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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_400/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. Februar 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Häfliger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Anwendbarkeit von Art. 97 Abs. 3 StGB im Jugendstrafrecht, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Jugendstrafkammer, vom 3. März 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 5. März 2015 verurteilte das Jugendgericht Bremgarten X.________ wegen mehrfachen teilweise versuchten bandenmässigen sowie gefährlichen Raubs, strafbaren Vorbereitungshandlungen zu bandenmässigem sowie gefährlichem Raub, Drohung und Sachbeschädigung. Es sprach ihn vom Vorwurf der mehrfachen versuchten Nötigung frei und stellte das Verfahren in Bezug auf den Vorwurf der Sachbeschädigung vom 30. April 2010 wegen Verjährung ein. 
Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 44 Monaten und ordnete die Unterbringung in einer Einrichtung für junge Erwachsene sowie eine ambulante psychotherapeutische Behandlung an. 
X.________ wurde verpflichtet, diversen geschädigten Personen Schadenersatz und Genugtuung zu leisten. Die beschlagnahmte Sturmhaube wurde zur Vernichtung eingezogen. 
 
B.  
Dagegen erhob X.________ Berufung. Am 3. März 2016 sprach ihn das Obergericht des Kantons Aargau der Drohung und der Sachbeschädigung schuldig und stellte das Strafverfahren wegen bandenmässigen und gefährlichen Raubs, versuchten bandenmässigen und gefährlichen Raubs, gefährlichen Raubs, mehrfachen versuchten gefährlichen Raubs sowie strafbaren Vorbereitungshandlungen zu bandenmässigem und gefährlichem Raub infolge Verjährung ein, soweit die Vorwürfe die Zeit zwischen dem 3. April und 18. Mai 2010 betrafen. Es verurteilte X.________ zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 10.--. Von der Anordnung einer Unterbringung sowie einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung sah das Obergericht ab. Im Übrigen bestätigte es das jugendgerichtliche Urteil, soweit es nicht in Rechtskraft erwachsen war. 
 
C.  
Die Jugendanwaltschaft beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. 
 
D.  
X.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen und das Urteil des Obergerichts zu bestätigen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege. Das Obergericht verzichtet auf einen Antrag. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, Art. 97 Abs. 3 StGB finde auch im Jugendstrafrecht Anwendung. Dies sei in der Praxis nie ernsthaft angezweifelt worden. Das Bundesgesetz vom 20. Oktober 2005 über das Jugendstrafrecht (Jugendstrafgesetz, JStG; SR 311.1) sei am 1. Januar 2007 in Kraft gesetzt worden. Seither sei die Frage nur ganz vereinzelt aufgekommen und habe höchstrichterlich nie geklärt werden müssen. Dass Art. 97 Abs. 3 StGB in Art. 1 Abs. 2 lit. j JStG nicht erwähnt werde, sei ein gesetzgeberisches Versehen. Weil die Verjährungsfristen in Jugendstrafverfahren deutlich kürzer seien als im Erwachsenenstrafrecht, müsse Art. 97 Abs. 3 StGB im Jugendstrafrecht erst recht gelten. In den Materialien fänden sich keine Hinweise, dass der Gesetzgeber Art. 97 Abs. 3 StGB wissentlich und willentlich habe ausschliessen wollen. Art. 70 Abs. 3 aStGB, der sich inhaltlich mit dem geltenden Art. 97 Abs. 3 StGB decke, sei in den Jugendstrafverfahren anwendbar gewesen. Umso mehr müsse Art. 97 Abs. 3 StGB anwendbar sein, nachdem die Verjährungsfristen in Art. 36 Abs. 1 JStG deutlich verkürzt worden seien.  
 
1.2. Die Vorinstanz verweist auf ihre bisherige Rechtsprechung und erwägt, Art. 97 Abs. 3 StGB sei im Jugendstrafverfahren nicht anwendbar. Sie stellt fest, der Beschwerdegegner habe den mehrfachen teilweise versuchten bandenmässigen sowie gefährlichen Raub sowie die strafbaren Vorbereitungshandlungen zu bandenmässigem sowie gefährlichem Raub zwischen dem 3. April 2010 und dem 18. Mai 2010 begangen, weshalb diese Straftaten gemäss Art. 36 Abs. 1 lit. a JStG verjährt seien. Sie stellte das Strafverfahren demzufolge wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung ein und bestätigte nur die erstinstanzlichen Schuldsprüche wegen Drohung und Sachbeschädigung.  
 
1.3. Das Bundesgericht entschied im zur Publikation vorgesehenen Urteil 6B_646/2016 vom 3. Januar 2017, dass Art. 97 Abs. 3 StGB entgegen dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. j JStG auch im Jugendstrafrecht gilt. Somit tritt die Verjährung in Jugendstrafverfahren nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist nach Art. 36 JStG ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (vgl. die ausführliche Begründung dort bei E. 1).  
Gemäss Art. 36 Abs. 1 JStG verjährt die Strafverfolgung in fünf Jahren, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer Freiheitsstrafe von über drei Jahren bedroht ist (lit. a); in drei Jahren, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht ist (lit. b) und in einem Jahr, wenn die Tat nach dem für Erwachsene anwendbaren Recht mit einer anderen Strafe bedroht ist (lit. c). 
Der Beschwerdegegner beging den mehrfachen teilweise versuchten bandenmässigen sowie gefährlichen Raub und die strafbaren Vorbereitungshandlungen zu bandenmässigem sowie gefährlichem Raub zwischen dem 3. April 2010 und dem 18. Mai 2010. Diese Verbrechen verjähren gemäss Art. 36 Abs. 1 lit. a JStG in fünf Jahren. Da das erstinstanzliche Urteil vom 5. März 2015 vor Ablauf der fünfjährigen Frist erging, trat die Verjährung nach Art. 97 Abs. 3 StGB nicht mehr ein. 
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Gesuch des unterliegenden Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege ist gutzuheissen. Seinem Rechtsvertreter ist aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung auszurichten (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 3. März 2016 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Markus Häfliger, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 500.-- ausgerichtet. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Jugendstrafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Februar 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt