Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2A.534/2005 /vje
Urteil vom 17. Februar 2006
II. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Merkli, Präsident,
Bundesrichter Betschart, Müller,
Gerichtsschreiber Matter.
Parteien
Eidgenössische Oberzolldirektion, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________ Basel,
Beschwerdegegnerin,
Eidgenössische Zollrekurskommission,
avenue Tissot 8, 1006 Lausanne.
Gegenstand
Zollnachlass,
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Eidgenössischen Zollrekurskommission vom 14. Juli 2005.
Sachverhalt:
A.
Die Einzelfirma X.________ mit Sitz in A.________ SO und Filiale in Basel befasst sich mit internationalen Transporten sowie Speditionsangelegenheiten. Am 27. Mai 2003 beantragte sie die definitive Einfuhrabfertigung einer Sendung Sherry-Wein von 17'520 kg aus Spanien zum Normalzollansatz von Fr. 25.-- je 100 kg. Das Zollamt Basel/St. Louis nahm die Abfertigung antragsgemäss vor und stellte am 2. Juni 2003 einen Zollausweis über die Einfuhrabgabe in der Höhe von insgesamt Fr. 7'580.75 aus.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2003 reichte die X.________ Basel beim Zollamt Basel/St. Louis Beschwerde gegen die Zollabfertigung vom 2. Juni 2003 ein und brachte unter Vorlage eines gültigen Ursprungsnachweises vor, die Sendung irrtümlich zum Normal- statt zum Präferenzzollansatz von Fr. 8.50 deklariert zu haben (Differenzbetrag: Fr. 2890.80). Weil die gesetzliche Beschwerdefrist von 60 Tagen bereits verstrichen war, informierte die für die Beschwerde zuständige Zollkreisdirektion Basel die Betroffene am 15. Dezember 2003 über die Rechtslage und eröffnete ihr die Möglichkeit eines Zollnachlasses. In der Folge zog die X.________ Basel ihre Beschwerde zurück und ersuchte um Zollnachlass.
B.
Auf Weisung und im Namen der Oberzolldirektion hiess die Zollkreisdirektion Basel das Gesuch mit Verfügung vom 5. März 2004 teilweise gut und erliess der X.________ Basel Zollabgaben im Umfang von Fr. 2'600.--, d.h. rund 90 % des Differenzbetrages zwischen Normal- und Präferenzzollansatz. Sie erwog, die materiellen und formellen Voraussetzungen für die begünstigte Zollabfertigung seien im Zeitpunkt der Einfuhr erfüllt gewesen. Jedoch treffe die Zollpflichtige ein schuldhaftes Verfahrensversäumnis, was den Umfang des Erlassbetrages schmälere.
C.
Gegen diese Nachlassverfügung gelangte die X.________ Basel am 1. April 2004 an die Eidgenössische Zollrekurskommission und beantragte den Erlass des Gesamtbetrages. Am 14. Juli 2005 hiess die Rekurskommission die Beschwerde gut.
D.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht vom 9. September 2005 stellt die Oberzolldirektion den Antrag, den Entscheid der Eidgenössischen Zollrekurskommission aufzuheben.
Die Vorinstanz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Die X.________ Basel hat sich nicht vernehmen lassen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 99 Abs. 1 lit. g OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen über Erlass oder Stundung geschuldeter Abgaben. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass den Verwaltungsbehörden dabei Ermessen oder zum Mindesten ein sehr weiter Beurteilungsspielraum zusteht, welcher der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen bleiben soll (vgl. BBl 1965 II 1265, insbes. S. 1268 und 1313). Somit steht es dem Bundesgericht prinzipiell nicht zu, über den Erlass von Abgaben zu befinden. Allerdings betrachtet das Zollrecht den Zollerlass als einen Rechtsanspruch des Zahlungspflichtigen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (vgl. Remo Arpagaus, Das schweizerische Zollrecht, in: Koller/Müller/Rhinow/Zimmerli [Hrsg.], Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Basel/Genf/München 1999, Rz. 97; Ernst Blumenstein, Grundzüge des schweizerischen Zollrechts, Bern 1931, S. 44 f.). Daher sind Erlassverfügungen nach Art. 127 des Zollgesetzes vom 1. Oktober 1925 (ZG; SR 631.0) der Verwaltungsgerichtsbeschwerde in Ausnahme zu Art. 99 Abs. 1 lit. g OG unterworfen (vgl. BBl 1965 II 1313), weshalb sich die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig erweist (vgl. zum Ganzen: ASA 74 246 E. 1).
1.2 Das Eidgenössische Finanzdepartement steht der Zollverwaltung vor (Art. 129 Abs. 1 ZG) und ist mithin für Zollstreitigkeiten zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (vgl. Art. 103 lit. b OG). Art. 5 in Verbindung mit Art. 19 der Organisationsverordnung vom 11. Dezember 2000 für das Eidgenössische Finanzdepartement (OV-EFD; SR 172.215.1) delegiert diese Beschwerdebefugnis an die Eidgenössische Zollverwaltung. Nachdem deren Leitung der Oberzolldirektion obliegt (Art. 131 Abs. 1 ZG), ist diese zur Führung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vor Bundesgericht berechtigt. Auf ihre form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Art. 127 ZG regelt den so genannten Zollnachlass, mit dem eine rechtskräftig feststehende Zollschuld erlassen wird. Abgesehen von den hier nicht interessierenden besonderen Gründen von Art. 127 Abs. 1 Ziff. 1-3 ZG sieht Ziff. 4 derselben Bestimmung einen allgemeinen Auffangtatbestand als Härteklausel vor (vgl. Arpagaus, a.a.O., Rz. 97): Danach wird ein Zollbetrag dann ganz oder teilweise erlassen, wenn aussergewöhnliche, nicht die Bemessung der Abgaben betreffende Verhältnisse den Bezug als besondere Härte erscheinen liessen. Nach dem Wortlaut des Gesetzes müssen diese Voraussetzungen für einen Zollerlass kumulativ erfüllt sein. Liegen sie vor, greift kein behördliches Ermessen, sondern es besteht ein Anspruch auf Nachlass (vgl. E. 1.1), d.h. dieser ist zu gewähren.
2.2 Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein Zollnachlass wegen irrtümlicher Unterlassung des Antrags auf Präferenzabfertigung (vgl. Art. 4 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft [EWR-Übereinkommen; 0.632.401]; siehe auch ASA 74 246 E. 2.2) nur zulässig, wenn sowohl die materiellen als auch die formellen Voraussetzungen für eine Präferenzbehandlung im Zeitpunkt der Wareneinfuhr tatsächlich erfüllt waren (vgl. ASA 74 246 E. 3). Das war hier unbestrittenermassen so. Im Streit steht vor Bundesgericht nur noch, ob in diesem Fall ein Teilerlass erfolgen kann, wie die Oberzolldirektion argumentiert, oder ob bei kumulativem Vorliegen sämtlicher Bedingungen ausschliesslich ein vollständiger Nachlass möglich ist, wie die Rekurskommission erwogen hat.
2.3 Der Auffassung der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Sie verstösst gegen den klaren Wortlaut von Art. 127 Abs. 1 ZG. Die Lehre geht ebenfalls davon aus, dass es den zuständigen Behörden nicht verwehrt sein soll, je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls nur einen Teilnachlass zu gewähren (vgl. insb. Blumenstein, a.a.O., S. 45; Hans Beat Noser, Der Zollnachlass nach Art. 127 ZG - wozu, wie, wann ?, Zollrundschau 4/1990, S. 48). Diese Lösung erweist sich auch von der Sache her als zutreffend, denn es liegt auf der Hand, dass der besonderen Härte des Bezugs in gewissen Fällen bereits durch einen blossen Teilnachlass hinreichend Rechnung getragen wird.
Zu Unrecht sieht die Rekurskommission darin eine gesetzeswidrige Ermessensausübung. Zwar besteht ein Rechtsanspruch auf den Zollnachlass und kann dieser Anspruch gegebenenfalls mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht durchgesetzt werden, aber nur insoweit, als die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. M.a.W. richtet sich das Mass des Nachlasses nach der Intensität des Erlassgrundes im Einzelfall (vgl. Blumenstein, a.a.O., S. 45). Dabei ist u.a. zu prüfen, inwiefern die irrtümliche Abfertigung zum Normaltarif auf einem entschuldbaren Verfahrensversäumnis oder auf mangelnder Sorgfalt des Zollpflichtigen beruht. Das steht nicht nur im Einklang mit dem Gesetzeswortlaut, sondern auch mit dem Selbstverantwortlichkeitsprinzip und dem Gebot rechtsgleicher Behandlung (vgl. zum Ganzen ASA 74 246 E. 2.4, 3.3 u. 3.5).
2.4 Ob die Oberzolldirektion der Beschwerdegegnerin zu Recht nicht weniger als 90 % des Differenzbetrages zwischen Normal- und Präferenztarif erlassen hat, kann hier offen bleiben, da vor Bundesgericht nur noch der erstinstanzlich nicht erlassene Teil dieses Betrages im Streit steht (vgl. E. 2.2 hiervor).
3.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und der erstinstanzliche Entscheid zu bestätigen.
Aufgrund der gegebenen Verhältnisse ist auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid der Eidgenössischen Zollrekurskommission vom 14. Juli 2005 aufgehoben und der Entscheid der Zollkreisdirektion Basel vom 5. März 2004 bestätigt.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und der Eidgenössischen Zollrekurskommission schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Februar 2006
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: