Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
[AZA 7] 
I 575/01 Gi 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; 
Gerichtsschreiber Grunder 
 
Urteil vom 16. April 2002 
 
in Sachen 
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
B.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch die Stadt Uster, Abteilung Soziales, Bahnhofstrasse 17, 8610 Uster, 
 
und 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
A.- Der 1958 geborene B.________ meldete sich am 5. Juni 1998 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich holte Auskünfte beim Sozialdienst der Stadt Uster und den Bericht des Dr. 
med. X.________, Arzt für Allgemeine Medizin FMH, vom 15. März 1999 ein, zog den Auszug aus dem individuellen Konto bei und veranlasste eine interdisziplinäre Begutachtung durch die Medizinischen Abklärungsstelle der Kliniken am Kantonsspital Y.________ (MEDAS), die am 21. und 22. Juni 1999 durchgeführt wurde (Expertise vom 16. Juli 1999). 
 
 
Mit Verfügung vom 2. Dezember 1999 verneinte die IV-Stelle den Anspruch auf berufliche Massnahmen wegen der bestehenden Drogensucht sowie den Anspruch auf Invalidenrente mangels rentenbegründenden Invaliditätsgrades. 
 
B.- Dagegen liess B.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde führen und beantragen, unter Aufhebung der Verfügung seien ihm eine Invalidenrente, eventuell berufliche Massnahmen, zuzusprechen. 
Mit Entscheid vom 15. August 2001 hiess dass Sozialversicherungsgericht die Beschwerde teilweise gut und sprach eine halbe Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 51,5 % mit Beginn ab 1. Juni 1997 zu. 
 
C. Das Bundesamt für Sozialversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. 
B.________ lässt beantragen, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen und es sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Die IV-Stelle schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs und die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 1, 1bis und 2 IVG) sowie über den Beginn des Rentenanspruchs (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
Zu ergänzen ist, dass das versicherte Risiko gemäss Art. 4 Abs. 1 IVG die voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit ist, indessen lediglich wenn und soweit die Einschränkung in der Erwerbstätigkeit auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung (Geburtsgebrechen, Krankheit und Unfall) zurückzuführen ist. Wäre eine versicherte Person gesundheitlich in der Lage, voll erwerbstätig zu sein, reduziert sie aber ihr Arbeitspensum aus freien Stücken, sei es um mehr Freizeit zu haben, sei es um einer (Weiter-)Ausbildung nachzugehen, oder ist die Ausübung einer Ganztagestätigkeit aus Gründen des Arbeitsmarktes nicht möglich, hat dafür nicht die Invalidenversicherung einzustehen. Folgerichtig hat die Rechtsprechung entschieden, dass unter dem Erwerbseinkommen, das der Versicherte erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre, nach Art. 28 Abs. 2 IVG jenes Einkommen zu verstehen ist, welches er als Gesunder tatsächlich erzielen würde. 
Ist auf Grund der Umstände des Einzelfalles anzunehmen, dass der Versicherte sich ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voraussichtlich dauernd mit einer bescheidenen Erwerbstätigkeit begnügte, so ist darauf abzustellen, auch wenn er an sich besser entlöhnte Erwerbsmöglichkeiten hätte (BGE 125 V 157 Erw. 5c/bb). 
 
2.- Unbestritten geblieben ist, dass der Beschwerdegegner für eine leidensangepasste Tätigkeit in zeitlichem Umfang von 60 % arbeitsfähig ist und dass er das von der Vorinstanz ermittelte Invalideneinkommen von Fr. 24'138.- verdienen könnte. Streitig und zu prüfen ist demgegenüber die Höhe des Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen) und somit der Invaliditätsgrad. 
a) Die Ermittlung des ohne Invalidität vom Versicherten erzielbaren Einkommens hat so konkret wie möglich zu erfolgen, weshalb in der Regel vom letzten Lohn auszugehen ist, den er vor Eintritt des Gesundheitsschadens realisierte. 
Fehlen aussagekräftige Anhaltspunkte, ist auf Erfahrungs- und Durchschnittswerte abzustellen (vgl. Meyer-Blaser, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung, Zürich 1997, S. 205 f.). Letztlich ist immer entscheidend, was der Versicherte im massgebenden Zeitpunkt nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Gesunder tatsächlich verdienen würde. Da die Invaliditätsbemessung der voraussichtlich bleibenden oder längere Zeit dauernden Erwerbsunfähigkeit zu entsprechen hat (Art. 4 Abs. 1 IVG), ist auch die berufliche Weiterentwicklung mitzuberücksichtigen, die ein Versicherter normalerweise vollzogen hätte; dazu ist allerdings erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Versicherte einen beruflichen Aufstieg und ein entsprechend höheres Einkommen tatsächlich realisiert hätte, wenn er nicht invalid geworden wäre (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 Erw. 3b mit Hinweis). 
b) Verwaltung und Vorinstanz gehen davon aus, dass der Beschwerdegegner ohne den Gesundheitsschaden als Eisenleger im Baugewerbe arbeiten und damit ein Einkommen von Fr. 49'650.- erzielen würde. Das BSV bringt dagegen gestützt auf die Einträge im individuellen Konto (IK) vor, der Versicherte habe während seines gesamten Erwerbslebens mit Ausnahme des Jahres 1983 nie einen den Betrag von Fr. 30'000.- übersteigenden Verdienst erwirtschaftet. Objektive Gründe für die geringen Einkünfte gebe es keine, weshalb von einer zugunsten grösserer Freizeit eingeschränkten Erwerbstätigkeit ausgegangen werden müsse. 
c) aa) Der Beschwerdegegner schloss im Jahre 1977 erfolgreich die Lehre als Baumaschinenmechaniker ab. Gemäss den Einträgen im individuellen Konto arbeitete er danach bis zum Jahre 1983 in wechselnden Anstellungen überwiegend als Monteur und Eisenleger im Hoch- und Tiefbaugewerbe und realisierte zumindest existenzsichernde Einkommen, die zwischen Fr. 18'505.- und Fr. 47'518.- lagen. Von 1984 bis zum massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses sind teils keine, teils Einkommen zwischen Fr. 184.- und Fr. 27'614.- verzeichnet, ab dem Jahre 1996 sind keine Einträge mehr vorhanden. 
bb) Gemäss der psychiatrischen Beurteilung der Frau Prof. Dr. med. R.________ und des Dr. med. V.________ vom 30. Juni 1999, die im Rahmen der MEDAS-Begutachtung erfolgte, besteht diagnostisch eine rezidivierende depressive Störung mit Status nach wiederholten Suizidversuchen sowie eine Polytoxikomanie bei gegenwärtig schädlichem Genuss von Alkohol und Cannabis. Anamnestisch zeigte sich bereits beim zwölf Jahre alten Versicherten eine Tendenz zum Suchmittelmissbrauch, anfänglich Alkohol und Schmerzmittel, später Cannabis, Heroin und Kokain. Es gab deutliche Hinweise für eine depressive Störung beim erst 17 Jahre alten Versicherten. 
Nach Abschluss der Berufslehre folgte ein zunächst allmählicher, sich dann beschleunigender beruflicher und sozialer Abstieg, einhergehend mit schweren depressiven Störungen und Episoden, mehreren Suizidversuchen und fortgesetztem, exzessiven Suchtmittelkonsum. Während des Vollzugs einer Gefängnisstrafe vom August 1997 bis März 1998 waren dem Versicherten die Suchtmittel kalt entzogen worden, was zu angeblicher Abstinenz, allerdings substituiert durch massiven Alkohol- und Cannabiskonsum, geführt hatte. 
 
d) In Anbetracht des in den IK-Auszügen dokumentierten Verlaufs des Erwerbslebens und der Ausführungen der Psychiater im Gutachten der MEDAS ist entgegen der Auffassung des BSV nicht mit dem im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der Beschwerdegegner zugunsten grösserer Freizeit seine Erwerbstätigkeit eingeschränkt hatte. Auszugehen ist vielmehr davon, dass er nicht freiwillig auf höhere Einkünfte verzichtete, sondern im Wesentlichen aus gesundheitlichen Gründen gehindert war, eine Erwerbstätigkeit im üblichen Rahmen auszuüben. Im für die Beurteilung massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses würde er ohne Gesundheitsschaden ein Einkommen erzielen, mit dem er seine und die Existenz seines 1988 geborenen Kindes zu sichern vermöchte. 
Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdegegner ohne gesundheitliche Beeinträchtigung einen beruflichen Aufstieg realisiert hätte, weshalb anzunehmen ist, dass er weiterhin im Hoch- und Tiefbaugewerbe arbeiten würde. Auf die im individuellen Konto eingetragenen Einkommen kann nicht abgestellt werden, nachdem nicht bekannt ist, mit welchem zeitlichen Aufwand sie erzielt wurden. 
Es ist demnach auf Durchschnittswerte zurückzugreifen, wie sie in der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik ermittelt werden. Gemäss Tabelle TA1 der LSE 1998 belief sich der monatliche Bruttolohn (Zentralwert bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden) für die mit einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) im Baugewerbe beschäftigten Männer im Jahre 1998 auf Fr. 4'344.-, was einem Jahreslohn von Fr. 52'128.- entspricht. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen betriebsüblichen Arbeitszeit im Jahre 1998 von 41,9 Stunden (Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2001 S. 192 T3.2.3.5.) ergibt sich ein Jahreseinkommen von Fr. 54'604.-. Im Vergleich zum unbestritten gebliebenen Invalideneinkommen, das die Vorinstanz gestützt auf die Tabellenwerte der LSE 1998 auf Fr. 24'138.- festsetzte, resultiert ein Invaliditätsgrad von 55,8 %, mithin ein Anspruch auf eine halbe Invalidenrente. 
Die mit der Vernehmlassung geltend gemachte, nicht begründete Festsetzung des Valideneinkommens auf Fr. 70'000.- führt verglichen mit dem erwähnten Invaideneinkommen zu einem Invaliditätsgrad von 65,5 %, mithin zu keinem anderen Ergebnis. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 16. April 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: