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«AZA» 
U 302/99 Vr 
 
IV. Kammer 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiberin Weber Peter 
 
 
Urteil vom 16. Mai 2000 
 
in Sachen 
La Suisse Versicherungen, Avenue de Rumine 13, Lausanne, Beschwerdeführerin, 
gegen 
M.________, 1972, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt P.________, 
und 
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau 
 
 
A.- Die 1972 geborene M.________ war bei der La Suisse Versicherungen (nachfolgend: La Suisse) obligatorisch gegen Unfälle versichert, als sie am 16. Juli 1991 auf einer Rundreise durch Kalifornien als Beifahrerin einen Autounfall erlitt, bei dem das Fahrzeug von der Strasse abkam, einen Hang hinunter stürzte und sich mehrmals überschlug. Sie zog sich dabei u.a. eine Distorsion der HWS sowie eine Kontusion der rechten Schulter zu. Es folgten zahlreiche medizinische Abklärungen und Behandlungen, zuletzt in der Rheuma- und Rehabilitationsklinik X.________ (Gutachten vom 12. September 1997). Zudem wurde ein Gutachten beim Psychiater Dr. med. H.________ (vom 24. März 1997) eingeholt. 
 
Mit Verfügung vom 6. Mai 1998 stellte die La Suisse die Ausrichtung der gesetzlichen Leistungen rückwirkend per 1. Februar 1994 ein, da weder der natürliche noch der adäquate Kausalzusammenhang gegeben seien. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 26. Oktober 1998 fest. 
 
B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hob in teilweiser Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde den Einspracheentscheid vom 26. Oktober 1998 auf, verpflichtete die La Suisse, der Versicherten die gesetzlichen Leistungen für den Unfall vom 16. Juli 1991 auch nach dem 1. Februar 1994 auszurichten, und wies die Sache zur Festlegung der Leistungen und zur neuen Verfügung an die La Suisse zurück (Entscheid vom 2. Juni 1999). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die La Suisse die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und Bestätigung des Einspracheentscheides. 
Während M.________ auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lassen. 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Das kantonale Gericht hat die massgebenden Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf Behandlung der Unfallfolgen (Art. 10 Abs. 1 UVG), auf Taggeld (Art. 16 Abs. 1 UVG), auf Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) und auf Integritätsentschädigung (Art. 24 UVG) zutreffend dargelegt. Richtig ist auch die Wiedergabe der Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod) (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Gleiches gilt für die vom Eidgenössischen Versicherungsgericht entwickelten Grundsätze zum erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und der in der Folge eintretenden psychischen Fehlentwicklung mit Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit (BGE 115 V 133). Ferner hat das kantonale Gericht zutreffend festgestellt, dass in Fällen, in welchen die zum typischen Beschwerdebild eines Schleudertraumas der HWS gehörenden Beeinträchtigungen zwar teilweise gegeben sind, im Vergleich zur vorliegenden ausgeprägten psychischen Symptomatik aber ganz in den Hintergrund treten, die Beurteilung der adäquaten Kausalität unter dem Gesichtspunkt einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall vorzunehmen ist (BGE 123 V 99 Erw. 2a mit Hinweisen). Auf diese Erwägungen kann verwiesen werden. Richtig sind schliesslich auch die Ausführungen zum Beweiswert eines ärztlichen Gutachtens (BGE 122 V 160 Erw. 1c; RKUV 1991 Nr. U 133 S. 312) sowie zur Beweiswürdigung medizinischer Berichte. 
Zu betonen bleibt, dass, falls die Unfallkausalität einmal mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, die deswegen anerkannte Leistungspflicht des Unfallversicherers erst entfällt, wenn der Unfall nicht mehr die natürliche und adäquate Ursache des Gesundheitsschadens darstellt, wenn also letzterer nur noch und ausschliesslich auf unfallfremden Ursachen beruht (Maurer, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 474). Dies trifft dann zu, wenn entweder der (krankhafte) Gesundheitszustand, wie er unmittelbar vor dem Unfall bestanden hat (status quo ante) oder aber derjenige Zustand, wie er sich nach dem schicksalsmässigen Verlauf eines krankhaften Vorzustandes auch ohne Unfall früher oder später eingestellt hätte (status quo sine) erreicht ist (RKUV 1994 Nr. U 206 S. 328 Erw. 3b mit Hinweisen). 
 
2.- Streitig und zu prüfen ist vorliegend einzig der adäquate Kausalzusammenhang. 
 
a) Wie die Vorinstanz im sorgfältig und überzeugend begründeten Entscheid zutreffend erkannt hat, hat die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs nicht nach der Praxis bei Vorliegen eines Schleudertraumas der HWS zu erfolgen. Vielmehr ist es im vorliegenden Fall - entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin - sachgerechter, die Beurteilung nach der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen vorzunehmen. Denn auf Grund der medizinischen Aktenlage ist es offensichtlich, dass das in den ersten Monaten nach dem Unfallgeschehen geprägte Beschwerdebild in der Folge in eine psychische Überlagerung umgeschlagen hat, welche schliesslich eindeutig Dominanz aufwies. So ist gemäss dem Psychiater Dr. med. H.________ (Gutachten vom 24. März 1997) von einer vorwiegend psychodynamischen Genese der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung auszugehen. Für die Adäquanzbeurteilung sind damit die in BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa festgelegten Kriterien massgebend (BGE 123 V 99 Erw. 2a), wie die Vorinstanz richtig festgehalten hat. 
 
b) Das kantonale Gericht hat den Verkehrsunfall vom 16. Juli 1991 zu Recht nicht den schweren, sondern den mittleren Fällen zugeordnet. Auf Grund des augenfälligen Geschehensablaufes und der Verletzungen, die sich die Beschwerdegegenerin zuzog, kann der Unfall - entgegen ihrer Auffassung - nicht als schwer qualifiziert werden. Insbesondere liegt im Sinne der Praxis (dargestellt in RKUV 1995 Nr. U 215 S. 91) kein ausserordentlich schweres lebensbedrohendes Geschehen vor. Ebensowenig ist der Unfall den schweren Fällen im mittleren Bereich zuzuordnen. 
 
c) Das kantonale Gericht hat mehrere der in BGE 115 V 140 Erw. 6c/aa festgelegten Kriterien als erfüllt angesehen, sodass die Gesamtbeurteilung zu einer Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhang führte. Diese Auffassung ist zutreffend. 
 
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vorgebracht, was zu einer andern Betrachtungsweise führen könnte. Insbesondere kann entgegen der Beschwerdeführerin dem Unfallgeschehen, bei welchem das Fahrzeug seitlich einen Abhang hinunter stürzte, dreimal überschlug, entsprechend der Bilddokumentation erheblich zerstört mit zerschlagenen Scheiben liegen blieb und alle Insassen verletzt wurden, eine besondere Eindrücklichkeit nicht abgesprochen werden. Mit der Vorinstanz ist zudem festzustellen, dass das Distorsionstrauma der Halswirbelsäule mit der Häufung der seit dem Unfall geklagten Beschwerden (Gutachten der Rheuma- und Rehabilitationsklinik X.________ vom 12. September 1997 und Schreiben vom 9. Januar 1998) und den schwerwiegenden Auswirkungen auf Befinden und Leistungsfähigkeit im vorliegenden Fall das Kriterium der besonderen Art der erlittenen Verletzung erfüllt. Was die weiteren Kriterien (ungewöhnlich lange Dauer der ärztlichen Behandlung, Dauerbeschwerden, schwieriger Heilungsverlauf und Komplikationen sowie Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit) betrifft, bestreitet die Beschwerdeführerin deren Vorhandensein jeweils mit der Begründung, dass erst anfangs Februar 1994 eine unaufhaltsame Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten eingetreten sei. Auf Grund der verschiedenen Gutachten stehe eine dysfunktionale Traumaverarbeitung mit teilweise sekundärer Somatisierung der Beschwerden im Vordergrund, was auf die Persönlichkeit und die Lebenssituation der Versicherten zurückzuführen und mithin nicht unfallkausal sei. Ein solcher Chronifizierungsprozess erfolge unabhängig vom Unfallereignis und sei durch unfallfremde Faktoren begünstigt. Diese Auffassung verfängt nicht. So darf die Frage, ob ein Unfall nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet ist, eine psychische Gesundheitsschädigung herbeizuführen, in der sozialen Unfallversicherung nicht auf den psychisch gesunden Versicherten beschränkt werden. Vielmehr ist auf eine weite Bandbreite der Versicherten abzustellen. Hiezu gehören auch jene Versicherte, die auf Grund ihrer Veranlagung für psychische Störungen anfälliger sind und einen Unfall seelisch weniger gut verkraften als Gesunde. Die Gründe dafür, dass einzelne Gruppen von Versicherten einen Unfall langsamer oder schlechter verarbeiten als andere, können z.B. in einer ungünstigen konstitutionellen Prädisposition oder allgemein in einem angeschlagenen Gesundheitszustand, in einer psychisch belastenden sozialen, familiären oder beruflichen Situation oder in der einfach strukturierten Persönlichkeit des Verunfallten liegen. Somit bilden im Rahmen der erwähnten, weit gefassten Bandbreite auch solche Versicherte Bezugspersonen für die Adäquanzbeurteilung, welche im Hinblick auf die erlebnismässige Verarbeitung eines Unfalles zu einer Gruppe mit erhöhtem Risiko gehören, weil sie aus versicherungsmässiger Sicht auf einen Unfall nicht optimal reagieren (BGE 115 V 135 Erw. 4b f. mit Hinweisen). Dr. med. H.________ spricht bei der Versicherten von psychodynamisch begründeten Persönlichkeitsstrukturen, welche Einfluss auf die Verarbeitung des Unfalles haben. Nach dem Gesagten geht es vorliegend insbesondere angesichts der Schwere des Unfalls nicht an, in erster Linie die Persönlichkeitsstruktur im Sinne eines unfallfremden Faktors für die psychische Fehlverarbeitung verantwortlich machen zu wollen. Vielmehr ist die durch die psychische Prädisposition begünstigte Chronifizierung als unfallkausal zu beurteilen. 
Entgegen der Beschwerdeführerin sind auch die weitern Kriterien erfüllt. So steht die Versicherte seit dem Unfall fast ununterbrochen in ärztlicher Betreuung nicht zuletzt auch zur Behandlung von somatischen Beschwerden, wie die medizinischen Gutachten belegen. Der Heilungsverlauf ist als schwierig im Sinne der Rechtsprechung zu betrachten, da die Beschwerden seit dem Unfall andauern, ohne dass die ärztliche Behandlung zu einer wesentlichen Linderung der Symptomatik geführt hätte, vielmehr hat sie sich im Verlaufe der Zeit eher verstärkt. Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit sind ebenfalls beachtlich. Nach dem Unfall war die Beschwerdegegnerin während ca. drei Monaten zu 50 % arbeitsunfähig, danach arbeitete sie wieder voll bis sie ab Mitte 1993 die Tätigkeit als Musiklehrerin schmerzbedingt reduzieren musste. Von Februar 1994 bis 1997 war sie mit Ausnahme von kürzeren Unterbrüchen stets teilweise oder ganz arbeitsunfähig und seit Februar 1997 schliesslich beträgt ihre Arbeitsunfähigkeit dauernd 100 %. 
 
d) Nach dem Gesagten steht fest, dass die Vorinstanz den adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und der anhaltenden vorwiegend psychisch bedingten Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit und mithin die Leistungspflicht der La Suisse auch nach dem 1. Februar 1994 zu Recht bejaht hat, weshalb der kantonale Rückweisungsentscheid nicht zu beanstanden ist. 
 
3.- Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend steht der anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerin eine durch die La Suisse zu tragende Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
III. Die La Suisse Versicherungen hat der Beschwerde- 
gegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen 
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von 
Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu be- 
zahlen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs- 
gericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für 
Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 16. Mai 2000 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
 
 
 
Die Gerichtsschreiberin: