Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
K 87/05
Urteil vom 18. Oktober 2006
II. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Borella und Kernen; Gerichtsschreiber Flückiger
Parteien
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Beat Müller-Roulet, Schwarztorstrasse 28, 3007 Bern,
gegen
Helsana Versicherungen AG, Birmensdorferstrasse 94, 8003 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 10. Mai 2005)
Sachverhalt:
A.
Der 1954 geborene, aus Mazedonien stammende A.________ arbeitete von 1989 bis 1992 jeweils im Rahmen von Saisonanstellungen als Maurer bei der X.________ AG, Bauunternehmung. Über einen von der Arbeitgeberin abgeschlossenen Kollektivvertrag war er bei Artisana Kranken- und Unfallversicherung (nachfolgend: Artisana) krankenversichert.
Im Jahr 1992 verfügte A.________ über eine bis am 12. Dezember 1992 gültige Saisonbewilligung. Sein letzter Arbeitstag bei der X.________ AG war der 10. Dezember 1992. Tags darauf verletzte er sich auf der Rückreise nach Mazedonien bei einem Verkehrsunfall auf einer italienischen Autobahn.
Nachdem er sich zuvor an die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als obligatorischen Unfallversicherer gewandt hatte, ersuchte A.________ im Frühjahr 1995 um Leistungen der Artisana. Diese verneinte jedoch mit Verfügung vom 17. Januar 1996 einen Anspruch und hielt daran mit Einspracheentscheid vom 11. April 1996 fest. Zur Begründung wurde erklärt, im Zeitpunkt des Unfalls habe kein Versicherungsverhältnis mehr bestanden.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 10. Mai 2005). Das Verfahren war zwischenzeitlich im Hinblick auf den hängigen Prozess gegen den obligatorischen Unfallversicherer sistiert worden. An Stelle der Artisana war die Helsana Versicherungen AG als deren Rechtsnachfolgerin in den Prozess eingetreten.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ das Rechtsbegehren stellen, es seien ihm Leistungen der Beschwerdegegnerin zuzusprechen, eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner wird um unentgeltliche Verbeiständung ersucht.
Die Helsana Versicherungen AG schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, beurteilt sich die grundsätzliche Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für die Folgen des Unfalls vom 11. Dezember 1992 nach dem bis 31. Dezember 1995 in Kraft gestandenen Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 13. Juni 1911 (KUVG). Dieses sah kein Versicherungsobligatorium vor. Von Gesetzes wegen bestand über den Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft hinaus keine Leistungspflicht der Krankenkassen (SVR 1998 KV Nr. 5 S. 13 Erw. 3 mit Hinweisen). Die versicherte Person konnte grundsätzlich nur für jene Zeitspanne Leistungen beanspruchen, während der sie bei der betreffenden Krankenkasse versichert war.
1.2 Gemäss den Allgemeinen Versicherungsbedingungen AVB für die Versicherungsabteilungen C, UEV + ULV, Ausgabe 1.1.1992 (AVB), erlischt die Versicherung unter anderem bei Aufgabe des Wohnortes im Tätigkeitsgebiet der Artisana (Schweiz) sowie bei Austritt aus der kollektivversicherten Firma.
1.3 Scheiden Versicherte aus dem Kreis der von einer Kollektivversicherung erfassten Personen aus oder fällt der Kollektivversicherungsvertrag dahin, so haben sie das Recht, in die Einzelversicherung der Kasse überzutreten, wenn sie in deren Tätigkeitsgebiet wohnen oder dem Betrieb, Beruf oder Berufsverband angehören, auf den die Kasse ihre Tätigkeit beschränkt. Die Kassen sind verpflichtet, den Übertretenden im Rahmen der Einzelversicherung den bisherigen Umfang der Leistungen zu wahren (Art. 5bis Abs. 4 KUVG). Als Aufgabe des Wohnortes gilt die Verlegung des zivilrechtlichen Wohnsitzes nach einem ausserhalb des Tätigkeitsgebietes der Kasse liegenden Ort (Art. 5 Abs. 1 der Verordnung III über die Krankenversicherung, Vo III). Ferner bestimmte Art. 11 der Verordnung II über die Krankenversicherung (Vo II), dass das Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung befristet werden kann (Abs. 1) und dass bei fristgerechter Anmeldung zum Übertritt in die Einzelversicherung die Kasse verpflichtet ist, diesen rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Kollektivversicherung zu gewähren. Dasselbe gilt, wenn der Versicherte infolge eines Verschuldens der Kasse sein Recht auf Übertritt nicht innert der vorgesehenen Frist geltend machen kann (Abs. 2). Gemäss Art. 12 der Verordnung haben die Kassen dafür zu sorgen, dass die Versicherten beim Ausscheiden aus der Kollektivversicherung schriftlich über ihr Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung aufgeklärt werden.
1.4 Nach Art. 4.4.1 der AVB für die Taggeldversicherungen sowie Art. 2.12.3 der AVB für die Krankenpflegeversicherungen haben Mitglieder, die aus dem Kreis der von der Kollektivversicherung erfassten Personen ausscheiden, das Recht, in die Einzelversicherung überzutreten, sofern sie im Tätigkeitsgebiet der Artisana wohnen und sich innert 30 Tagen resp. einem Monat seit Orientierung durch die Artisana schriftlich zum Übertritt anmelden.
2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Leistungen der Beschwerdegegnerin für die Zeit ab 11. Dezember 1992 und in diesem Rahmen das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses. Ein solches ist nach dem Gesagten zu bejahen, falls der Beschwerdeführer noch kraft des von der Arbeitgeberin abgeschlossenen Kollektivversicherungsvertrags versichert oder in die Einzelversicherung übergetreten war. Ebenfalls vom Fortbestehen der Versicherung ist auszugehen, falls eine mögliche Weiterversicherung wegen eines Verschuldens der Kasse unterblieben ist.
2.1 Die Vorinstanz hat erwogen, der Einsatz des Beschwerdeführers bei der X.________ AG im Jahr 1992 sei am 10. Dezember beendet worden. Dies habe gemäss dem Kollektivversicherungsvertrag zwischen der Arbeitgeberin und der Beschwerdegegnerin auch die Versicherungsdeckung erlöschen lassen. Zudem habe der Beschwerdeführer, als er am Vormittag des 11. Dezember 1992 die Schweiz Richtung Italien verlassen habe, auch den hiesigen Wohnort aufgegeben, was bezüglich der Kollektivversicherung ebenfalls einen Beendigungsgrund darstelle. Das Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung hätte das Bestehen eines zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz vorausgesetzt; ein solcher habe aber nicht existiert, da die entsprechenden für Saisonniers geltenden Voraussetzungen (BGE 119 V 104 Erw. 5b, 113 V 254 Erw. 2b) nicht erfüllt gewesen seien.
2.2 Dem kantonalen Gericht ist - auch mit Blick auf die Bestätigungen der Arbeitgeberin vom 31. Mai und 20. Juni 1995, welche diejenige vom 6. Februar 1995 korrigierten - darin zuzustimmen, dass der Beschwerdeführer am 10. Dezember 1992 aus der X.________ AG ausgetreten ist und nicht mehr im Rahmen des von dieser abgeschlossenen Kollektivvertrags versichert war. Damit stellt sich die Frage, ob er in die Einzelversicherung übertreten konnte.
2.3 Wenn die Vorinstanz das Erfordernis eines zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz - als Voraussetzung eines Anspruchs auf Übertritt in die Einzelversicherung - aus den vorstehend zitierten Art. 5bis Abs. 4 KUVG und Art. 5 Abs. 1 Vo III ableitet, übersieht sie, dass sich diese Bestimmungen allein auf den Freizügigkeitstatbestand beziehen, welcher eintritt, wenn das Mitglied einer nicht gesamtschweizerisch, sondern bloss regional tätigen Krankenkasse deren (innerschweizerisch) begrenzten Tätigkeitsbereich verlässt (RKUV 1985 Nr. K 642 S. 217 Erw. 5c). Verlegt dagegen eine versicherte Person ihren Wohnsitz ins Ausland, ist dies zwar grundsätzlich einem freiwilligen Austritt aus der Kasse gleichzustellen, welcher ein Freizügigkeitsrecht ausschliesst; für Grenzgänger und Saisonniers bestehen jedoch Besonderheiten (RKUV 1985 Nr. K 642 S. 217 f. Erw. 5c mit Hinweisen). Mit Bezug auf Saisonniers hat das Eidgenössische Versicherungsgericht einen grundsätzlichen Anspruch auf Übertritt von der Kollektiv- in die Einzelversicherung nach Beendigung der Saisonstelle anerkannt (EVGE 1968 S. 8 f.; RKUV 1987 Nr. K 741 S. 269 Erw. 2; vgl. auch BGE 103 V 73 Erw. 4b und RKUV 1996 Nr. K 977 S. 109 Erw. 3c). Das Übertrittsrecht galt jedenfalls dann, wenn anzunehmen war, dass der Betroffene beabsichtigte, im nächsten Jahr wieder eine (Saison-)Stelle in der Schweiz anzutreten (RKUV 1988 Nr. K 755 S. 16), und stand auch Personen zu, die krank und deshalb arbeitsunfähig waren (RKUV 1994 Nr. K 932 S. 65 Erw. 3). Durch den Übertritt in die Einzelversicherung blieb das Recht auf Versicherungsleistungen auf dem Gebiet der Schweiz gewahrt (RKUV 1987 Nr. K 741 S. 269 Erw. 2 am Ende).
2.4 Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts setzt demnach das Recht zum Übertritt in die Einzelversicherung nicht voraus, dass der Beschwerdeführer am Ende des Arbeitsverhältnisses für das Jahr 1992 zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz aufwies. Da auf Grund der Akten anzunehmen ist, dass er beabsichtigte, auch im Jahr 1993 wieder als Saisonnier in der Schweiz tätig zu sein, hatte er einen Anspruch auf Übertritt in die Einzelversicherung. Der Beschwerdegegnerin oblag es, ihn darüber aufzuklären. Mit Blick auf die gesamten Umstände muss davon ausgegangen werden, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und der Beschwerdeführer wegen des darin liegenden Verschuldens der Kasse sein Übertrittsrecht nicht fristgerecht geltend machen konnte. Dies hat zur Folge, dass die Beschwerdegegnerin grundsätzlich verpflichtet ist, ihm rückwirkend auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Kollektivversicherung den Übertritt in die Einzelversicherung zu gewähren (Erw. 1.3 hievor). Helsana und Vorinstanz haben demnach das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses zu Unrecht verneint.
3.
Das kantonale Gericht hat eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin auch mit der Begründung abgelehnt, der Versicherte habe, selbst wenn man entsprechend Art. 18 Abs. 1 der Verordnung III auf die Unfallmeldung bei der SUVA (vom 14. September 1993) abstelle, nicht rechtzeitig (innerhalb der Frist von 5 Tagen gemäss Ziffer 3.2 des Reglementes der Artisana über die Kollektiv-Taggeldversicherung, Abt. C, Ausgabe 1.1.1992) die Krankheit gemeldet und ein Arztzeugnis eingereicht. Leistungsansprüche aus der Kollektivversicherung seien deshalb verwirkt. Diesbezüglich ist aber zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer infolge der unterbliebenen Aufklärung keine Kenntnis von der weiterhin bestehenden Versicherung hatte. Die Meldefrist konnte deshalb nicht bereits durch das allenfalls anspruchsbegründende Ereignis ausgelöst werden. Im Übrigen führt eine verspätete Krankmeldung laut Ziffer 3.5 des Reglementes zu einem Aufschub des Anspruchs und nicht zu dessen Verwirkung. Die Bestimmungen des Kollektivvertrages mit der X.________ AG können nicht zur Anwendung gelangen, da sich eine allfällige Leistungspflicht aus der durch Übertritt entstandenen Einzelversicherung ergäbe.
4.
Die Vorinstanz hat überdies erwogen, allfällige Ansprüche würden aus einem Unfallereignis abgeleitet. Dieses sei bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch versichert gewesen, welche auch Leistungen erbracht habe, wobei über die entsprechenden Ansprüche noch nicht rechtskräftig entschieden worden sei. Gemäss den vertraglichen Grundlagen (Art. 5.1 der AVB für die Taggeld-Versicherungen; Art. 9 des Kollektivversicherungsvertrags; Art. 11.4 der AVB für die Krankenpflegeversicherungen) bestehe für Unfallfolgen keine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht mit Urteil vom heutigen Tag erkannt hat, stellen die über den 12. April 1994 hinaus fortbestehenden Beschwerden jedoch keine (adäquate) Folge des Unfalls vom 11. Dezember 1992 dar. Die SUVA hatte der Artisana mit Schreiben vom 9. März 1995 im Sinne von altArt. 129 UVV Gelegenheit geboten, sich am unfallversicherungsrechtlichen Verfahren zu beteiligen. Die Artisana verzichtete jedoch mit Antwortschreiben vom 13. März 1995 sinngemäss darauf, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Unter diesen Umständen muss sich die Beschwerdegegnerin als Rechtsnachfolgerin der Artisana den Ausgang des Prozesses zwischen SUVA und Beschwerdeführer entgegen halten lassen. Ob und gegebenenfalls inwieweit die Leistungen der SUVA einen Anspruch gegenüber der Beschwerdegegnerin ausschliessen sowie ob diesbezüglich die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind, wird noch zu prüfen sein.
5.
Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses bei Eintritt des Ereignisses vom 11. Dezember 1992 zu Unrecht verneint. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen lassen sich auf Grund der Akten nicht mit hinreichender Zuverlässigkeit beurteilen. Die Sache ist deshalb an die Helsana zurückzuweisen, damit sie die notwendigen Abklärungen vornehme und anschliessend erneut entscheide.
6.
Das Verfahren hat die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand und ist deshalb kostenlos (Art. 134 OG). Der als Folge der Rückweisung obsiegende (BGE 110 V 57 Erw. 3a; SVR 1999 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 3; Urteil S. vom 19. Mai 2006, K 74/05, Erw. 4) Beschwerdeführer hat Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Helsana (Art. 159 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 135 OG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 10. Mai 2005 und der Einspracheentscheid vom 11. April 1996 aufgehoben werden und die Sache an die Helsana Versicherungen AG zurückgewiesen wird, damit diese im Sinne der Erwägungen verfahre und über den streitigen Anspruch neu entscheide.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Helsana Versicherungen AG hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit zugestellt.
Luzern, 18. Oktober 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: