Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 814/06 
 
Urteil vom 19. Januar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Parteien 
M.________, 1998, 
Beschwerdeführer, 
handelnd durch seine Eltern, 
und diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, 
Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 7. September 2006. 
 
Sachverhalt: 
Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, hielt mit Einspracheentscheid vom 29. Juni 2006 an der verfügten Ablehnung des Gesuches des 1998 geborenen M.________ betreffend sensorische Integrationstherapie als pädagogisch-therapeutische Massnahme fest. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich trat auf die dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 7. September 2006 nicht ein. 
Erneut vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser lässt M.________ mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen, es sei die Nichtigkeit des Beschlusses vom 7. September 2006 festzustellen; eventualiter sei der Beschluss aufzuheben. Die Vorinstanz sei zu verpflichten, auf die Beschwerde vom 29. August 2006 einzutreten, eventuell sei die Sache zum Neuentscheid über die Eintretensfrage an sie zurückzuweisen. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich stellt in der Vernehmlassung keinen Antrag. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 395 Erw. 1.2). 
2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob es gegen Bundesrecht verstösst (Art. 104 lit. a OG), dass das kantonale Gericht mit der Begründung, es mangle an einer rechtzeitig eingereichten rechtsgenügenden Beschwerdeschrift, auf die vorinstanzliche Beschwerde nicht eingetreten ist. Das Gericht hat erwogen, die von Rechtsanwalt Kieser eingelegte Beschwerde sei weder von ihm noch einem anderen dazu bevollmächtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterzeichnet worden, sondern von einer nicht bevollmächtigten Kanzleiangestellten. Das Verfahren vor dem kantonalen Sozialversicherungsgericht bestimme sich nach dem kantonalen Recht, welches vorschreibe, dass eine schriftliche Eingabe zu unterzeichnen sei. Genüge sie dieser Anforderung nicht, werde zur Behebung des Mangels eine Frist angesetzt (§ 131 Abs. 1 und 2 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]). Die Möglichkeit der Nachbringung der Unterschrift sei nur gegeben, wenn die Unterzeichnung versehentlich oder in Unkenntnis der Rechtslage unterblieben sei. Da die Eingabe von einer Angestellten der Anwaltskanzlei unterschrieben worden sei, könne nicht davon gesprochen werden, die Unterzeichnung sei versehentlich unterblieben oder der Rechtsanwalt habe keine Kenntnis von der Rechtslage gehabt. Entsprechend sei keine Nachfrist zur Behebung des Mangels anzusetzen. 
3. 
Die vorab erhobene Rüge, der angefochtene Beschluss sei nicht von einem Mitglied bzw. dem Vorsitzenden des Richtergremiums, sondern einzig vom Gerichtssekretär unterzeichnet worden, und deshalb nichtig oder wegen eines unheilbaren Mangels aufzuheben, dringt nicht durch. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil V. vom 14. Juli 2006, I 252/06, festgehalten hat, ist nicht zu beanstanden, dass ein Nichteintretensentscheid des Sozialversicherungsgerichts nur die Unterschrift des Gerichtsschreibers i.V. und nicht auch des Präsidenten trägt, weil die Frage der Unterzeichnung sich nach kantonalem Recht richtet, und nach zürcherischem Recht prozesserledigende Beschlüsse lediglich vom Gerichtssekretär als kanzleibediensteter Urkundsperson unterzeichnet werden (Erw. 1.2 und 1.3 mit Hinweisen). 
4. 
Der angefochtene Beschluss hält aus einem anderen Grund vor Bundesrecht nicht Stand. Wie Rechtsanwalt Kieser ausführt und das Sozialversicherungsgericht in der Vernehmlassung nicht in Abrede stellt, hatte dieses bisher in Dutzenden von analogen Beschwerdefällen ohne weiteres ein ausreichendes Vollmachtsverhältnis angenommen und seit Jahren entsprechend unterschriebene Rechtsmittel akzeptiert. 
Die Vorinstanz hat mit dieser unbestritten gebliebenen Praxis die Vertrauensgrundlage dafür geschaffen, dass entsprechend unterschriebene Beschwerden ohne weiteres als rechtsgültig entgegengenommen werden. Wollte sie in dem für den Beschwerdeführer angehobenen Verfahren die über längere Zeit konstant verfolgte und dem Rechtsanwalt vertraute Praxis ändern und die bis anhin tolerierte Unterzeichnung einer Eingabe durch eine Kanzleiangestellte nicht mehr akzeptieren, dann hätte sie eine Nachfrist zur Behebung dieses Mangels einräumen müssen. Der im Beschluss erwogene Standpunkt, ein Rechtsanwalt habe Kenntnis von der Rechtslage und könne darum seine Unterschrift nicht nachbringen, ist bei der geschilderten Praxis nicht zu halten. Denn zwar ist eine neue Praxis grundsätzlich sofort und in allen hängigen Verfahren anzuwenden, der verfassungsrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes (vgl. Art. 9 BV und Urteil X. vom 7. April 2005, 1P.701/2004, Erw. 4.2) kann jedoch bei einer verfahrensrechtlichen Änderung der Rechtsprechung dazu führen, dass eine Praxisänderung im Anlassfall noch nicht angewendet wird, wenn der Betroffene einen Rechtsverlust erleiden würde, den er hätte vermeiden können, wenn er die neue Praxis bereits gekannt hätte (BGE 122 I 59 Erw. 3c/bb S. 59). Dies kann wie hier bei Änderungen von Formvorschriften für die Einlegung eines Rechtsmittels zutreffen. In BGE 94 I 15 Erw. 1 (vgl. auch BGE 122 I 60) präzisierte das Bundesgericht, dass die Praxisänderung immer dann als willkürlich erscheint, wenn sie ohne Vorankündigung eintritt und zur Verwirkung eines Rechts führt. Wenn im angefochtenen Beschluss unter Berufung auf die letztinstanzlichen Urteile S. vom 15. Mai 2000, I 77/00, Erw. 3a und C. vom 6. Juni 2005, I 126/05, Erw. 4.2 argumentiert wird, eine Nachfristansetzung habe im Falle von offensichtlichem Rechtsmissbrauch zu unterbleiben, so ist nicht erklärt worden, auf was sich dieser Vorwurf bezieht. Die Beschwerde ist mehrere Tage vor Fristablauf ausführlich und vollständig begründet eingereicht worden und es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Rechtsanwalt sich oder seinem Klienten durch die - nach bisheriger konstanter Praxis der Vorinstanz im Übrigen gar nicht zu erwartende - Ansetzung einer Nachfrist rechtsmissbräuchlich einen Vorteil hätte verschaffen sollen. 
5. 
Mit dem Beschluss vom 7. September 2006 hat die Vorinstanz den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht respektiert, weshalb der Entscheid wegen Verletzung von Bundesrecht aufzuheben ist. Da die Verwaltungsgerichtsbeschwerde offensichtlich begründet ist, wird sie im Verfahren nach Art. 36a OG erledigt. In diesem Rahmen bleibt ungeprüft, ob die Eingabe, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde postuliert, bereits mit der Unterschrift der Kanzleiangestellten formgültig unterzeichnet war, und ob die Vorinstanz dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör verweigert und das Verbot des überspitzten Formalismus verletzt hat. Die Sache wird an das Sozialversicherungsgericht zurückgewiesen, damit es - allenfalls nach Ansetzung einer Nachfrist zur Bereinigung eventueller formeller Mängel - über die Beschwerde materiell entscheide. 
6. 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend gehen die Parteikosten zu Lasten des Kantons (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5 und Art. 156 Abs. 6 OG; BGE 124 V 130); Gerichtskosten können dem Kanton nicht auferlegt werden (Art. 156 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 7. September 2006 aufgehoben und es wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre. 
2. 
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet. 
3. 
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 19. Januar 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: