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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1259/2019  
 
 
Urteil vom 16. April 2020  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Koch, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafzumessung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 26. August 2019 (SBR.2018.45). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Das Obergericht des Kantons Thurgau sprach den Beschwerdeführer im Berufungsverfahren mit Entscheid vom 26. August 2019 wegen gewerbsmässigen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung sowie Fahrens ohne Berechtigung und mehrfachen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern schuldig. Es bestrafte den Beschwerdeführer wegen des Betrugs und der Urkundenfälschung im Zusatz zum Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 4. Dezember 2015 mit einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten (unter Anrechnung der Untersuchungshaft von zwei Tagen). Für die SVG-Delikte hielt es eine Freiheitsstrafe für unangemessen und erwog, es wäre grundsätzlich eine Geldstrafe auszusprechen. Angesichts des leichten Verschuldens, der langen Verfahrensdauer und des Umstands, dass der Beschwerdeführer nebst der unbedingten Freiheitsstrafe die Verfahrenskosten zu tragen habe, nahm es insoweit von einer Strafe Abstand. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt der Beschwerdeführer sinngemäss die Aufhebung des angefochtenen Entscheids. 
Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau beantragen in ihren Vernehmlassungen vom 30. März und 6. April 2020 die Abweisung der Beschwerde. 
 
2.  
 
2.1. Streitig ist einzig der Strafpunkt. Der Beschwerdeführer beanstandet die Strafzumessung bezüglich des Betrugs und der Urkundenfälschung und beantragt eine Neubeurteilung. Er macht im Wesentlichen eine fehlerhafte Beurteilung der Täterkomponente geltend. Die Vorstrafen seien rechtswidrig berücksichtigt worden. Das "Ganze" liege zudem weit zurück. Er habe sich seit Jahren anstandslos verhalten, arbeite, habe eine Familie und pflege einen Freundeskreis. Heute sei es noch härter, dafür bestraft zu werden. Seine Familie leide darunter.  
 
2.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung nach Art. 47 ff. StGB wiederholt dargelegt (siehe z.B. BGE 136 IV 55 E. 5.4 ff. mit Hinweisen). Entsprechendes gilt für die Bildung der Einsatz- und der Gesamtstrafe nach Art. 49 Abs. 1 StGB in Anwendung des Asperationsprinzips (BGE 141 IV 61 E. 6.1.2; 132 IV 102 E. 8 f.; je mit Hinweisen) und die methodischen Grundsätze betreffend die Bemessung der Zusatzstrafe (BGE 145 IV 1 E. 1.2 S. 5 ff.; 142 IV 329 E. 1.4 S. 330 ff.; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden. Das Sachgericht verfügt auf dem Gebiet der Strafzumessung über einen Ermessensspielraum. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen beziehungsweise in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6; 135 IV 130 E. 5.3.1; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz geht bei der Bestimmung der Einsatzstrafe von der versuchten schweren Körperverletzung als schwerste Tat aus, wofür das Obergericht des Kantons Bern den Beschwerdeführer am 4. Dezember 2015 rechtskräftig mit 36 Monaten bestrafte. Diese Strafe erhöht die Vorinstanz in Anwendung des Asperationsprinzips aufgrund der von ihr beurteilten Straftaten (Betrug, Urkundenfälschungen) um 30 Monate auf eine Gesamtstrafe von 66 Monaten. Zur Täterkomponente führt sie aus, die erste Instanz habe zu Recht drei Vorstrafen aus den Jahren 2009/2010 wegen Verkehrsdelikten, Sachbeschädigung und Störung des öffentlichen Verkehrs berücksichtigt. Zudem habe der Beschwerdeführer die versuchte schwere Körperverletzung während der Probezeit begangen, weswegen das Obergericht des Kantons Bern die Einsatzstrafe um 6 Monate erhöht habe. Strafmindernd sei die Reue und der Umstand zu gewichten, dass der Beschwerdeführer sein Leben in den Griff bekommen habe. Er sei geständig und habe mit den Untersuchungsbehörden kooperiert. Eine erhöhte Strafempfindlichkeit sei indes nur bei aussergewöhnlichen Umständen zu bejahen. Rein familiäre Gründe führten nicht zu einer erhöhten Strafempfindlichkeit und somit auch nicht zu einer Strafreduktion. Strafmindernd falle die Verletzung des Beschleunigungsgebots ins Gewicht. Die vorliegende Verfahrensdauer sei unangemessen lang. Kein Raum bestehe hingegen für eine Strafmilderung nach Art. 48 lit. e StGB. Aufgrund der Straferhöhungs- und Strafminderungsgründe rechtfertige sich eine Reduktion der Gesamtstrafe um 20 Monate auf 46 Monate. Davon sei die rechtskräftige Strafe des Obergerichts des Kantons Bern von 36 Monaten abzuziehen, was zu einer unbedingt vollziehbaren Zusatzstrafe von 10 Monaten führe.  
 
2.4. Die Vorinstanz stellt für die Einsatzstrafe zutreffend auf die vom Obergericht des Kantons Bern ausgefällte Strafe von 36 Monaten für die versuchte schwere Körperverletzung ab. In dieser Einsatzstrafe sind die Vorstrafen des Beschwerdeführers aus den Jahren 2009/2010 wegen Sachbeschädigung, Verkehrsdelikten und Störung der öffentlichen Ordnung sowie seine Delinquenz während laufender Probezeit im Umfang von 6 Monaten bereits straferhöhend enthalten und damit abgegolten (siehe Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 4. Dezember 2015, S. 39 oben). Nichtsdestotrotz weist die Vorinstanz unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung der Täterkomponente erneut sowohl auf diese Vorstrafen als auch die Delinquenz des Beschwerdeführers während laufender Probezeit hin und vermerkt, dass die erste Instanz und das Obergericht des Kantons Bern insoweit (zu Recht) Straferhöhungen vorgenommen hätten. Daraus lässt sich zwar nicht entnehmen, in welchem Ausmass sie diese Umstände selber bei der Strafzumessung letztendlich konkret in Rechnung stellt. Aus ihren Erwägungen muss aber geschlossen werden, dass sie sowohl die referierten Vorstrafen als auch die Delinquenz des Beschwerdeführers während der laufenden Probezeit erneut zu dessen Lasten straferhöhend berücksichtigt, was unzulässig ist (vgl. Urteile 6B_905/2018 vom 7. Dezember 2018 E. 4.3.3 und 6B_466/2013 vom 25. Juli 2013 E. 2.3.2). Im Übrigen setzt sich die Vorinstanz im Rahmen der Täterkomponente mit den strafzumessungsrelevanten Faktoren ohne Rechtsverletzung auseinander. Sie würdigt das Geständnis, die Kooperationsbereitschaft und Reue sowie die Frage der Strafempfindlichkeit und die Verfahrensdauer in vertretbarer Weise. Eine Strafmilderung nach Art. 48 lit. e StGB, wie sie der Beschwerdeführer offensichtlich im Auge zu haben scheint, schliesst die Vorinstanz im Einklang mit Bundesrecht aus. Eine solche bedingt gemäss Rechtsprechung, dass zwei Drittel der Verjährungsfrist abgelaufen sind (BGE 140 IV 145 E. 3.1 je mit Hinweis). Dies ist angesichts der Verjährungsfrist des gewerbsmässigen Betruges von 15 Jahren (Art. 97 Abs. 1 lit. b StGB) und der Verfahrensdauer von rund 8½ Jahren vorliegend nicht der Fall.  
 
3.   
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten in Bezug auf die unzulässige doppelte Berücksichtigung von Straferhöhungsgründen (Vorstrafen, Delinquenz während Probezeit) als berechtigt und ist im Verfahren nach Art. 109 BGG gutzuheissen. Die Vorinstanz wird die Strafe neu festzusetzen haben. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist dem Beschwerdeführer nicht zuzusprechen, da er sich nicht anwaltlich vertreten liess. Eine Umtriebsentschädigung wird nur bei "besonderen Verhältnissen" ausgerichtet, die hier nicht gegeben sind. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist ebenso wie das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid vom 26. August 2019 wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. April 2020 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill