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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_596/2021  
 
 
Urteil vom 16. November 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiberin Sauthier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden, 
Sennhofstrasse 17, 7000 Chur. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts 
von Graubünden, I. Strafkammer, vom 28. Oktober 2021 
(SK1 21 77). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Regionalgericht Plessur sprach A.________ in dessen Abwesenheit mit Urteil vom 18. Juli 2018 der versuchten vorsätzlichen Tötung, der einfachen Körperverletzung, der Drohung, der Freiheitsberaubung, des mehrfachen Diebstahls sowie des mehrfachen Hausfriedensbruchs schuldig und verurteile ihn zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten. Das Urteil wurde im Amtsblatt des Kantons Graubünden publiziert. Am 29. April 2019 wurde A.________ aufgrund der zufolge des Abwesenheitsurteils vom 18. Juli 2018 erfolgten internationalen Ausschreibung in Deutschland festgenommen und an die Schweiz ausgeliefert. Seit dem 16. August 2019 befindet sich A.________ in der Schweiz in Haft. 
Auf Gesuch von A.________ fand am 28. Januar 2020 vor dem Regionalgericht eine neue Beurteilung der ihm vorgeworfenen Straftaten in seiner Anwesenheit statt. Anlässlich dieser Verhandlung wurde die Verurteilung von A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten bestätigt. Dagegen erhob A.________ Berufung an das Kantonsgericht Graubünden. Ein während des hängigen Berufungsverfahrens gestelltes Haftentlassungsgesuch von A.________ wies das Kantonsgericht am 16. Dezember 2020 ab. Diesen Entscheid schützte das Bundesgericht am 19. Januar 2021 (Urteil 1B_666/2020). 
Mit Berufungsurteil vom 19. Mai 2021 stellte das Kantonsgericht fest, dass das Urteil des Regionalgerichts Plessur vom 28. Januar 2020 insofern in Rechtskraft erwachsen sei, als das Gesuch von A.________ um Neubeurteilung gutgeheissen und das Strafverfahren in Bezug auf den Vorwurf der mehrfachen Beschimpfung eingestellt wurde. Sodann sprach es A.________ vom Vorwurf der Drohung frei, erklärte ihn schuldig der versuchten Tötung, der einfachen Körperverletzung, der Freiheitsberaubung, des Diebstahls und des Hausfriedensbruchs und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten. Dagegen erhob A.________ Beschwerde in Strafsachen. Die Angelegenheit ist bei der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hängig (Verfahren 6B_915/2021). 
Auf das von A.________ anlässlich der mündlichen Berufungsverhandlung vom 18. Mai 2021 gestellte Haftentlassungsgesuch trat das Kantonsgericht indes nicht ein, da es sich nicht als zuständig erachtete. Dagegen erhob A.________ ebenfalls Beschwerde an das Bundesgericht, welches die Beschwerde am 28. September 2021 teilweise guthiess und feststellte, dass das Kantonsgericht auf das Haftentlassungsgesuch hätte eintreten müssen. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab (1B_478/2021). 
 
B.  
Am 18. Oktober 2021 stellte A.________ erneut ein Haftentlassungsgesuch, welches das Kantonsgericht mit Verfügung vom 28. Oktober 2021 abwies, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
Dagegen führt A.________ mit Eingabe vom 1. November 2021 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die sofortige Haftentlassung. Eventualiter eine bedingte Entlassung per 12. November 2021 und subeventualiter die Verlegung in den offenen Vollzug, Arbeitsexternat, Urlaub, Vollzugslockerungen. 
Die Staatsanwaltschaft und das Kantonsgericht haben auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Die Vorinstanz war für die Beurteilung des Haftentlassungsgesuchs aus der Sicherheitshaft weiterhin zuständig, auch wenn die Sache inzwischen bei der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts anhängig gemacht worden war (vgl. BGE 147 IV 160 E. 3.1; Urteile 1B_478/2021 vom 28. September 2021 E. 4.4; 1B_323/2020 vom 8. Juli 2020 E. 1 mit Hinweis). Die Vorinstanz entschied als einzige kantonale Instanz (Art. 232 Abs. 2 i.V.m. 380 StPO). Die Beschwerde ist daher nach Art. 80 Abs. 2 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist daher grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Nicht einzutreten ist hingegen auf die Ausführungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem vor der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts hängigen Strafverfahren (6B_915/ 2021). Dies betrifft insbesondere seine Einwände gegen die Strafzumessung, seine Vorbringen gegen das Abwesenheitsurteil sowie seine Entschädigungsforderungen. Streitgegenstand bildet vorliegend einzig die von ihm beantragte Haftentlassung bzw. die Prüfung, ob die Voraussetzungen zur Fortführung der Sicherheitshaft erfüllt sind.  
 
2.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht den dringenden Tatverdacht (Art. 221 Abs. 1 StPO) und die Fluchtgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO) bejaht. 
 
2.1. Das Bundesgericht hat die Anforderungen an den dringenden Tatverdacht in den, den Beschwerdeführer betreffenden Urteilen 1B_666/ 2020 vom 19. Januar 2021 (E. 2) sowie 1B_478/2021 vom 28. September 2021 (E. 4.3.1) erläutert und darauf hingewiesen, dass sich der dringende Tatverdacht mit der zweitinstanzlichen Verurteilung noch zusätzlich erhärtet hat. Darauf kann verwiesen werden.  
 
2.2. Hinsichtlich der Fluchtgefahr kann vorab ebenfalls auf die beiden Urteile 1B_666/2020 und 1B_478/2021 verwiesen werden. Die Kritik des Beschwerdeführers vermag die betreffenden Erwägungen, auf welche die Vorinstanz verwiesen hat, nicht in Frage zu stellen. Entgegen seiner Auffassung hat sich die Sachlage seit Ergehen des bundesgerichtlichen Entscheids 1B_478/2021 vor nicht einmal zwei Monaten nicht massgeblich zu seinen Gunsten geändert. Soweit er vorbringt, er habe bereits zwei Drittel seiner Haftstrafe erstanden, ist ihm entgegenzuhalten, dass er im für ihn schlechtesten Fall immer noch mit ungefähr 17 Monaten Freiheitsentzug rechnen muss. Dies könnte ihn - insbesondere auch im Hinblick auf seine Vorgeschichte (Absetzen ins Ausland vor der Hauptverhandlung, unentschuldigtes Fernbleiben, internationale Ausschreibung zur Verhaftung) nach wie vor dazu veranlassen, sich der weiteren Strafverfolgung zu entziehen. Demzufolge ist trotz der zunehmenden Haftdauer noch von einer nicht unerheblichen Fluchtgefahr auszugehen.  
 
2.3. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, selbst wenn von Fluchtgefahr ausgegangen würde, könne diese durch eine Kaution in der Höhe von Fr. 20'000.-- gebannt werden. Dem kann nicht gefolgt werden. Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 237 StPO können zwar geeignet sein, einer gewissen (niederschwelligen) Fluchtneigung Rechnung zu tragen. Bei ausgeprägter Fluchtgefahr erweisen sie sich nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichts jedoch in der Regel nicht als ausreichend (vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.2; Urteil 1B_484/2021 vom 28. September 2021 E. 5.2; je mit Hinweisen). Angesichts der nicht unerheblichen Fluchtgefahr bestehen vorliegend bereits aus diesem Grund Zweifel, ob Ersatzmassnahmen angeordnet werden können. Die angebotene Kaution in der Höhe von Fr. 20'000.-- bietet angesichts der Fluchtgefahr jedenfalls keine ausreichende Sicherheit für den Verbleib des Beschwerdeführers in der Schweiz. Zur Vermeidung der mehrmonatigen Freiheitsstrafe könnte er durchaus geneigt sein, die ohnehin nicht sehr hohe Kaution verfallen zu lassen.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet sodann erneut die Verhältnismässigkeit der Haft. Er bringt insbesondere vor, er habe bereits zwei Drittel der zweitinstanzlich ausgesprochenen Freiheitsstrafe erstanden und wäre mit Sicherheit bedingt aus der Haft entlassen worden, wenn nicht das Urteil des Bundesgerichts vom 28. September 2021 erfolgt wäre.  
 
3.2. Nach Art. 212 Abs. 3 StPO dürfen Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe. Das Gericht darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 145 IV 179 E. 3.1; 143 IV 168 E. 5.1; 133 I 270 E. 3.4.2). Ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falls zu beurteilen (BGE 145 IV 179 E. 3.5; 133 I 168 E. 4.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Seit dem letzten den Beschwerdeführer betreffenden bundesgerichtlichen Entscheid Ende September 2021 sind noch keine zwei Monate vergangen. Soweit er erneut die Unverhältnismässigkeit der Haft rügt, kann daher grundsätzlich ebenfalls auf die diesbezüglichen Ausführungen im zitierten Urteil verwiesen werden (vgl. Urteil 1B_478/ 2021 vom 28. September 2021 E. 4.3.3). Der Beschwerdeführer befindet sich seit rund 31 Monaten in Haft und wurde erst- und zweitinstanzlich zu einer Freiheitsstrafe von 48 Monaten verurteilt. Dass dieses Strafmass aufgrund des hängigen Verfahrens vor dem Bundesgericht nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ändert nichts daran, dass der ausgesprochenen Sanktion für die konkrete Straferwartung vorliegend indizielle Bedeutung zukommt. Der bisherige Freiheitsentzug wird, sofern das Urteil der strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts in den nächsten Monaten erfolgt, fraglos deutlich weniger als 48 Monate gedauert haben, weshalb die Gesamtdauer der Haft ohne Berücksichtigung von Art. 86 StGB noch nicht in grosse Nähe zur zu erwartenden Sanktion gerückt ist (vgl. BGE 145 IV 179 E. 3.4). Ihm droht noch keine Überhaft.  
Grundsätzlich liegt es nicht am Haftgericht, eine Prognose über die bedingte Entlassung anzustellen. Ein Ausnahmefall, bei welchem die Möglichkeit der bedingten Entlassung bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ausnahmsweise berücksichtigt werden müsste (vgl. BGE 143 IV 160 E. 4.2), liegt hier ebenfalls nach wie vor nicht vor. Daran ändert auch die Behauptung des Beschwerdeführers nichts, die bedingte Entlassung wäre "hundertprozentig gutgeheissen worden", da er sich bereits in der Übergangsabteilung zum offenen Vollzug befunden habe. Weiter behauptet er, auch der Sozialdienst der JVA habe in einem Schreiben vom 19. August 2021 die bedingte Entlassung befürwortet und als Entlassungsdatum den 12. November 2021 vermerkt. Dieses Schreiben hat der Beschwerdeführer dem Bundesgericht indessen nicht eingereicht und es befindet sich, soweit ersichtlich, auch nicht in den Akten. Zudem ergänzt der Beschwerdeführer selbst, dass der Antrag auf bedingte Entlassung gestoppt worden sei. Damit sind keine konkreten Anhaltspunkte ersichtlich, dass die bedingte Entlassung tatsächlich gutgeheissen würde. Wie bereits im letzten den Beschwerdeführer betreffenden Urteil erwähnt, ist bei der Beurteilung einer allfälligen vorzeitigen Entlassung insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Verurteilung unter anderem wegen versuchter Tötung, mithin einem schwerwiegenden Delikt, zweitinstanzlich bestätigt wurde (vgl. Urteil 1B_478/2021 vom 28. September 2021 E. 4.3.3). Schliesslich hat der Beschwerdeführer entgegen seiner Behauptung ohnehin (noch) nicht zwei Drittel seiner Strafe erstanden. 
Unter diesen Umständen kann, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt, nicht gesagt werden, dass die Voraussetzungen einer bedingten Entlassung aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllt sein werden. Die Fortdauer der Sicherheitshaft erweist sich folglich noch als verhältnismässig. 
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. November 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier