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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_746/2021  
 
 
Urteil vom 18. März 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichterin Jametti, 
Bundesrichter Haag, 
Gerichtsschreiber Uebersax. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Mitarbeitende der Strafanstalt Saxerriet, Saxerrietstrasse 1, 9465 Salez, 
Beschwerdegegner, 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kanto-nales Untersuchungsamt, 
Spisergasse 15, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Ermächtigungsverfahren, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 10. November 2021 (AK.2021.435-AK). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wurde als Gefängnisinsasse am 14. Juli 2021 aus der Justizvollzugsanstalt Cazis Tignez (GR) in die Strafanstalt Saxerriet (SG) verlegt. Am 1. September 2021 erstattete er beim Kantonalen Untersuchungsamt St. Gallen Strafanzeige gegen verschiedene leitende Mitarbeitende der Strafanstalt Saxerriet, nämlich gegen Direktorin B.________, Stv. Direktor C.________ und die Leiterin Geschlossene Übergangsabteilung D.________, sowie gegen E.________, den Leiter des Amts für Justizvollzug Graubünden. Im Zusammenhang mit den damals in der Strafanstalt Saxerriet geltenden Covid-19-Massnahmen, die unter anderem zu einer mehrtägigen Quarantäne und weiteren Kontakteinschränkungen führten, warf er den angezeigten Personen verschiedene Straftaten vor, darunter Amtsmissbrauch, ungetreue Amtsführung, Freiheitsberaubung und Folter. Mit weiterer Eingabe vom 7. Oktober 2021 erweiterte er die Vorwürfe wegen nächtlichen Kuhglockengeläuts um namentlich Lärmbelästigung, Nachtruhestörung und Tierquälerei. Am 7. September 2021 überwies das Kantonale Untersuchungsamt die Angelegenheit an die Anklagekammer des Kantons St. Gallen zur Durchführung eines Ermächtigungsverfahrens. Diese entschied am 10. November 2021, die Ermächtigung zur Eröffnung der Strafuntersuchung nicht zu erteilen, soweit die Voraussetzungen für ein Ermächtigungsverfahren gegeben seien. Die Einschränkung bezog sich vor allem darauf, dass der angezeigte E.________ als Leiter des Amts für Justizvollzug Graubünden nicht dem Ermächtigungsverfahren des Kantons St. Gallen unterstehe. 
 
B.  
Dagegen führt A.________ Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, die Ermächtigung zur Eröffnung der Strafuntersuchung gegen die angezeigten Mitarbeitenden der Strafanstalt Saxerriet zu erteilen und gegen Amtsleiter E.________ ein Strafverfahren einzuleiten. In prozessualer Hinsicht ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung. 
Das Amt für Justizvollzug des Kantons St. Gallen, Strafanstalt Saxerriet, schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Kantonale Untersuchungsamt und die Anklagekammer verzichteten auf eine Stellungnahme. A.________ äusserte sich in zwei weiteren Eingaben nochmals zur Sache. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 S. 272). Die Beschwerdegegner gehören nicht den obersten kantonalen Vollziehungs- und Gerichtsbehörden an, weshalb der Ausschlussgrund von Art. 83 lit. e BGG nicht zur Anwendung gelangt (vgl. BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 S. 272 f.).  
 
1.2. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen Behörde abhängt. Diese Bestimmung bietet den Kantonen die Möglichkeit, die Strafverfolgung sämtlicher Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden von einer Ermächtigung abhängig zu machen. Als Vollziehungsbehörden gelten alle Organisationen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Der Kanton St. Gallen hat von seiner gesetzlichen Kompetenz Gebrauch gemacht und ein Ermächtigungsverfahren eingeführt (Art. 17 Abs. 2 lit. b des Einführungsgesetzes des Kantons St. Gallen vom 3. August 2010 zur Schweizerischen Straf- und Jugendstrafprozessordnung [EG-StPO]; sGS 962.1; vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1C_427/2017 vom 15. Dezember 2017 E. 1.2).  
Im Ermächtigungsverfahren dürfen, ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden, nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 S. 277 f.). Das Ermächtigungserfordernis dient namentlich dem Zweck, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll daher erst durchgeführt werden können, wenn die Anklagekammer vorher ihre Zustimmung dazu erteilt hat. Gestützt darauf kann die Staatsanwaltschaft danach die Untersuchung eröffnen. Der förmliche Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt kraft ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung (Art. 309 und 310 StPO) in jedem Fall der Staatsanwaltschaft (BGE 137 IV 269 E. 2.3 S. 277). 
 
1.3. Soweit die Anklagekammer mit dem angefochtenen Entscheid die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen die angezeigten Personen verweigert hat, fehlt es an einer Prozessvoraussetzung für die Durchführung des Strafverfahrens, womit das Verfahren insofern abgeschlossen ist. Angefochten ist insoweit ein anfechtbarer Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG). Der Beschwerdeführer war am kantonalen Verfahren beteiligt und ist zur Erhebung der Beschwerde berechtigt, soweit seine Strafanzeige aufgrund des angefochtenen Entscheids nicht mehr weiter behandelt werden kann (Art. 89 Abs. 1 BGG). Gerügt werden kann im bundesgerichtlichen Verfahren, von hier nicht interessierenden weiteren Möglichkeiten abgesehen, die Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG).  
 
1.4. Streitgegenstand bildet im vorliegenden Verfahren einzig die Frage der Ermächtigung zur Eröffnung der Strafuntersuchung gegen Staatsbedienstete des Kantons St. Gallen. Soweit der Beschwerdeführer auch den Leiter bzw. weitere Mitarbeitende des Amts für Justizvollzug Graubünden einer Straftat bezichtigt, hat die Anklagekammer den Ermächtigungsantrag mangels Zuständigkeit des Kantons St. Gallen nicht an die Hand genommen. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, da der Erfolg der als missbräuchlich beanstandeten Handlungen im Kanton St. Gallen eingetreten sei, müsse auch dort ein Strafverfahren eingeleitet werden. Wie es sich damit verhält, kann aber offenbleiben. Im vorliegenden Verfahren ist einzig über die Ermächtigung zur Einleitung einer Strafuntersuchung gegenüber Staatsbediensteten des Kantons St. Gallen und nicht über die Eröffnung eines Strafverfahrens gegenüber Mitarbeitenden des Amts für Justizvollzug Graubünden zu befinden. Auf den über den Streitgegenstand hinausreichenden Antrag, unmittelbar ein Strafverfahren insbesondere gegen den Leiter des Amts für Justizvollzug Graubünden einzuleiten, kann daher nicht eingetreten werden. Ob ein entsprechender Entscheid separat ergangen ist, ist nicht bekannt, aber auch nicht massgeblich, da dies ohnehin nicht Bestandteil des hier einzig wesentlichen Ermächtigungsverfahrens gewesen wäre.  
 
2.  
 
2.1. Nach der Rechtsprechung ist für die Erteilung der Ermächtigung ein Mindestmass an Hinweisen auf strafrechtlich relevantes Verhalten zu verlangen. Da der Entscheid über die Erteilung der Ermächtigung zur Strafuntersuchung demjenigen über die Anhandnahme eines Strafverfahrens bzw. über die Einstellung eines eröffneten Strafverfahrens vorangestellt ist, muss zwar die Ermächtigung bereits bei einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit erteilt werden, als sie für die Einstellung eines schon eröffneten Strafverfahrens erforderlich ist. Nicht jeder behördliche Fehler begründet aber die Pflicht zur Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung. Vielmehr muss eine Kompetenzüberschreitung oder eine gemessen an den Amtspflichten missbräuchliche Vorgehensweise oder ein sonstiges Verhalten, das strafrechtliche Konsequenzen zu zeitigen vermag, in minimaler Weise glaubhaft erscheinen und es müssen genügende Anhaltspunkte für eine strafbare Handlung vorliegen (Urteil des Bundesgerichts 1C_420/2020 vom 16. November 2020 E. 2.2 mit Hinweisen).  
 
2.2. Der Beschwerdeführer wirft den angezeigten Personen im Wesentlichen Amtsmissbrauch, ungetreue Amtsführung und Freiheitsberaubung vor. Nach Art. 312 StGB machen sich Mitglieder einer Behörde oder Beamte strafbar, die ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen. Kennzeichnend ist dabei die unrechtmässige Anwendung der dem Täter verliehenen staatlichen Machtbefugnisse (vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1C_313/2012 vom 9. November 2012 E. 3.1 mit Verweis auf BGE 114 IV 41). Eine ungetreue Amtsführung gemäss Art. 314 StGB begeht, wer als Mitglied einer Behörde oder als Beamter bei einem Rechtsgeschäft die von ihm zu wahrenden öffentlichen Interessen schädigt, um sich oder einem anderen einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Ein von den Behörden angeordneter Freiheitsentzug kann allenfalls dann als Freiheitsberaubung nach Art. 183 StGB strafrechtlich von Belang sein, wenn er als solcher unzulässig ist. Nach Art. 31 Abs. 1 BV darf einer Person die Freiheit nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. Der Entzug darf nicht willkürlich, d.h. insbesondere grundlos bzw. aus sachfremden Gründen, erfolgen (Art. 9 BV) und muss als Eingriff in die persönliche Freiheit nach Art. 10 BV im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV; vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichts 1C_355/2018 vom 14. November 2018 E. 4).  
 
2.3. Der Beschwerdeführer äussert eine Vielzahl von Vorhalten gegenüber den angezeigten Personen. Soweit sich etliche dieser Vorwürfe gegen Mitarbeitende des Amts für Justizvollzug Graubünden richten, verlässt der Beschwerdeführer jedoch, wie bereits dargelegt (vgl. vorne E. 1.4), den Streitgegenstand.  
 
2.4. Im Übrigen stehen die meisten erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit den damals in der Strafanstalt Saxerriet geltenden Schutzmassnahmen wegen der Covid-19-Pandemie. Insbesondere betrifft dies die Anordnung einer zehntägigen Quarantäne nach der Verlegung des Beschwerdeführers in diese Strafanstalt im Kanton St. Gallen. Nach der Darstellung des Beschwerdeführers habe die Quarantäne namentlich dazu geführt, dass er während zehn Tagen isoliert und während 23 Stunden pro Tag ohne Beschäftigung in seiner Zelle eingesperrt gewesen sei und nicht einmal habe telefonieren und duschen dürfen. Das laufe auf Folter und jedenfalls eine Verletzung der Menschenrechte hinaus. Der Beschwerdeführer verweist auf ein nicht näher bezeichnetes Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, wonach Quarantäne der Einzelhaft gleichzusetzen sei und nicht auf blossen Verdacht angeordnet werden dürfe, weshalb es unzulässig sei, einen Gefängnisinsassen nach jedem Hafturlaub zehn Tage in Quarantäne zu versetzen.  
Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, dass die Gefängnisleitung die Gefahr einer Ansteckung von Häftlingen weitestmöglich beschränken wollte, was durchaus auch der Fürsorgepflicht der Anstaltsführung gegenüber den Insassen und dem Gefängnispersonal entspricht. Wohl trifft dabei zu, dass die Schutzmassnahmen gegen die Pandemie, wie jedes staatliche Vorgehen, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten haben, hier freilich unter Berücksichtigung der besonderen für eine Strafanstalt geltenden Verhältnisse. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, wiederholt in Quarantäne gesetzt worden zu sein; er bezieht sich einzig auf die einmalige Verlegung in die Strafanstalt Saxerriet. Dabei mögen einzelne Bedingungen des Quarantänevollzugs wie der angebliche Ausschluss des Telefonierens oder Duschens während der Quarantänezeit diskutabel erscheinen. Insgesamt ist jedoch auf Seiten des Anstaltspersonals kein Missbrauch der Amtsgewalt ersichtlich, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder dem Beschwerdeführer einen Nachteil zuzufügen, oder eine die öffentlichen Interessen missachtende ungetreue Amtsführung. Die einmalige zusätzliche Freiheitsbeschränkung während der zehntägigen Quarantäne im Strafvollzug führte zwar zweifellos vorübergehend zu einer Verschärfung der Haftbedingungen, stellte aber aufgrund der besonderen Pandemiesituation auch keinen rechtswidrigen Freiheitsentzug bzw. eine strafrechtlich massgebliche Freiheitsberaubung dar. 
 
2.5. Inwiefern sodann das Kuhglockengeläut neben der Strafanstalt Straftatbestände erfüllen sollte, die den angezeigten Personen anzulasten wären, ist von vornherein nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht nachvollziehbar dargetan.  
 
2.6. Was der Beschwerdeführer schliesslich sonst noch vorbringt, genügt ebenfalls nicht für ausreichende Anhaltspunkte für einen Straftatbestand auf Seiten der Beschwerdegegner. Es verstösst daher nicht gegen Bundesrecht, die Ermächtigung zur Einleitung einer Strafuntersuchung gegenüber den vom Beschwerdeführer angezeigten Personen nicht zu erteilen.  
 
3.  
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Verfahrensausgang würde der unterliegende Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 erster BGG). Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigt es sich jedoch, ausnahmsweise von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen (vgl. Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen, zumal der Beschwerdeführer nicht anwaltlich vertreten ist (vgl. Art. 64 und 68 BGG). Über das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung braucht damit nicht entschieden zu werden. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. März 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Uebersax