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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_545/2010 
 
Urteil vom 16. November 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Mathys, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari 
Gerichtsschreiberin Binz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marcel Vetsch, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
rechtliches Gehör, Willkür, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 29. April 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Das Amtsgericht Hochdorf bestrafte X.________ am 7. April 2009 wegen Überfahrens einer Sicherheitslinie und Nichtfortsetzens der Fahrt in Pfeilrichtung mit Motorrad, Nichtbeibehaltens des Platzes innerhalb der Fahrzeugkolonne sowie Benützens einer Abbiegespur zum Überholen mit einer Busse von Fr. 500.--. Die von X.________ dagegen erhobene Kassationsbeschwerde hiess das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 24. August 2009 gut. Es wies die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Dieses sprach X.________ am 29. September 2009 der gleichen Tatbestände schuldig und bestrafe ihn erneut mit einer Busse von Fr. 500.--. Gegen das Urteil erhob X.________ wiederum Kassationsbeschwerde, welche das Obergericht mit Entscheid vom 29. April 2010 abwies. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der Entscheid des Obergerichts vom 29. April 2010 sei aufzuheben. Er sei des Nichtbehaltens des Platzes innerhalb der Fahrzeugkolonne sowie des Benützens einer Abbiegespur zum Überholen mit einer Busse von Fr. 100.-- zu verurteilen. Von den restlichen Vorwürfen sei er freizusprechen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Dem angefochtenen Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde: 
Der Beschwerdeführer fuhr am 29. Mai 2008 mit seinem Motorrad auf der Hauptstrasse von Inwil in Richtung Root auf der linken Abbiegespur in Richtung Firma A.________ (Industrie Tell) an der stehenden Kolonne vorbei. Auf diese Weise überholte er mindestens 15 Fahrzeuge. Am Ende der Fahrspur fuhr er über die Sicherheitslinie und positionierte sich zwischen den beiden Fahrzeugkolonnen vor dem Rotlicht (angefochtenes Urteil E. 1.1 S. 2). 
 
2. 
Die Beschwerde richtet sich gegen die Verurteilung wegen Überfahrens einer Sicherheitslinie und Nichtfortsetzens der Fahrt in Pfeilrichtung mit Motorrad. Das erstinstanzliche Urteil bildet nicht Anfechtungsobjekt (Art. 80 Abs. 1 BGG). Auf den Antrag des Beschwerdeführers, das Urteil des Amtsgerichts vom 29. September 2009 sei aufzuheben, ist deshalb nicht einzutreten. 
 
3. 
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das Amtsgericht habe ihn im Neubeurteilungsverfahren nicht zum Entscheid der Vorinstanz vom 24. August 2009 angehört. 
 
3.1 Die Vorinstanz kassierte das Urteil des Amtsgerichts, weil dieses den Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Vornahme eines Augenscheins ohne Begründung abgewiesen hatte. Das Amtsgericht hielt im Neubeurteilungsverfahren fest, die vom Beschwerdeführer an der Verhandlung vom 20. November 2008 aufgelegte CD mit einem Video des Begehungsortes sei zu den Akten genommen und gesichtet worden. Der Augenschein sei nicht mehr notwendig, da die CD den Begehungsort - welcher ausserdem dem Gericht allgemein bekannt sei - genügend zeige (Urteil des Amtsgerichts vom 29. September 2009 E. 7 S. 3). Die Vorinstanz führt aus, das Amtsgericht habe die erneute Ablehnung des Beweisantrags gemäss Vorgabe der Kassationsinstanz begründet. Der Beschwerdeführer habe nicht angehört werden müssen, da das Amtsgericht keinen Ermessensspielraum gehabt habe (angefochtenes Urteil E. 3.2.1 S. 5). 
 
3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, indem die Vorinstanz die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch das Amtsgericht schütze, verletze es seinerseits das Grundrecht. Die Vorinstanz habe dem Amtsgericht ausdrücklich offen gelassen, den Augenschein vorzunehmen oder dessen Ablehnung zu begründen. Deshalb sei ihre Begründung, das Amtsgericht habe keinen Ermessensspielraum gehabt, willkürlich. 
 
3.3 Der in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die Behörden die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hören, prüfen und in der Entscheidfindung berücksichtigen. Die Frage, ob Anspruch auf rechtliches Gehör im Neubeurteilungsverfahren besteht, ist je nach dem Inhalt des Rückweisungsentscheids verschieden zu beantworten. Allgemein erscheint eine erneute Anhörung als notwendig, wenn der Sachverhalt ergänzt wird, wenn der kantonalen Instanz ein weiter Ermessensspielraum bleibt oder wenn die rechtliche Beurteilung im Rückweisungsentscheid derart vom angefochtenen Entscheid abweicht, dass im Neubeurteilungsverfahren von einer grundsätzlich neuen Lage ausgegangen werden muss (BGE 119 Ia 136 E. 2e S. 139). Keine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn eine Behörde auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil sie aufgrund der bereits abgenommenen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, ihre Überzeugung würde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (BGE 136 I 229 E. 5.2 und 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen). 
 
3.4 Das Amtsgericht hatte im Neubeurteilungsverfahren nach der Vorgabe der Vorinstanz entweder den Augenschein vorzunehmen oder dessen Abweisung zu begründen. Es blieb ihm kein weiter Ermessensspielraum. Gemäss Rechtsprechung musste es dem Beschwerdeführer nicht nochmals Gelegenheit geben, sich zu äussern (BGE 119 Ia 136 a.a.O.). Soweit der Beschwerdeführer die vorinstanzlichen Erwägungen als willkürlich rügt, ist darauf mangels rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtlichen Gehörs erweist sich als unbegründet, soweit darauf einzutreten ist. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche (antizipierte) Beweiswürdigung. Er habe vor Beginn der Sicherheitslinie auf den rechten Fahrstreifen gewechselt. Somit sei auch der Vorwurf des Nichtfortsetzens der Fahrt in Pfeilrichtung unbegründet. 
 
4.1 Die Vorinstanz führt aus, die Aussagen des Polizisten B.________ seien im Kernbereich klar und kohärent. Es sei davon auszugehen, dass dieser das Fahrmanöver des Beschwerdeführers bzw. dessen Überfahren der Sicherheitslinie trotz der Krümmung der Strasse direkt beobachtet habe. Denn dessen Antwort auf die entsprechende Frage sei eindeutig gewesen. Unbewiesen sei die Behauptung des Beschwerdeführers, der Zeuge habe ihm am Tatort erklärt, er sei zu nahe an der Sicherheitslinie gestanden. Der Beschwerdeführer mache geltend, dass er das Polizeifahrzeug bemerkt und deshalb bewusst vor dem Beginn der Sicherheitslinie die Spur gewechselt habe. Dies erbringe nicht den Nachweis, dass er sich tatsächlich so verhalten habe. Da erstmals an der Amtsgerichtsverhandlung vorgebracht, sei diese Begründung ohnehin als Schutzbehauptung zu betrachten (angefochtenes Urteil E. 3.3.3 S. 8 ff.). 
 
4.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, das Amtsgericht habe seinen Beweisantrag nicht sorgfältig geprüft. Es habe nicht näher dargelegt, weshalb es aufgrund der bereits abgenommenen Beweise eine bestimmte Überzeugung gewonnen habe. Indem die Vorinstanz die antizipierte Beweiswürdigung des Amtsgericht schütze, verletze sie das Willkürverbot sowie den Anspruch auf rechtliches Gehör. Ihre Erwägung, B.________ habe sein Fahrmanöver direkt beobachtet, sei aktenwidrig und willkürlich. Die Strasse sei am Begehungsort sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Ausrichtung erheblich gekrümmt. Aufgrund des Abstands zwischen dem Polizeifahrzeug und dem Motorrad sei es unmöglich, dass ihn der Polizist beim angeblichen Überfahren der Sicherheitslinie kurz vor der Ampel gesehen habe. Die allgemeine Kenntnis des Begehungsortes führe nicht zu einer fundierten Beurteilung darüber, ob ihn der Zeuge beim angeblichen Überfahren der Sicherheitslinie gesehen haben könne. Dafür wäre die Sichtung der verschiedenen Standorte der beiden Fahrzeuge am Begehungsort notwendig. Die Vorinstanz verletze die Garantie eines fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK, indem sie ihn nicht zum Entlastungsbeweis des Augenscheins zugelassen habe. Zugleich verstosse es gegen den Grundsatz "in dubio pro reo", dass sie keine erheblichen Zweifel an der Zeugenaussage hege. 
 
4.3 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet. Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz, dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung ist die Kognition des Bundesgerichts auf Willkür beschränkt. Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 135 I 313 E. 1.3 S. 316; 129 I 173 E. 3.1 S. 178; je mit Hinweisen). 
Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rügepflicht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53; 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen). 
 
4.4 Die Vorinstanz erachtet die Aussagen des Belastungszeugen als glaubhaft und gestützt darauf den Sachverhalt als erstellt. Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung vorbringt, ist nicht geeignet, Willkür darzulegen. Insbesondere mit seinem Einwand, der Zeuge habe nicht sehen können, wo er die Fahrspur gewechselt habe, wiederholt er seine Ausführungen, welche er bereits in der Kassationsbeschwerde vorgebracht hat. Die Vorinstanz führt beispielsweise aus, die Berechnungen des Beschwerdeführers zum Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen würden eine nachträgliche Hypothese darstellen (angefochtenes Urteil E. 3.3.3 S. 9). Anstatt sich auf die vorinstanzlichen Erwägungen zu beziehen, gibt der Beschwerdeführer seine eigene Sicht der Dinge wieder bzw. legt dar, wie die vorhandenen Beweise seiner Auffassung nach richtigerweise zu würdigen gewesen wären. Seine Ausführungen, die Vorinstanz qualifiziere seine Aussagen zum korrekt ausgeführten Spurwechsel in willkürlicher Weise als unbelegte (Schutz-)behauptungen, erschöpfen sich in appellatorischer Kritik am angefochtenen Urteil. Auch seine Vorbringen, wonach das Amtsgericht seinen Beweisantrag nicht sorgfältig geprüft habe, sind unbelegte Behauptungen. Aus der Beschwerde ergibt sich nicht, dass und inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich im Sinne von Art. 9 BV festgestellt haben könnte. Soweit die Rügen deshalb den Begründungsanforderungen nicht genügen, ist darauf nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 313 E. 1.3 S. 316 mit Hinweisen). Gestützt auf die Feststellungen zum Tathergang zweifelte die Vorinstanz nicht daran, dass der Beschwerdeführer die Sicherheitslinie überfahren hat. Die Vorinstanz konnte willkürfrei in vorweggenommener Beweiswürdigung auf die Vornahme eines Augenscheins verzichten, ohne dabei den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör zu verletzen (BGE 136 I 229 a.a.O). Vor diesem Hintergrund erweisen sich auch die Rügen der Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" sowie der Garantie eines fairen Verfahrens als unbegründet. 
 
5. 
Da es beim Schuldspruch der Vorinstanz bleibt, erübrigt sich, den Antrag des Beschwerdeführers auf Reduktion der Sanktion zu behandeln. 
 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 16. November 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Binz