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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_1048/2009 
 
Urteil vom 16. April 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Niquille, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, Schadenservice, 8048 Zürich, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
N.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Cordula Spörri, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Oktober 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1944 geborene N.________, welcher als Einrahmer/Restaurator/ Gallerist durch seine Arbeitgeberin, die B.________ AG, bei der Berner Allgemeine Versicherungs-Gesellschaft (nunmehr Allianz Suisse Versicherungs-Gesellschaft AG, nachfolgend: Allianz) u.a. obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert war, erlitt bei einem Auffahrunfall am 25. Juni 1999 ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule und ein Knalltrauma. Die Unfallversicherung erbrachte Heilbehandlung und richtete Taggelder aus. Bereits am 29. Juni 1999 stellte Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, einen nach dem Unfall aufgetretenen störenden Tinnitus fest. In der Folge wurde N.________ insbesondere durch Neurologen und ORL-Fachärzte mehrfach untersucht und begutachtet. Letztere stellten übereinstimmend einen Tinnitus und eine möglicherweise traumatisch ausgelöste sensorineurale Hochtonschwerhörigkeit fest. Eine psychiatrische Begutachtung durch Dr. med. H.________ ergab keine relevanten Befunde. Schliesslich wurde im Auftrag der Allianz eine Schlussbegutachtung durch die Dres. med. S.________, Leitender Arzt der Klinik für Ohren-, Nasen-, Hals- und Gesichtschirurgie am Spital R.________ (Teilgutachten vom 17. November 2004), und M.________, Leitender Arzt Neurologie an der Klinik C.________ (Gutachten vom 28. Oktober 2005), vorgenommen. Mit Verfügung vom 5. September 2007 teilte die Allianz N.________ mit, er habe mangels Kausalität zwischen den geltend gemachten Beschwerden und dem Unfall vom 25. Juni 1999 über den 31. Dezember 2003 hinaus keinen weiteren Anspruch auf Versicherungsleistungen. Daran hielt die Unfallversicherung auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 15. Mai 2008). 
 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die gegen den Einspracheentscheid geführte Beschwerde in dem Sinne gut, als es diesen aufhob, den Kausalzusammenhang zwischen dem Tinnitus und dem Unfall vom 25. Juni 1999 bejahte und die Sache an die Allianz zurückwies, damit diese nach Vornahme eines Einkommensvergleichs über den Leistungsanspruch in Form einer Rente und einer Integritätsentschädigung neu verfüge. 
 
C. 
Die Allianz führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Entscheid aufzuheben und der Einspracheentscheid vom 14. Mai 2008 zu bestätigen. 
N.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Beim angefochtenen Rückweisungsentscheid handelt es sich, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen wird und die Rückweisung auch nicht einzig der Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient, um einen selbstständig eröffneten Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG. Die Zulässigkeit der Beschwerde setzt somit - alternativ - voraus, dass der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder dass die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b). Im Umstand, dass der vorinstanzliche Entscheid materiell verbindliche Anordnungen an den Unfallversicherer in Bezug auf den von ihr im Einspracheentscheid verneinten und für die weitere Leistungspflicht vorausgesetzten Kausalzusammenhang enthält, der darauf beruhende Endentscheid praktisch nicht angefochten und das Ergebnis nicht mehr korrigiert werden könnte, ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne des Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu erblicken (zum Ganzen: Urteil 8C_531/2008 vom 8. April 2009 E. 1 mit Hinweisen, nicht publ. in: BGE 135 V 279, aber in: SVR 2009 UV Nr. 40 S. 137). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten. 
 
2. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
3. 
Streitig und zu prüfen ist, ob für den diagnostizierten Tinnitus über den 31. Dezember 2003 hinaus ein Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung besteht. Zu beurteilen ist insbesondere der Kausalzusammenhang zwischen dem Gesundheitsschaden und dem versicherten Ereignis. 
 
4. 
4.1 Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im vorinstanzlichen Entscheid, auf den verwiesen wird, zutreffend dargelegt. Das betrifft namentlich die Grundsätze über den für einen Leistungsanspruch aus der obligatorischen Unfallversicherung erforderlichen kausalen Zusammenhang. Die Leistungspflicht des Unfallversicherers setzt nebst anderem einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden voraus (BGE 129 V 177 E. 3.1 und 3.2 S. 181). Liegt eine Gesundheitsschädigung mit einem klaren organischen Substrat vor, kann der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel ohne weiteres zusammen mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden. Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier lässt sich die Adäquanzfrage nicht ohne eine besondere Prüfung beantworten. 
 
4.2 Zu ergänzen ist, dass wenn die Unfallkausalität einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die deswegen anerkannte Leistungspflicht des Unfallversicherers erst entfällt, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also Letzterer nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht. Dies trifft dann zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (Status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (Status quo sine), erreicht ist. Ebenso wie der leistungsbegründende natürliche Kausalzusammenhang muss das Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen eines Gesundheitsschadens mit dem im Sozialversicherungsrecht allgemein üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein. Die blosse Möglichkeit nunmehr gänzlich fehlender ursächlicher Auswirkungen des Unfalls genügt nicht. Da es sich hierbei um eine anspruchsaufhebende Tatfrage handelt, liegt die entsprechende Beweislast - anders als bei der Frage, ob ein leistungsbegründender natürlicher Kausalzusammenhang gegeben ist - nicht beim Versicherten, sondern beim Unfallversicherer. 
 
5. 
5.1 Wie das kantonale Gericht gestützt auf die verschiedenen spezialärztlichen Feststellungen zu Recht dargelegt hat, steht der Tinnitus des Beschwerdeführers in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit dem Unfall vom 25. Juni 1999. Es wird auf die entsprechenden Ausführungen in Erwägung 2.2 des angefochtenen Entscheides verwiesen. Die Vorbringen in der Beschwerdeschrift können daran nichts ändern. Bereits vier Tage nach dem Unfall wurde der Versicherte von Dr. med. D.________ untersucht. Dieser stellte einen nach dem Unfall aufgetretenen Tinnitus und audiologisch objektivierbare beidseitige relativ ausgeprägte 6000 Hz Senken fest. Hinsichtlich der Hochtonschwerhörigkeit schloss der Arzt eine Verstärkung im Rahmen des HWS-Traumas nicht aus, nahm aber an, die Ursache der Schädigung liege in einer früheren akustischen Belastung. Worin diese bestanden haben könnte wird nicht konkretisiert. Sie hat laut Ausführungen des Versicherten nie vorgelegen und ergibt sich auch nicht aus dem bekannten beruflichen Werdegang des Beschwerdegegners. Überdies stellte Dr. med. S.________ anlässlich seiner ersten Untersuchung des Beschwerdegegners am 11. Juli 2000 ein komplexes posttraumatisches Störungsbild mit Tinnitus und einer möglicherweise durch den Unfall ausgelösten sensorineuralen Hochtonschwerhörigkeit nach Schleudertrauma fest. Schliesslich führt auch Dr. med. M.________ in seinen Gutachten vom 24. Juli 2002 und vom 28. Oktober 2005 klar und unmissverständlich aus, dass der Tinnitus mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen ist. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde ergibt sich aus dem Wortlaut der spezialärztlichen Berichte eindeutig, dass die Experten einzig bei der Kausalitätsbeurteilung des Verlustes der Hörfähigkeit der hohen Töne - und nicht des Tinnitus - verschiedene Ursachen erwägen. Der ORL-Arzt, Dr. med. S.________, vermutet aber wegen der Gleichzeitigkeit der beiden Ohrenschädigungen ebenfalls eine unfallmässige Verursachung. 
 
5.2 Ein Tinnitus kann auch krankheitsbedingt auftreten. Nachdem die Beschwerdeführerin aber für dessen Folgen während Jahren Leistungen erbrachte, würde es ihr obliegen, den Status quo sine oder ante nachzuweisen (vgl. E. 4.2), der Gesundheitsschaden also entweder schon vor dem Unfall in entsprechendem Ausmass vorlag, oder bis zum Zeitpunkt der Leistungseinstellung seinen vom Unfall unbeeinflussten schicksalsmässigen Verlauf genommen hat. Das gelingt angesichts der widerspruchsfreien medizinischen Unterlagen nicht, womit vom natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem versicherten Unfall und dem Tinnitus auszugehen ist. 
 
6. 
Neben der Verneinung des natürlichen Kausalzusammenhanges begründet die Beschwerdeführerin ihre Leistungseinstellung insbesondere auch mit der ihres Erachtens fehlenden Adäquanz. 
Beim Tinnitus handelt es sich um ein körperliches Leiden, dessen eigentliche Ursache in einem kleineren oder grösseren Innenohrschaden zu suchen ist (RKUV 2004 Nr. U 505 S. 246 E. 2.1 mit Hinweis). Bei organischen Unfallfolgen deckt sich die adäquate, d.h. rechtserhebliche Kausalität weitgehend mit der natürlichen Kausalität; die Adäquanz hat hier gegenüber dem natürlichen Kausalzusammenhang praktisch keine selbstständige Bedeutung (Erwägung 4.1 hievor). Demnach ist im vorliegenden Fall auch der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem diagnostizierten schweren Tinnitus zu bejahen. 
 
7. 
Die Vorinstanz stellte fest, der Beschwerdegegner sei durch den Tinnitus in seiner angestammten Tätigkeit zu 70 % in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. Diese Beurteilung ergibt sich aus den medizinischen Akten, insbesondere aus dem Schlussgutachten der Klinik C._________ vom 28. Oktober 2005, in welchem Dr. med. M.________ die Einschränkung überzeugend begründet. Sie wird von der Beschwerdeführerin in masslicher Hinsicht auch nicht gerügt. Das kantonale Gericht hat die Sache daher zu Recht an die Allianz zurückgewiesen, damit diese mittels Einkommensvergleich auf der Basis der 70%igen Arbeitsunfähigkeit feststelle, wie hoch der Invaliditätsgrad des Versicherten sei und hernach über den Anspruch auf eine Rente und eine Integritätsentschädigung neu verfüge. 
 
8. 
Dem Prozessausgang entsprechend hat die Allianz die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG) zu tragen und dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 2 BGG; BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235 mit Hinweisen). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 16. April 2010 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Schüpfer