Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
8C_343/2012
Urteil vom 16. Oktober 2012
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiber Lanz.
Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Advokat Christian Kummerer,
Beschwerdeführer,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Rechtsabteilung, Postfach 4358, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversiche-rungsgerichts Basel-Stadt vom 10. Januar 2012.
Sachverhalt:
A.
Der 1970 geborene K.________ war als Rangiermitarbeiter tätig und über den Arbeitgeber bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfallfolgen versichert, als er am 10. August 2003 in einer Gartenwirtschaft in eine Auseinandersetzung mit M.________ geriet. Dabei holte dieser ein Messer hervor und stach K.________ damit in den Bereich des Oberbauches. K.________ stürzte hierauf aufs rechte Knie und den rechten proximalen Oberschenkel. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht im Rahmen eines Nichtberufsunfalles. Sie gewährte Heilbehandlung und richtete Taggeld aus. Mit Verfügung vom 10. Februar 2010 sprach sie dem Versicherten für die verbliebene (körperlich und psychisch bedingte) Beeinträchtigung eine ab 1. Januar 2007 laufende Invalidenrente entsprechend einer Erwerbsunfähigkeit von 36 % sowie eine Integritätsentschädigung auf der Grundlage einer Integritätseinbusse von 15 % zu. Zugleich kürzte sie diese Leistungen mit der Begründung, K.________ habe sich die Verletzungen bei einer Schlägerei zugezogen, um 50 %. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 25. März 2011 fest.
B.
K.________ erhob Beschwerde. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt gewährte ihm die unentgeltliche Verbeiständung und wies die Beschwerde mit Entscheid vom 10. Januar 2012 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt K.________ beantragen, es sei festzustellen, dass eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 50 % vorliege, so dass eine Neuberechnung des Invaliditätsgrades zu erfolgen habe, und es sei festzustellen, dass die verfügte Reduktion der Rentenleistungen um 50 % widerrechtlich erfolgt sei. Zudem wird um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das letztinstanzliche Verfahren ersucht.
Die SUVA beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG ).
2.
Die Rechtsgrundlagen für den streitigen Anspruch auf eine Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung und die Kürzung des Rentenanspruchs wegen Teilnahme an einer Schlägerei sind im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
Der Beschwerdeführer hat unbestrittenermassen aufgrund von Folgen des Nichtberufsunfalles vom 10. August 2003 ab 1. Januar 2007 Anspruch auf eine Invalidenrente der obligatorischen Unfallversicherung.
3.1 Die SUVA ist bei der Ermittlung der rentenbestimmenden Erwerbsunfähigkeit davon ausgegangen, dem Versicherten sei aus somatomedizinischer Sicht eine leidensangepasste Tätigkeit ganztags zumutbar. Hiebei bestehe aus psychiatrischer Sicht eine Einschränkung des Leistungsvermögens. Gestützt darauf hat der Versicherer einen Einkommensvergleich vorgenommen, welcher eine Erwerbsunfähigkeit von 36 % ergeben hat. Das kantonale Gericht hat dies bestätigt.
Der Versicherte erhebt einzig Einwände bezüglich der unfallbedingten Einschränkung des körperlichen Leistungsvermögens. Diese sei auf mindestens 50 % anzusetzen. Er beruft sich dabei auf Aussagen des Dr. med. G.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie FMH und Sportmedizin SGSM.
3.2 Bei der Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit unter dem Gesichtswinkel der körperlich bedingten Arbeitsunfähigkeit sind im vorliegenden Fall zwei Phasen auseinanderzuhalten. Die erste umfasst den Zeitraum bis 13. Februar 2011, die zweite schliesst daran an.
3.2.1 Für die erste Phase überzeugt die vorinstanzliche Beurteilung, wonach eine leidensangepasste Tätigkeit ganztags möglich ist, voll und ganz. Gleiches gilt für den davon ausgehenden Einkommensvergleich, dessen übrige Parameter denn auch nicht umstritten sind.
Die Aussagen des Dr. med. G.________ führen zu keiner anderen Betrachtungsweise, äussert sich der Orthopäde doch nicht zu dieser ersten Phase. Damit bleibt es dabei, dass die Invalidenrente bis 13. Februar 2011 zu Recht aufgrund einer Erwerbsunfähigkeit von 36 % zugesprochen wurde. Die Beschwerde ist insoweit abzuweisen.
3.2.2 Mit Schadenmeldung am 18. Februar 2011 zeigte der Arbeitgeber, bei dem der Versicherte seit März 2008 in einem 50 %-Pensum tätig ist, der SUVA "starke Schmerzen im rechten Knie" als Rückfall zum Ereignis vom 10. August 2003 an. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene medizinische Akten eingereicht. Daraus ergibt sich, dass Dr. med. G.________ am 16. Februar 2011 die Behandlung aufnahm und gestützt auf die Diagnose "Knorpelschaden an der medialen Femurkondylenrolle rechts; Status nach 2-maliger vorderer Kreuzbandplastik rechts in 2004 und 2004" am 21. März 2011 eine Arthroskopie des rechten Kniegelenks mit transarthroskopischer Knorpelglättung an der medialen Femurkondylenrolle rechts durchführte (Operationsbericht vom 21. März 2011 und Berichte vom 24. März sowie 1. April 2011 des Dr. med. G.________; Bericht Praxis I.________ vom 2. März 2011 über die gleichentags vorgenommene MRT-Untersuchung des rechten Kniegelenks). Der Orthopäde bestätigte überdies ab 14. Februar 2011 eine volle Arbeitsunfähigkeit. Am 4. April 2011 habe der Versicherte "die Arbeit im Rahmen seiner 50 %igen Arbeitsunfähigkeit wieder aufgenommen" (Bericht Dr. med. G.________ vom 1. April 2011).
Das kantonale Gericht hat erwogen, es sei auf die Berichte des Kreisarztes Dr. med. S.________ abzustellen. Die Darlegungen des Dr. med. G.________ seien zu unklar und widersprüchlich. Sie vermöchten daher nicht, die schlüssigen kreisärztlichen Beurteilungen in Zweifel zu ziehen. Auch aus dem MRT-Bericht vom 2. März 2011 ergebe sich nichts anderes, würden doch im Wesentlichen bereits bekannte und/oder degenerative und somit nicht unfallkausale Befunde erhoben. Demnach sei in somatischer Hinsicht von einer vollen Arbeitsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten auszugehen.
Diese Beurteilung überzeugt nicht. Zwar ist mit dem kantonalen Gericht davon auszugehen, dass die Aussagen des Dr. med. G.________ wie auch der MRT-Bericht nicht genügen, um verlässlich auf eine unfallbedingte Verschlechterung des unfallbedingten Gesundheitsschadens, und damit einhergehend auf eine Zunahme der rentenrelevanten Arbeitsunfähigkeit, schliessen zu können. Auf der anderen Seite kann die Unfallkausalität der im Februar 2011 gemeldeten Knieproblematik aber aufgrund der vorhandenen Akten auch nicht zuverlässig verneint werden. Die kreisärztlichen Aussagen, auf welche die Vorinstanz sich stützt, erfolgten noch ohne Berücksichtigung dieser Beschwerdezunahme. Hinzu kommt, dass derselbe Kreisarzt am 24. März 2011, nunmehr in Kenntnis der im Februar 2011 gemeldeten Knieproblematik, deren Unfallkausalität als mindestens wahrscheinlich beurteilt hat, ohne dies allerdings zu begründen. Zu dieser kreisärztlichen Einschätzung äussert sich der vorinstanzliche Entscheid nicht.
3.2.3 Zur Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Leistungsansprüche bedarf es verlässlicher medizinischer Entscheidgrundlagen (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Diese liegen nach dem Gesagten hinsichtlich des Rentenanspruchs ab 14. Februar 2011 nicht vor. Es bedarf weiterer medizinischer Abklärung - im Sinne eines fachärztlichen Gutachtens - zur Frage, ob die gesundheitliche Verschlechterung am rechten Knie unfallkausal ist, und bejahendenfalls, inwieweit sie sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirkt. Die Sache wird hiefür an die Vorinstanz zurückgewiesen. In diesem Sinne ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen.
4.
Unabhängig vom Ergebnis dieser Rückweisung kann über die im weiteren streitige Kürzung der Rentenleistungen befunden werden.
Gemäss Art. 49 Abs. 2 UVV in Verbindung mit Art. 39 UVG werden die Geldleistungen mindestens um die Hälfte gekürzt für Nichtberufsunfälle, die sich ereignen u.a. bei: a. Beteiligung an Raufereien und Schlägereien, es sei denn, der Versicherte sei als Unbeteiligter oder bei Hilfeleistung für einen Wehrlosen durch die Streitenden verletzt worden; b. Gefahren, denen sich der Versicherte dadurch aussetzt, dass er andere stark provoziert.
Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, eine Kürzung nach Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV sei gerechtfertigt, da sich der Beschwerdeführer die rentenrelevanten Verletzungen anlässlich einer Schlägerei mit M.________ zugezogen habe. Im Übrigen hätte der Versicherte durch sein provokatives Verhalten auch den Tatbestand des Art. 49 Abs. 2 lit. b UVV erfüllt.
4.1 Der Tatbestand der Beteiligung an Raufereien oder Schlägereien im Sinne von Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV ist grundsätzlich verschuldensunabhängig konzipiert und weiter gefasst als der Straftatbestand der Beteiligung an einem Raufhandel gemäss Art. 133 StGB. Es genügt, dass das zu sanktionierende Verhalten objektiv gesehen die Gefahr einschliesst, in Tätlichkeiten überzugehen oder solche nach sich zu ziehen, und die versicherte Person dies erkannt hat oder erkennen musste. Der Tatbestand des Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV ist daher nicht nur bei der Teilnahme an einer eigentlichen tätlichen Auseinandersetzung gegeben. Es ist auch nicht notwendig, dass der Versicherte selbst tätlich geworden ist. Unerheblich ist zudem, aus welchen Motiven er sich beteiligt hat, wer mit einem Wortwechsel oder Tätlichkeiten begonnen hat und welche Wendung die Ereignisse in der Folge genommen haben. Entscheidend ist allein, ob die versicherte Person die Gefahr einer tätlichen Auseinandersetzung erkannt hat oder erkennen musste. Eine Leistungskürzung nach Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV setzt sodann voraus, dass zwischen dem als Beteiligung an einer Rauferei oder Schlägerei zu qualifizierenden Verhalten und dem Unfall ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang besteht. Dabei ist auch ein gewisser zeitlicher Konnex notwendig (Urteil 8C_579/2010 vom 10. März 2010 E. 2.2.1 mit Hinweisen).
4.2 Der relevante Ablauf der Geschehnisse vom 10. August 2003 lässt sich mit der Vorinstanz verlässlich dem gegen M.________ ergangenen Urteil des Strafgerichts X.________ vom 31. März 2004 und den Strafakten entnehmen. Das Strafgericht gelangte beweismässig zum Ergebnis, zunächst habe ein verbaler Streit zwischen den beiden Kontrahenten stattgefunden. Dann habe sich ein beidseitiger Schlagabtausch mit Händen und Füssen entwickelt. Daran seien beide Kontrahenten gleichermassen aktiv beteiligt gewesen. Der erste (Faust-)Schlag sei durch den Beschwerdeführer erfolgt. In einem bestimmten Moment, vielleicht auf eine weitere Beschimpfung hin, habe M.________ dann sein Messer gezückt, mehrere Stichbewegungen in Richtung Oberkörper des Versicherten gemacht und das Messer schliesslich in dessen Oberbauchgegend gestossen (Strafurteil S. 6 ff., insbes. S. 8, 10 und 13).
Damit hat sich der Beschwerdeführer im Sinne der dargelegten Grundsätze zweifelsfrei an einer Schlägerei beteiligt, was natürlich und adäquat kausal zu den erlittenen Verletzungen führte. Demnach ist der Kürzungstatbestand des Art. 49 Abs. 2 lit. a UVV erfüllt. Sämtliche Erklärungsversuche in der Beschwerde vermögen hieran nichts zu ändern.
4.3 Die Beschwerde ist somit, soweit es um die Kürzung der Rentenleistungen geht, abzuweisen. Die Kürzung wurde auf das Mindestmass von 50 % (E. 4 Ingress hievor) festgesetzt.
Ob der Tatbestand des Art. 49 Abs. 2 lit. b UVV ebenfalls als erfüllt zu betrachten wäre, kann offen bleiben. Denn auch wenn dies bejaht würde, hätte dies infolge der Bindung des Bundesgerichts an die Parteianträge (Art. 107 Abs. 1 BGG) keine höhergradige Leistungskürzung zur Folge.
5.
5.1 Der Beschwerdeführer obsiegt insofern, als die Sache bezüglich Rentenanspruch an die Vorinstanz zurückgewiesen wird. Er unterliegt hingegen bezüglich Kürzung der Rentenleistungen. Dieser Prozessausgang rechtfertigt, den Parteien die Gerichtskosten je hälftig aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und die SUVA dazu verpflichten, dem Beschwerdeführer eine reduzierte Parteientschädigung auszurichten ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ).
5.2 Zu prüfen bleibt das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Diese könnte nur das Rechtsbegehren erfassen, mit welchem der Beschwerdeführer unterlegen ist und daher Gerichtskosten sowie eigene Parteikosten zu tragen hat, d.h. bezüglich der Kürzung der Rentenleistungen.
Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege setzt unter anderem voraus, dass das Rechtsbegehren der gesuchstellenden Partei nicht als aussichtslos zu betrachten ist (Art. 64 BGG). Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde; eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 133 III 614 E. 5 S. 616).
Das Rechtsbegehren hinsichtlich der Kürzung der Rentenleistungen ist im Sinne dieser Ausführungen als von vornherein aussichtslos zu qualifizieren, weshalb die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ausser Betracht fällt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 10. Januar 2012, soweit den Rentenanspruch ab 14. Februar 2011 betreffend, aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die Beschwerde neu entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden den Parteien je hälftig auferlegt.
4.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1400.- zu entschädigen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 16. Oktober 2012
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Ursprung
Der Gerichtsschreiber: Lanz