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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_506/2021  
 
 
Urteil vom 16. Mai 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Schöbi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Dürst. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Betreibungsamt der Region Viamala, 
Rathaus, Untere Gasse 1, Postfach 180, 7430 Thusis. 
 
Gegenstand 
Aufforderung an Schuldner zur Bezeichnung eines Vertreters, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts von Graubünden, Schuldbetreibungs- und Konkurs-kammer als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, vom 9. Juni 2021 (KSK 21 25). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ befand sich in der Justizvollzugsanstalt Tignez in Cazis in Haft, als der Kanton Graubünden ihn am 23. September 2020 beim Betreibungs- und Konkursamt der Region Viamala für den Betrag von Fr. 430.-- zzgl. Gebühren betrieb. Die Zustellung des Zahlungsbefehls an A.________ erfolgte am 8. Oktober 2020, woraufhin dieser gleichentags Rechtsvorschlag erhob.  
 
A.b. Am 14. Januar 2021 erteilte das Regionalgericht Viamala für den Betrag von Fr. 430.-- Rechtsöffnung. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht mit Entscheid vom 14. April 2021 ab. Das Bundesgericht trat auf eine dagegen erhobene Beschwerde in Zivilsachen nicht ein (Urteil 5D_95/2021 vom 7. Juni 2021).  
 
A.c. Der Kanton Graubünden stellte am 18. Februar 2021 das Fortsetzungsbegehren. Der Pfändungsbeamte des Betreibungsamts Viamala lud A.________ zur Pfändungseinvernahme vor, letztmals mit Vorladung vom 9. April 2021. Mit Schreiben vom 19. April 2021 forderte das Betreibungsamt Viamala A.________ zur Bezeichnung eines Vertreters während der Haft auf.  
 
B.  
A.________ erhob mit Eingabe vom 26. April 2021 Beschwerde beim Kantonsgericht von Graubünden als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Mit Entscheid vom 9. Juni 2021 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 22. Juni 2021 (Postaufgabe) ist A.________ ans Bundesgericht gelangt. Der Beschwerdeführer beantragt im Wesentlichen die Feststellung, dass das Betreibungs- und Konkursamt Viamala ihn erst nach der Pfändung zur Bezeichnung eines Vertreters aufforderte. Sodann trägt er auf Aufhebung der Pfändung vom 13. April 2021 und des Verlustscheines vom 9. Juni 2021 sowie auf Lockerungen des Haftvollzuges an. Zudem verlangt er eine Umtriebsentschädigung. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
 
Das Kantonsgericht beantragt mit Verweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde. Das Betreibungsamt hat auf eine Vernehmlassung verzichtet und auf seine vorinstanzliche Stellungnahme vom 7. Mai 2021 verwiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist der Entscheid der einzigen kantonalen Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen, gegen den - unabhängig vom Streitwert - die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich ergriffen werden kann (Art. 19 SchKG i.V.m. Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 2 lit. c und Art. 75 Abs. 1 BGG).  
 
1.2. Die Beschwerdefrist beträgt zehn Tage (Art. 100 Abs. 2 lit. a BGG). Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers gab die Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils diese Frist zutreffend wieder. Die Beschwerde erfolgte innert Frist.  
 
1.3. Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E. 2). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 143 II 283 E. 1.2.2).  
 
1.4. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur soweit zulässig, als erst der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher auszuführen ist (BGE 133 III 393 E. 3). Neue Begehren sind nicht zulässig (Art. 99 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
Anlass zur Beschwerde gibt der Rechtsstillstand wegen Verhaftung gemäss Art. 60 SchKG
 
2.1. Wird ein Verhafteter betrieben, welcher keinen Vertreter hat, so setzt ihm der Betreibungsbeamte gemäss Art. 60 SchKG eine Frist zur Bestellung eines solchen. Während dieser Frist besteht für den Verhafteten Rechtsstillstand.  
Es ist unbestritten, dass durch die Inhaftierung des Beschwerdeführers ein Anwendungsfall von Art. 60 SchKG vorliegt. Es ist erstellt, dass der Beschwerdeführer erst zur Bezeichnung eines Vertreters aufgefordert wurde, nachdem namentlich der Zahlungsbefehl vom 8. Oktober 2020 und die Vorladung zur Pfändungseinvernahme vom 9. April 2021 in der Justizvollzuganstalt zugestellt wurden. Das Betreibungsamt hat in ihrer vorinstanzlichen Stellungnahme vom 7. Mai 2021 dann auch festgehalten, Art. 60 SchKG erst mit der Aufforderung vom 19. April 2021 befolgt zu haben. 
Strittig sind vorliegend die Folgen der verspäteten Aufforderung gemäss Art. 60 SchKG
 
2.2. Als nichtig gelten Verfügungen der Vollstreckungsbehörden, die Vorschriften verletzen, welche im öffentlichen Interesse oder im Interesse von nicht am Verfahren beteiligten Personen erlassen worden sind (Art. 22 Abs. 1 SchKG). Fehlerhafte Verfügungen der Vollstreckungsorgane sind in der Regel anfechtbar (Art. 17 SchKG).  
Art. 60 SchKG soll dem verhafteten Schuldner die Möglichkeit gewähren, seine Interessen angemessen zu wahren; die Bestimmung wurde nicht im Interesse der öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 SchKG erlassen, sondern will ausschliesslich den Schuldner selbst schützen (Urteil 5A_913/2013 vom 19. März 2014 E. 4.1; WYSSEN, Geschlossene Zeiten, Betreibungsferien und Rechtsstillstand, Art. 56 ff. SchKG, 1995, S. 134; SCHMID/BAUER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N 1 zu Art. 60). Betreibungshandlungen, die in Missachtung von Art. 60 SchKG vorgenommen wurden, sind nicht nichtig (Urteile 5A_917/2021 vom 19. Januar 2022 E. 4; 5A_913/2013 vom 19. März 2014 E. 4.1; SCHMID/BAUER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N 10 zu Art. 60) 
 
2.3. Die Vorinstanz hielt fest, der Beschwerdeführer habe Beschwerde gegen die Aufforderung zur Bezeichnung einer Vertretung erhoben. Sie wies die Beschwerde mit der Begründung ab, es sei darin keine Rechtsverletzung oder Unangemessenheit zu erblicken. Daran würden auch die Vorbringen des Beschwerdeführers nichts ändern, er sei aufgrund seiner Haft nicht in der Lage, einen Vertreter zu bezeichnen, da ihm im entsprechenden Schreiben vom 19. April 2021 die Rechtsfolgen diesbezüglich aufgezeigt worden seien.  
 
 
2.4. Der Beschwerdeführer moniert im Wesentlichen das falsche Vorgehen des Betreibungsamtes. Soweit er damit sinngemäss die Feststellung der Nichtigkeit der vor der Aufforderung vom 19. April 2021 vollzogenen Betreibungshandlungen zu beantragen scheint, hat die Vorinstanz diese zu Recht verneint.  
Es ist ohnehin nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch die Missachtung von Art. 60 SchKG Nachteile erlitten haben soll. So war es ihm möglich, ohne Bestellung eines Vertreters seine Interessen zu wahren, innert Frist Rechtsvorschlag gegen den Zahlungsbefehl zu erheben und sich gegen die Rechtsöffnung zur Wehr zu setzen (vgl. Urteil 5D_95/2021 vom 7. Juni 2021). Was die Vorladung zur Pfändungseinvernahme unter Strafandrohung vom 9. April 2021 betrifft, so hat das Betreibungsamt in ihrer vorinstanzlichen Stellungnahme ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich einer Einvernahme widersetzt und die Aussage verweigert. Als Reaktion darauf hat das Betreibungsamt dem Beschwerdeführer am 19. April 2021 gemäss Art. 60 SchKG eine Frist angesetzt. Nachteile strafrechtlicher oder wie vom Beschwerdeführer behauptet disziplinarischer Natur finden im angefochtenen Entscheid keine Stütze. 
 
2.5. Als Folge der Verletzung von Art. 60 SchKG beantragt der Beschwerdeführer zudem die Aufhebung einer Pfändung, die seinen Darstellungen zufolge am 13. April 2021 vollzogen worden sein soll, sowie eines Verlustscheins vom 9. Juni 2021. Diesen Antrag begründet er alternativ auch damit, die Rechtsöffnung sei im Zeitpunkt der Pfändung bzw. der Ausstellung des Verlustscheins "nicht einmal rechtskräftig" gewesen.  
Die Pfändung sowie die Ausstellung eines Verlustscheines ergeben sich weder aus dem angefochtenen Urteil noch den kantonalen Akten. Aktenkundig ist einzig die ergebnislose Pfändungseinvernahme vom 13. April 2021. Der Beschwerdeführer bringt das Begehren um Aufhebung dieser Betreibungshandlungen vor Bundesgericht erstmalig vor; sie waren nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Beschwerdeverfahrens gegen die Aufforderung zur Bezeichnung einer Vertretung. Auf diese Vorbringen ist deshalb nicht einzutreten (Art. 99 BGG). 
 
3.  
Zu den übrigen Vorbringen ist folgendes festzuhalten: 
Bereits die Vorinstanz hat zu Recht erwogen, dass die Anträge um Haftentlassung bzw. Urlaub nicht Gegenstand einer Beschwerde gemäss Art. 17 SchKG sein können. Daran ändert auch nichts, dass der Beschwerdeführer die Vollzugslockerung zur "Regelung der finanziellen Angelegenheiten" zu nutzen beabsichtigt. Ebenfalls nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind die vom Beschwerdeführer geforderten straf- und haftungsrechtlichen Folgen, die er aus der Nichtbeachtung von Art. 60 SchKG ableitet. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
Auf die Erhebung von Gerichtskosten wird ausnahmsweise verzichtet (Art. 66 Abs. 1 BGG). Damit ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Betreibungsamt der Region Viamala und dem Kantonsgericht von Graubünden, Schuldbetreibungs- und Konkurskammer als Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Mai 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Dürst