Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
1C_427/2025
Urteil vom 17. September 2025
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kneubühler, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Müller, Merz,
Gerichtsschreiber Baur.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________,
c/o Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegner,
Kantonales Untersuchungsamt St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Ermächtigung,
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 5. August 2025 (AK.2025.367-AK).
Sachverhalt:
A.
Am 17. Juni 2025 erstattete A.________ bei der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt, Strafanzeige gegen B.________, Spezialist IV-Renten bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen. Er warf ihm Amtsmissbrauch, versuchten Leistungsbetrug zulasten der Sozialversicherung und Nötigung sowie Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung vor. Das Kantonale Untersuchungsamt leitete die Strafanzeige zur Durchführung des Ermächtigungsverfahrens an die Anklagekammer des Kantons St. Gallen weiter. Mit Entscheid vom 5. August 2025 verweigerte diese die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens.
B.
Mit Eingabe vom 12. August 2025 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer. Er beantragt die Aufhebung des Entscheids, die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an eine unabhängige, unparteiische und korrekt besetzte Ermächtigungsbehörde sowie die Feststellung, dass der Präsident der Anklagekammer Urs Gmünder im vorliegenden Verfahren ausstandspflichtig gewesen sei und nicht hätte mitwirken dürfen. Eventualiter sei die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen B.________ zu erteilen.
Das Bundesgericht hat die kantonalen Vorakten eingeholt. Es verzichtet auf die Einholung von Vernehmlassungen.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit dem angefochtenen Entscheid hat die Vorinstanz kantonal letztinstanzlich die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner verweigert. Gegen diesen Entscheid, der das Verfahren abschliesst, da es damit an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens fehlt, steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90 BGG ; BGE 137 IV 269 E. 1.3.1); der Ausschlussgrund gemäss Art. 83 lit. e BGG greift nicht, da der Beschwerdegegner nicht zu den obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden des Kantons St. Gallen zählt (vgl. BGE 137 IV 269 E. 1.3.2). Jedenfalls insoweit, als der Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner Nötigung vorwirft, käme ihm in einem Strafverfahren gegen diesen die Stellung einer geschädigten Person im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO zu und ist seine Beschwerdeberechtigung deshalb zu bejahen (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die im Weiteren fristgerecht (vgl. Art. 100 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde ist damit unter Vorbehalt einer zumindest teilweise rechtsgenüglichen Begründung grundsätzlich einzutreten.
1.2. Von vornherein nicht einzutreten ist auf das Begehren des Beschwerdeführers, es sei festzustellen, dass der Präsident der Anklagekammer im streitbetroffenen Ermächtigungsverfahren ausstandspflichtig gewesen sei und nicht hätte mitwirken dürfen. Feststellungsbegehren sind gegenüber Leistungs- und Gestaltungsbegehren subsidiär und damit grundsätzlich unzulässig (vgl. BGE 148 I 160 E. 1.6; 141 II 113 E. 1.7; je mit Hinweisen). Vorliegend käme dem Beschwerdeführer hinreichender Rechtsschutz zuteil, wenn das Bundesgericht, wie von ihm beantragt, den angefochtenen Entscheid aufheben und die Sache zur Neubeurteilung an eine "unabhängige, unparteiische und korrekt besetzte Ermächtigungsbehörde" zurückweisen würde. Ein schutzwürdiges Interesse am erwähnten Feststellungsbegehren besteht daher nicht.
1.3. In der Begründung der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die vor Bundesgericht zulässigen Beschwerdegründe ergeben sich aus den Art. 95 ff. BGG. Erhöhte Anforderungen an die Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem und interkantonalem Recht gerügt wird (Art. 106 Abs. 2 BGG). Genügt die Beschwerde den Begründungsanforderungen nicht, ist auf sie nicht einzutreten (BGE 140 V 136 E. 1.1; 138 I 171 E. 1.4).
2.
2.1. Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht eine Verletzung seines Anspruchs auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht gemäss Art. 30 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie der Ausstandsvorschriften von Art. 56 lit. b und f StPO . Er macht geltend, der Präsident der Vorinstanz sei bereits mehrfach an ihn betreffenden Verfahren beteiligt gewesen und habe dabei stets zu seinem Nachteil entschieden. Seit 25. Oktober 2024 und 28. Januar 2025 bestünden zudem "dokumentierte Aufsichtsbeschwerden" gegen ihn. Diese Umstände begründeten den objektiven Anschein seiner Befangenheit, weshalb er im streitbetroffenen Ermächtigungsverfahren hätte in den Ausstand treten müssen. Der angefochtene Entscheid, an dem er mitgewirkt habe, sei demnach aufzuheben und das Ermächtigungsverfahren unter Ausschluss von ihm neu durchzuführen.
2.2. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt. Nach der Rechtsprechung können die Kantone auch eine richterliche Behörde als Ermächtigungsbehörde einsetzen (BGE 137 IV 269 E. 2.2). Von dieser Befugnis hat der Kanton St. Gallen Gebrauch gemacht. Gemäss Art. 17 Abs. 2 lit. b des kantonalen Einführungsgesetzes vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung (EG-StPO/SG; sGS 962.1) entscheidet die Vorinstanz über die Ermächtigung zur Eröffnung des Strafverfahrens gegen Behördenmitglieder oder Mitarbeitende des Kantons und der Gemeinden wegen Verbrechen und Vergehen, die deren Amtsführung betreffen, soweit - was hier nicht der Fall ist - nicht der Kantonsrat zuständig ist. Beim betreffenden Ermächtigungsverfahren handelt es sich um ein vom Strafverfahren getrenntes Verwaltungsverfahren (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1), das in der StPO nicht geregelt ist, sondern sich nach den entsprechenden Vorschriften des kantonalen Rechts richtet. Zu berücksichtigen sind im Übrigen die allgemeinen Verfahrensgrundsätze der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (BGE 137 IV 269 E. 2.6). Die erwähnte Rüge des Beschwerdeführers ist unter letzterem Blickwinkel zu prüfen, macht er doch keine Verletzung kantonaler Vorschriften geltend.
2.3. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Voreingenommenheit und Befangenheit werden nach der Rechtsprechung angenommen, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit der Gerichtsperson zu erwecken. Solche Umstände können in einem bestimmten Verhalten der betreffenden Person oder in gewissen äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Nicht verlangt wird, dass die Person tatsächlich voreingenommen ist; es genügt der objektiv gerechtfertigte Anschein (vgl. BGE 147 I 173 E. 5.1; 140 I 240 E. 2.2; BGE 137 I 227 E. 2.1). Eine gewisse Besorgnis der Voreingenommenheit kann bei den Parteien immer dann entstehen, wenn eine Gerichtsperson in einem früheren Verfahren (bzw. Verfahrensstadium) mit der konkreten Streitsache schon einmal befasst war. In einem solchen Fall der Vor- oder Mehrfachbefassung ist massgebend, ob sich ein Richter oder eine Richterin durch die Mitwirkung an früheren Entscheidungen in einzelnen Punkten bereits in einem Mass festgelegt hat, das das Verfahren nicht mehr als offen erscheinen lässt (grundlegend BGE 114 Ia 50 E. 3d; vgl. zuletzt BGE 148 IV 137 E. 5.5 mit Hinweisen).
Der Beschwerdeführer begründet, wie erwähnt, den geltend gemachten objektiven Anschein der Befangenheit des Präsidenten der Vorinstanz unter anderem damit, dass dieser mehrfach an ihn betreffenden Verfahren beteiligt gewesen sei und stets gegen ihn entschieden habe, was er als "Vorbefassung" bezeichnet. Dass der Präsident der Vorinstanz mit der vorliegend zu beurteilenden konkreten Streitsache schon einmal befasst gewesen sei, bringt er indessen nicht vor. Ein Fall der Vor- oder Mehrfachbefassung im vorstehend genannten Sinn liegt demnach nicht vor. Der Umstand, dass der Präsident der Vorinstanz an früheren, den Beschwerdeführer betreffenden Verfahren in anderer Sache beteiligt war und zu dessen Ungunsten entschieden bzw. an den entsprechenden Entscheiden mitgewirkt hat, begründet sodann bei objektiver Betrachtung für sich allein nicht den Anschein seiner Befangenheit. Vielmehr müssten weitere Umstände vorliegen, die diesen Schluss zulassen würden. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, seit dem 25. Oktober 2024 und dem 28. Januar 2025 bestünden gegen den Präsidenten der Vorinstanz "dokumentierte Aufsichtsbeschwerden wegen systematischer Parteilichkeit", stellt mit Blick auf den Inhalt der betreffenden, der Beschwerde beigelegten Rechtsschriften des Beschwerdeführers wie auch aus grundsätzlichen Überlegungen - dem Beschwerdeführer stünde es ansonsten frei, durch entsprechende Eingaben den Ausstand ihm missliebiger Gerichtspersonen zu bewirken - keinen derartigen Umstand dar (vgl. BGE 134 I 20 E. 4.3.2; Urteil 1C_55/2025 vom 13.06.2025 E. 6.4.3). Auch sonst nennt der Beschwerdeführer keine solchen Umstände. Soweit seine erwähnte Rüge überhaupt den Begründungsanforderungen genügt, erweist sie sich damit als offensichtlich unbegründet, weshalb weitere Ausführungen dazu unterbleiben können.
3.
3.1. Der Beschwerdeführer rügt in materieller Hinsicht sinngemäss, die Vorinstanz habe zu Unrecht die Ermächtigung zur Eröffnung eines Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner verweigert.
3.2. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid nach Ausführungen zur Natur des Ermächtigungsverfahrens, zu ihrer Zuständigkeit im vorliegenden Fall und zu den Voraussetzungen für die Erteilung der Ermächtigung den Inhalt der Strafanzeige vom 17. Juni 2025 des Beschwerdeführers gegen den Beschwerdegegner wiedergegeben. Sie hat sodann ausgeführt, die Strafanzeige enthalte keine strafrechtlich relevanten Ausführungen. Letztere beschränke sich im Wesentlichen darauf, die Überlegungen des Beschwerdegegners, die im Ergebnis zur Verneinung des IV-Rentenanspruchs des Beschwerdeführers geführt hätten, zu kritisieren und sich unsubstanziiert über kurz angesetzte Fristen zu beschweren. Daraus ergäben sich keine konkreten Verdachtsmomente für ein mutmasslich strafbares Verhalten des Beschwerdegegners. Wenn der Beschwerdeführer Einwendungen gegen Verfügungen der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen vorbringen möchte, stünden ihm die entsprechenden Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zur Verfügung. Insbesondere hätte er beim Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen Beschwerde erheben können. Ob er dies getan habe, sei nicht bekannt, für das Ermächtigungsverfahren aber auch nicht von Belang. Es sei nicht die (primäre) Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, die richtige Anwendung des Sozialversicherungsrechts durch die Sozialversicherungsanstalt zu überprüfen. In strafrechtlicher Hinsicht bestehe jedenfalls kein Anfangsverdacht gegen den Beschwerdegegner, weshalb die Ermächtigung zu verweigern sei.
Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, der angefochtene Entscheid enthalte nur "formelhafte Ablehnungen" ohne konkrete Auseinandersetzung mit seinen Beweisen. Er setzt sich mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids jedoch nicht weiter und sachgerecht auseinander und legt nicht konkret und im Einzelnen dar, inwiefern die Begründung der Vorinstanz bzw. deren Entscheid Recht im Sinne von Art. 42 Abs. 2 BGG verletzen würde. Insbesondere zeigt er nicht ansatzweise auf, inwiefern entgegen der vorinstanzlichen Beurteilung konkrete Anhaltspunkte für allfällige strafrechtliche Verfehlungen des Beschwerdegegners bestehen würden. Seine Kritik genügt den Begründungsanforderungen offensichtlich nicht, was ihm aus seinen zahlreichen früheren Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht gegen Entscheide der Vorinstanz betreffend Ermächtigung bewusst sein musste. Auf seine erwähnte Rüge ist deshalb nicht weiter einzugehen.
4.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Bundesgericht behält sich im Weiteren vor, inskünftig ähnliche Eingaben in der vorliegenden Sache formlos abzulegen.
Bei diesem Verfahrensausgang ist der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig; auf eine Kostenerhebung kann umständehalber aber verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 BGG). Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonalen Untersuchungsamt St. Gallen und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. September 2025
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Kneubühler
Der Gerichtsschreiber: Baur