Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_562/2023
Urteil vom 18. März 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiber Nabold.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
handelnd durch ihre Eltern diese vertreten durch B.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
SWICA Krankenversicherung AG, Rechtsdienst, Römerstrasse 38, 8401 Winterthur,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Krankenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 5. Juli 2023 (VV.2022.51/E).
Sachverhalt:
A.
Die 2005 geborene A.________ war in der Zeit vom 1. Januar 2009 bis mindestens 31. Dezember 2021 bei der SWICA Krankenversicherung AG für die Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung versichert. Am 30. August 2017 gelangte die Kinderspitex an die SWICA und ersuchte um Übernahme der Kosten für Pflegeleistungen, welche sie an A.________ in der Zeit ab 1. August 2017 während deren Aufenthaltes in der Stiftung C.________ erbracht habe. Die SWICA lehnte eine solche Kostenübernahme mit Verfügung vom 12. August 2020 und Einspracheentscheid vom 2. Februar 2022 ab.
B.
Die von A.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 5. Juli 2023 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides ihr Anspruch auf die Grundpflegeleistungen gemäss ärztlicher Anordnung anzuerkennen.
Während die SWICA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.
In ihrer Eingabe vom 6. November 2023 hält A.________ an ihren Anträgen fest.
Erwägungen:
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2; 130 III 136 E. 1.4). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es den Einspracheentscheid des Krankenversicherers der Beschwerdeführerin bestätigte, mit welchem dieser eine Kostenübernahme für die ab 1. August 2017 von der Kinderspitex in der Stiftung C.________ erbrachten Pflegeleistungen ablehnte.
3.
3.1. Die obligatorische Krankenpflegeversicherung leistet gemäss Art. 25a Abs. 1 KVG einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant, auch in Tages- oder Nachtstrukturen, oder im Pflegeheim erbracht werden. Der Bundesrat bezeichnet nach Art. 25a Abs. 3 KVG die Pflegeleistungen und regelt das Verfahren der Bedarfsermittlung. In Anwendung von Art. 33 lit. b KVV bezeichnet das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) nach Anhören der zuständigen Kommission die nicht von Ärzten und Ärztinnen oder Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen nach den Art. 25 Abs. 2 und Art. 25a Abs. 1 und 2 KVG .
3.2. Als Leistungen nach Art. 33 lit. b KVV gelten gemäss Art. 7 Abs. 1 KLV Untersuchungen, Behandlungen und Pflegemassnahmen, die aufgrund der Bedarfsabklärung nach Art. 7 Abs. 2 lit. a KLV und nach Art. 8 KLV auf ärztliche Anordnung hin oder im ärztlichen Auftrag erbracht werden von Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern (Art. 49 KVV), von Organisationen der Krankenpflege und Hilfe zu Hause (Art. 51 KVV) oder von Pflegeheimen (Art. 39 Abs. 3 KVG).
4.
4.1. Unter den Begriff der ambulanten Pflegeleistungen im Sinne von Art. 25a Abs. 1 KVG fallen Pflegeleistungen, welche nicht stationär (mithin nicht unter Inanspruchnahme eines Spitalbettes während mehr als eines Tages, vgl. BGE 103 V 74 E. 1) in einem Spital, in einem Geburtshaus oder in einem Pflegeheim erbracht werden. Darunter fällt insbesondere auch die Pflege zu Hause (Gebhard Eugster, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum KVG, 2. Aufl. 2018, N. 20 zu Art. 25a KVG); es ist kein Grund ersichtlich, weshalb solche Leistungen - so lange die Kriterien der Wirksamkeit, der Zweckmässigkeit und der Wirtschaftlichkeit (Art. 32 KVG) eingehalten sind - nicht auch an einem geeigneten anderen Ort durchgeführt werden können (vgl. auch Stéphanie Perrenoud, Soins à domicile, soins en EMS: de quelles alternatives dispose la personne âgée dépendante de soins? in: Jusletter 30. März 2015, Rz. 75). Der Umstand, dass die vorliegend streitigen Pflegeleistungen nicht am Wohnsitz der Beschwerdeführerin, sondern während ihres Aufenthaltes in der Stiftung C.________ erbracht werden, stellt demnach kein Ausschlussgrund für einen Beitrag der Krankenversicherung an die Kosten dieser Leistungen dar.
4.2. Aufgrund der vorliegenden Akten, insbesondere der Bedarfsabklärung vom 3. Juli 2017 und der Anordnung der Dr. med. D.________, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin FMH, vom 21. August 2017 steht fest, dass bei der Beschwerdeführerin in der Zeit ab 1. August 2017 ein Pflegebedarf bestand. Weiter ist unbestritten, dass in der Zeit, während der die Beschwerdeführerin zu Hause weilte, sie keine Pflegeleistungen beanspruchte, sondern die entsprechenden Pflegemassnahmen von den Eltern durchgeführt wurden. Entgegen den vorinstanzlichen Erwägungen kann indessen aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin zu Hause von ihren Eltern betreut und gepflegt wurde, nicht willkürfrei geschlossen werden, sie habe entgegen der ärztlichen Bescheinigung auch während ihres Aufenthaltes in der Stiftung C.________ keine Pflegeleistungen benötigt (vgl. auch Urteil 9C_46/2017 vom 6. Juni 2017 E. 3.2). Auch kann aus dem supererogatorischen Einsatz der Eltern nicht gefolgert werden, dass auch dem Personal der Stiftung C.________ ein entsprechender Einsatz zumutbar und damit der Einsatz der Kinderspitex überflüssig gewesen wäre.
4.3. Gemäss den insoweit unbestrittenen vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen handelt es sich bei der Stiftung C.________ um eine Sonderschule; die Beschwerdeführerin hielt sich in dieser Institution in erster Linie zwecks Schulbesuch auf. Gemäss Art. 62 Abs. 1 BV sind für das Schulwesen - unter Einschluss des Sonderschulwesens (Art. 62 Abs. 3 BV) - die Kantone zuständig. Nicht näher geprüft zu werden braucht die Frage, ob sich aus dieser Zuständigkeitsordnung auch eine Pflicht der Kantone ergibt zur Sicherstellung und vollständigen Finanzierung von Pflegeleistungen, welche einzig aufgrund des Schulbesuchs notwendig werden. Vorliegend steht aufgrund der Bedarfsabklärung und der ärztlichen Bescheinigung fest, dass der Pflegebedarf unabhängig vom Schulbesuch auch zu Hause bestand. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin - aufgrund des Einsatzes ihrer Eltern - zu Hause auf die ihr eigentlich zustehenden Pflegeleistungen verzichtete und sie daher solche lediglich für die Zeit ihres Aufenthaltes in der Stiftung C.________ beanspruchte.
4.4. Zusammenfassend haben Vorinstanz und Krankenversicherung Bundesrecht verletzt, als sie einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kostenübernahme verneinten, weil die Versicherte die streitigen Pflegeleistungen lediglich während ihres Aufenthaltes in der Stiftung C.________, nicht aber während ihrer Zeit zu Hause in Anspruch nehmen wollte. Entsprechend ist die Beschwerde in dem Sinne teilweise gutzuheissen, als die Sache zu Prüfung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen und zu neuer Verfügung an die Krankenversicherung zurückzuweisen ist. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.
5.
Die Rückweisung der Sache zu erneutem Entscheid gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten sowie der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 141 V 281 E. 11.1). Mithin hat die unterliegende Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung auszurichten. Die Sache ist zudem zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückzuweisen (Art. 68 Abs. 5 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 5. Juli 2023 und der Einspracheentscheid der SWICA Krankenversicherung AG vom 2. Februar 2022 werden aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verfügung an die SWICA Krankenversicherung AG zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 18. März 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Der Gerichtsschreiber: Nabold