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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_942/2008 
 
Urteil vom 16. März 2009 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Kernen, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Parteien 
B.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsdienst Integration Handicap, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 23. September 2008. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die 1979 geborene B.________ meldete sich nach einem abgebrochenen Eingliederungsversuch kaufmännischer Richtung im Januar 2006 ein zweites Mal bei der Invalidenversicherung an und beantragte Umschulung und Berufsberatung. Nach ergänzenden Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich mit Verfügung vom 14. Mai 2007 die Ansprüche auf Umschulung und Rente bei einem Invaliditätsgrad von 15 %. 
 
B. 
Die Beschwerde der B.________ einschliesslich des Antrags in der Replik auf Zusprechung einer erstmaligen beruflichen Ausbildung wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 23. September 2008 ab. 
 
C. 
B.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, Gerichtsentscheid und Verwaltungsverfügung seien aufzuheben und die Sache an die IV-Stelle zur ergänzenden Abklärung und anschliessenden Neuverfügung zurückzuweisen, unter Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. 
Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Kantonales Gericht und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Der vorinstanzliche Entscheid ist nicht angefochten, soweit er den Anspruch auf erstmalige berufliche Ausbildung (Art. 16 IVG) verneint. Streitgegenstand bilden somit einzig der Anspruch auf Umschulung (Art. 17 IVG) und der Anspruch auf eine Rente (Art. 28 Abs. 1 IVG in der bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung). 
 
2. 
Das kantonale Gericht hat festgestellt, aufgrund der medizinischen Akten sei die Versicherte in einer körperlich nicht allzu schweren und psychisch nicht allzu belastenden Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig. Davon ausgehend ermittelte es durch Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG in der bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung) einen Invaliditätsgrad von 4,8 %, was weder Anspruch auf eine Rente noch auf Umschulung gebe. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin rügt, der Sachverhalt sei ungenügend abgeklärt, was eine Verletzung von Bundesrecht darstelle. Der Bericht der Frau Dr. med. M.________, Fachärztin FMH für Kinder- und Jugendpsychiatrie, vom 4./10. April 2006, auf welchen die Vorinstanz wesentlich abgestellt habe, sei bezogen auf den Zeitpunkt der Verfügung vom 14. Mai 2007 nicht ausreichend. Insbesondere aufgrund des Berichts der Frau Dr. med. S.________, Oberärztin Psychiatriezentrum X.________, vom 6. März 2007 sei überwiegend wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand seit dem Bericht vom 4./10. April 2006 weiter verschlechtert haben könnte. 
 
4. 
Die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen sowie die Nichtbeachtung des Untersuchungsgrundsatzes nach Art. 61 lit. c ATSG durch das kantonale Versicherungsgericht stellen eine Verletzung von Bundesrecht nach Art. 95 lit. a BGG dar (Urteil 9C_802/2008 vom 22. Dezember 2008 E. 1.1 mit Hinweisen). Im Übrigen ist die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich, wenn sie nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Die konkrete Beweiswürdigung ist wie die darauf beruhende Sachverhaltsfeststellung ebenfalls nur unter diesem eingeschränktem Blickwinkel überprüfbar (Urteile 9C_410/2008 vom 8. September 2008 E. 3.3.1 und 9C_801/2008 vom 6. Januar 2009 E. 2.2). 
 
5. 
5.1 Dr. med. M.________, in deren Praxis die Beschwerdeführerin sich seit Ende September 2005 psychotherapeutisch behandeln liess, stellte die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung (ICD- 10 F33.11), gegenwärtig mittelgradige Episode (aufgrund dramatischer Erfahrungen in der Kindheit und Jugend). Sie erachtete die Versicherte in der angestammten Tätigkeit halbtags und in einer behinderungsangepassten Tätigkeit ganztags als arbeitsfähig. 
Dr. med. S.________, welche die Beschwerdeführerin seit 2007 behandelt (Psychotherapie in Einzelgesprächen), diagnostizierte eine abhängige Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.7), DD anankastische Persönlichkeitsstörung. Sie bezifferte die Arbeitsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit auf 0 % seit Februar 2006 bis andauernd. Nach Abschluss der in der Tagesklinik des Psychiatriezentrums X.________ vorgesehenen Behandlung sei eine Erwerbstätigkeit halbtags in einer behinderungsangepassten Tätigkeit zumutbar. 
 
5.2 Der Beweiswert des Berichts der Frau Dr. med. M.________ vom 4./10. April 2006 und die darauf gestützte vorinstanzliche Annahme einer Arbeitsfähigkeit von 100 % in einer körperlich nicht allzu anstrengenden und psychisch nicht allzu belastenden Tätigkeit sind für die Zeit bis zum Beginn der Therapie bei Frau Dr. med. S.________ unbestritten. Das kantonale Gericht hat einlässlich die Gründe dargelegt, weshalb daraus für die Zeit davor, in welcher die Beschwerdeführerin in der Praxis von Dr. med. M.________ behandelt worden war, kein invalidisierender Gesundheitsschaden abgeleitet werden kann. Die diesbezüglichen Feststellungen der Vorinstanz, insbesondere dass ein gewisser Widerspruch zwischen den erhobenen Untersuchungsbefunden und den festgestellten Defiziten in den psychischen Funktionen bestehe, sind nicht offensichtlich unrichtig. 
 
5.3 Demgegenüber stellt der Bericht der Frau Dr. med. S.________ vom 6. März 2007 einen gewichtigen Anhaltspunkt für eine anspruchsrelevante Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustandes seit dem Bericht der Frau Dr. med. M.________ vom 4./10. April 2006 resp. seit Beendigung der Behandlung in deren Praxis dar. Vorab handelt es sich bei Dr. med. S.________ um eine psychiatrische Fachärztin, wie in der Beschwerde zu Recht geltend gemacht wird. Fachärztliche Aussagen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit kann das Sozialversicherungsgericht grundsätzlich nur gestützt auf eine ebenfalls fachärztliche abweichende Beurteilung entkräften. Es kann nicht allein aufgrund eigener, wenn auch plausibler Überlegungen einem ärztlichen Bericht die Beweiskraft absprechen (Urteil 9C_410/2008 vom 8. September 2008 E. 3.3.1) oder sogar eine andere Diagnose stellen (AHI 2000 S. 145, I 172/99 E. 3b). Dies gilt auch für Aussagen behandelnder Ärzte. Bei Unklarheiten oder sogar scheinbaren Widersprüchen insbesondere zwischen Befund und Diagnose muss zumindest beim betreffenden Arzt nachgefragt werden. Die von der Vorinstanz angeführten Gründe gegen den Beweiswert des Berichts der Frau Dr. med. S.________ vom 6. März 2007 haben zwar einiges für sich. Sie vermögen sich aber nicht auf eine anders lautende fachärztliche Beurteilung zu stützen. Der Bericht der Frau Dr. med. M.________ vom 4./10. April 2006 stellt keine solche Grundlage dar, war er doch ein Jahr früher erstellt worden. 
Der rechtserhebliche Sachverhalt ist somit in psychiatrischer Hinsicht nicht vollständig festgestellt. Aufgrund der Akten ist bis zum Erlass der Verfügung ein für den Anspruch auf Umschulung oder Rente erheblicher Invaliditätsgrad nicht auszuschliessen. Die IV-Stelle wird ein fachärztliches Gutachten einzuholen haben, welches sich zum Verlauf des Gesundheitszustandes und der Arbeitsfähigkeit ab Mai 2006 äussert. Danach hat sie über den Anspruch auf Umschulung und Rente neu zu verfügen. 
 
6. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine nach dem anwaltlichen Vertretungsaufwand bemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch der Versicherten um unentgeltliche Rechtspflege ist demzufolge gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. September 2008 aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie nach Abklärungen im Sinne der Erwägungen über den Anspruch auf Umschulung und den Anspruch auf eine Rente neu verfüge. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle des Kantons Zürich auferlegt. 
 
3. 
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2000.- zu entschädigen. 
 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die Kosten und die Parteientschädigung für das kantonale Verfahren neu zu verlegen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 16. März 2009 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Fessler