkeiten im privaten Sektor keine grosse Bedeutung zukommt (BGE 126 V 75 E. 5a/cc S. 79; SVR 2015 IV Nr. 1 S. 18, 8C_97/2014 E. 4.2; seit LSE 2012: einfache Tätigkeiten körperlicher oder handwerklicher Art, Kompetenzniveau 1). Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten weiteren Aspekte vermögen die vorinstanzliche Festsetzung des Abzuges vom Tabellenlohn auf 10 Prozent nicht als rechtsfehlerhaft erscheinen zu lassen. 
 
6.   
Im Übrigen werden die vorinstanzlichen Feststellungen zu den erwerblichen Auswirkungen der Gesundheitsschädigung nicht beanstandet und geben keinen Anlass zu Weiterungen. Mit dem kantonalen Gericht ist bei einem Valideneinkommen von 65'975 Franken und einem Invalideneinkommen von 41'789 Franken für ein 75-Prozent-Pensum und unter Berücksichtigung eines 10-prozentigen leidensbedingten Abzuges von einem Invaliditätsgrad von 37 Prozent auszugehen. 
 
7.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung, Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG) kann gewährt werden. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und Rechtsanwältin Denise Galbier wird als unentgeltliche Anwältin bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Bundesgerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 16. Januar 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo