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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_250/2011 
 
Urteil vom 16. August 2011 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
1. Sanitas Grundversicherungen AG, 
Rechtsdienst Departement Leistungen, Lagerstrasse 107, 8021 Zürich, 
2. Wincare Versicherungen AG, 
Konradstrasse 14, 8401 Winterthur, 
vertreten durch Sanitas Grundversicherungen AG, Rechtsdienst Departement Leistungen, Lagerstrasse 107, 8021 Zürich, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Schiedsgerichts in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich vom 4. Februar 2011. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Dr. med. A.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, führte am Zentrum X.________ mit einem FONAR Upright Gerät spezialisierte diagnostische MRI-Aufnahmen durch. Mit Schreiben vom 27. Juli 2007 stellten sich die Sanitas Grundversicherungen AG (Sanitas) und die Wincare Versicherungen AG (Wincare) auf den Standpunkt, die Abrechnung dieser Untersuchungen erfolge nicht tarifkonform; sie ersuchten Dr. med. A.________ um die Rückerstattung zu viel erbrachter Vergütungen in der Höhe von Fr. 35'667.15. Dr. med. A.________ seinerseits stellte am 30. August 2007 bei der Kantonalen Paritätischen Kommission (Ärztegesellschaft und santésuisse; KPK) ein Schlichtungsbegehren. Mit Beschluss vom 22. Januar 2008 unterbreitete die KPK den Parteien einen Schlichtungsvorschlag (Vergleich mit Widerrufsvorbehalt). Diesen lehnten die Parteien ab. 
 
B. 
Am 28. April 2008 erhoben Sanitas und Wincare beim Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich Klage mit dem Rechtsbegehren, Dr. med. A.________ sei zu verpflichten, der Sanitas den Betrag von Fr. 57'046.95 (eventualiter Fr. 11'963.77) und der Wincare einen solchen von Fr. 55'917.10 (eventualiter Fr. 14'029.76) zuzüglich Verzugszins ab 29. Oktober 2007 zu bezahlen. Dr. med. A.________ beantragte in der vorläufigen Stellungnahme vom 7. Juli 2008 und der Klageantwort vom 24. November 2008 die Abweisung der Klage. Am 4. Dezember 2008 wurde der Schriftenwechsel geschlossen. Anlässlich der Bestellung des Schiedsgerichts im Juli 2010 ersuchte Dr. med. A.________ erfolglos um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. In teilweiser Gutheissung der Klage verpflichtete das Schiedsgericht Dr. med. A.________ mit Entscheid vom 4. Februar 2011, den Klägerinnen Fr. 25'993.55 zuzüglich Zins zu 5 % seit 29. Oktober 2007 zurückzuerstatten. Im Mehrbetrag wies es die Klage ab. 
 
C. 
Dr. med. A.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides soweit, als er verpflichtet wird, einen Betrag von Fr. 25'993.55 zurückzuerstatten; eventualiter sei die Sache zur ergänzenden Abklärung und zum erneuten Entscheid sowie zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Vorinstanz, Sanitas, Wincare und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Es liegt keine Tarifstreitigkeit im Sinne von Art. 53 KVG vor (i.V.m. Art. 34 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [VGG] und Art. 83 lit. r BGG). Strittig ist vielmehr die Anwendung eines Tarifes im Einzelfall und damit die Frage, ob der Beschwerdeführer die von ihm erbrachten Leistungen tarifkonform in Rechnung gestellt hat bzw. ob die Beschwerdegegnerinnen einen teilweisen Rückerstattungsanspruch haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten (Urteil K 60/3 vom 25. August 2003 E. 1). 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, das Schiedsgericht habe Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem es keine öffentliche Verhandlung durchgeführt habe. Diese formell-rechtliche Rüge ist zuerst zu behandeln. Nach der Rechtsprechung setzt die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sozialversicherungsprozess einen - im erstinstanzlichen Verfahren zu stellenden - klaren und unmissverständlichen Parteiantrag voraus (BGE 122 V 47 E. 3a S. 55 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch BGE 125 V 37 E. 2 S. 38 f.). Versäumt eine Partei die rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs auf öffentliche Verhandlung, hat dieser grundsätzlich als verwirkt zu gelten (BGE 122 V 47 E. 3b/bb S. 56 mit Hinweisen). Nur so bleibt der geforderte einfache und rasche Verfahrensablauf gewährleistet (zur Rechtslage früher sowie unter dem BGG siehe auch: SEILER/VON WERDT/GÜNGERICH, Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, Art. 59 N. 5 f., NIGGLI/UEBERSAX/WIPRÄCHTIGER [HRSG.], Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Art. 59 N. 1-6 und 35-41). In diesem Sinne wurde es abgelehnt, einer ausserhalb des ordentlichen Schriftenwechsels erfolgten Antragstellung Folge zu leisten (BGE 122 V 47 E. 3b/bb S. 56; vgl. auch Urteil I 98/07 vom 18. April 2007 E. 4.1). 
 
2.2 Der Beschwerdeführer ersuchte die Vorinstanz erst mit Schreiben vom 26. Juli 2010 um Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Damit wurde im massgebenden Zeitraum auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet und es bestand vor Schiedsgericht kein Anlass, eine solche anzusetzen. Dies galt umso mehr, wenn wie hier eine Materie hochtechnischen Charakters zur Diskussion stand (vgl. Urteil 8C_993/2009 vom 31. August 2010 E. 3.2 mit Hinweisen). Dem Antrag auf Rückweisung der Sache zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ist nicht zu entsprechen. 
 
3. 
3.1 Tarife und Preise werden in Verträgen zwischen Versicherern und Leistungserbringern (Tarifvertrag) vereinbart oder in den vom Gesetz bestimmten Fällen von der zuständigen Behörde festgesetzt. Dabei ist auf eine betriebswirtschaftliche Bemessung und eine sachgerechte Struktur der Tarife zu achten (Art. 43 Abs. 4 erster und zweiter Satz KVG). Einzelleistungstarife müssen auf einer gesamtschweizerisch vereinbarten einheitlichen Tarifstruktur beruhen. Können sich die Tarifpartner nicht einigen, so legt der Bundesrat diese Tarifstruktur fest (Art. 43 Abs. 5 KVG). Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird (Art. 43 Abs. 6 KVG). Die Leistungserbringer müssen sich an die vertraglich oder behördlich festgelegten Tarife und Preise halten und dürfen für Leistungen nach diesem Gesetz keine weitergehenden Vergütungen berechnen (Tarifschutz; Art. 44 Abs. 1 KVG). Der Tarifschutz in weit gefasster Definition umfasst die Pflicht der Leistungserbringer und Versicherer zur Einhaltung der massgeblichen Tarife und Preise sowohl im gegenseitigen als auch im Verhältnis zu den Versicherten (GEBHARD EUGSTER, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], 2. Aufl., S. 678 Rz. 838 und S. 728 Rz. 975). 
 
3.2 Im Rahmenvertrag TARMED vereinbarten die Vertragsparteien (santésuisse, FMH, H+, MTK) als Vertreter der Versicherer und Leistungserbringer die Einführung der von der Ärzteschaft und den Versicherern auf der gesetzlichen Grundlage (vorne E. 3.1) erarbeiteten einheitlichen Tarifstruktur. TARMED ist der gesamtschweizerische Einzelleistungstarif für ambulant erbrachte ärztliche Leistungen im Spitalambulatorium und in der Arztpraxis. Seit dem 1. Januar 2004 werden alle ambulanten Arztleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) über ihn abgerechnet (bereits seit 1. Januar 2003 die entsprechenden Leistungen zu Lasten der Invalidenversicherung, Militärversicherung und obligatorischen Unfallversicherung). Die aktuelle, seit 1. April 2010 gültige Version 1.07.01 des TARMED enthält auf über 2000 Seiten (mit Registern) die Tarifierung von etwa 4'300 Einzelleistungen als Tarifpositionen. Ärztliche Leistungen werden beinahe immer mittels mehrerer TARMED-Positionen verrechnet. Wenn für eine Behandlung eine Position fehlt, wird mittels sog. Analogiepositionen abgerechnet. Gemäss Angaben der FMH waren im Herbst 2010 rund 40 Leistungen ohne Tarif und wurden wahrscheinlich mittels Analogiepositionen verrechnet. Gewisse Leistungen, welche bereits in den Leistungskatalog der OKP aufgenommen wurden, waren noch nach Jahren nicht tarifiert (ausführlicher in: EIDGENÖSSISCHE FINANZKONTROLLE [EFK], TARMED - der Tarif für ambulant erbrachte ärztliche Leistungen [Evaluation der Zielerreichung und der Rolle des Bundes], November 2010, S. 5 f.; www.efk.admin.ch, besucht am 6. Juli 2011). 
 
4. 
Das Bundesgericht hatte soeben in einer analogen Streitsache zwischen dem Beschwerdeführer und der CSS Kranken-Versicherung AG zu entscheiden (Urteil 9C_252/2011 vom 14. Juli 2011). Zusammengefasst hat es auch für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit gültig erwogen (siehe dort E. 4 und 5 mit zahlreichen Hinweisen), dass laut Auskunft der Paritätischen Interpretationskommission TARMED (PIK) vom 9. Oktober 2007 an die KPK die erbrachte Leistung "funktionelles MRI, upright, multipositional MRI" nicht von den tarifierten Leistungen abweicht, sondern das sogenannte fMRI im TARMED mit dem Zuschlag für funktionelle Gelenkuntersuchung/Wirbelsäulenuntersuchung in Kombination mit der MRI-Untersuchung der betreffenden Körperregion tarifiert ist. Dabei können auch die entsprechenden ärztlichen und technischen Grundleistungen verrechnet werden. Da die vom Beschwerdeführer erbrachten Leistungen tariflich erfasst sind, besteht für die Verrechnung analoger Positionen kein Raum und drängt sich eine erweiterte Tarifinterpretation nicht auf. Für die gesamtschweizerisch einheitliche und verbindliche Interpretation ist nach Art. 16 Abs. 1 des TARMED-Rahmenvertrags die PIK umfassend und alleine zuständig. Zu Änderungen an der Tarifstruktur ist sie jedoch nicht befugt. Wenn der Beschwerdeführer ein Begehren nach einer Tarifänderung hat, die den aus seiner Sicht fachlichen und zeitlichen Mehraufwand kostenmässig angemessen abdeckt, hat er auf anderem Weg vorzugehen als mittels tariflich nicht vorgesehener Mehrfachanwendung einer Position. Wenn er seine neue radiologische Dienstleistung im Rahmen der sozialen Krankenversicherung abrechnen will, ist er verpflichtet, die entsprechenden Regeln anzuerkennen und sich an die existenten Tarife zu halten (Tarifschutz). Falls er den geltend gemachten erheblichen Mehraufwand für Upright MRI zu einem höheren Preis als die bisherigen funktionellen MRI abrechnen will, so muss die Wirtschaftlichkeit und der Nutzen dieser teureren Leistung von den Tarifpartnern im Rahmen der ihnen obliegenden Tarifpflege neu beurteilt werden (Art. 43 Abs. 4-6 KVG). Ein Aspekt zur Beurteilung einer effizienten Leistungserbringung ist die Auslastung teurer Infrastrukturen. Da es sich dabei um die Prüfung einer Änderung der Tarifstruktur handelt, sind die PIK, die KPK, die Vorinstanz und das Bundesgericht nicht zuständig. Ein Leistungserbringer ist nicht berechtigt, wie hier nach eigenen Regeln Tarifpositionen zu kumulieren und Sitzungen auf mehrere Tage aufzuteilen und damit im Ergebnis den Tarif eigenmächtig abzuändern. 
 
5. 
Der Beschwerdeführer hat nicht vorgebracht, dass die Vorinstanz bei den von ihr als richtig anerkannten Parametern den Betrag der Rückforderung falsch berechnet hätte, weshalb sich, mangels Anhaltspunkten hiefür, Weiterungen erübrigen. 
 
6. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Schiedsgericht in Sozialversicherungsstreitigkeiten des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 16. August 2011 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Meyer 
 
Der Gerichtsschreiber: Schmutz