Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
6B_393/2024
Urteil vom 17. Juli 2024
I. strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Muschietti,
Bundesrichter von Felten,
Gerichtsschreiberin Erb.
Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
Beschwerdeführerin,
gegen
A.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Sandra Schultz-Schmitt,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Landesverweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, vom 1. November 2023 (SB.2020.61).
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2019 sprach das Strafgericht Basel-Stadt A.________ der versuchten schweren Körperverletzung, der sexuellen Nötigung und der mehrfachen Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes schuldig und bestrafte ihn mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten sowie einer Busse von Fr. 200.--. Es ordnete zudem eine Landesverweisung von 7 Jahren sowie deren Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) an.
B.
Auf Berufung von A.________ sowie Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft stellte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt A.________ am 1. November 2023 die teilweise Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils fest (bzw. Schuldspruch wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und der Busse von Fr. 200.--) und sprach ihn der versuchten schweren Körperverletzung und der sexuellen Nötigung schuldig. Es bestrafte ihn, wie bereits die erste Instanz, mit einer bedingten Freiheitsstrafe 18 Monaten. Von einer Landesverweisung sah es indes ab.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, das Urteil des Appellationsgerichts vom 1. November 2023 sei teilweise aufzuheben und es sei eine Landesverweisung für die Dauer von 10 Jahren anzuordnen. Eventualiter sei das Urteil in Bezug auf die Nichtanordnung der Landesverweisung aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung der Landesverweisung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.
A.________ stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich einzig gegen die Landesverweisung. Sie macht zusammengefasst geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt hinsichtlich des Gesundheitszustands des Beschwerdegegners willkürlich und damit in Verletzung von Art. 9 BV festgestellt. Gestützt darauf komme sie fälschlicherweise zum Schluss, beim Beschwerdegegner liege infolge seines instabilen Gesundheitszustands ein Härtefall vor, wodurch sie Art. 66a StGB verletze.
1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdegegner sei 1994 in der Dominikanischen Republik geboren und habe dort seine prägenden Jugendjahre verbracht. Er habe in seinem Heimatland 13 Jahre die Schule besucht, einen Abschluss jedoch erst nach Einreise in die Schweiz gemacht und hier eine Lehre als Maurer absolviert. Abgesehen von seiner Grossmutter habe er in der Dominikanischen Republik keine weitere Verwandtschaft und nach über 10 Jahren Aufenthalt in der Schweiz auch keinen grossen Bezug mehr zu seinem Heimatland. Seine Mutter und seine beiden Schwestern seien unterdessen in der Schweiz eingebürgert und er habe einen engen Bezug zu ihnen. Weiter führt die Vorinstanz aus, der Beschwerdegegner spreche gut Deutsch und sei sprachlich integriert. Gegen eine erfolgreiche Integration spreche hingegen der Umstand, dass er beruflich keinen Fuss gefasst habe und damit weder beruflich noch wirtschaftlich verankert sei. Der Beschwerdegegner sei vor den vorliegend zu beurteilenden Taten in der Schweiz nicht straffällig geworden. Entgegen der Auffassung der ersten Instanz könne indes sein auffälliges und renitentes Verhalten während der erstinstanzlichen Hauptverhandlung nicht als Argument für seine mangelnde soziale Integration verwendet werden, sondern dies sei vor dem Hintergrund der heute bestehenden Diagnose als Ausfluss seiner Erkrankung zu sehen. Auch die Delinquenz während des hängigen Verfahrens sei in diesem Lichte zu betrachten, weshalb nicht per se von einer mangelnden Respektierung der rechtsstaatlichen Ordnung ausgegangen werden könne. Ihm sei noch eine gute Legalprognose zu stellen. Nichtsdestotrotz vermöge die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verwurzelung in der Schweiz alleine beim Beschwerdegegner noch keinen schweren persönlichen Härtefall zu begründen.
Im Weiteren setzt sich die Vorinstanz ausführlich mit der gesundheitlichen Situation des Beschwerdegegners auseinander. Sie erwägt, dessen Gesundheitszustand habe sich während des Berufungsverfahrens massiv verschlechtert. Zwischenzeitlich sei bei ihm eine paranoide Schizophrenie sowie eine psychische Verhaltensstörung durch Cannabinoide diagnostiziert worden. Gemäss Klinikberichten brauche der Beschwerdegegner neben der medikamentösen Behandlung auch regelmässig therapeutische Unterstützung. Aufgrund dieser Diagnose und der damit einhergehenden Symptome erhalte der Beschwerdegegner eine 100 % IV-Rente und könne nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden. Bei der paranoiden Schizophrenie würden Medikamente zu einer deutlichen Verminderung der Symptome, nicht jedoch zu einer vollständigen Remission führen. Eine zusätzliche Gesprächstherapie sei unabdingbar. Die Vorinstanz geht davon aus, der Zugang zur Medikation sei in der Dominikanischen Republik gewährleistet. Jedoch sei davon auszugehen, dass er auch in seinem Heimatland aufgrund seiner Krankheit nicht arbeitsfähig sein werde. Die IV-Rente aus der Schweiz werde ihm dort nicht ausbezahlt. Somit sei das allgemeine Auskommen bzw. die Finanzierung seines Lebensunterhalts in der Dominikanischen Republik nicht gewährleistet. Hinzu komme, dass es sich bei der Schizophrenie um eine Krankheit handle, die das Denken und die Gefühlswelt stark beeinträchtige und zu Realitätsverlust, Trugwahrnehmungen und Wahnvorstellungen führe. In der Schweiz sei der Beschwerdegegner inzwischen einerseits medikamentös eingestellt und andererseits in therapeutischer Behandlung. Zudem habe er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern hier ein soziales Netzwerk, das ihn unterstütze und auf das er sich im Falle eines Rückfalls bzw. einer akuten Psychose verlassen könne. In seinem Herkunftsland könne ihm wegen seiner Krankheit indes weder die berufliche Integration zugemutet werden, noch sei die soziale sowie finanzielle Unterstützung gewährleistet. Insbesondere vor dem Hintergrund des Stimmenhörens und der Wahnvorstellungen sei zu befürchten, dass eine Ausweisung zu einer ernsthaften Verschlechterung seines Gesundheitszustands führe. Die Vorinstanz schliesst daraus, die Wiedereingliederungschancen des Beschwerdegegners in der Dominikanischen Republik seien nicht intakt, sondern vielmehr destabilisierend. In Anbetracht seiner Erkrankung sei nicht zuletzt das familiäre Netzwerk in der Schweiz unabdingbar. Angesichts der Kombination des instabilen Gesundheitszustands des Beschwerdegegners mit der vergleichsweise gefestigten familiären Stabilität in der Schweiz sei von einem schweren persönlichen Härtefall i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB auszugehen.
1.3.
1.3.1. Die Beschwerde ist zu begründen, wobei anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGG). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür in der Sachverhaltsfeststellung bestehen qualifizierte Rügeanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG).
1.3.2. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Dies ist der Fall, wenn der angefochtene Entscheid geradezu unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht. Erforderlich ist, dass der Entscheid nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis willkürlich ist (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1). Für die Willkürrüge gelten erhöhte Begründungsanforderungen (Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG ). Es genügt nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 148 V 366 E. 3.3; 137 II 353 E. 5.1 mit Hinweisen). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 205 E. 2.6; 146 IV 88 E. 1.3.1).
1.3.3. Das Gericht ordnet gegen einen Ausländer, der wegen schwerer Körperverletzung oder sexueller Nötigung verurteilt wurde, unabhängig von der Höhe der Strafe die obligatorische Landesverweisung für 5-15 Jahre aus der Schweiz an ( Art. 66a Abs. 1 lit. b und h StGB ). Dies gilt unabhängig davon, ob es beim Versuch geblieben ist und ob die Strafe bedingt, unbedingt oder teilbedingt ausfällt (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; 144 IV 168 E. 1.4.1). Demzufolge sind beim Beschwerdegegner als Staatsangehöriger der Dominikanischen Republik die Voraussetzungen für eine Landesverweisung grundsätzlich erfüllt.
1.3.4. Von der Anordnung der Landesverweisung kann nur "ausnahmsweise" unter den kumulativen Voraussetzungen abgesehen werden, dass sie (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen (Art. 66a Abs. 2 Satz 1 StGB; sog. Härtefallklausel). Das Bundesgericht hat wiederholt dargelegt, welche Kriterien bei der Prüfung des persönlichen Härtefalls und der Interessenabwägung zu berücksichtigen sind (BGE 146 IV 105 E. 3.4; 144 IV 332 E. 3.3; je mit Hinweisen). Ebenso hat es sich bei der Beurteilung der Landesverweisung bereits mehrfach zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 13 BV und Art. 8 EMRK) und der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR geäussert (BGE 146 IV 105 E. 4.2; 147 I 268 E. 1.2.3; je mit Hinweisen). Schliesslich hat das Bundesgericht mehrfach die Voraussetzungen für eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem aufgezeigt (BGE 147 IV 340 E. 4; 146 IV 172 E. 3.2; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden.
1.4.
1.4.1. Die Rüge der Beschwerdeführerin verfängt nicht. Sie belässt es dabei, geltend zu machen, die Vorinstanz habe völlig ungeprüft und wider den Fakten die Behauptung des Beschwerdegegners übernommen, wonach er in seiner Heimat eine Behandlung seiner Krankheit nicht finanzieren könne, da er aufgrund seiner Krankheit nicht arbeiten könne. Gestützt auf einen Bericht des SEM sei leicht feststellbar, dass die medizinische Betreuung des Beschwerdegegners in seinem Heimatland auch ohne Einkommen gewährleistet sei; zudem kenne auch die Dominikanische Republik ein Sozialsystem, sodass sein "Auskommen" gewährleistet sei. Inwieweit die Vorinstanz in Willkür verfallen sein soll, ist dabei nicht ansatzweise ersichtlich. Der blosse Verweis auf einen allgemeinen Bericht des SEM zur medizinischen Grundversorgung in der Dominikanischen Republik aus dem Jahr 2018 vermag die Erwägungen der Vorinstanz jedenfalls nicht als offensichtlich falsch auszuweisen. Die Vorinstanz geht konkret auf die Situation des Beschwerdegegners ein und begründet nachvollziehbar und ausführlich, weshalb er aufgrund der diagnostizierten Schizophrenie und der psychischen Verhaltensstörung in seinem Heimatland nicht werde in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Mit den Ausführungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdegegner nicht arbeitsfähig sei und ihm seine IV-Rente in der Dominikanischen Republik nicht ausbezahlt würde, setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander. Ebenso wenig mit den vorinstanzlichen Erwägungen zur in der Schweiz aufgegleisten therapeutischen Behandlung und zu seinem hier bestehenden sozialen Netzwerk. Damit vermag sie - soweit sie überhaupt den Begründungsanforderungen vor Bundesgericht genügt (vgl. Art. 42 Abs. 2, 106 Abs. 2 BGG) - keine Willkür in der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung zu begründen. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
1.4.2. Soweit die Beschwerdeführerin im Übrigen eine Verletzung von Art. 66a StGB geltend macht, ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. In der Härtefallprüfung i.S.v. Art. 66a Abs. 2 StGB sind abgesehen vom Gesundheitszustand namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, zu der die Beachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Respektierung der Werte der Bundesverfassung, die Sprachkompetenzen, die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung zählen (Art. 58a Bundesgesetz vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration [AIG; SR 142.20]), die familiären Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, die Aufenthaltsdauer und die Resozialisierungschancen zu berücksichtigen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteil 6B_270/2024 vom 6. Mai 2024 E. 6.2 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin belässt es dabei, die vorinstanzlichen Erwägungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdegegners und damit einhergehend seiner Wiedereingliederung in seinem Heimatland zu beanstanden. Nach den obigen Ausführungen erweisen sich diese nicht als willkürlich und die Beschwerdeführerin vermag weder darzutun noch ist ersichtlich, inwieweit alleine gestützt darauf von einer Verletzung von Art. 66a Abs. 2 StGB auszugehen wäre. Mit der vorinstanzlichen Argumentation im Zusammenhang mit den übrigen Härtefallkriterien setzt sich die Beschwerdeführerin mit keinem Wort - und damit nicht in einer den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG genügenden Weise - auseinander. Auf die Beschwerde kann diesbezüglich nicht eingetreten werden.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der unterliegenden Beschwerdeführerin sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dem Beschwerdegegner ist keine Parteientschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Auslagen erstanden sind. Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Juli 2024
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Denys
Die Gerichtsschreiberin: Erb