Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.143/2006 /sza
Urteil vom 18. August 2006
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Reeb,
Gerichtsschreiber Störi.
Parteien
X._______,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Marco Bolzern,
gegen
Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen, Oberer Graben 32, 9001 St. Gallen,
Präsidium des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen, Spisergasse 41, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
Amtliche Verteidigung,
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Präsidiums des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 9. Februar 2006.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt gegen X._______ eine Strafuntersuchung wegen Gläubigerschädigung. Am 10. Januar 2006 wies das Justiz- und Polizeidepartement des Kantons St. Gallen das Gesuch X._______s um amtliche Verteidigung ab mit der Begründung, seine Bedürftigkeit sei nicht erstellt.
Der Präsident des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen wies die von X._______ dagegen erhobene Beschwerde ab.
B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. März 2006 wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK beantragt X._______, diesen Entscheid des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Das Justiz- und Polizeidepartement beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen und auf das Gesuch um aufschiebende Wirkung nicht einzutreten. Denselben Antrag stellt das Verwaltungsgericht.
C.
Der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung wies das Gesuch um aufschiebende Wirkung am 5. Mai 2006 ab.
D.
In seiner Replik vom 6. Juni 2006 hält X._______ an seiner Beschwerde vollumfänglich fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Dies ist nach der Rechtsprechung bei einem Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung regelmässig der Fall (BGE 129 I 281 E. 1.1, 129 E. 1.1; 126 I 207 E. 2a). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten ist.
2.
Der Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird in erster Linie durch das kantonale Prozessrecht geregelt. Unabhängig davon besteht ein solcher Anspruch unmittelbar aufgrund von Art. 29 Abs. 3 BV (BGE 127 I 202 E. 3a S. 204 f.).
Nach Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK und Art. 29 Abs. 3 BV hat ein Angeschuldigter, der nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, um einen privaten Verteidiger beizuziehen, Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand, wenn dies zur Wahrung seiner Rechte notwendig ist und sein Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Greift das Verfahren besonders stark in die Rechtspositionen des Betroffenen ein, ist die Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes grundsätzlich geboten; dies ist nach der Rechtsprechung im Strafverfahren insbesondere dann der Fall, wenn eine schwerwiegende freiheitsentziehende Massnahme oder eine Freiheitsstrafe droht, deren Dauer den bedingten Vollzug ausschliesst (BGE 129 I 281 E. 3.1; 128 I 225 E. 2.5.2; 120 Ia 43 E. 2a).
3.
3.1 Der Verwaltungsgerichtspräsident hat im angefochtenen Entscheid erwogen, nach Art. 56 Abs. 1 und 3 des St. Galler Strafprozessgesetzes vom 1. Juli 1999 (StP) könne der bedürftige Angeschuldigte amtliche Verteidigung verlangen, wenn eine Freiheitsstrafe von mehr als 18 Monaten in Betracht komme, die Anklage vor Gericht persönlich vertreten werde, ein Antrag auf Haftverlängerung gestellt werde oder die Rechts- oder Sachlage in anderen wichtigen Fällen erhebliche Schwierigkeiten biete. Das kantonale Recht gewähre dem bedürftigen Angeschuldigten damit keine über die verfassungs- bzw. konventionsrechtlichen Garantien von Art. 29 Abs. 3 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK hinausgehenden Ansprüche auf unentgeltliche Verteidigung. Bedürftigkeit sei anzunehmen, wenn der Partei die Mittel fehlten, um neben dem Lebensunterhalt für sich und seine Familie die Prozesskosten aufzubringen; dies entspreche der bundesgerichtlichen Praxis (BGE 127 I 205). Der Nachweis der Bedürftigkeit obliege grundsätzlich dem Gesuchsteller; dieser habe seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzustellen und, soweit möglich, zu belegen. Dabei dürften um so höhere Anforderungen gestellt werden, je komplexer die Verhältnisse seien. Auch wenn die Glaubhaftmachung der Mittellosigkeit genüge, solle aus den eingereichten Belegen der aktuelle Grundbedarf hervorgehen, und die Unterlagen sollten Aufschluss über sämtliche finanziellen Verpflichtungen sowie über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse geben. Auch wenn im Gesuchsverfahren für die amtliche Verteidigung der Untersuchungsgrundsatz gelte, seien nach Art. 12 Abs. 2 des St. Galler Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 16. Mai 1965 (VRP) nur die vom Gesuchsteller angebotenen und die leicht zugänglichen Beweise zu erheben, wenn nicht zur Wahrung des öffentlichen Interesses besondere Erhebungen nötig seien.
Die Vorinstanz habe dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, seine finanzielle Situation umfassend darzustellen und zu belegen sowie zu den Ausführungen des Untersuchungsrichters Stellung zu nehmen, der die Bedürftigkeit in seiner Vernehmlassung verneint habe. Der Beschwerdeführer habe in der Folge behauptet, als einzige Einkommensquelle über eine IV-Rente von Fr. 13'000.-- zu verfügen und die Behauptung des Untersuchungsrichters, über weitere Einkommensquellen zu verfügen, als unwahr zurückgewiesen. Als Belege habe er dazu seine Steuererklärungen aus den Jahren 2003 und 2004 eingereicht, in denen als Einkünfte einzig die IV-Rente von Fr. 8'964.- bzw. 13'704.- ausgewiesen seien.
Nicht angegeben habe er indessen, dass er in Spanien unentgeltlich eine Wohnung nutzen dürfe; diese Nutzungsmöglichkeit werde ihm nach eigener Darstellung als Gegenleistung für die Bewirtschaftung von Immobilien eingeräumt. Damit übe er eine Tätigkeit aus, die ihm regelmässige geldwerte Leistungen einbringe; auf seinen Steuererklärungen habe er dagegen angegeben, er habe keinen Arbeitgeber und sei auch nicht selbständig erwerbend. Nähere Angaben zu Umfang und Art der mit der Wohnnutzung abgegoltenen Tätigkeit mache der Beschwerdeführer nicht.
Sodann habe sich herausgestellt, dass dem Beschwerdeführer von der B.________ AG ein geleaster Mercedes 500 SL (Neuwert Fr. 181'000.--, monatliche Leasingrate Fr. 2'000.--) unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sei. Eine Aktiengesellschaft stelle einer natürlichen Person einen Luxuswagen erfahrungsgemäss nicht ohne Gegenleistung zur Verfügung. Der Beschwerdeführer hätte zumindest die Gründe darlegen müssen, welche die B.________ AG veranlassten, ihm den Wagen unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, um so mehr als er behaupte, A.________, die hinter dieser Firma stehe, sei nicht seine Lebenspartnerin. Wäre sie dies, könnte darin allenfalls ein Grund für die unentgeltliche Zuwendung erblickt werden; so aber würden jegliche Anhaltspunkte zum wirtschaftlichen Hintergrund der Gebrauchsüberlassung fehlen. Bei dieser Sachlage müsse davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer über weitere, nicht deklarierte Einkünfte verfüge; mit einer IV-Rente von Fr. 13'000.-- als einzigem Einkommen vermöchte er seinen Lebensunterhalt jedenfalls nicht zu bestreiten. Es sei daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer seine Bedürftigkeit nicht hinreichend glaubhaft dargetan und er seine finanziellen Verhältnisse nicht genügend offen gelegt habe.
3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, das kantonale Verfahren werde vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht, weshalb nicht einseitig von ihm die gesamte Beibringung der notwendigen Dokumente hätte verlangt werden dürfen. Es gehe nicht an, Art. 12 Abs. 2 VRP so auszulegen, dass ihm allein obliege, den ganzen Prozessstoff zusammenzutragen.
Diese Ausführungen stellen offensichtlich weder ausdrücklich noch sinngemäss eine Verfassungsrüge dar, weshalb darauf nicht einzutreten ist. Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, inwiefern der Verwaltungsgerichtspräsident die Bedeutung von Art. 12 VRP verkannt haben sollte. Abs. 1 dieser Bestimmung verpflichtet die Behörde zwar, den Sachverhalt von Amtes wegen abzuklären. Sind indessen zur Wahrung öffentlicher Interessen keine besonderen Erhebungen notwendig - bei einem Gesuch um unentgeltliche Verteidigung ist dies offenkundig nicht der Fall, geht es doch im Wesentlichen um private Interessen des Gesuchstellers -, sind nach Abs. 2 nur die vom Gesuchsteller angebotenen und leicht zugänglichen Beweise abzunehmen. Der Verwaltungsgerichtspräsident konnte somit ohne weiteres davon ausgehen, es sei Sache des Beschwerdeführers, seine Bedürftigkeit glaubhaft zu machen.
3.3 Nach den vom Beschwerdeführer eingereichten Steuererklärungen lebte er 2003 und 2004 ausschliesslich von einer IV-Rente. Damit nicht vereinbar bzw. zumindest erklärungsbedürftig ist der Umstand, dass ihm von der B.________ AG unentgeltlich ein Luxuswagen zur Verfügung gestellt wurde und er in Spanien unentgeltlich eine Wohnung nutzen konnte, er somit in der Steuererklärung nicht aufgeführte geldwerte Leistungen bezog. Auffällig und damit erklärungsbedürftig erscheint zudem die Diskrepanz zwischen dem sehr bescheidenen Auskommen als IV-Rentner und seinem Lebensstil, welcher die Benützung eines Fr. 180'000.-- teuren Luxuswagens mit beinhaltet. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beschwerdeführers erscheinen somit undurchsichtig; es wäre an ihm gewesen, diese offen zu legen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist es daher verfassungsrechtlich keineswegs zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtspräsident den Versuch des Beschwerdeführers, seine Bedürftigkeit glaubhaft zu machen, als gescheitert beurteilte. Nicht ersichtlich ist, was der Umstand, dass der Leasingvertrag offenbar in der Zwischenzeit ausgelaufen ist, daran ändern sollte, und inwiefern mit dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichtspräsidenten eine Vorverurteilung des Beschwerdeführers erfolgt sein sollte.
4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Verfahrenskosten (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie dem Justiz- und Polizeidepartement und dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. August 2006
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: