Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
8C_250/2016
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Urteil vom 16. November 2016
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
Verfahrensbeteiligte
Ersatzkasse UVG,
vertreten durch Rechtsanwalt René W. Schleifer,
Beschwerdeführerin,
gegen
Fussballclub A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unfallversicherung (Vorinstanzliches Verfahren),
Beschwerde gegen den Zwischenentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 26. Februar 2016.
Sachverhalt:
A.
Nachdem es mehrere Unfallversicherer abgelehnt hatten, die Angestellten des Fussballclubs A.________ (nachfolgend: Fussballclub) nach dem UVG zu versichern, ersuchte dieser die Ersatzkasse UVG um Zuweisung an einen Versicherer. Da der Fussballclub bis anhin keine obligatorische Unfallversicherung hatte abschliessen können, stellte ihm die Ersatzkasse mit Verfügung vom 9. Juni 2015 gestützt auf die Lohndeklarationen die Ersatzprämien für den Zeitraum vom 12. Juni 2010 bis 11. Juni 2015 zuzüglich Verzugszins im Gesamtbetrag von Fr. 26'825.15 in Rechnung. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 29. September 2015).
B.
Auf Beschwerde des Fussballclubs vom 27. Oktober 2015 hin stellte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Zwischenentscheid vom 26. Februar 2016 fest, betreffend Einteilung des Fussballclubs zu den Klassen und Stufen der Prämientarife sei das angerufene Gericht sachlich nicht zuständig (Dispositiv-Ziffer 2), weshalb das Rechtsmittel von Amtes wegen an das Bundesverwaltungsgericht überwiesen werde (Dispositiv-Ziffer 3); soweit die Beschwerde die Frage der Festlegung der Beiträge anhand der ausbezahlten Löhne betreffe, sei das angerufene Gericht sachlich zuständig, das Verfahren werde jedoch bis zum rechtskräftigen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts gemäss (Dispositiv-) Ziffer 2 sistiert (Dispositiv-Ziffer 4).
C.
Die Ersatzkasse UVG führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und stellt das Rechtsbegehren, in Aufhebung des Zwischenentscheides vom 26. Februar 2016 sei die sachliche Zuständigkeit des kantonalen Gerichts zur Behandlung des vorinstanzlich eingereichten Rechtsmittels vom 27. Oktober 2015 festzustellen.
Der Fussballclub beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern, das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) ist zulässig gegen Entscheide, die das Verfahren abschliessen (Art. 90 BGG) sowie gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren (Art. 92 Abs. 1 BGG). Gegen andere selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide ist die Beschwerde nach Art. 93 BGG zulässig, sofern - alternativ - der Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Abs. 1 lit. a) oder die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Abs. 1 lit. b).
1.2. Gegenstand des Verfahrens ist der Zwischenentscheid vom 26. Februar 2016, mit welchem das kantonale Gericht feststellt, es sei sachlich nicht zuständig, soweit die Einteilung des Fussballclubs zu den Klassen und Stufen der Prämientarife angefochten sei. Mit demselben Zwischenentscheid wird die Zuständigkeit der Vorinstanz zur Beurteilung der Frage der Festlegung der Beiträge anhand der ausbezahlten Löhne bejaht. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des Zwischenentscheides und sie verlangt, die sachliche Zuständigkeit des kantonalen Gerichts zur Behandlung des an die Vorinstanz gerichteten Rechtsmittels sei zu bejahen. Dabei vertritt sie die Ansicht, die Streitigkeit beschlage ausschliesslich die Festlegung der Beiträge anhand der ausbezahlten Löhne.
Da der angefochtene Zwischenentscheid sich ausschliesslich zur Zuständigkeit äussert, ist die Beschwerde hiergegen gemäss Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig (vgl. E. 1.1 hiervor), unabhängig davon, ob der angefochtene Entscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil (vgl. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) bewirken kann. Da auch die weiteren formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Gemäss Art. 109 UVG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht - in Abweichung von Art. 58 Abs. 1 ATSG - Beschwerden gegen Einspracheentscheide über die Zuständigkeit der SUVA zur Versicherung der Arbeitnehmer eines Betriebes (lit. a), über die Zuteilung der Betriebe und der Versicherten zu den Klassen und Stufen der Prämientarife (lit. b) und über Anordnungen zur Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (lit. c). Dabei handelt es sich um eine Aufzählung von Ausnahmefällen im Vergleich zu der gemäss ordentlichem Rechtsweg vorgesehenen Zuständigkeit der kantonalen Versicherungsgerichte nach den Art. 56 ff. ATSG.
3.
3.1. Das kantonale Gericht geht davon aus, dass einerseits die von der Ersatzkasse vorgenommene Einteilung des Fussballclubs zu den Klassen und Stufen der Prämientarife und andererseits die Festlegung der Beiträge anhand der ausbezahlten Löhne streitig sei. Nur für letztere Frage erachtet es sich als sachlich zuständig.
3.2. Die Ersatzkasse bringt dagegen vor, sie habe vom Beschwerdegegner einzig Ersatzprämien gemäss Art. 95 Abs. 1 UVG eingefordert. Eine Zuteilung der Angestellten zu Klassen und Stufen der Prämientarife schreibe diese Bestimmung, welche im Übrigen nicht auf Art. 92 Abs. 2 UVG verweise, der Ersatzkasse nicht vor. Die Frage, welche Betriebe und welche Versicherten in welche Klassen und Stufen der Prämientarife zugeteilt werden, stelle sich einzig und abschliessend bei der Anmeldung von Betrieben und Versicherten bei einem Unfallversicherer nach UVG gemäss Art. 68 ff. UVG. Da die Ersatzkasse kein Versicherer im Sinne des UVG sei, habe sie auch keine Zuteilung von Betrieben und Personal für die Prämienerhebung vorzunehmen. Vorliegend habe sie gemäss Art. 92 Abs. 2 UVG der Prämienfestsetzung eine Durchschnittsprämie der betreffenden Risikogemeinschaft zugrunde gelegt, gestützt auf die Prämiensätze der Allianz Suisse, halte doch das Verwaltungsreglement für die Ersatzkasse gemäss den Artikeln 72 und 73 des Bundesgesetzes vom 20. März 1981 über die Unfallversicherung, in Kraft gesetzt mit Bundesratsbeschluss vom 18. Juni 2008 (nachfolgend: VWR), in Art. 8.1.1.2 fest, dass sich der Prämiensatz aus der Einteilung des Betriebs in die Gefahrenklassen und Gefahrenstufen des Tarifs der Allianz Suisse ergebe. In casu gelte für die massgebenden Jahre die Tarifeinstufung der Allianz Suisse für "Trainer (Sport) haupt- oder nebenamtlich" und "Sportclub (ohne AHV-unterstelltes Wettkampfpersonal) " mit den Endprämiensätzen von 95.87, 98.46 (abgerundet auf 98.45) und 100.51 (abgerundet auf 100.50). Es sei nicht Aufgabe der Ersatzkasse, bei jedem säumigen Arbeitgeber abzuklären, in welche Stufen in der betreffenden Klasse seine Mitarbeiter einzuordnen seien. Der Gesetzgeber hätte sonst Art. 95 UVG anders formuliert und der Bundesrat hätte Art. 8.1.1.2 VWR, welcher auf die Prämientarife der Allianz Suisse verweise, nicht genehmigt.
4.
4.1.
4.1.1. Die Ersatzkasse zieht vom säumigen Arbeitgeber die geschuldeten Ersatzprämien ein (Art. 73 Abs. 1 UVG). Gemäss Art. 95 Abs. 1 UVG erhebt die SUVA oder die Ersatzkasse vom Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer nicht versichert, die Eröffnung des Betriebes der SUVA nicht gemeldet oder sich sonst wie der Prämienpflicht entzogen hat, für die Dauer der Säumnis, höchstens aber für fünf Jahre, eine Ersatzprämie in der Höhe des geschuldeten Prämienbetrages (Satz 1). Der Betrag wird verdoppelt, wenn sich der Arbeitgeber in unentschuldbarer Weise der Versicherungs- oder Prämienpflicht entzogen hat (Satz 2). Kommt der Arbeitgeber seinen Pflichten wiederholt nicht nach, so kann eine Ersatzprämie vom drei- bis zehnfachen Prämienbetrag erhoben werden (Satz 3). Ist als Ersatzprämie der einfache Prämienbetrag zu entrichten, werden Verzugszinsen berechnet (Satz 4). Ersatzprämien dürfen dem Arbeitnehmer nicht am Lohn abgezogen werden (Satz 5).
4.1.2. Ersatzprämien basieren nach Art. 95 Abs. 1 Satz 1 UVG somit auf dem geschuldeten Prämienbetrag. Die Prämien werden gemäss Art. 92 Abs. 1 Satz 1 UVG von den Versicherern in Promillen des versicherten Verdienstes festgesetzt. Sie bestehen aus einer dem Risiko entsprechenden Nettoprämie und aus Zuschlägen für die Verwaltungskosten, für die Kosten der Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten und für die nicht durch Zinsüberschüsse gedeckten Teuerungszulagen (Art. 92 Abs. 1 Satz 2 UVG). Für die Bemessung der Prämien in der Berufsunfallversicherung werden die Betriebe nach ihrer Art und ihren Verhältnissen in Klassen des Prämientarifs und innerhalb dieser in Stufen eingereiht; dabei werden insbesondere Unfallgefahr und Stand der Unfallverhütung berücksichtigt. Die Arbeitnehmer eines Betriebes können nach einzelnen Gruppen verschiedenen Klassen und Stufen zugeteilt werden (Art. 92 Abs. 2 UVG).
4.2. Die Ersatzkasse vertritt die Auffassung, sie habe bei der rückwirkenden Prämienerhebung keine Klassen- und Stufenzuteilungen im Sinne von Art. 109 lit. b UVG vorzunehmen, ansonsten Art. 95 UVG anders hätte formuliert werden müssen. Bei dieser Argumentation übersieht sie allerdings, dass Art. 95 Abs. 1 UVG ausdrücklich die Erhebung einer Ersatzprämie "in der Höhe des geschuldeten Prämienbetrages" vorsieht. Bei der Festsetzung der Prämien und der Ersatzprämien bildet deshalb jeweils Art. 92 UVG die Grundlage. Auch wenn die Ersatzkasse nicht zu den Versicherern im Sinne von Art. 68 UVG gehört, ist sie folglich nach Art. 95 Abs. 1 UVG in ihrer Funktion als "Auffangeinrichtung" (zum Tätigkeitsbereich: Art. 73 UVG) verpflichtet, zur Bemessung der Ersatzprämien eine Einreihung der Betriebe gemäss Art. 92 Abs. 2 UVG vorzunehmen. Diesbezüglich besteht gestützt auf Art. 109 lit. b UVG eine Überprüfungsbefugnis des Bundesverwaltungsgerichts, denn diese Norm sieht keine Einschränkungen hinsichtlich der Zuteilung der Betriebe (und der Versicherten) zu den Klassen und Stufen der Prämientarife im Rahmen der Festsetzung von Ersatzprämien vor. Die von der Beschwerdeführerin gegen die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts erhobenen Einwände sind nicht stichhaltig. Soweit sie darauf hinweist, dass Art. 92 Abs. 2 UVG eine "Kann-Vorschrift" sei, ist zu berücksichtigen, dass der in der Beschwerde geltend gemachte Ermessensspielraum lediglich hinsichtlich der Arbeitnehmer eines Betriebes gilt, indem diese nach einzelnen Gruppen verschiedenen Klassen und Stufen zugeteilt werden "können" (Art. 92 Abs. 2 letzter Satz UVG). Eine Zuteilung der Betriebe ist aber für die Festsetzung der Ersatzprämien jedenfalls notwendig und das Bestehen eines Ermessensspielraums hinsichtlich der Einteilung der Arbeitnehmer eines Betriebes in Gruppen schliesst eine gerichtliche Überprüfung entgegen der Ansicht der Ersatzkasse keineswegs aus. Die im vorinstanzlichen Verfahren vom Beschwerdegegner erhobene Forderung nach einer Herabsetzung der Prämiensätze zielt im Übrigen nicht in erster Linie auf eine Zuteilung in einzelne Gruppen gemäss Art. 92 Abs. 2 letzter Satz UVG, sondern auf eine Gleichbehandlung des Betriebs namentlich im Vergleich zur Einreihung von Arbeitgebern, welche Turn- und Sportlehrer oder Fitness-Instruktoren beschäftigen. Schliesslich stellt auch Art. 8.1.1.2 VWR die Überprüfungsbefugnis durch das Bundesverwaltungsgericht nicht in Frage. In dieser Reglementsbestimmung wird festgehalten, dass der Ermittlung der Ersatzprämie der Prämiensatz zugrunde zu legen ist, der sich aus der Einreihung des Betriebes in die Gefahrenklassen und -stufen des Tarifes der Allianz Suisse ergibt. Änderungen des Betriebsrisikos oder der Prämiensätze während der Säumnisdauer sind zudem zu berücksichtigen (Art. 8.1.1.2 Satz 2 VWR). Der Umstand, dass dabei auf den Tarif der Allianz Suisse verwiesen wird, vermag nichts daran zu ändern, dass die Einreihung des Betriebes gerichtlich überprüfbar sein muss. Dieser Rechtsweg ist in Art. 109 lit. b UVG vorgesehen. Er darf nicht durch eine gesetzeswidrige Auslegung des Reglements ausgehebelt werden.
5.
Mit dem vorinstanzlich eingereichten Rechtsmittel wird (auch) die von der Ersatzkasse für die Berechnung der Ersatzprämien vorgenommene Tarifeinstufung mit den Endprämiensätzen von 95.87, 98.45 und 100.50 für "Trainer (Sport) haupt- oder nebenamtlich" und für "Sportclub (ohne AHV-unterstelltes Wettkampfpersonal) " angefochten. Ob es sich bei den Endprämiensätzen um Angaben in Promille oder in Zehntausendstel handelt, ist im Übrigen weder aus den Angaben der Ersatzkasse noch aus dem von ihr vorinstanzlich eingereichten Prämienblatt der Allianz Suisse ersichtlich. Aus der Verfügung vom 9. Juni 2015 lässt sich schliessen, dass der Beschwerdeführer von Promille-Angaben ausgeht. Mit Blick darauf, dass beim FC A.________ lediglich der Geschäftsführer und die Trainer einen Lohn beziehen und als Arbeitnehmer des Clubs gelten, nicht aber die Fussballer als eigentliche "Risikosportler", erscheinen diese Prämiensätze als hoch. Wie es sich damit verhält, wird das Bundesverwaltungsgericht zu prüfen haben.
Da somit nicht nur die Prämienberechnung an sich, sondern auch die Zuteilung des Betriebs zu den Klassen und Stufen der Prämientarife im Sinne von Art. 109 lit. b UVG strittig ist, hat das kantonale Gericht die Sache bezüglich der Zuteilung zu Recht dem Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung überwiesen. Es ist bezüglich des Rechtsweges von einer Trennung der beiden Rechtsverhältnisse auszugehen (Einreihung in die Gefahrenklassen und -stufen einerseits und Prämienpflicht andererseits; vgl. zu Art. 109 UVG in der bis Ende 2006 gültig gewesenen Fassung: RKUV 2000 Nr. U 369 S. 324, U 248/99).
6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 65 Abs. 2 und 3 lit. b in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG; Tarif für die Gerichtsgebühren im Verfahren vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.1]). Dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner steht trotz seines Obsiegens keine Parteientschädigung nach Art. 68 Abs. 2 BGG zu.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'900.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für Gesundheit und dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 16. November 2016
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz