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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_429/2021  
 
 
Urteil vom 17. Mai 2022  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident, 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Alain Pfulg, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. Mai 2021 (200 21 58 UV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1957 geborene A.________ stürzte am 20. Juli 1998 bei der Arbeit als Staplerfahrer und erlitt eine distale Radiusfraktur am linken Handgelenk, die zu mehreren operativen Eingriffen Anlass gab. Die damals zuständige Allianz Suisse Versicherungen (Allianz) erbrachte Leistungen und sprach A.________ namentlich eine Integritätsentschädigung von Fr. 9720.-, entsprechend einer Integritätseinbusse von 10 %, zu. Eine gegen den die Rentenablehnungsverfügung vom 12. April 2002 bestätigenden Einspracheentscheid vom 31. Oktober 2002 erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern teilweise gut und sprach A.________ ab 1. Mai 2001 eine Invalidenrente, basierend auf einem 14%igen Invaliditätsgrad, zu. Das damalige Eidg. Versicherungsgericht wies die hiergegen von der Allianz geführte Beschwerde ab (Urteil U 241/04 vom 11. November 2004).  
 
A.b. Zuletzt war A.________ in einem 50%-Pensum als Gärtner für die B.________ GmbH tätig und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 22. September 2014 fiel er während der Arbeit auf Gesäss und Rücken und zog sich dabei eine Fraktur des Processus transversus BWK12 links sowie beidseitige Schulterverletzungen zu. In der Folge wurden mehrere Operationen im Schulterbereich durchgeführt. Die Suva erbrachte Versicherungsleistungen.  
 
Die IV-Stelle Bern sprach A.________ mit Verfügung vom 9. April 2018 rückwirkend ab 1. Februar 2016 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. 
 
Gestützt auf den Bericht über die kreisärztliche Abschlussuntersuchung der Dr. med. C.________, Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin, vom 17. Oktober 2019 und ihre gleichentags erfolgte Beurteilung des Integritätsschadens gewährte die Suva A.________ eine Integritätsentschädigung, entsprechend einer Integritätseinbusse von 50 % (Verfügung vom 21. Oktober 2019). Nach Vorliegen der ärztlichen Beurteilung der Dr. med. C.________ vom 24. März 2020 bejahte die Suva für die verbliebenen Beeinträchtigungen aus den Unfällen vom 20. Juli 1998 (zuständige Unfallversicherung: Allianz) und 22. September 2014 ab 1. Juni 2020 einen Invalidenrentenanspruch, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 32 %, und kündigte die Einstellung der Rentenzahlungen der Allianz per Ende Mai 2020, gestützt auf Art. 100 Abs. 6 UVV, an (Verfügung vom 15. April 2020). Die gegen die Rentenverfügung vom 15. April 2020 geführte Einsprache lehnte sie ab (Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2020). 
 
B.  
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen den Einspracheentscheid vom 1. Dezember 2020 erhobene Beschwerde ab (Urteil vom 3. Mai 2021). 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, es sei ihm in Aufhebung des kantonalgerichtlichen Urteils eine Komplementärrente nach UVG auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 100 % auszurichten. Ferner lässt er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung ersuchen. 
 
Die Suva beantragt ohne weitere Ausführungen, unter Hinweis auf die Erwägungen des kantonalen Gerichts, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Vorinstanz und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).  
 
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie in Bestätigung des Einspracheentscheids vom 1. Dezember 2020 einen Rentenanspruch nach UVG, basierend auf einem 32%igen Invaliditätsgrad, bekräftigte. 
 
3.  
Im angefochtenen Urteil werden die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze zum Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung (Art. 18 Abs. 1 UVG in der bis 31. Dezember 2016 in Kraft stehenden Fassung i.V.m. Art. 8 ATSG), zur Bemessung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; BGE 143 V 295 E. 2.1 ff.) und zum Beweiswert von ärztlichen Berichten im Allgemeinen (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a) sowie von Berichten versicherungsinterner Ärzte (BGE 145 V 97 E. 8.5; 142 V 58 E. 5.1; 139 V 225 E. 5.2; 135 V 465 E. 4.4) im Besonderen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz geht gestützt auf die als beweiskräftig erachteten Berichte der Dr. med. C.________ vom 17. Oktober 2019 und 24. März 2020 davon aus, dass dem Beschwerdeführer ganztags körperlich leichte Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen, mit einer leichten bis mässigen Belastung der Hände, ohne Traglasten über 2 kg beidseitig, zumutbar seien. Zu vermeiden seien repetitive monotone Arbeitsschritte mit Pro-/Supination, Handgelenksbewegung und Greiffunktion (Fliessband), ebenso Beschäftigungen, verbunden mit einer hohen Belastung der Hände und mit Krafteinsatz, mit Vibrationen und sakkadierten (ruckartigen) Bewegungen sowie Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten und an Maschinen, letzteres infolge der Verletzungsgefahr wegen der Medikamenteneinnahme. Am Vormittag und am Nachmittag seien zusätzliche Pausen von je ungefähr 30 Minuten Dauer einzuhalten. Dieses Zumutbarkeitsprofil werde von der Kreisärztin auch mit Blick auf die übrigen medizinischen Akten, namentlich auf das von der Invalidenversicherung eingeholte polydisziplinäre Gutachten der Academy of Swiss Insurance, Universität Basel (asim), vom 25. August 2011, schlüssig begründet. Die Auswirkungen früher erlittener Unfälle seien in die Beurteilung eingeflossen. Die Einschränkungen hätten keineswegs eine vollständige Arbeitsunfähigkeit zur Folge, sondern würden einzig die noch zumutbaren Tätigkeitsbereiche eingrenzen. Bei der Berechnung des Invalideneinkommens, basierend auf der Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (LSE), sei dementsprechend ein Abzug von 15 % für erhöhten Pausenbedarf und ein solcher von 25 % aufgrund der leidensbedingten Einschränkungen vorzunehmen.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, dass die Invalidenversicherung, die keine unfallfremden Befunde berücksichtigt habe, von einem 100%igen Invaliditätsgrad ausgehe. Mit dieser krassen Differenz zur Invaliditätsbemessung der Suva setze sich die Vorinstanz in keiner Weise auseinander, obwohl die Invaliditätsbemessung einer anderen Sozialversicherung beim Entscheid der Unfallversicherung berücksichtigt werden müsse. Das kantonale Gericht beschränke sich auf den lapidaren Hinweis, die Invaliditätsschätzung der Invalidenversicherung entfalte gegenüber dem Unfallversicherer keine Bindungswirkung. Damit verletze es seine Begründungspflicht.  
 
5.  
 
5.1. Zwar besteht mit der Vorinstanz rechtsprechungsgemäss keine wechselseitige Bindungswirkung auch rechtskräftig festgestellter Invaliditätsgrade der Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung für den jeweils anderen Sozialversicherungsbereich. Allerdings sind - wie vom Beschwerdeführer zu Recht geltend gemacht - bereits abgeschlossene Invaliditätsfestlegungen mitzuberücksichtigen (BGE 133 V 549 E. 6.1; SVR 2021 UV Nr. 26 S. 123, 8C_581/2020 E. 6.5.1). Die Invalidenversicherung geht im vorliegenden Fall unbestrittenermassen von einem 100%igen Invaliditätsgrad aufgrund einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit in jeder Erwerbstätigkeit aus. Dabei stützt sie sich namentlich auf die Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. D.________, Facharzt für Arbeitsmedizin, vom 26. Juli 2017. Darauf verweist im Verfahren vor Bundesgericht auch der Beschwerdeführer und reicht eine entsprechende Kopie ein. Weil die RAD-Stellungnahme allerdings bereits Teil der Suva-Akten bildet, ist sie nicht als Novum zu qualifizieren und kann im vorliegenden Verfahren ohne Weiteres Beachtung finden (zum Novenverbot: Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 147 V 124 E. 1.2). Dr. med. D.________ kommt darin zum Schluss, die massiv eingeschränkte Beweglichkeit und Belastbarkeit beider Schultern sei dokumentiert und nachvollziehbar (Pseudoparalyse mit fast aufgehobener aktiver Beweglichkeit, wobei eine beidseitige Schulterprothese diskutiert werde). Sowohl für die zuletzt ausgeübte als auch für eine angepasste Tätigkeit geht er von einer 100%igen Arbeitsunfähigkeit aus. Darüber hinaus gibt er an, selbst unter Annahme eines günstigen Verlaufs müsse nach den geplanten Prothesenimplantationen für die darauf folgenden, mindestens 18 Monate weiterhin eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit für jegliche Beschäftigung angenommen werden. Der behandelnde Spezialarzt Dr. med. E.________, Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Gelenkchirurgie, bestätigt zudem für die nachfolgende Zeit, auch noch kurz vor Erlass der Rentenverfügung vom 15. April 2020, bei (noch) nicht eingesetzten Prothesen und unverändert schmerzhaftem und unbefriedigendem Verlauf weiterhin eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit (vgl. u.a. sein Bericht vom 13. Januar 2020).  
 
5.2. Dr. med. C.________ geht weder auf diese abweichenden Einschätzungen der Arbeitsfähigkeit ein noch begründet sie ihr eigenes Attest einer 100%igen Arbeitsfähigkeit (eingeschränkt nur durch 30minütige Pausen am Morgen und am Nachmittag). Das von ihr erwähnte asim-Gutachten vom 25. August 2011 enthält zwar ein ähnliches Zumutbarkeitsprofil, datiert aber über drei Jahre vor dem Unfall vom 22. September 2014, weshalb es die Auswirkungen der Schulterverletzungen nicht berücksichtigen konnte, worauf der Beschwerdeführer zu Recht verweist. Damit fehlt jegliche Erklärung für die kreisärztliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in quantitativer Hinsicht. Indem das kantonale Gericht die Berichte der Dr. med. C.________ vom 17. Oktober 2019 und 24. März 2020 trotzdem als voll beweiskräftig qualifiziert und damit implizit (a maiore ad minus) auch geringe Zweifel an deren Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit verneint, verletzt es Bundesrecht (zum Beweiswert von Berichten versicherungsinterner Ärzte: E. 3 in fine hiervor mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).  
 
5.3. Auf die weiteren Vorbringen des Beschwerdeführers, insbesondere die Behauptung, die Restarbeitsfähigkeit sei auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht mehr verwertbar, ist an dieser Stelle nicht einzugehen, da zunächst eine externe fachmedizinische Abklärung zu den Auswirkungen der Unfallfolgen auf die Arbeitsfähigkeit stattfinden muss.  
 
6.  
Das angefochtene Urteil und der Einspracheentscheid sind demzufolge aufzuheben und die Angelegenheit ist an die Suva zurückzuweisen, damit sie ein externes Gutachten einhole und anschliessend über den Rentenanspruch neu verfüge. Hinzuweisen bleibt dabei auf den Umstand, dass im Verfahren vor Bundesgericht das Verbot der reformatio in peius gilt (Art. 107 Abs. 1 BGG), das im Fall einer Rückweisung auch die vorinstanzlichen Behörden bindet (Urteile 9C_442/2021 vom 17. März 2022 E. 6.4; 8C_798/2019 vom 16. Juli 2020 E. 7 mit Hinweisen; vgl. ferner JOHANNA DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 18 zu Art. 107 BGG). Untere Grenze für die Neufestsetzung des Anspruchs auf eine Invalidenrente bildet folglich der Invaliditätsgrad von 32 %. 
 
7.  
Die Rückweisung der Sache an die Suva zu weiterer Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig davon, ob sie beantragt oder ob das Begehren im Haupt- oder Eventualantrag gestellt wird (vgl. BGE 141 V 281 E. 11.1 mit Hinweis). Die unterliegende Beschwerdegegnerin hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit gegenstandslos. Zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens ist die Sache an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG). 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 3. Mai 2021 und der Einspracheentscheid der Suva vom 1. Dezember 2020 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die Suva zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen. 
 
5.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. Mai 2022 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Wirthlin 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz