Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
C 189/06
Urteil vom 16. November 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Schmutz
Parteien
Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen, Davidstrasse 21, 9000 St. Gallen, Beschwerdeführerin,
gegen
P.________, 1951, Beschwerdegegner
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 13. Juli 2006)
Sachverhalt:
A.
P.________, geboren 1951, war seit 1. April 1981 bei der Firma O.________ tätig, zuletzt als Betriebsmitarbeiter Sortierung im Zentrum S.________. Am 9. September 2005 wurde das Arbeitsverhältnis von Arbeitgeberin und Arbeitnehmer im Einvernehmen per sofort aufgelöst. Der Grund hierfür war, dass P.________ an die Firma M.________ adressierte Karten dem Kanal entnommen hatte; diese warf er in einer Filiale der Firma M.________ in die Abstimmungsurne ein und erhielt dafür insgesamt dreizehn Tafeln Schokolade. Der Firma O.________ entging dadurch auch die Taxe der Rücksendungen im Betrag von insgesamt Fr. 7.-. Sie drohte P.________ die fristlose Entlassung an, worauf dieser, um es zu verhindern, in die sofortige Auflösung des Arbeitsvertrages einwilligte. Die Kantonale Arbeitslosenkasse St. Gallen stellte den Versicherten mit Verfügung vom 28. Dezember 2005 wegen selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit für die Dauer von 55 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein. In der Begründung wurde angeführt, er habe durch sein Verhalten Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben, und damit, dass er sich gegen die fristlose Beendigung nicht zur Wehr gesetzt habe, auf die Einhaltung der ordentlichen dreimonatigen Kündigungsfrist verzichtet. Deshalb wiege das Verschulden an der Arbeitslosigkeit schwer. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 25. Januar 2006).
B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen geführten Beschwerde hob das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den Einspracheentscheid auf und reduzierte die Einstellungsdauer auf 45 Tage (Entscheid vom 13. Juli 2006).
C.
Die kantonale Arbeitslosenkasse erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, in Aufhebung des Entscheides vom 13. Juli 2006 sei P.________ für 55 Tage in der Anspruchsberechtigung einzustellen.
Die Vorinstanz beantragt Abweisung der Beschwerde. Versicherter und Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen selbst verschuldeter Arbeitslosigkeit (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG), namentlich zufolge einer Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, die dem Arbeitgeber Anlass zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben hat (Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV; BGE 119 V 177 f. Erw. 4b, 112 V 245 f. Erw. 1), sowie über die verschuldensabhängige Dauer der Einstellung (Art. 30 Abs. 3 Satz 3 AVIG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2 AVIV) zutreffend wiedergegeben. Das kantonale Gericht hat auch richtig festgehalten, dass das vorwerfbare Verhalten nach Art. 20 lit. b des Übereinkommens Nr. 168 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Beschäftigungsförderung und den Schutz gegen Arbeitslosigkeit vom 21. Juni 1988 vorsätzlich erfolgt sein muss (vgl. BGE 124 V 236 Erw. 3b, welche Rechtsprechung gemäss unveröffentlichtem Urteil M. vom 17. Oktober 2000 [C 53/00] auch im Bereich von Art. 44 Abs. 1 lit. a AVIV anwendbar ist). Darauf wird verwiesen.
1.2 Bei der Prüfung der Unangemessenheit einer angefochtenen Verfügung (Art. 132 lit. a OG in Verbindung mit Art. 98a Abs. 3 OG) geht es um die Frage, ob der zu überprüfende Entscheid, den die Behörde nach dem ihr zustehenden Ermessen im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien in einem konkreten Fall getroffen hat, nicht zweckmässigerweise anders hätte ausfallen sollen. Allerdings darf das Sozialversicherungsgericht sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen; es muss sich somit auf Gegebenheiten stützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen (BGE 123 V 152 Erw. 2).
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe in das der Verwaltung zustehende Ermessen eingegriffen und Bundesrecht verletzt, indem sie im Falle des Beschwerdegegners die Einstellungsdauer von 55 auf 45 Tage reduziert habe. Sie wirft ihr sinngemäss vor, ohne triftigen Grund ihr Ermessen an die Stelle desjenigen der Arbeitslosenkasse gesetzt zu haben. Sie begründete jedoch in der Verfügung vom 28. Dezember 2005 nicht, warum sie die Einstellungsdauer innerhalb des bundesrechtlich vorgegebenen Bereichs von 31-60 Tagen bei der Sanktion eines schweren Verschuldens auf 55 Tage festsetzte. Im Einspracheentscheid vom 25. Januar 2006 führte sie lediglich aus, es liege ein Verschulden "im oberen Bereich" des schweren Verschuldens vor, weshalb eine Einstellungsdauer von 55 Tagen angemessen sei. Die vom kantonalen Gericht als verschuldensmindernd eingestuften Aspekte waren zuvor im Einspracheentscheid nicht gewürdigt worden. Die Vorinstanz hielt dann fest, der Versicherte habe zwar mit seinem Fehlverhalten das für seine berufliche Funktion erforderliche Vertrauensverhältnis nachhaltig erschüttert, und dadurch eine fristlose Entlassung bewirkt. Es sei deshalb von einem schweren Verschulden auszugehen. Es sei aber nicht ersichtlich, dass ihm ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorgeworfen werden könne. Die Verwerflichkeit seines Verhaltens sei in erster Linie grundsätzlicher Natur und habe bei der Arbeitgeberin und den betroffenen Kunden ansonsten keinen nennenswerten konkreten Schaden verursacht. In Anbetracht der konkreten Umstände erscheine deshalb eine Einstellung in der Anspruchsberechtigung für höchstens 45 Tage als angemessen, gerade auch - wie sie in der Vernehmlassung ausführt - im Vergleich mit Streitfällen, in denen arbeitslosen Personen tatsächlich ein strafrechtlich relevantes Verschulden vorzuwerfen gewesen sei. Dort sei Veruntreuung und/oder Diebstahl jeweils mit 45 bzw. 50 Einstelltagen geahndet worden. Dies lasse im Falle des Beschwerdegegners eine Einstellungsdauer von mehr als 45 Tagen als unangemessen erscheinen.
2.2 Die Vorinstanz konnte sich damit bei ihrem Entscheid durchaus auf Gegebenheiten stützen, welche eine von der Verwaltung abweichende Ermessensausübung im Sinne einer Reduktion der Einstellungsdauer auf die mittlere Höhe des Sanktionierungsrahmens bei schwerem Selbstverschulden als gerechtfertigt erscheinen lassen. Da nach der Rechtsprechung als sachgemässer Ausgangspunkt für die individuelle Verschuldensbeurteilung grundsätzlich ein Mittelwert in der Skala zu wählen ist (BGE 123 V 153 Erw. 3c), und weil gemäss Art. 45 Abs. 2 lit. c AVIV die Einstellung in der Anspruchsberechtigung bei schwerem Verschulden zwischen 31 und 60 Tagen dauert, ist auch im vorliegenden Fall der innerhalb dieser Bandbreite liegende Mittelwert von 45 Einstellungstagen angemessen; nach dem Gesagten hat die Vorinstanz mit triftigem Grund in das Ermessen der Verwaltung eingegriffen, und der Vorwurf, sie habe damit Bundesrecht verletzt, ist ohnehin nicht gerechtfertigt, weil eine unrichtige Ermessensausübung keinen Rechtsfehler bedeutet, solange nicht Ermessensmissbrauch vorliegt (Art. 132 lit. a im Vergleich zu Art. 104 lit. a OG), wovon hier nicht die Rede sein kann.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, dem Amt für Arbeit und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 16. November 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: