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[AZA 7] 
P 40/99 Vr 
 
IV. Kammer 
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Arnold 
 
Urteil vom 16. Mai 2001 
 
in Sachen 
 
S.________, 1954, Beschwerdeführerin, vertreten durch 
Rechtsanwalt Urban Friedrich, Löwenstrasse 12, 8280 Kreuzlingen, 
 
gegen 
 
Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, EL-Stelle, 
St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld, Beschwerdegegner, 
 
und 
 
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden 
 
A.- Die 1954 geborene S.________ bezog seit 1. August 1991 eine ganze Invalidenrente nebst einer Kinderrente für Sohn Z.________, geb. 10. April 1983. Auf Anmeldung vom 23. März 1992 hin sprach ihr die Ausgleichskasse des Kantons Thurgau - ab 1. Januar 1996 das nunmehr zuständige kantonale Amt für AHV und IV - in der Folge seit 1. September 1992 Ergänzungsleistungen zu, deren Höhe jeweils den veränderten Verhältnissen angepasst wurde. 
Gestützt auf die Angaben in der Anmeldung vom 23. März 1992 legte die Verwaltung der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung u.a. anfänglich ein Vermögen von Fr. 63.-, ab 1. Januar 1993 von Fr. 0.-, zu Grunde. Im September 1996 bekräftigte die Versicherte im Rahmen der Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse, sie habe keine Vermögenswerte (Wertschriften, Sparguthaben). Im Zuge anfangs Juli 1997 eröffneter polizeilicher Ermittlungen gegen S.________ und Z.________ wegen Verdachts des Betruges, der Urkundenfälschung, der Hehlerei sowie weiteren Delikten ergaben sich demgegenüber Anhaltspunkte dafür, dass die beiden verdächtigen Personen einerseits im In- und Ausland (Deutschland) über Vermögen in sechsstelliger Höhe verfügten, andererseits eine von der Stiftung X.________ für die obligatorische Vorsorge seit September 1991 ausgerichtete BVG-Invalidenrente samt Kinderrente nicht gemeldet worden war. 
Mit zwei Verfügungen vom 31. Juli 1998 verneinte das Amt für AHV und IV einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen mit Wirkung ab 1. April 1998 zufolge eines Einnahmenüberschusses; weiter verpflichtete sie S.________ die in der Zeit von September 1992 bis März 1998 zu viel bezogenen Ergänzungsleistungen im Betrag von Fr. 114'413. - zurückzuerstatten. 
 
B.- Die hiegegen erhobenen Beschwerden, mit welchen S.________ zur Hauptsache einerseits vollumfängliche Aufhebung der Rückerstattungsverpflichtung, andererseits die Zusprechung einer Ergänzungsleistung "unter Zugrundelegung eines anrechenbaren Vermögens von Fr. 5'246. 85 bzw. eines entsprechend reduzierten Vermögensverzehrs sowie von reduzierten Zinsen auf dem anrechenbaren Vermögen" beantragen liess, wies die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau ab (Entscheid vom 27. Mai 1999). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ das im kantonalen Verfahren gestellte Rechtsbegehren hinsichtlich Zusprechung einer Ergänzungsleistung mit Wirkung ab 1. April 1998 erneuern. Weiter beantragt sie, die Rückerstattungsverfügung wie der diese bestätigende kantonale Entscheid seien insoweit aufzuheben, als bei der Berechnung der Rückforderung höhere, als folgende Vermögen zu Grunde gelegt worden seien: für 1992: Fr. 36'247. 10; für 1993: Fr. 76'957. 80; für 1994: Fr. 76'580. 90; für 1995: Fr. 101'356. 65; für 1996: Fr. 132'280. 10; für 1997: Fr. 153'675. 75. 
Das Amt für AHV und IV schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen (einschliesslich deren Rückforderung) ist die Überprüfungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt, sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG). 
 
2.- a) Streitig und zu prüfen ist, ob Einkommen und Vermögen ausgewiesen sind, welche einerseits die rückwirkende Aufhebung und Rückerstattung der von 1. September 1992 bis 31. März 1998 bezogenen Ergänzungsleistungen und anderseits deren Einstellung mit Wirkung ab 1. April 1998 zufolge Einnahmenüberschusses rechtfertigen. 
 
b) Die kantonale Rekurskommission hat die gesetzlichen Bestimmungen zur Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Ergänzungsleistungen (Art. 27 Abs. 1 ELV in Verbindung mit Art. 47 AHVG) sowie die Rechtsprechung zur Wiedererwägung und zur prozessualen Revision (BGE 121 V 4 Erw. 6) zutreffend dargelegt, weshalb darauf verwiesen wird. Hinsichtlich der ebenfalls strittigen Einstellung der Ergänzungsleistungen ab 1. April 1998 ist - entsprechend dem Grundsatz, wonach in zeitlicher Hinsicht regelmässig diejenigen Rechtssätze massgeblich sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 123 V 224 Erw. 1a mit Hinweis) - die ab 1. Januar 1998 geltend gewesene Rechtslage einschlägig. Zu beachten sind namentlich Art. 2 Abs. 1 und Art. 3a, b und c ELG gemäss der Änderung vom 20. Juni 1997, am 1. Januar 1998 in Kraft gesetzt. 
 
3.- Auf Grund der Akten steht fest und ist zu Recht allseits unbestritten, dass die Berechnungen der jährlichen Ergänzungsleistungen vom 1. September 1992 bis 31. März 1998 unrichtig waren. Es wurden beispielsweise weder die von der Stiftung X.________ für die obligatorische Vorsorge seit September 1991 geleistete BVG-Invalidenrente samt Kinderrente noch in der Schweiz befindliche, auf den Sohn Z.________, geb. 10. April 1983, lautende Vermögenswerte (zwei Bankkonti, Wertschriften; Stand per 1. Januar 1998: Fr. 153'675. 75) berücksichtigt. Der Tatbestand der prozessualen Revision ist erfüllt, indem neue Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, in deren Lichte die strittigen Ergänzungsleistungen (vom 1. September 1992 bis 31. März 1998) als von Anfang an unrichtig zu qualifizieren sind. Die Frage, ob die Beschwerdeführerin die ihr auferlegten Meldepflichten verletzt hat, ist rückerstattungsrechtlich irrelevant. Es geht einzig darum, nach Entdeckung einer ursprünglich unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltsfeststellung den rechtmässigen Zustand wiederherzustellen (BGE 122 V 138 f. Erw. 2d und e, 115 V 313 Erw. 4a/aa). 
 
4.- a) Nebst den finanziellen Verhältnissen in der Schweiz dreht sich der Streit um die Neuberechnung der Ergänzungsleistung zur Ermittlung des Rückerstattungsbetrages letztinstanzlich hauptsächlich um die Frage, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin über in Deutschland liegendes Vermögen verfügte. Diese macht insbesondere geltend, von 1. März 1996 bis 5. Mai 1998 lediglich treuhänderisch für ihre Schwester V.________ ein Bankkonto mit einem Guthaben von DM 315'000. - geführt zu haben. Verwaltung wie Vorinstanz gehen demgegenüber davon aus, dass die Beschwerdeführerin, auf deren Namen das Konto lautete, während des gesamten Rückerstattungszeitraums, somit auch für die Zeit vom 1. September 1992 bis zur Eröffnung des genannten Bankkontos in Deutschland, über Vermögenswerte von mindestens DM 315'000. - frei disponieren konnte. Während die Rekurskommission dies als wahrscheinlich erachtet, hat die Verwaltung der Neuberechnung der Ergänzungsleistung für die gesamte Zeit ab 1. September 1992 bis 31. März 1998 jeweils konstant ein Vermögen von Fr. 250'000. - zu Grunde gelegt. 
 
b) Im Bereich der Ergänzungsleistungen gilt beweisrechtlich die Besonderheit, dass gerade das Fehlen von anrechenbarem 
Einkommen und Vermögen den Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu begründen vermag und dass die Ergänzungsleistung um so höher ausfällt, je geringer das anrechenbare Einkommen und das anrechenbare Vermögen sind. Handelt es sich aber beim - ganzen oder teilweisen - Fehlen von Einkommen und Vermögen um anspruchsbegründende Tatsachen, so trägt dafür grundsätzlich die Leistung beanspruchende Person die Beweislast (BGE 121 V 208 Erw. 6 mit Hinweisen). 
 
c) Die Verwaltung wird in Nachachtung dieser Beweislastregeln und in Würdigung der letztinstanzlich neu aufgelegten eidesstattlichen Versicherung der Schwester der Beschwerdeführerin vom 25. Februar 2000 sowie gegebenenfalls nach Abnahme weiterer Beweise, wie beispielsweise dem Beizug der Akten aus dem Strafverfahren, namentlich darüber zu befinden haben, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin im rückerstattungsrechtlich massgebenden Zeitraum vom 1. September 1992 bis 31. März 1998 über in Deutschland liegendes Vermögen verfügte. Sie wird dabei berücksichtigen, dass Änderungen im Rückerstattungszeitraum massgebend sind (BGE 122 V 19). Die vorinstanzlich bestätigte Neuberechnung der Ergänzungsleistung zur Ermittlung des Rückerstattungsbetrages geht für die Zeit ab 1. September 1992 bis 31. März 1998 von einem unveränderten Vermögen von Fr. 250'000. - aus. Sie lässt, soweit sie die in der Schweiz liegenden Vermögen überhaupt berücksichtigt, was nicht schlüssig beurteilt werden kann, ausser Acht, dass sich jenes im fraglichen Zeitraum erheblich erhöht hat (31. Januar 1992: Fr. 36'287. -; 31. Dezember 1997: Fr. 153'675. -) und ist insoweit bundesrechtswidrig. Sofern sich die Beschwerdeführerin auf den Rechtsstandpunkt stellt, die Rückerstattungsforderung sei ihrerseits geeignet, einen neuen Anspruch auf Ergänzungsleistungen für den nämlichen Zeitraum zu begründen, kann dem nicht beigepflichtet werden. 
 
5.- Hinsichtlich der ebenfalls im Streite liegenden Einstellung der Ergänzungsleistungen mit Wirkung ab 1. April 1998 zufolge Einnahmenüberschusses gilt das zur Rückerstattungsverfügung Gesagte analog. Die Berücksichtigung eines Vermögens in - unveränderter - Höhe von Fr. 250'000. - ist auf Grund der heutigen Aktenlage nicht rechtens. Mit Blick auf diese und gestützt auf die Vorbringen der Parteien ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Sohn im April 1998 in der Schweiz über ein Vermögen von über Fr. 150'000. - - nach Angaben der Beschwerdeführerin Fr. 159'659. 85 - verfügten. Ob und inwieweit im massgeblichen Zeitpunkt weitere, allenfalls im Ausland liegende Vermögenswerte zu berücksichtigen sind, wird die Verwaltung in Berücksichtigung der genannten Beweislastregeln und in Würdigung der letztinstanzlich neu aufgelegten Beweismittel sowie gegebenenfalls nach Abnahme weiterer Beweise (vgl. Erw. 4c hievor) zu befinden haben. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I.In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau vom 27. Mai 1999 und die Verfügungen des Amtes für AHV und IV des Kantons Thurgau vom 31. Juli 1998 aufgehoben und die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und neu verfüge. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III. Das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500. - (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV.Die AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
 
V.Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
Luzern, 16. Mai 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident Der Gerichts- 
der IV. Kammer: schreiber: