Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_941/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 18. September 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Hollinger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1.  Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,  
2. A.Y.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Krishna Müller, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Vergewaltigung; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz in dubio pro reo, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, vom 15. März 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
 Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern wirft X.________ vor, A.Y.________ Ende September 2009 im Untergeschoss eines Mehrfamilienhauses in Unterseen vergewaltigt zu haben. 
 
B.  
 
 Das Kollegialgericht Oberland sprach X.________ am 11. Mai 2012 vom Vorwurf der Vergewaltigung frei. 
 
 Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern und A.Y.________ legten Berufung ein. Das Obergericht des Kantons Bern erkannte X.________ am 15. März 2013 der Vergewaltigung schuldig. Es verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten unter Anrechnung der Haft von sechs Tagen bei einer Probezeit von zwei Jahren. Das Obergericht verpflichtete X.________, A.Y.________ eine Genugtuung von Fr. 7'000.-- zu bezahlen, im Mehrbetrag wies es die Schadenersatzansprüche ab. 
 
C.  
 
 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben, und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Zudem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung sowie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz unter Hinweis auf Art. 9 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK eine willkürliche Beweiswürdigung sowie die Verletzung der Unschuldsvermutung vor.  
 
1.2. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I 49 E. 7.1 S. 51; je mit Hinweisen).  
 
 Inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht ebenfalls unter dem Gesichtspunkt der Willkür. Diese aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Maxime wurde wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 mit Hinweisen). 
 
 Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, anderenfalls darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 S. 228; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen). 
 
1.3. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer zusammen mit B.________ und C.________ an einem Abend Ende September 2009 auf A.Y.________ (nachfolgend: Beschwerdegegnerin 2) und deren Schwester D.Y.________ stiessen. Die Gruppe begab sich zur Liegenschaft, in der B.________ mit seinen Eltern wohnte, betrat das Mehrfamilienhaus durch den Fahrradraum im Keller und teilte sich in der Folge auf. Während C.________ und D.Y.________ zusammen in einem Trockenraum blieben, gingen B.________ und die Beschwerdegegnerin 2 auf den Balkon, wo sie sich gegenseitig küssten und es beinahe zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr kam. Anschliessend verliess die Beschwerdegegnerin 2 die Wohnung in Richtung Keller. Unbestritten ist weiter, dass sie dort den allein gelassenen Beschwerdeführer traf und sie sich beide küssten. Dass die Beschwerdegegnerin 2 vom Beschwerdeführer in den Fahrradraum gezogen wurde, wird von diesem bestritten. Ebenso stellt der Beschwerdeführer in Abrede, der Beschwerdegegnerin 2 trotz Gegenwehr die Hosen heruntergezogen zu haben und mit seinem Penis in ihre Vagina eingedrungen zu sein.  
 
 Die Vorinstanz würdigt einleitend ein Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Bern vom 23. Juli 2010 sowie Fotos und Pläne des Tatorts. In der Folge setzt sie sich mit den Aussagen des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegnerin 2 auseinander. Die Schilderungen der Beschwerdegegnerin 2 werden von der Vorinstanz (wie bereits von der ersten Instanz) zutreffend als detailreich bezeichnet. Die Vorinstanz legt im Einzelnen dar, weshalb sie im Gegensatz zur ersten Instanz keine erheblichen Zweifel am angeklagten Sachverhalt hegt. Sie zeigt auf, in welchen Punkten sie abweichend von der erstinstanzlichen Einschätzung keine Widersprüche respektive bloss erklärbare Ergänzungen und Präzisierungen eines dynamischen Geschehens in den Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 ausmachen kann (etwa in Bezug auf die ersten Handlungen im Fahrradraum, das Entledigen der Jacke, den Gemütszustand des Beschwerdeführers, das Überstreifen des Kondoms, die Penetration mit dem Penis, die Verletzungen an der Scheide und am Kopf sowie die Begegnung der Schwestern nach dem Vorfall). Einzelne Diskrepanzen betreffen nach Einschätzung der Vorinstanz nicht das Kerngeschehen, sondern einen irrelevanten Sachverhalt und sind unbeachtlich (beispielsweise die Frage, ob die Eltern der beiden Geschwister zu Hause waren, als sich diese vom Wohnort wegstahlen) oder sind erklärbar, ohne die Glaubhaftigkeit der übrigen Aussagen zu erschüttern (etwa das anfängliche Verschweigen gegenüber der Polizei, mit B.________ auf dem Balkon gewesen zu sein, oder die Behauptung, im Fahrradraum während des Übergriffs nach Hilfe geschrien zu haben). Ein Motiv für eine Falschbelastung sei nicht erkennbar. Die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 seien entgegen der Einschätzung der ersten Instanz stimmig, nachvollziehbar und konsistent (Entscheid S. 5 - 31). 
 
1.4. Die Vorinstanz hält unter dem Titel "Subjektive Beweismittel, Vorbemerkungen" entgegen der Kritik des Beschwerdeführers nicht etwa fest, die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 seien "wichtiger [...] als jene des [...] Beschwerdeführers" (Beschwerde S. 4 f.). Vielmehr kündigt die Vorinstanz mit Blick auf den nicht geständigen Beschwerdeführer einleitend an, dass die Analyse seiner Aussagen im Gegensatz zu den ausführlicheren Schilderungen der Beschwerdegegnerin 2 weniger umfassend ausfallen würde. Bereits die erstinstanzliche Beweiswürdigung, auf welche die Vorinstanz verweist und der Beschwerdeführer sich beruft, fiel diesbezüglich ungleich aus, was allein auf den Umfang der vorhandenen Schilderungen zurückzuführen und nicht zu beanstanden ist (vgl. vorinstanzliche Akten pag. 857 ff. und 881 ff.). Rügt der Beschwerdeführer die von der Vorinstanz geäusserte Zurückhaltung bei der Aussagewürdigung eines nicht geständigen Beschuldigten, so sind die kritisierten Erwägungen isoliert betrachtet hingegen tatsächlich heikel (vgl. Beschwerde S. 5 und Entscheid S. 9). Nach dem im Strafprozessrecht allgemein anerkannten sowie in Art. 14 Ziff. 3 lit. g IPBPR (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) verankerten und aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Grundsatz "nemo tenetur se ipsum accusare" ist im Strafverfahren niemand gehalten, zu seiner Belastung beizutragen (vgl. nunmehr Art. 113 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte ist nicht zur Aussage verpflichtet. Vielmehr berechtigt ihn sein Aussageverweigerungsrecht zu schweigen, ohne dass ihm daraus Nachteile erwachsen dürfen (BGE 138 IV 47 E. 2.6.1 S. 51; Urteil 6B_843/2011 vom 23. August 2012 E. 3.3.2; je mit Hinweisen; vgl. Wolfgang Wohlers, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 35 zu Art. 10 StPO; Alain Macaluso, in: Commentaire romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 8 ff. zu Art. 113 StPO; eingehend Regula Schlauri, Das Verbot des Selbstbelastungszwangs im Strafverfahren, Zürich 2003, S. 317 ff.). Was die Vorinstanz an die Adresse der ersten Instanz in Erinnerung ruft, ist demnach in dieser pauschalen Art und Weise, soweit sie mit der genannten Zurückhaltung einen grundsätzlichen Vorbehalt zum Ausdruck bringen und das Schweigen des Beschwerdeführers in jedem Fall Schuld indizierend würdigen will, unzutreffend. Gleichwohl belässt sie es nicht mit dem fraglichen Hinweis. Dass die Vorinstanz dem Detailreichtum in den Schilderungen des Beschwerdeführers und den von ihm eingeräumten Erinnerungslücken im Vergleich zur ersten Instanz keine entlastende Bedeutung beimisst, ist nicht unhaltbar. Ebenso wenig ist zu beanstanden, wenn sie zur Überzeugung gelangt, dass der Beschwerdeführer sich mit der Beantwortung der Frage nach der Jungfräulichkeit der Beschwerdegegnerin 2 belastet hat.  
 
 Was der Beschwerdeführer in Bezug auf die Aussagen der Beschwerdegegnerin 2 als Kritik vorbringt, geht teilweise an der Sache vorbei. Es trifft nicht zu, dass die Vorinstanz die Frage offengelassen hat, ob die Beschwerdegegnerin 2 während des Übergriffs schrie. Vielmehr hat die Vorinstanz die Schreie, welche die Beschwerdegegnerin 2 bei der Polizei noch unerwähnt liess respektive erstmals in der untersuchungsrichterlichen Einvernahme zu Protokoll gab und welche weder D.Y.________ noch C.________ im Nebenraum hören konnten, als Unwahrheiten entlarvt. Die Vorinstanz legt willkürfrei dar, weshalb dieser Umstand die Glaubhaftigkeit der übrigen Aussagen nicht in Zweifel zu ziehen vermag (Entscheid S. 18 f. und 24 f.). Ebenso unzutreffend ist, was der Beschwerdeführer zum Aufenthalt auf dem Balkon geltend macht. Die Vorinstanz verkennt nicht und würdigt willkürfrei, dass die Beschwerdegegnerin 2 nicht von Anfang an erwähnte, sich vor dem Übergriff im Fahrradraum auf B.________ eingelassen zu haben, sondern dies erst anlässlich der untersuchungsrichterlichen Einvernahme von sich aus einräumte (Entscheid S. 11 f.). 
 
 Die vom Beschwerdeführer darüber hinaus geäusserte Kritik macht deutlich, dass er der Würdigung der Vorinstanz in Anlehnung an die erstinstanzlichen Erwägungen seine eigene Sicht der Dinge gegenüberstellt. Dies trifft etwa auf die ersten Handlungen im Fahrradraum zu. Indem er unterstreicht, die Beschwerdegegnerin 2 habe die ersten Momente nach dem Betreten des Raumes in den verschiedenen Einvernahmen widersprüchlich geschildert, schliesst er sich einzig der erstinstanzlichen Beweiswürdigung an. Dass die Vorinstanz der entsprechenden Frage nur eine unwesentliche Bedeutung beimisst, kann nicht als offensichtlich unhaltbar bezeichnet werden. Auch überzeugt nicht, was der Beschwerdeführer zur Penetration behauptet. Die Vorinstanz sieht in den verschiedenen Einvernahmen zu Recht keinen Widerspruch. Die Beschwerdegegnerin 2 habe gleichbleibend beschrieben, dass der Beschwerdeführer mit seinem Penis einzudringen versucht habe und ihm dies sicher einmal, aber nur wenig tief, gelungen sei (Entscheid S. 20). Der Beschwerdeführer hält dazu fest, es seien widersprüchliche Varianten zu Protokoll gegeben worden. Das eine Mal soll er mehrmals versucht haben, in die Beschwerdegegnerin 2 einzudringen, dann wiederum sei es bei einem einzigen Versuch geblieben (Beschwerde S. 9 f.). Letztere Behauptung findet in den Befragungsprotokollen keine Stütze, und die Schlussfolgerung der Vorinstanz kann nicht als willkürlich bezeichnet werden. Gleiches gilt betreffend die erlittenen Verletzungen. Es trifft nicht zu, dass die Beschwerdegegnerin 2 in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung die blutende Wunde anders als bisher einzig auf die Penetration zurückführte. 
 
 Dass und inwiefern das vorinstanzliche Beweisergebnis schlechterdings nicht mehr vertretbar sein sollte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, und eine Verletzung der Unschuldsvermutung ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG zu genügen vermag. 
 
2.  
 
 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der Beschwerdeführer wird grundsätzlich kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist gutzuheissen, da von seiner Bedürftigkeit auszugehen, diese ausreichend belegt ist und seine Rechtsbegehren nicht von vornherein aussichtslos waren. Es sind keine Kosten zu erheben. Seinem Rechtsvertreter ist eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Beschwerdegegnerin 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihr im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen. 
 
3.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.   
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Peter Hollinger, wird eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 18. September 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga