[AZA 7]
U 236/00 Vr
IV. Kammer
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Arnold
Urteil vom 16. Juli 2002
in Sachen
Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Schraner, Weinbergstrasse 43, 8006 Zürich,
gegen
R.________, 1948, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Schmidt, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- R.________, geb. 1948, arbeitete seit April 1965 für die in Regensdorf domizilierte Seagram (Schweiz) AG und war bei der Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft (nachfolgend: Winterthur) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert, als sie am 11. Mai 1989 am Steuer eines Personenwagens mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. Laut Unfallmeldung der Arbeitgeberin (vom 13. August 1990) sowie Bericht des am Tag nach dem Unfallereignis konsultierten Dr. med. F.________ vom 4. Oktober 1991 erlitt sie ein Schleudertrauma der HWS. Dr. med. O.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, hatte im Anschluss an die Untersuchung vom 5. Dezember 1989 "orthostatische vasomotorische Beschwerden bei Zustand nach Kopfprellung vor drei Monaten" diagnostiziert. Anamnestisch nannte er u.a. "recht viel(e) frontale und Schläfen betonte Kopfschmerzen und Kopfdruck seit einer HWS-Schleuderung im Mai 1989" (Bericht vom 14. Dezember 1989).
Nach verschiedenen medizinischen Abklärungen - insbesondere einer Computertomographie des Gehirns (vom 13. Dezember 1989), einer radiologischen Untersuchung der Halswirbelsäule (HWS) (vom 9. Juli 1991) sowie des Gutachtens der Neurologischen Klinik (Neuropsychologische Abteilung) des Spitals X.________ vom 5. August 1992 - wurde R.________ am 26. September 1994 in einen zweiten Verkehrsunfall verwickelt. Der am Unfalltag notfallmässig konsultierte Dr. med. T.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, schloss auf ein "leichtes HWS Schleudertrauma (Rückfall!) und (eine) leichte Thoraxkontusion" (Bericht vom 5. Dezember 1994). Es folgten weitere medizinische Evaluationen, worunter ein - zweites - Gutachten der Neurologischen Klinik (und Poliklinik) des Spitals X.________ vom 3. Juli 1996, Expertisen des Dr. med. H.________, Stellv. Direktor der Psychiatrischen Klinik Y.________, vom 12. März 1997 und des PD Dr. med. G.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 7. April 1998, Berichte der (die Winterthur beratenden) Dr. med. C.________, Spezialarzt FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 21. Mai 1997, 13. Mai und 9. September 1998 und Dr. med. P.________, Spezialarzt FMH Chirurgie, vom 28. Juli 1998 sowie die Stellungnahme des Dr. med. G.________ vom 28. September 1998.
Die Winterthur richtete vom 14. Mai 1989 bis 31. März 1994 Taggelder auf der Basis einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit, vom 1. April 1994 bis 31. Juli 1996 auf der Grundlage einer Arbeitsunfähigkeit von 70 % und vom 1. August 1996 bis 31. Mai 1998 wiederum unter Zugrundelegung einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit aus. Das - am 2. April 1998 gestellte - Rechtsbegehren um Ausrichtung von auf einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit basierender Taggelder auch für die Zeit vom 1. April 1994 bis 31. Juli 1996 wies die Winterthur ab (Verfügung vom 15. Mai 1998). Am 4. Juni 1998 verneinte sie verfügungsweise eine Leistungspflicht ab 1. Juni 1998 mangels Kausalzusammenhangs. Daran hielt sie auf Einsprache von R.________ hin fest (Einspracheentscheid vom 10. September 1998).
B.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen erhobene Beschwerde insoweit gut, als es, in Aufhebung des Einspracheentscheides (vom 10. September 1998), feststellte, dass R.________ für die Zeit vom 1. April 1994 bis zum 31. Juli 1996 Anspruch auf Taggelder auf der Grundlage einer Arbeitsunfähigkeit von 100 % habe und die Leistungspflicht der Winterthur über den 1. Juni 1998 hinaus andauere (Entscheid vom 30. März 2000).
C.- Die Winterthur lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, es sei der kantonale Gerichtsentscheid aufzuheben; eventuell sei die Sache zwecks "ergänzender Feststellung des Sachverhaltes (...) an die Vorinstanz, eventuell an den UVG-Versicherer, zurückzuweisen".
R.________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Strittig ist der Anspruch auf Taggeld (Art. 16 f. UVG) ab 1. April 1994, insbesondere ob über den 31. Mai 1998 hinaus ein zu Arbeitsunfähigkeit führender Gesundheitsschaden vorliegt, welcher in natürlich und adäquat kausaler Weise auf den versicherten Unfall vom 11. Mai 1989 zurückzuführen ist. Dem Unfallereignis vom 26. September 1994 kommt demgegenüber gestützt auf die Akten - worunter das Gutachten der Dres. med. S.________, E.________ und W.________, Neurologische Klinik und Poliklinik Spital X.________, vom 3. Juli 1996 - vorliegend keine Bedeutung zu. Es ist mit der Beschwerdeführerin davon auszugehen, dass dieses zweite Unfallgeschehen das Beschwerdebild nicht wesentlich beeinflusste.
2.- Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang im Allgemeinen (BGE 119 V 337 Erw. 1) und bei Schleudertraumen der HWS oder äquivalenten Verletzungsmechanismen im Besonderen (BGE 119 V 340 Erw. 2b/aa; vgl. auch RKUV 2000 Nr. U 359 S. 29) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Entsprechendes gilt für die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zum Erfordernis des adäquaten Kausalzusammenhanges im Generellen (vgl. auch BGE 125 V 461 Erw. 5a mit Hinweisen) sowie insbesondere bei psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 133) und bei den Folgen eines Unfalles mit Schleudertrauma der HWS oder äquivalenten Verletzungen ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 117 V 359 ff.), soweit - das ist zu ergänzen - nicht eine ausgeprägte psychische Problematik vorliegt (BGE 123 V 99 Erw. 2a).
3.- a) Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass die Krankengeschichte für die Zeit zwischen dem Unfallereignis (vom 11. Mai 1989) und der Unfallmeldung (vom 13. August 1990) nur schlecht dokumentiert ist. Es fehlt insbesondere eine umfassende Beurteilung des Zustandes anlässlich der Erstuntersuchung am 12. Mai 1989 durch Dr. med. F.________. Dieser beschränkte sich im Bericht vom 4. Oktober 1991 auf die nicht näher begründete Diagnose eines "Status nach HWS Schleudertrauma im Mai 1989".
b) Wenn auch nicht mit letzter Sicherheit, so doch mit dem relevanten Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BGE 126 V 360 Erw. 5b, 125 V 195 Erw. 2, je mit Hinweisen) ist davon auszugehen, dass die Beschwerdegegnerin beim Unfall vom 11. Mai 1989 ein Schleudertrauma, eine schleudertraumaähnliche Verletzung der HWS und/oder ein Schädel-Hirntrauma erlitt und die geklagten Beschwerden in natürlichem Kausalzusammenhang mit dem genannten Unfallereignis stehen.
Für das Vorliegen einer entsprechenden Schädigung anlässlich des genannten Unfallereignisses sprechen folgende Indizien: Die Beschwerdegegnerin erwähnte einem Zeugen des Unfalls vom 11. Mai 1989 gegenüber, dass sie den Kopf angeschlagen hatte (Protokoll der polizeilichen Befragung des U.________ vom 18. Mai 1989). Im ersten inhaltlichen Arztzeugnis des Dr. med. O.________ vom 14. Dezember 1989 ist von einer HWS-Schleuderung im Mai 1989 die Rede. Alle behandelnden und - im Auftrag der Beschwerdeführerin - begutachtenden Ärzte und Ärztinnen gingen von einem Schleudertrauma, einer schleudertraumaähnlichen Verletzung der HWS oder einem Schädel-Hirntrauma aus (vgl. insbesondere die Gutachten der Neurologischen Klinik des Spitals X.________ vom 5. August 1992 und 3. Juli 1996, die Expertisen des Dr. med. H.________ vom 12. März 1997 und des PD Dr. med. G.________ vom 7. April 1998 sowie die Berichte des Dr. med. C.________ vom 21. Mai 1997, 13. Mai und 9. September 1998 und des Dr. med. P.________ vom 28. Juli 1998 sowie die Stellungnahme des Dr. med. G.________ vom 28. September 1998). Schliesslich anerkannte die Versicherung Q.________ als beteiligter Haftpflichtversicherer das Vorliegen eines Schleudertraumas (Protokoll der Besprechung vom 5. Oktober 1992). Weitere Beweisvorkehren bezüglich des Unfallhergangs sowie der unmittelbaren Folgen sind auch mit Blick auf die zeitlichen Verhältnisse nicht opportun.
In Übereinstimmung mit den von der Beschwerdeführerin in Auftrag gegebenen Gutachten, insbesondere denjenigen des Dr. med. H.________ vom 12. März 1997 und des Dr. med. G.________ vom 7. April 1998, ist sodann davon auszugehen, dass das typische Beschwerdebild eines Schleudertraumas, einer schleudertraumaähnlichen Verletzung der HWS oder eines SchädelHirntraumas (Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen etc.) vorliegt.
c) Soweit die Beschwerdeführerin den Beweiswert der Gutachten des Dr. med. H.________ (vom 12. März 1997) und des Dr. med. G.________ (vom 7. April 1998) in Frage stellt, kann ihr mit der Vorinstanz nicht beigepflichtet werden.
Das Gutachten des Dr. med. H.________ wurde erstattet, nachdem in der Expertise des Spitals X.________ (vom 3. Juli 1996) festgestellt worden war, "die Frage, ob und wenn ja inwieweit die depressive Entwicklung als Unfallfolge zu betrachten (ist), müsste von psychiatrischer Seite beantwortet werden". Dr. med. H.________ tat dies in Nachachtung der in BGE 122 V 160 f. umschriebenen Kriterien für einen voll beweiskräftigen Arztbericht. So nennt er u.a. anamnestisch ausdrücklich, dass die Beschwerdegegnerin am 11. Mai 1989 wegen einer "depressiven Entwicklung in Überlastungssituation seit Oktober 1988 arbeitsunfähig geschrieben war" (Gutachten S. 2) und sie, um die "Depression in den Griff zu bekommen", einen Psychiater konsultiert habe (Gutachten S. 14). Dr. med. G.________ wurde durch die Beschwerdeführerin mit der Begutachtung beauftragt, nachdem Dr. med. C.________ (im Bericht vom 21. Mai 1997) das Gutachten des Dr. med. H.________ (vom 12. März 1997) als "in wissenschaftlicher Hinsicht ungenügend" qualifiziert hatte. Sein Gutachten vom 7. April 1998, welches auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdegegnerin sowie umfangreichen fremdanamnestischen Abklärungen gründet, ist in der Darlegung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtend. Die Schlussfolgerungen des Experten sind begründet.
4.- a) Für die Beurteilung des adäquaten Kausalzusammenhangs ist nach den in BGE 117 V 366 ff. und 382 ff. umschriebenen Grundsätzen zu verfahren. Gestützt auf die Gutachten des Dr. med. H.________ vom 12. März 1997 und des Dr. med. G.________ vom 7. April 1998 handelt es sich nicht um bereits vor dem Unfallereignis vom 11. Mai 1989 bestehende psychische Beschwerden, die durch den Unfall in der Weise verstärkt wurden, dass nicht von einem vielschichtigen somatisch-psychischen Beschwerdebild gesprochen werden kann, welches einer Differenzierung kaum zugänglich ist (vgl. RKUV 2000 Nr. U 397 327); ebenso wenig liegt, entgegen der Beschwerdeführerin, eine ausgeprägte psychische Problematik vor (vgl. BGE 123 V 99 Erw. 2a).
b) Tritt im Anschluss an zwei oder mehrere Unfälle eine psychische Fehlentwicklung ein, ist die Adäquanz des Kausalzusammenhangs insbesondere dann, wenn diese verschiedene Körperteile betreffen und zu völlig unterschiedlichen Verletzungen führen, grundsätzlich für jeden Unfall gesondert gemäss der Rechtsprechung zu den psychischen Unfallfolgen (BGE 115 V 138 ff. Erw. 6) zu prüfen (RKUV 1996 Nr. U 248 177 Erw. 4b mit Hinweis). Wie zu verfahren ist, wenn die Adäquanzbeurteilung nach zwei oder mehreren Unfallereignissen Platz greift, bei denen jeweils ein Schleudertrauma, eine schleudertraumaähnliche Verletzung und/oder ein Schädel-Hirntrauma erlitten wurde, kann, entgegen der Vorinstanz, offen bleiben. Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass die Folgen des Unfallereignisses vom 26. September 1994 bereits nach kurzer Zeit wieder abgeklungen waren und diesem zweiten Unfallgeschehen im gesamten Beschwerdebild keine wesentliche Bedeutung zukam.
c) Mit dem kantonalen Gericht ist das Unfallereignis vom 11. Mai 1989 dem mittleren Bereich zuzuordnen. Da drei der rechtsprechungsgemässen Kriterien gemäss BGE 117 V 366 ff. und 382 ff. (Dauerbeschwerden, ungewöhnliche lange Dauer der ärztlichen Behandlung sowie Grad und Dauer der Arbeitsunfähigkeit) erfüllt sind, ist der adäquate Kausalzusammenhang zu bejahen. Die Einstellung der Taggeldleistungen ab 1. Juni 1998 erfolgte damit zu Unrecht.
Entgegen der Beschwerdeführerin geht es nicht an, in zeitlicher Hinsicht einzig die bis März 1991 eingetretenen Verhältnisse zu berücksichtigen. Ebenso wenig ist es statthaft, danach zu differenzieren, ob die behandelten Beschwerden psychischer oder physischer Natur waren. Der Umstand schliesslich, dass zwischen dem Unfallereignis (11. Mai 1989) und dem durch den Unfallversicherer im Einspracheentscheid (10. September 1998) bekräftigten Fallabschluss ein langer Zeitraum liegt, führt für sich allein nicht zur Bejahung der Adäquanz.
5.- Der vorinstanzliche Entscheid ist auch insoweit zu bestätigen, als er, gestützt auf die Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit des Dr. med. G.________ (vom 7. April 1998), für die Zeit vom 1. April 1994 bis zum 31. Juli 1996 ebenfalls einen Anspruch auf Taggelder basierend auf einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit bejahte.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III.Die Winterthur Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft
hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 16. Juli 2002
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: