Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
2C_422/2024
Urteil vom 18. September 2024
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
Gerichtsschreiberin Ivanov.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Schroff,
gegen
1. Migrationsamt des Kantons Thurgau, Multiplex 1, Langfeldstrasse 53a, 8510 Frauenfeld,
2. Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau, Generalsekretariat, Regierungsgebäude, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Ausweisung; Revisionsgesuch,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 26. Juni 2024 (VG.2024.58/E).
Erwägungen:
1.
1.1. A.________ (geb. 1976), portugiesischer Staatsangehöriger, reiste am 1. März 2003 zwecks Ausübung einer Erwerbstätigkeit in die Schweiz ein. In der Folge wurde ihm eine Niederlassungsbewilligung EU/EFTA erteilt. Er ist mit einer Landsfrau verheiratet, mit welcher er drei gemeinsame Kinder (geb. 2006, 2008 und 2019) hat, die alle über Niederlassungsbewilligungen verfügen.
Mit Urteil des Bezirksgerichts U.________ vom 28. November 2019 wurde A.________ wegen mehrfacher Vergewaltigung und mehrfacher sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 32 Monaten verurteilt. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (vgl. letztinstanzlich: Urteil 6B_1105/2020 vom 13. Oktober 2021).
Mit Entscheid vom 22. November 2022 widerrief das Migrationsamt des Kantons Thurgau die Niederlassungsbewilligung von A.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. Dieser Entscheid erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
1.2. Nachdem A.________ am 26. Januar 2024 vom Migrationsamt aufgefordert worden war, die Schweiz bis spätestens am 17. Mai 2024 zu verlassen, stellte er am 9. April 2024 ein Gesuch um Revision des Entscheids des Migrationsamts vom 22. November 2022. Dieses teilt ihm am 29. April 2024 mit, dass "kein Raum für eine Neuprüfung des am 9. Januar 2023 in Rechtskraft erwachsenen ausländerrechtlichen Wegweisungsentscheids" bestehe.
Mit Eingabe vom 3. Mai 2024 erhob A.________ beim Departement für Justiz und Sicherheit des Kantons Thurgau "Rekurs sowie Beschwerde" und beantragte unter anderem die Aufhebung des Entscheids des Migrationsamts vom 29. April 2024. Zudem beantragte er, es sei dem Revisionsgesuch superprovisorisch die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Mit Zwischenentscheid vom 23. Mai 2024 wies das Departement den Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung ab.
1.3. Auf eine dagegen erhobene Beschwerde von A.________ trat das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 26. Juni 2024 aufgrund der Nichtbezahlung des Kostenvorschusses nicht ein.
1.4. Am 9. September 2024 erhebt A.________ in einer einzigen Eingabe Beschwerde an das Bundesgericht gegen den Entscheid vom 26. Juni 2024 sowie gegen ein Schreiben des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts vom 7. August 2024 und beantragt, es seien diese aufzuheben und es sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In derselben Eingabe beantragt er (eventualiter) die Aufhebung einer Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau vom 14. August 2024. Prozessual beantragt er, es sei superprovisorisch zu verfügen, dass alle Vollziehungsvorkehrungen zu seiner Wegweisung einstweilen bis zum allfälligen Entscheid über das Revisionsbegehren zu unterbleiben haben. Ferner sei ihm superprovisorisch ein Wohnrecht im Kanton Thurgau zuzusprechen. Schliesslich ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Das Bundesgericht eröffnete daraufhin das vorliegende Verfahren 2C_422/2024 betreffend den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 26. Juni 2024. Weiter eröffnete es die Parallelverfahren 2C_425/2024 betreffend das Schreiben des Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts vom 7. August 2024 und 2C_426/2024 betreffend die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Thurgau vom 14. August 2024.
Es wurden keine Instruktionsmassnahmen angeordnet.
1.5. Mit Urteilen heutigen Datums trat das Bundesgericht auf die Beschwerden in den Verfahren 2C_425/2024 und 2C_426/2024 nicht ein.
2.
2.1. Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG). Diese gesetzliche Frist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Gemäss Art. 44 Abs. 1 BGG beginnen Fristen, die durch eine Mitteilung oder den Eintritt eines Ereignisses ausgelöst werden, am folgenden Tag zu laufen. Eine Mitteilung, die nur gegen Unterschrift des Adressaten oder einer Adressatin oder einer anderen berechtigten Person überbracht wird, gilt spätestens am siebenten Tag nach dem ersten erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt (Art. 44 Abs. 2 BGG; sog. "Zustellfiktion"). Die Beschwerde gilt als rechtzeitig erhoben, wenn die Beschwerdeschrift spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wird (Art. 48 Abs. 1 BGG).
Gemäss Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG stehen die gesetzlich bestimmten Fristen vom 15. Juli bis und mit dem 15. August still. In Verfahren betreffend die aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen gelten die Bestimmungen über den Fristenstillstand gemäss Art. 46 Abs. 1 BGG nicht (Art. 46 Abs. 2 lit. a BGG).
2.2. Bei dem im vorinstanzlichen Verfahren angefochtenen Entscheid des Departements, mit welchem das Gesuch des Beschwerdeführers um Erteilung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen wurde, handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Rechtsmittelentscheide über Zwischenentscheide von unteren Instanzen sind in der Regel ihrerseits Zwischenentscheide (BGE 139 V 600 E. 2.1; Urteil 2C_910/2022 vom 8. Januar 2024 E. 1.2.1). Dies ist auch der Fall, wenn der angefochtene Entscheid - wie hier - auf Nichteintreten lautet (vgl. Urteil 2C_71/2024 vom 5. Juni 2024 E. 1.1 mit Hinweis). Entscheide über die aufschiebende Wirkung gelten als Entscheide über vorsorgliche Massnahmen (vgl. BGE 134 II 192 E. 1.5; Urteile 5A_25/2024 vom 14. März 2024 E. 1; 2C_576/2023 vom 18. Januar 2024 E. 2.1; 1C_406/2023 vom 9. November 2023 E. 2). Folglich gelangen die Bestimmungen über den Fristenstillstand vorliegend nicht zur Anwendung (Art. 46 Abs. 2 lit. a BGG).
2.3. Der hier angefochtene Entscheid vom 26. Juni 2024 wurde ein erstes Mal am 28. Juni 2024 an den Beschwerdeführer versandt. Gemäss dem Formular Sendeverfolgung Nr. xxx der Schweizerischen Post wurde er sodann am 1. Juli 2024 dem Verwaltungsgericht mit dem Hinweis "zurückbehalten bis 15.7.24" retourniert. Gemäss Mitteilung des Verwaltungsgerichts wurde das Urteil ein zweites Mal per A-Post Plus an den Beschwerdeführer versandt. Gemäss dem Formular Sendeverfolgung Nr. yyy traf die Sendung am 4. Juli 2024 bei der Abhol- bzw. Zustellstelle ein. Aufgrund eines Rückbehaltungsauftrags des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers wurde die Sendung in der Folge zurückbehalten und am 15. Juli 2024 tatsächlich abgeholt.
Die Frage, welches der rechtlich massgebende Zeitpunkt der Zustellung unter den konkreten Umständen massgeblich sei, braucht vorliegend nicht näher geklärt zu werden (zum fristauslösenden Moment bei A-Post Plus-Sendungen vgl. u.a. Urteile 2C_469/2023 vom 19. Oktober 2023 E. 3.5; 2C_463/2019 vom 8. Juni 2020 E. 3.2.2; 2C_1032/2019 vom 11. März 2020 E. 3.3; jeweils mit Hinweisen; zur Frage besonderer Vereinbarungen mit der Post vgl. z.B. Urteile 2C_814/2022 vom 19. Oktober 2022 E. 3.2; 2C_463/2019 vom 8. Juni 2020 E. 3.2.4). Denn selbst wenn auf die Berechnung des Beschwerdeführers abgestellt würde, wonach die 30-tägige Beschwerdefrist am Donnerstag, den 11. Juli 2024 zu laufen begonnen habe, würde diese - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sie nicht stillsteht (vgl. E. 2.1 und 2.2 hiervor) - am Freitag, den 9. August 2024 enden. Die am 9. September 2024 eingereichte Beschwerde ist somit in jedem Fall verspätet. Ein Fristwiederherstellungsgesuch (Art. 50 Abs. 1 BGG) wird weder ausdrücklich noch sinngemäss gestellt.
3.
Soweit der Beschwerdeführer unter Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) sowie auf verschiedene Bundesgerichtsentscheide sinngemäss vorbringt, Art. 46 Abs. 2 lit. a BGG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, kann ihm nicht gefolgt werden: Den von ihm erwähnten BGE 133 I 270 und 135 I 257 liegt eine besondere Konstellation zugrunde, in welcher die Nichtbeachtung des Fristenstillstands (bei strafprozessualer Haft bzw. bei gewissen strafprozessualen Zwischenentscheiden) im damaligen Zeitpunkt eine neue, nicht vorhersehbare Praxis bzw. eine neue, nicht hinreichend geklärte Rechtslage darstellte (vgl. BGE 133 I 270 E. 1.2.3 und BGE 135 I 257 E. 1.6). Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan, inwiefern der vorliegende Sachverhalt mit jenem vergleichbar sein soll, der den erwähnten Bundesgerichtsentscheiden zugrunde lag. Auch die übrigen vom Beschwerdeführer zitierten Bundesgerichtsentscheide sind hier nicht relevant: Während BGE 134 II 201 keine Ausnahme vom Fristenstillstand zum Gegenstand hatte (vgl. dort E. 1.2) und BGE 134 IV 156 die Möglichkeit der Ansetzung einer Nachfrist auf dem Gebiet der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen betrifft, wird in BGE 138 IV 186 die Anwendung von Art. 46 Abs. 2 BGG auf strafprozessuale Zwischenentscheide über vorsorgliche Massnahmen (i.c. Beschlagnahmen und Kontensperren) gerade bestätigt (vgl. dort E. 1.2).
Soweit sich der Beschwerdeführer schliesslich auf Art. 145 Abs. 3 ZPO (SR 272), wonach die Parteien auf die Ausnahmen vom Fristenstillstand hinzuweisen sind, und die diesbezügliche Rechtsprechung (BGE 139 III 78) beruft, legt er nicht dar, inwiefern diese Bestimmung im vorliegenden Verfahren anwendbar sein soll. Eine Art. 145 Abs. 3 ZPO nachgebildete Vorschrift kennt das Bundesgerichtsgesetz nicht und der Beschwerdeführer zeigt nicht substanziiert auf (Art. 106 Abs. 2 BGG), inwiefern sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 9 BV) oder aus dem kantonalen Recht eine Verpflichtung der Vorinstanz ergeben soll, die Parteien ausdrücklich auf die Ausnahmen vom Fristenstillstand hinzuweisen. Schliesslich ist festzuhalten, dass selbst wenn vorliegend von einer unvollständigen Rechtsmittelbelehrung auszugehen wäre, der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer aus dem Vertrauensschutz nichts zu seinen Gunsten ableiten könnte, zumal sein Rechtsanwalt durch eine Konsultation des Gesetzestextes einen allfälligen Mangel ohne Weiteres hätte erkennen können (vgl. BGE 138 I 49 E. 8.3.2; Urteil 1C_878/2013 vom 16. Mai 2014 E. 4.1).
4.
4.1. Auf die offensichtlich verspätete Beschwerde ist mit Entscheid der Abteilungspräsidentin als Einzelrichterin im vereinfachten Verfahren nach Art. 108 BGG (Abs. 1 lit. a) nicht einzutreten. Damit werden die Anträge um Anordnung vorsorglicher Massnahmen (mit superprovisorischer Wirkung) gegenstandslos.
4.2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird aufgrund der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels abgewiesen ( Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG ). Umständehalber wird jedoch ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten verzichtet (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Parteientschädigungen sind nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt die Präsidentin:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
Lausanne, 18. September 2024
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
Die Gerichtsschreiberin: D. Ivanov