Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6P.57/2005
6S.183/2005 /rom
Urteil vom 16. Oktober 2006
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd,
Gerichtsschreiber Thommen.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Steiner,
gegen
A.________,
Beschwerdegegner,
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8090 Zürich,
Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich.
Gegenstand
6P.57/2005
Art. 9 BV (Strafverkahren; Willkür),
6S.183/2005
Körperverletzung etc. und Widerruf,
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.57/2005) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.183/2005) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 8. März 2005.
Sachverhalt:
A.
Am 23. November 2002 wurde X.________ von seinem Vorgesetzten Y.________ im Hinblick auf einen Personenschutzauftrag für die damalige 'Miss Schweiz' mit einem metallenen Schlagstock ausgerüstet. Auf dem Weg zum Auftragsort war Y.________ mit A.________ verabredet, um eine Geldschuld zu begleichen. Dabei kam es zwischen den beiden zu einem Handgemenge. X.________ wird vorgeworfen, sich in diese Auseinandersetzung eingemischt und dabei A.________ mit besagtem Schlagstock am Kopf verletzt zu haben. Ausserdem beging er zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen.
B.
Als Berufungsgericht befand ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 8. März 2005 schuldig der einfachen Körperverletzung mit einer Waffe (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 1 und 2 StGB), der Widerhandlung gegen Art 33 Abs. 1 lit. a und Art. 4 Abs. 1 lit. d des Waffengesetzes sowie der groben Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 i.V.m. Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 4 [recte: 4a] Abs. 5 VRV). X.________ wurde bestraft mit 6 Monaten Gefängnis bedingt bei vier Jahren Probezeit. Ferner wurden die vom Kriminalgericht des Kantons Luzern am 1. März 2002 bedingt ausgefällten 16 Monate Gefängnis und vier Jahre Landesverweisung widerrufen.
C.
Gegen dieses Urteil erhebt X.________ staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Gleichzeitig führt er kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich.
Mit beiden Bundesrechtsmitteln beantragt er die Aufhebung des angefochtenen Urteils, die aufschiebende Wirkung, die Sistierung des Verfahrens bis zum Kassationsgerichtsentscheid sowie die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde verlangt er überdies einen teilweisen Freispruch, eine Strafreduktion und den Verzicht auf die Widerrufe.
D.
Mit Beschluss vom 12. Mai 2006 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
E.
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf Gegenbemerkungen. Ebenso verzichtet die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich auf eine Stellungnahme. A.________ liess sich innert der angesetzten Frist nicht vernehmen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
I. Staatsrechtliche Beschwerde
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde ist erst nach Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs zulässig (Art. 86 OG). Ein Entscheid ist letztinstanzlich, wenn zur Geltendmachung der mit der staatsrechtlichen Be-schwerde erhobenen Rüge kein kantonales Rechtsmittel mehr zur Verfügung steht (BGE 120 Ia 61 E. 1a, mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer erhebt unmittelbar gegen das Urteil des Obergerichts vom 8. März 2005 staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers handelt es sich beim Obergerichtsurteil nicht um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Beschwerde S. 4). Vorliegend stand die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich offen, zumal die kantonale Berufung am 7. Juli 2004 und damit vor dem 1. Januar 2005 erklärt wurde (vgl. dazu § 3 der Schlussbestimmungen zur Revision der Zürcher Strafprozessordnung vom 27. Januar 2003, in Kraft getreten am 1. Januar 2005). Eine solche Kassationsbeschwerde wurde in casu sogar ergriffen. Mangels Letztinstanzlichkeit des Anfechtungsobjekts ist auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten.
II. Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
2.
2.1 Soweit der Beschwerdeführer mehr verlangt als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, ist auf sein Rechtsmittel nicht einzutreten (vgl. Art. 277ter Abs. 1 BStP; BGE 129 IV 276 E. 1.2).
2.2 Im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde sind Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheids richten, und das Vorbringen neuer Tatsachen unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Soweit der Beschwerdeführer seine Sicht des Geschehnisablaufs wiedergibt und behauptet, sich bloss panikartig und planlos verteidigt zu haben, wendet er sich gegen vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellungen. Darauf ist nicht einzutreten.
3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt mit verschiedenen Argumenten eine Verletzung von Art. 123 StGB. Die Schlagrute sei keine Waffe im Sinne von Art. 123 Ziff. 2 StGB und die Tat somit kein Offizialdelikt. Richtigerweise hätte der Strafantragsrückzug von A.________ deshalb berücksichtigt werden müssen. Dessen Verletzungen hätten zudem nicht die Schwere einer Körperverletzung erreicht. Zu Unrecht sei ein Handeln in Notwehr resp. Notwehrhilfe verneint worden.
3.2 Die Vorinstanz geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der Beschwerdeführer mit gezogener Stahlrute auf die Streitenden zuging und mit dieser mehrmals auf A.________ einschlug, nachdem dieser bereits von Y.________ mittels eines Pfeffersprays ausser Gefecht gesetzt worden war. Im Moment des Stockeinsatzes habe somit kein widerrechtlicher Angriff (mehr) vorgelegen, weshalb Notwehr oder Hilfe dazu ausschieden. Selbst bei Annahme einer andauernden Bedrohung wäre von einer völllig unverhältnismässigen Gewaltanwendung auszugehen, die nicht mehr als Hilfeleistung, sondern als brutaler Vergeltungsschlag zu werten sei. Bei einem solchen Vorgehen seien mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Verletzungen zu erwarten gewesen. Die Vorinstanz kommt deshalb zum Schluss, dass rechtfertigende Umstände im Sinne von Art. 33 Abs. 1 StGB fehlen und der Beschwerdeführer der einfachen Körperverletzung schuldig zu sprechen sei (Urteil S. 20 f.).
3.3 Wird jemand ohne Recht angegriffen oder unmittelbar mit einem Angriff bedroht, so sind der Angegriffene und jeder andere gemäss Art. 33 Abs. 1 StGB berechtigt, den Angriff in einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren. Ist jedoch wie hier ein Angriff bereits wirksam abgewehrt, so fehlt es nach zutreffender Auffassung der Vorinstanz an einer rechtfertigenden Notwehrsituation (vgl. BGE 99 IV 187, 188; Entscheid 6P.76/2005 vom 15. November 2005 E. 5.1). Dem Beschwerdeführer wurde die Notwehrnähe seiner Handlung überdies strafmindernd angerechnet. Zur Körperverletzung ist beizufügen, dass es sich bei der erlittenen Rissquetschwunde am Kopf zweifellos um eine einfache Körperverletzung handelt (BGE 119 IV 1 E. 4; vgl. Arztbericht BGZ act. 17). Zur Waffenqualität des eingesetzten Schlagstocks kann auf die zutreffenden vorinstanzlichen Ausführungen verwiesen werden (Urteil S. 9, vgl. Bundesgerichtsentscheid 6S.65/2002 vom 26. April 2002 E. 3.2). Die Vorinstanz nahm somit zu Recht ein Offizialdelikt an. Die Beschwerde ist auch insoweit abzuweisen.
4.
4.1 Gemäss dem Beschwerdeführer seien sowohl seine Streitintervention als auch das Tragen des Schlagstocks durch seine Berufspflicht als Sicherheitsbeauftragter geboten gewesen. Die Vorinstanz verneint eine Rechtfertigung im Sinne von Art. 32 StGB, da keine gesetzliche Grundlage bestehe, die das Tragen einer Stahlrute gebiete. Ferner habe der Schutzauftrag nur zugunsten der 'Miss Schweiz' bestanden und nicht gegenüber seinem Vorgesetzten.
4.2 Nach Art. 32 StGB ist die Tat, die eine Berufspflicht gebietet, rechtmässig. Inwiefern das Tragen absolut verbotener Waffen (Art. 4 Abs. 1 lit. d und Art. 5 Abs. 1 lit. c WG ) von der Berufspflicht eines Sicherheitsbeauftragten umfasst sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Hingegen mag die Streitintervention zwar auftragsimmanente Pflicht eines Personenbeschützers sein, doch können diesem nicht aufgrund einer solchen Berufspflicht mehr oder weiter gehende Eingriffsrechte eingeräumt werden, als ihm als Notwehrhelfer zustünden. Irrelevant ist in diesem Zusammenhang auch, ob sich der Schutzauftrag des Beschwerdeführers nur auf die 'Miss Schweiz' erstreckte. Vorbehältlich hier nicht gegebener gesetzlicher Ermächtigungsnormen hat der Rechtfertigungsgrund der Berufspflicht keine selbständige Bedeutung. Aus diesem Grund ist er auch im künftigen Art. 14 StGB nicht mehr vorgesehen (vgl. Botschaft BBI 1999 S. 2004; Kurt Seelmann, Basler Kommentar, Art. 32 StGB N. 9; Günter Stratenwerth, StGB AT I, 2. Aufl., § 10 N 96; Hans Wiprächtiger, Revision des Allgemeinen Teils des StGB, ZStrR (2005) 403, 414). Soweit sich der Beschwerdeführer auf seine Berufspflichten beruft, gehen seine Vorbringen deshalb fehl, weil er sich wie erwähnt nicht auf Notwehrrechte berufen kann.
5.
5.1 In Bezug auf die Verletzung des Waffengesetzes macht der Beschwerdeführer Fahrlässigkeit geltend. Ferner liege ein leichter Fall im Sinne von Art. 33 Abs. 2 WG vor.
5.2 Der Beschwerdeführer hat den Schlagstock von seinem Vorgesetzten im Hinblick auf den Personenschutzauftrag bewusst entgegen genommen. Zutreffenderweise geht die Vorinstanz deshalb von einem vorsätzlichen Waffentragen im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a und Art. 4 Abs. 1 lit. d WG aus. Das Vorliegen eines leichten Falls nach Art. 33 Abs. 2 WG verneint sie mit dem Argument, dass der Beschwerdeführer nicht davor zurückschreckte, den Schlagstock gegenüber einem Menschen einzusetzen. Darauf kommt es aber nicht an, zumal das Einsetzen der Waffe nicht Tathandlung im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a WG ist. Vielmehr ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang, dass die fakultative Strafbefreiung nur bei leichter Fahrlässigkeit in Frage kommt, nicht aber bei den schwereren Fahrlässigkeitsformen und schon gar nicht bei vorsätzlicher Tatbegehung (vgl. Philippe Weissenberger, Die Strafbestimmungen des Waffengesetzes, AJP 2000 153, 166). Ein leichter Fall kann deshalb vorliegend nicht angenommen werden.
6.
6.1 Der Beschwerdeführer bringt vor, es sei insbesondere im Hinblick auf den drohenden Vollzug der Landesverweisung bundesrechtswidrig, ihm mehr als 3 Monate Gefängnis aufzuerlegen. Unter Berücksichtigung aller Tatumstände und der familiären Konsequenzen könne noch von einem leichten Fall gesprochen werden, sodass der Widerruf der bedingten Strafen nicht notwendig sei. Er lebe mit seiner Ehefrau und seinen schulpflichtigen Kindern seit vielen Jahren in der Schweiz und arbeite seit 10 Jahren als Bildhauer zur besten Zufriedenheit seines Vorgesetzten. Vor allem der Vollzug der Landesverweisung wäre unverhältmässig hart.
6.2 Die Vorinstanz stuft die während der Probezeit begangenen Delikte als nicht mehr leicht im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ein. Nicht nur werde der Beschwerdeführer zu mehr als drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, auch könnten seine neuerlichen Straftaten, insbesondere das gewalttätige Vorgehen gegen einen Menschen, nicht mehr als leicht qualifiziert werden. Auch wenn der Vollzug der Landesverweisung den Angeklagten hart treffen möge, so sei dies letztlich nur die gesetzlich vorgesehene Konsequenz seines strafbaren Verhaltens in der Vergangenheit und seiner erneuten Delinquenz trotz laufender Probezeit. Von einer unverhältnismässigen Härte des nachträglichen Vollzugs könne somit nicht gesprochen werden.
6.3 Mit dieser Einschätzung liegt die Vorinstanz auf der Linie der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 117 IV 97 E. 3c; 122 IV 156 E. 3c; Entscheide 6S.167/2002 vom 17. Juli 2002, E. 3.1 und 6S.735/1994 vom 9. März 1995 E. 3). Der Widerruf des bedingten Strafvollzugs verletzt kein Bundesrecht. Entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers wirkt sich aber auch die widerrufene strafrechtliche Landesverweisung nicht im geschilderten Umfang gravierend aus. Ziff. 1 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zum revidierten Strafgesetzbuch vom 13. Dezember 2002 (AS 2006, 3534) bestimmt unter dem Titel 'Vollzug von Strafen', dass die nach bisherigem Recht ausgesprochenen Landesverweisungen auf Grund eines Strafurteils (Art. 55) mit Inkrafttreten des neuen Rechts aufgehoben sind. Solche unter altem Recht ausgesprochenen Nebenstrafen fallen somit am 1. Januar 2007 dahin (AS 2006, 3535; vgl. Botschaft BBl 1999, 2185).
III. Kosten- und Entschädigungsfolgen
7.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer stellt für beide Verfahren Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos waren, sind seine Gesuche abzuweisen (Art. 152 OG), und er hat die Verfahrenskosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Den finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei der Gebührenfestsetzung Rechnung zu tragen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen.
4.
Dem Beschwerdeführer wird eine Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Oktober 2006
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: