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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_710/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 16. Dezember 2015  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Näf. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Hermann Lei, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Mehrfache Rassendiskriminierung; Anklagegrundsatz; Entschädigung, Genugtuung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. April 2015. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich warf X.________ in ihrer Anklageschrift vom 11. November 2013 vor, er habe in der Zeit vom 13. November 2009 bis zum 27. August 2011 durch Äusserungen in neun Texten, die mit einer Ausnahme auf der Internetseite der A.________-Partei publiziert wurden, sich einerseits der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB (Rassendiskriminierung) und andererseits der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 261 Abs. 1 StGB (Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit) schuldig gemacht. X.________ hatte in den Texten Verse aus dem Koran zitiert und seine Kommentare dazu abgegeben. 
 
B.   
Das Bezirksgericht Andelfingen, Einzelgericht in Strafsachen, sprach X.________ mit Urteil vom 18. Juni 2014 in allen Anklagepunkten der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB schuldig. Vom Vorwurf der mehrfachen Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261 StGB) sprach es ihn frei. Es bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 90.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren, und mit einer Busse von 1'000 Franken. 
 
X.________ erhob Berufung. Er beantragte, er sei in allen Punkten freizusprechen. 
 
Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, sprach X.________ am 28. April 2015 in vier Anklagepunkten der Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB schuldig. In fünf Anklagepunkten sprach es ihn frei. Es bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu Fr. 90.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren. 
 
C.   
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er stellt die Anträge, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm eine Entschädigung von Fr. 3'500.-- und eine Genugtuung von Fr. 30'000.-- zuzusprechen. 
 
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Zürich haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes. Die Anklageschrift genüge den gesetzlichen Anforderungen nicht. Aus ihr werde nicht ersichtlich, was die Staatsanwaltschaft ihm vorwerfe. Die Staatsanwaltschaft beschränke sich darauf, in der Anklageschrift Texte zu kopieren und dem Gericht zu übermitteln. Es werde aus der Anklageschrift nicht erkennbar, worin nach der Auffassung der Staatsanwaltschaft sein strafbares Verhalten liege. Eine Verteidigung sei daher unmöglich.  
 
1.2. Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten und nunmehr in Art. 9 Abs. 1 StPO festgeschriebenen Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind. Zugleich bezweckt das Anklageprinzip den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und garantiert den Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 141 IV 132 E. 3.4.1 mit Hinweisen). Gemäss Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO bezeichnet die Anklageschrift möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung.  
 
1.3. Welcher Sinn einer Äusserung zukommt, ist eine Rechtsfrage. Bei Äusserungen in Medienerzeugnissen ist auf den Eindruck des unbefangenen Durchschnittslesers beziehungsweise Durchschnittshörers mit durchschnittlichem Wissen und gesunder Urteilskraft abzustellen (BGE 131 IV 160 E. 3.3). Gegenstand eines Strafverfahrens wegen Äusserungsdelikten sind einzelne Äusserungen, nicht ein Gesamtbild, das durch die Äusserungen nach Meinung der Staatsanwaltschaft gezeichnet wird. Dieses Gesamtbild kann aber für die Auslegung der einzelnen Äusserungen im Gesamtzusammenhang von Bedeutung sein. Dies gilt etwa für unerlaubte Herabsetzungen im Sinne von Art. 23 in Verbindung mit Art. 3 lit. a UWG (BGE 124 IV 162 E. 3b/aa mit Hinweisen) und für Ehrverletzungen (Urteile 6B_8/2014 vom 22. April 2014 E. 2.1; 6B_333/2008 vom 9. März 2009 E. 1.2). Entsprechendes gilt für rassendiskriminierende Äusserungen im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB.  
 
Demnach hat die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift anzugeben, welche konkreten Äusserungen der beschuldigten Person ihres Erachtens den Tatbestand des Herabsetzens im Sinne von Art. 261bis Abs. 4 erste Hälfte StGB erfüllen. 
 
1.4. In der vorliegenden Anklageschrift werden neun Texte wiedergegeben, die in der Zeit vom 13. November 2009 bis zum 27. August 2011 publiziert worden sind. Diese Texte bestehen aus Versen aus dem Koran einerseits und aus den Kommentaren beziehungsweise Schlussfolgerungen, welche der Beschwerdeführer aus den zitierten Versen zieht, andererseits.  
 
Im Anschluss an die Wiedergabe der neun Texte wird in der Anklageschrift Folgendes ausgeführt: 
 
"10. Mit diesen teilweise redundanten und gleichlautenden Äusserungen bezichtigte der Beschuldigte wissentlich und willentlich, pauschal und undifferenziert die Angehörigen muslimischen Glaubens, Leib und Leben ihrer andersgläubigen Mitbürger nicht oder nur wenig zu achten, sprach diesen verallgemeinernd die Gleichwertigkeit als Menschen und Bürger ab und setzte sie in erniedrigender, ausgrenzender Weise auf eine tiefere Stufe als andere Personen. Er behauptete pauschalisierend und verallgemeinernd die Minder- bzw. Unterwertigkeit des Islam und der Angehörigen muslimischen Glaubens und stellte damit in unzulässiger Weise ihre gleichwertige Stellung als Menschen unter Menschen an sich in Frage. 
 
Der Beschuldigte unterstellte dem Islam und den Muslimen eine Zwanghaftigkeit zu Verbrechen, angeblich begründet durch den Koran. Er machte pauschalisierend und grob verallgemeinernd quasi alle Muslime für die Verbrechen Einzelner verantwortlich, schrieb den Muslimen undifferenziert Gewaltverbrechen zu und reduzierte diese Religion schliesslich auf die Ebene einer bekämpfenswerten Ideologie. Seine generalisierenden Äusserungen waren geeignet, die religiösen Gefühle der Muslime zu verletzen, zumal der Beschuldigte in übertriebener und gravierender Weise seine Geringschätzung gegenüber dem Islam als Religion zum Ausdruck brachte." 
 
1.5. Die Staatsanwaltschaft nimmt in Ziff. 10 der Anklageschrift gleichsam eine Zusammenfassung der neun Texte vor und legt darin dar, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer wegen Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis StGB zu bestrafen sei. Den Ausführungen in der Anklageschrift kann jedoch nicht entnommen werden, welche einzelnen konkreten Äusserungen des Beschwerdeführers die Staatsanwaltschaft als tatbestandsmässig erachtet. Die Staatsanwaltschaft hätte diese einzelnen Äusserungen in der Anklageschrift auflisten müssen. Durch das von ihr gewählte Vorgehen erspart es sich die Staatsanwaltschaft, sich mit den einzelnen Äusserungen auseinanderzusetzen, und mutet sie dem Beschwerdeführer zu darzulegen, weshalb alle in der Anklageschrift wiedergegebenen Äusserungen nicht tatbestandsmässig seien. Eine Anklageschrift in dieser Darstellungsform erfüllt die Informations- und Umgrenzungsfunktion nicht. Die Verurteilung des Beschwerdeführers verletzt den Anklagegrundsatz. Die Beschwerde ist daher gutzuheissen.  
 
2.   
Bei diesem Verfahrensausgang wird sich die Vorinstanz erneut mit den Kosten- und Entschädigungsfolgen befassen. 
 
3.   
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. April 2015 aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben und hat der Kanton Zürich dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Hermann Lei, eine Entschädigung zu zahlen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. April 2015 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Zürich hat dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Hermann Lei, eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu zahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Dezember 2015 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Näf