Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_739/2023
Urteil vom 18. November 2024
III. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Parrino, Präsident,
Bundesrichter Beusch, Bundesrichterin Scherrer Reber,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. September 2023 (VBE.2022.325).
Sachverhalt:
A.
Die 1962 geborene A.________ meldete sich im Mai 2017 erneut bei der Invalidenversicherung (IV) zum Leistungsbezug an, nachdem die IV-Stelle des Kantons Aargau ein erstes entsprechendes Gesuch im Juli 2013 abgelehnt hatte (Verfügung vom 3. Juli 2013, letztinstanzlich bestätigt mit Urteil 9C_631/2014 vom 12. März 2015). Die Verwaltung klärte die gesundheitlichen und die erwerblichen Verhältnisse ab. Sie holte ein neurologisch-neuropsychologisches Gutachten ein, welches am 2. Oktober 2020 erstattet wurde. Vorbescheidweise verneinte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente. Auf den von A.________ hiegegen erhobenen Einwand hin nahm die IV-Stelle Rücksprache mit ihrem Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD). In der Folge unterbreitete sie dem Gutachter Prof. Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Neurologie, eigene und von der Versicherten eingereichte Ergänzungsfragen, wozu dieser am 29. November 2021 Stellung nahm. Sie konsultierte den RAD erneut, bevor sie schliesslich am 14. Juli 2022 wie vorbeschieden verfügte.
B.
Beschwerdeweise liess A.________ beantragen, die Verfügung sei aufzuheben. Es sei eine gerichtliche Begutachtung unter Einbezug der Fachrichtungen Neuro-Ophthalmologie, HNO, Neuropsychologie, Neurologie und Psychiatrie durchzuführen. Es seien ihr die gesetzlichen Leistungen nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 % (einschliesslich qualifizierte und systematische berufliche Eingliederungsmassnahmen, insbesondere Belastbarkeitstraining) seit wann rechtens zuzusprechen (zuzüglich Verzugszins von 5 %). Eventualiter sei die Sache zur neuen Begutachtung, zur Neubeurteilung und zum Neuentscheid an die IV-Stelle zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie Prof. Dr. med. B.________ mit der von ihm angebotenen Verlaufsbegutachtung beauftrage. Die IV-Stelle sei gerichtlich zu verpflichten, die Honorarrechnung von Dr. med. C.________ in der Höhe von Fr. 4'970.- zur Bezahlung zu übernehmen. Mit Urteil vom 20. September 2023 wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau die Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat.
C.
C.a. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und das Rechtsbegehren stellen, das kantonale Urteil sei vollumfänglich aufzuheben. Die Sache sei zur Ergänzung des Sachverhalts, zur Neubeurteilung und zum Neuentscheid an die IV-Stelle zurückzuweisen.
C.b. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
C.c. In einer weiteren Eingabe äusserte sich A.________ zur Vernehmlassung der IV-Stelle.
Erwägungen:
1.
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 148 V 209 E. 2.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG ; BGE 145 V 57 E. 4).
1.2. Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sowie die konkrete Beweiswürdigung beziehen sich grundsätzlich auf Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2), die das Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Dagegen betrifft die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln Rechtsfragen, die das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht frei prüft (statt vieler: Urteil 9C_457/2014 vom 16. Juni 2015 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 141 V 405, aber in: SVR 2016 BVG Nr. 11 S. 47).
2.
Das beschwerdeführerische Rechtsbegehren lautet auf Aufhebung des gesamten vorinstanzlichen Urteils. In der Beschwerdebegründung fehlt indessen eine Auseinandersetzung mit dem teilweisen Nichteintreten der Vorinstanz (betreffend die Anträge auf die Zusprache beruflicher Eingliederungsmassnahmen und die Übernahme der Honorarrechnung von Dr. med. C.________). Damit liegt diesbezüglich keine hinreichend begründete Beschwerde vor ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ). Insoweit ist auf das Rechtsmittel nicht einzutreten.
3.
3.1. Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung hat. Dabei ist aufgrund ihrer Vorbringen zu prüfen, ob die IV-Stelle den Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzte und ob das kantonale Gericht gegen den Untersuchungsgrundsatz verstiess (Art. 61 lit. c ATSG), indem es erkannte, der Sachverhalt sei genügend abgeklärt, um die Frage nach einer anspruchserheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes und/oder der Arbeitsfähigkeit in der Zeit zwischen dem 3. Juli 2013 und dem 14. Juli 2022 (als massgebenden Vergleichszeitpunkten) beurteilen zu können.
3.2. Im angefochtenen Urteil werden die hier massgebenden Bestimmungen und von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zutreffend dargelegt, so insbesondere auch die Judikatur zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem im Rahmen einer Rentenrevision oder einer Neuanmeldung eingeholten Gutachten Beweiswert zukommt (vgl. auch SVR 2023 IV Nr. 37 S. 124, 8C_553/2021 E. 4.2.4). Darauf wird verwiesen.
4.
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass der Versicherten im Gutachten der Swiss Medical Assessment- and Business-Center (SMAB) AG vom 31. Dezember 2012 aufgrund eines Status nach Subarachnoidalblutung im Bereich der A. cerebri media rechts (22.11.2009), eines Status nach Aneurysmaclipping (24.11.2009) sowie eines Status nach kombinierter Schieloperationen beidseits nach linksseitiger Abduzensparese (13.1. und 28.7.2011) aus gesamtmedizinischer Sicht sowohl in der angestammten als auch in einer leidensangepassten Tätigkeit seit November 2010 eine Arbeitsfähigkeit von 80 % bescheinigt worden war. Demgegenüber nannte Prof. Dr. med. B.________ in seinem Gutachten vom 2. Oktober 2020 als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit eine Subarachnoidalblutung Hunt&Hess Ila, WFNS 1, Fisher 3 am 21.11.2009 (ICD-10: I60.1) mit/bei rupturiertem Aneurysma der A. carotis interna links, Kraniotomie links und Aneurysmaclipping am 24.11.09, symptomatischen Vasospasmen am 26.11.09 (Triple H-Therapie vom 26.11.-8.12.09), Status post Korrekturoperation bei Abduzensparese links am 13.01. und 28.07.2011 (persistierende Doppelbilder des linken Auges, Abweichung von der Sehmittelachse), struktureller, fokaler Epilepsie mit einfach-partiellen, motorischen Anfällen (ICD-10: G40.1) und leichten kognitiven Defiziten (ICD-10: F06.7). Der Gutachter attestierte der Versicherten eine Arbeitsfähigkeit von 0 % in der angestammten und eine solche von 70 % in einer leichten Tätigkeit (wobei er ursprünglich 70-80 % angegeben hatte, was er später, am 29. November 2021, entsprechend präzisierte). Weiter hielt er fest, dass seine Einschätzung seit November 2009 gelte.
4.2. Wie sich aus seiner Stellungnahme vom 25. November 2020 ergibt, wollte RAD-Arzt Dr. med. D.________ (nachdem die Beschwerdeführerin Einwand gegen den Vorbescheid erhoben hatte) durch eine Rückfrage beim Gutachter insbesondere Klarheit betreffend das "Kernstück der versicherungsmedizinischen Beurteilung" erlangen, nämlich hinsichtlich der Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit sich die gesundheitlichen Verhältnisse verändert hatten. Aus diesem Grund gelangte die IV-Stelle schliesslich am 6. April 2021 mit Zusatzfragen an den Gutachter, wobei sie ihn namentlich darum bat, zu beantworten, ob sich aus neuropsychologischer und/oder neurologischer Sicht Änderungen gegenüber der gutachterlichen Beurteilung von 2012 ergeben hätten, und wenn ja, welche Auswirkungen diese in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit hätten. Gleichzeitig übermittelte sie dem Gutachter die neu eingereichten medizinischen Akten. Weiter ersuchte sie ihn um Beantwortung der von der Versicherten mit Eingabe vom 21. Dezember 2020 gestellten Ergänzungsfragen. Am 29. November 2021 äusserte sich Prof. Dr. med. B.________ dahingehend, dass er die Fragen nach dem Vorliegen von Änderungen aus neuropsychologischer und/oder neurologischer Sicht nicht abschliessend beantworten könne, ohne die Versicherte erneut neuropsychologisch bzw. neurologisch zu untersuchen. Weiter führte er aus, dass die neuen neurologischen Berichte nicht geeignet seien, die entsprechende Beurteilung wesentlich zu ändern. Zu den Ergänzungsfragen der Versicherten bezog er, soweit sie sein Fachgebiet betrafen, eingehend Stellung. Der von der IV-Stelle daraufhin konsultierte RAD-Arzt gelangte zum Schluss, es seien keine weiteren medizinischen Abklärungen angezeigt. In den im Rahmen der Neuanmeldung eingereichten Akten seien keine arbeitsfähigkeitsrelevanten Änderungen ausgewiesen. Lediglich im Gutachten des Dr. med. B.________ werde aus dem klinischen Eindruck eine leichte Erhöhung der Arbeitsunfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit (30 %) gegenüber dem SMAB-Gutachten (20 %) abgeleitet (Stellungnahme des RAD vom 29. Dezember 2021).
4.3. Die IV-Stelle folgte dem RAD und verzichtete auf die Anordnung einer zusätzlichen medizinischen Untersuchung. Sie erliess eine rentenablehnende Verfügung mit der Begründung, gemäss dem Gutachten vom 2. Oktober 2020 sei die Versicherte in einer angepassten Tätigkeit seit Eintritt des Gesundheitsschadens im Jahr 2009 20-30 % arbeitsunfähig, weshalb seit diesem Zeitpunkt und damit auch seit der letzten rechtskräftigen Verfügung vom 3. Juli 2013 keine Veränderung der gesundheitlichen Verhältnisse ausgewiesen sei. Damit übereinstimmend erkannte die Vorinstanz, es sei nicht erstellt, dass sich der Gesundheitszustand seit dem massgebenden Vergleichszeitpunkt wesentlich verändert hätte. Dass in der Expertise vom 2. Oktober 2020 sowohl in der angestammten als auch in einer angepassten Tätigkeit eine erheblichere Einschränkung der Arbeitsfähigkeit attestiert werde als in derjenigen vom 31. Dezember 2012, ändere daran nichts, denn es handle sich nur um eine andere Beurteilung eines im Wesentlich unverändert gebliebenen Gesundheitszustands. Ebenso wenig enthielten die Akten Hinweise auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach dem Begutachtungszeitpunkt. Auch die RAD-Ärzte hätten eine solche Entwicklung in ihren Stellungnahmen vom 29. Dezember 2021 und vom 9. Juni 2022 nachvollziehbar als nicht ausgewiesen betrachtet. Eine Verlaufsbegutachtung erweise sich damit in antizipierter Beweiswürdigung als nicht notwendig. Damit bleibe es beim bisherigen Rechtszustand; es bestehe kein Anspruch auf eine Invalidenrente.
5.
5.1. Die Beschwerdeführerin kritisiert, die IV-Stelle habe gegen den Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verstossen. So habe sie ihr zwar Gelegenheit gegeben, dem Gutachter Prof. Dr. med. B.________ Fragen zu stellen, und sie ihm auch weitergeleitet, aber nicht dafür gesorgt, dass er sie auch hätte beantworten können, denn die hierfür erforderliche zusätzliche Untersuchung sei ihm verweigert worden. Die Mitwirkungsmöglichkeit verkomme zur Farce, wenn zwar Fragen gestellt werden dürften, diese dann aber ohne Antwort blieben.
5.2. Diese Ausführungen erwecken den Anschein, der Gutachter habe die Beantwortung der von der Beschwerdeführerin gestellten Ergänzungsfragen von einer zusätzlichen Untersuchung abhängig gemacht, was nicht zutrifft, denn Prof. Dr. med. B.________ nahm zu ihnen Stellung, soweit sie sein Fachgebiet betrafen, und erwähnte diesbezüglich auch nirgends die Notwendigkeit einer zusätzlichen neurologischen Untersuchung (anders als betreffend die Fragen der Verwaltung; vgl. dazu nachstehende E. 6.2). Das Vorgehen der IV-Stelle gibt insoweit zu keinen Beanstandungen Anlass. Abgesehen davon käme als Grundlage für eine entsprechende Rüge weniger das Prinzip der Waffengleichheit (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) in Frage als vielmehr der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), aus welchem sich das Recht ableitet, Ergänzungsfragen zu stellen (BGE 136 V 113 E. 5.4; SVR 2023 IV Nr. 17 S. 57, 8C_150/2022 E. 7.1; Urteil 9C_162/2019 vom 29. Mai 2019 E. 5.3.3.2). Ohnehin aber wäre ein solcher Einwand verspätet, da er bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren hätte vorgetragen werden können (BGE 143 V 66 E. 4.3; SVR 2020 UV Nr. 35 S. 141, 8C_671/2019 E. 5.1). Aus dem Vorbringen ergibt sich mithin nichts zu Gunsten der Beschwerdeführerin.
6.
6.1. Weiter wird in der Beschwerde geltend gemacht, Prof. Dr. med. B.________ habe in seinem Gutachten vom 2. Oktober 2020 eine signifikante Veränderung der Arbeitsfähigkeit festgestellt, nämlich eine Abnahme um 80 % in der angestammten und um 10 % in einer leichten Tätigkeit. Gleichzeitig habe er keine Kritik am SMAB-Gutachten vom 31. Dezember 2012 geübt, was zeige, dass er die damals getroffenen Feststellungen nicht anders habe beurteilen wollen; die gegenteilige Behauptung im angefochtenen Urteil sei nicht nachvollziehbar. Dass im Gutachten vom 2. Oktober 2020 eine Äusserung dazu fehle, ob und inwiefern sich der Gesundheitszustand effektiv verändert hatte, sei ausschlaggebend dafür gewesen, dass die IV-Stelle Prof. Dr. med. B.________ Zusatzfragen unterbreitet habe. Diese seien von ihm allerdings nie beantwortet worden, und zwar allein aus dem Grund, dass ihm die IV-Stelle eine weitere Untersuchung verwehrt habe. Damit aber stütze sich die Vorinstanz in ihrem Urteil nicht auf gesicherte Kenntnisse, sondern auf Spekulationen. Der Sachverhalt sei nicht rechtsgenüglich festgestellt, was Art. 61 lit. c ATSG verletze; die Angelegenheit müsse zu ergänzenden Abklärungen an die IV-Stelle zurückgewiesen werden.
6.2. Es trifft zu, dass Prof. Dr. med. B.________ in seinem Schreiben vom 29. November 2021 klar zu erkennen gab, dass er die ihm von der IV-Stelle unterbreiteten Fragen, ob sich der Gesundheitszustand der Versicherten aus neuropsychologischer und/oder neurologischer Sicht gegenüber der gutachterlichen Beurteilung von 2012 verändert habe, noch nicht beantwortet hatte (vgl. auch RAD-Stellungnahme vom 25. November 2020) und dass er dazu überhaupt erst nach der Durchführung weiterer Untersuchungen in der Lage wäre. Wenn die IV-Stelle und die Vorinstanz das Gutachten dennoch dahingehend verstanden haben wollten, dass von einem unveränderten Gesundheitszustand auszugehen sei, massen sie den darin enthaltenen Ausführungen einen Sinn bei, welchen der Gutachter ihnen offensichtlich selber nicht verliehen hatte. Mit anderen Worten setzten sie sich über den Bedeutungsgehalt der Stellungnahme des Prof. Dr. med. B.________ hinweg. Im Übrigen trifft es zwar zu, dass die gutachterliche Aussage, wonach die Einschätzung seit 2009 gelte, ursprünglich als Feststellung unveränderter gesundheitlicher Verhältnisse (wenigstens bis zum Explorationszeitpunkt) hätte verstanden werden können. Allerdings war sich bereits der von der IV-Stelle beigezogene RAD-Arzt unsicher, ob dies die richtige Lesart war, wie sich aus seiner Stellungnahme vom 25. November 2020 ergibt, und spätestens seit dem Antwortschreiben des Prof. Dr. med. B.________ vom 29. November 2021 war diesem Verständnis die Grundlage entzogen. Hinzu kommt, dass die dem Gutachten zugrunde liegende Exploration bereits am 28. Oktober 2019 erfolgt war, mithin rund ein Jahr vor der Erstattung des Gutachtens und etwas mehr als zwei Jahre vor der Stellungnahme zu den Ergänzungsfragen. Es lässt sich deshalb nachvollziehen, dass der Gutachter am 29. November 2021 aufgrund seines damaligen Wissensstandes auch kaum beurteilen konnte, ob sich der Gesundheitszustand der Versicherten zu diesem Zeitpunkt immer noch gleich präsentierte. Zusammenfassend ergibt sich, dass das Gutachten vom 2. Oktober 2020 zum neuanmeldungsrechtlich relevanten Punkt - der Frage nach einer Veränderung des Gesundheitszustandes in den massgebenden Vergleichszeitpunkten - keine Auskunft gibt. Diesen Mangel vermögen insbesondere auch die RAD-Stellungnahmen vom 29. Dezember 2021 und 9. Juni 2022, bei welchen es sich um reine Aktenbeurteilungen handelt, nicht wettzumachen. Der Sachverhalt erweist sich als unvollständig erhoben, was eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) darstellt. Es rechtfertigt sich, die Angelegenheit an die Verwaltung zurückzuweisen, damit sie die erforderlichen ergänzenden Abklärungen veranlasse und anschliessend neu verfüge.
7.
7.1. Für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten und der Parteientschädigung gilt die Rückweisung der Sache zu erneuter Beurteilung als vollständiges Obsiegen (BGE 146 V 28 E. 7). Die unterliegende IV-Stelle hat somit die Gerichtskosten zu tragen und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1, Art. 68 Abs. 2 BGG ).
7.2. Zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des kantonalen Gerichtsverfahrens ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 67 und Art. 68 Abs. 5 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. September 2023 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Aargau vom 14. Juli 2022 werden aufgehoben. Die Sache wird zu weiterer Abklärung und neuer Verfügung an die Verwaltung zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau zurückgewiesen.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Sammelstiftung BVG der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft, Zürich, schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 18. November 2024
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann