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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2A.662/2006 /leb 
 
Urteil vom 17. April 2007 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Karlen, 
Gerichtsschreiber Merz. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch 
Fürsprecher Robert Frauchiger, 
 
gegen 
 
Migrationsamt des Kantons Aargau, 
Postfach, 5001 Aarau, 
Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau, Postfach, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Ausweisung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen das Urteil des Rekursgerichts im Ausländerrecht des Kantons Aargau vom 22. September 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der türkische Staatsangehörige X.________ wurde im August 1983 in der Schweiz geboren und in die Niederlassungsbewilligung seiner Eltern einbezogen. Am 29. September 2005 verurteilte ihn das Strafgericht Basel-Landschaft wegen diverser Delikte zu fünf Jahren Zuchthaus, weswegen er sich noch heute im Strafvollzug befindet (seit dem 20. Juni 2006 in Halbfreiheit). Hierauf verfügte das Migrationsamt des Kantons Aargau am 16. Februar 2006 die Ausweisung von X.________ auf unbestimmte Zeit. Mit Einspracheentscheid vom 4. April/4. Mai 2006 bestätigte es seine Verfügung. Das Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau (im Folgenden: Rekursgericht) hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil vom 22. September 2006 teilweise gut. Es wandelte die unbefristete Ausweisung in eine solche für die Dauer von drei Jahren um. 
B. 
Am 3. November 2006 hat X.________ beim Bundesgericht Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er stellt folgende Anträge: 
"Das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Das Migrationsamt des Kantons Aargau sei anzuweisen, dem Beschwerdeführer die Niederlassung weiterhin zu bewilligen. Die Ausweisung soll angedroht und es soll dem Beschwerdeführer dargelegt werden, was von ihm erwartet wird." 
C. 
Das Migrationsamt des Kantons Aargau verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Rekursgericht sowie das Bundesamt für Migration ersuchen um Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der angefochtene Entscheid erging am 22. September 2006 und damit vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110, AS 2006 1205 ff.). Daher ist die vorliegende Eingabe noch als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen und nach den Regeln des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 1943 über die Organisation der Bundesrechtspflege (OG; BS 3 531) zu erledigen (vgl. Art. 132 Abs. 1 BGG; Mitteilungen des Bundesgerichts zum Inkrafttreten des Bundesgerichtsgesetzes, Ziff. I, publ. in: ZBl 108/2007 S. 56; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
1.2 Die gegen das Urteil des Rekursgerichts, das die Ausweisungsverfügung im Grundsatz bestätigt, form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig (vgl. BGE 114 Ib 1 E. 1a S. 2). 
2. 
2.1 Gemäss Art. 10 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) kann ein Ausländer aus der Schweiz oder aus einem Kanton ausgewiesen werden, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens gerichtlich bestraft wurde. Durch die Ausweisung erlischt die Niederlassungsbewilligung (Art. 9 Abs. 3 lit. b ANAG). Der erwähnte Ausweisungsgrund ist hier unbestrittenermassen gegeben. Der Beschwerdeführer macht allerdings geltend, dass seine Ausweisung unangemessen sei. 
2.2 Gemäss Art. 11 Abs. 3 ANAG soll die Ausweisung nur verfügt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen angemessen bzw. verhältnismässig erscheint (vgl. hierzu auch BGE 125 II 521 E. 2a S. 523 und Art. 8 Ziff. 2 EMRK). Es sollen unnötige Härten vermieden werden. Bei der vorzunehmenden Abwägung sind vor allem die Schwere des Verschuldens des Ausländers, die Dauer seiner Anwesenheit in der Schweiz und die ihm und seiner Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen (Art. 16 Abs. 3 der Vollziehungsverordnung vom 1. März 1949 zum Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, ANAV; SR 142.201). 
2.3 Je länger ein Ausländer in der Schweiz lebt, desto strengere Anforderungen sind an die Voraussetzungen einer Ausweisung zu stellen. Eine solche ist indessen selbst bei einem Ausländer, der - wie der Beschwerdeführer - bereits in der Schweiz geboren ist und hier sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat (sog. "Ausländer der zweiten Generation") nicht ausgeschlossen. Sie kommt namentlich dann in Betracht, wenn der Ausländer besonders schwere Gewalt-, Sexual- oder Betäubungsmitteldelikte begangen hat bzw. bei wiederholter schwerer Straffälligkeit. Entscheidend sind immer die gesamten Umstände des Einzelfalles (vgl. BGE 122 II 433 E. 2 und 3 S. 435 ff.; 125 II 521 E. 2b S. 523 f.; 130 II 176 E. 4.4.2 S. 190). 
 
3. 
3.1 Das Strafgericht Basel-Landschaft verurteilte den Beschwerdeführer am 29. September 2005 zu fünf Jahren Zuchthaus wegen Irreführung der Rechtspflege und Überlassens eines Motorfahrzeugs an eine Person ohne entsprechenden Führerausweis (jeweils begangen am 16. Dezember 2003), qualifizierten Raubes (begangen am 27. Dezember 2003), versuchter vorsätzlicher Tötung (begangen am 11. Januar 2004), Zuwiderhandlung gegen das Waffengesetz (begangen von Dezember 2003 bis Januar 2004) und mehrfachen Betäubungsmittelkonsums (begangen von Anfang 2003 bis Januar 2004). Bereits am 18. Oktober 2000 hatte die Jugendanwaltschaft des Kantons Aargau den Beschwerdeführer wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs zu einer Arbeitsleistung verpflichtet und am 12. Februar 2001 wegen geringfügiger Sachbeschädigung mit einer Busse bestraft. Ausserdem hatte ihn das Bezirksamt Laufenburg am 2. Juli 2003 wegen Nichtabgabe des Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder trotz behördlicher Aufforderung zu einer Busse verurteilt. Schliesslich lief gegen den Beschwerdeführer im Jahre 2002 ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zur illegalen Einreise, worauf ihm damals gegen seinen Willen die Grenzkarte entzogen wurde. 
3.2 Der Beschwerdeführer ist somit wiederholt deliktisch aufgefallen. Die ersten gegen ihn verhängten Massnahmen haben ihn nicht von weiteren, schwereren Straftaten abgehalten. Er beging insbesondere eine versuchte vorsätzliche Tötung - laut Strafgericht an der Grenze zum versuchten Mord -, die nur deshalb nicht vollendet wurde, weil er das Opfer trotz Abgabe von mehreren Schüssen nicht tödlich traf. Er macht zwar eine Krisensituation geltend, die ihn zu dieser Tat verleitet habe. Er habe befürchtet, dass die Familie eines Freundes, der im Dezember 2002 nach einer Auseinandersetzung starb, ihn für dessen Tod als verantwortlich ansehen und ihn deshalb umbringen würde. Dem habe er durch Tötung des vermeintlichen Täters zuvorkommen wollen, um sein Ansehen bei der Familie des verstorbenen Freundes wieder herzustellen. Diese Konfliktsituation hat das Strafgericht veranlasst, ihn nicht wegen versuchten Mordes, sondern (nur) wegen versuchter vorsätzlicher Tötung zu verurteilen. 
 
Dabei plante der Beschwerdeführer die Tötung von langer Hand, zog einen Gehilfen bei und lockte das arglose Opfer in einen Hinterhalt. Ausserdem war ihm bewusst, dass das Opfer nicht für den Tod seines Freundes verantwortlich war. 
 
3.3 Sodann hat der Beschwerdeführer am 27. Dezember 2003 mit einem Mittäter einen Raub unter Einsatz einer geladenen Schusswaffe, die er gegen eines der Opfer richtete, begangen. Diese Tat steht ebenso wenig wie die Irreführung der Rechtspflege vom 16. Dezember 2003 in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der erwähnten Konfliktsituation. Sie zeugt dafür umso mehr von der geringen Hemmschwelle beim Beschwerdeführer, schwere Delikte zu verüben. 
3.4 Die Annahme der Vorinstanzen, es bestehe beim Beschwerdeführer eine erhebliche Rückfallgefahr, ist in Anbetracht der Gesamtumstände - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht zu beanstanden. Gewiss meinte das Strafgericht, dass es "wohl einmalige Verfehlungen waren - jedenfalls, wenn es [ihm] gelingt, nach dem Strafvollzug sozial und beruflich wieder Tritt zu fassen". Es hat seine diesbezügliche Aussage aber selber relativiert ("wohl", "jedenfalls, wenn"). Fest steht, dass der Beschwerdeführer eine Bereitschaft zu besonders gravierenden Delikten gezeigt hat. Ausserdem ist es ihm nicht gelungen, die hier allgemein geltenden Regeln der Konfliktbewältigung zu akzeptieren. Es ist daher zu befürchten, dass er unter anderem dann, wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verläuft, wieder zu Gewaltdelikten neigen wird. Da hierbei die Verletzung zentraler Rechtsgüter (Leib und Leben) droht, ist das Risiko eines Rückfalls umso weniger hinzunehmen. 
3.5 Nach dem Gesagten besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers. 
4. 
4.1 Bei der gebotenen Abwägung ist auch das Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz zu berücksichtigen. Er ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Er hat nach dem Schulbesuch eine Maurerlehre absolviert. Er ist mit einer in der Schweiz niedergelassenen Landsfrau verlobt, und seine gesamte engere Familie (Eltern, Grosseltern, Brüder) lebt in der Schweiz. Bis zum Strafantritt galt der Beschwerdeführer als beruflich integriert. 
4.2 Wie die Vorinstanz indes richtig bemerkt, hat die Anwesenheit seiner Familie weder die erwähnte Konfliktsituation (vgl. E. 3.2 hiervor) beheben noch den Beschwerdeführer von der Verübung der schweren Delikte abhalten können. Ausserdem ist der Beschwerdeführer erwachsen. Er steht nicht in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Familie. Und auch umgekehrt ist seine Familie nicht auf ihn angewiesen. Mit Blick auf die vom Rekursgericht vorgenommene Beschränkung der Dauer der Ausweisung auf drei Jahre wird er nach Ablauf dieser Zeit besuchsweise zu seiner Familie in die Schweiz reisen können. 
 
In der Schweiz verkehrte der Beschwerdeführer vorwiegend mit Türken und anderen Ausländern. Wie gesehen (E. 3.2), ist der Beschwerdeführer auch noch Wertvorstellungen aus dem heimatlichen Kulturkreis verhaftet. Es kann daher nicht davon die Rede sein, er sei in der Schweiz überdurchschnittlich integriert. Im Übrigen beherrscht er die türkische Sprache. Die Verhältnisse in der Türkei sind ihm nicht fremd. Seinen erlernten Maurerberuf kann er dort ebenfalls ausüben. 
 
Der Beschwerdeführer weist zwar auf sein positives Verhalten im Strafvollzug hin. Dem Wohlverhalten in Unfreiheit kommt praxisgemäss jedoch bloss untergeordnete Bedeutung zu (vgl. BGE 114 Ib 1 E. 3b S. 5). Ausserdem wurde im Führungsbericht vom 23. März 2006 festgehalten, das Verhalten des Beschwerdeführers lasse, was Benehmen und allgemeine Hausordnung betreffe, "zu wünschen übrig". Er musste, wenn auch aus geringfügigem Anlass, mehrmals diszipliniert werden. Seit der Begehung der schwersten Delikte ist zudem noch nicht viel Zeit vergangen. 
4.3 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat die Vorinstanz den Sachverhalt in Bezug auf seine Verlobung nicht offensichtlich unrichtig dargestellt. Zwar mag er von der Absicht des Migrationsamtes, ihn auszuweisen, erst nach der Verlobung erfahren haben. Das Rekursgericht hält jedoch zu Recht fest, wegen der von ihm begangenen Straftaten hätten der Beschwerdeführer und seine Verlobte damit rechnen müssen, die Beziehung nicht in der Schweiz leben zu können (vgl. BGE 116 Ib 353 E. 3e S. 358; 120 Ib 6 E. 4c S. 15). Die Verlobung fand erst während des Strafvollzugs statt. Wohl wendet der Beschwerdeführer ein, er habe seine Verlobte schon einige Jahre vorher gekannt. Diese Beziehung vermochte ihn jedoch auch nicht daran zu hindern, die schweren Straftaten zu begehen. Will die Verlobte mit dem Beschwerdeführer zusammenbleiben, ist ihr mit Blick auf ihre Abstammung, Staatsangehörigkeit und die Verhältnisse in der Türkei grundsätzlich zumutbar, ihm in die Heimat zu folgen. 
4.4 Ergänzend ist auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil zu verweisen. Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was der Ausweisung entgegenstünde. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände hat das Rekursgericht das öffentliche Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers zu Recht höher gewichtet als dessen privates Interesse am Verbleib in der Schweiz. Die Ausweisung erweist sich demnach als verhältnismässig und verletzt kein Bundesrecht. 
5. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen. Mit diesem Entscheid wird das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
Bei diesem Ausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 153, 153a und 156 OG). Parteientschädigungen werden nicht geschuldet (Art. 159 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'500.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt und dem Rekursgericht im Ausländerrecht des Kantons Aargau sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 17. April 2007 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: